WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Dieses Thema im Forum "Der Erste Weltkrieg" wurde erstellt von Gandolf, 28. Juni 2005.

  1. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    für die damaligen Entscheidungsträger zählte aber das, was ihnen durch ihre Diplomaten vermittelt/überbracht wurde, und die verschlungen-diskreten Pfade der Diplomatie konnten ohne weiteres alles von der blanken Wahrheit über Vermutungen und Gerüchte bis zur dreisten Lüge/Fehlinformation enthalten - was hier heute retrospektiv wissen, zählte damals nicht.
     
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  2. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    langsam: sagte der das, weil er eine erschreckende Wahrheit offenbaren wollte oder sagte der das, weil diese Mitteilung eine Intention hatte (nämlich dass der Adressat hier viel Aufmerksamkeit und Vorsicht investieren möge, die ihn von anderen Angelegenheiten ablenken soll) ?
    Ich glaube nicht, dass man diplomatische Äusserungen wie wahre/falsche Aussagesätze in einem Logikspiel behandeln sollte.
     
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  3. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Das die damals handelnden Personen über kein ex-post-wissen verfügen konnten, ist klar.

    Turgot hatte seine Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass de Bunsons Bericht in London keine nachweisbare Reaktion hervorgerufen hatte.
    Dagegen hatte ich eingewandt, dass es gute Gründe gab (mangelnde Sprachkenntnisse den britischen Diplomaten, mangelnde Erfahrung mit der Region, Weitertragen angeblicher Aussagen des serbischen Gesandten, der gegenüber dem französischen Geschäftsträger möglicherweise Gründe hatte dick aufzutragen oder möglicherweise mit seiner Einschätzung einfach daneben lag), dann nicht allzu ernst zu nehmen.

    Auch mit dem Hinweis darauf, dass in London eben nicht nur die Informationen des Botschafters aus Wien ankamen, sondern die Berichte aller Botschafter und Gesandten aus der Balkanregion zusammenliefen, die insgesamt ein völlig anderes Bild ergeben und die Entscheidungsträger im foreign office beeinflussen konnten.
    Ich weiß nicht, ob die Briten damals Konsulate in Zagreb/Agram, Sarajevo, Lubjana/Laibach oder anderen größeren Orten im südslawischen Raum, etwa Rijeka oder Ragusa/Dubrovnik unterhielten.
    In jedem Fall unterhielten sie in Montenegro, Albanien und Belgrad Botschaften, die da etwas näher am Geschehen waren, als de Bunson in Wien und die sehr wahrscheinlich auch über Personal mit entsprechenden Sprachkenntnissen verfügte.
    Je nachdem, wie die Informationsströme von dort waren, konnte es gute Gründe geben die von de Bunson weitergetragenen Einlassungen des serbischen Gesandten als wenig glaubwürdig zu betrachten, zumal schon die Art der Einlassung ("in längstens 3 Jahren", klingt gein bisschen sehr nach Glaskugelleserei) nicht unbedingt für größte Seriosität spricht.

    Ich denke dieser Einwand ist durchaus angemessen.
     
  4. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Denkbar wäre beides.

    Denkbar wäre sowohl, dass der serbische Gesandte selbst entsprechende Hoffnungen hatte und die Lage für die Sache, an die er glaubte als günstiger einschätzte, als wie war (das konnte ohne repräsentative Meinungsumfragen/Meinungsforschung ja durchaus ohne weiteres passieren, selbst wenn man die Gegend bereiste und sich mal stichprobenartig Meinungen anhörte).

    Denkbar wäre ebenfalls, dass der serbische Gesandte gegenüber seinem französischen Kollegen versuchte den eigenen Einfluss größer darzustellen, als er war, um den Eindruck zu vermitteln, die französischen Militärkredite seien gut angelegt und um eine gute Stimmung zu schaffen die guten Beziehungen fortzusetzen und zu intensivieren.

    An und für sich nicht unbedingt.
    Möglicherweise aber dann, wenn sie von greifbaren Tatsachen deutlich abweichen und da bin ich wieder bei meiner Frage an Turgot.

    Worauf begründete sich die Einschätzung eine Erhebung der Südslawen gegen Habsburg stehe bevor und warum finde ich in keinem mir bekannten Geschichtswerk zur Habsburgermonarchie Verweise auf Anzeichen für einen konkret bevorstehendenn Aufstand?
    Denn die würden ja kaum Geheimwissen des Serbischen Gesandten gewesen sein, sondern man sollte ja annehmen, dass die österreichisch-ungarisch-bosnischen Sicherheitsorgane das ebenfalls registriert hätten und es in den Wiener und Budapester Regierungskreisen ganz konkret Thema gewesen wäre, wenn das wirklich greifbar gewesen wäre.
    Warum ist das nichts bekannt?
    Abgesehen davon, dass man die großserbische Propaganda grundsätzlich als gefährlich betrachtete, dies allerdings mehr als Abstraktum, fehlen mir die konkretenn Hinweise auf eine akut sezessionistische Stimmung.

    An dieser Stelle wäre doch zu hinterfragen, warum wollte der serbische Gesandte wissen, was die K.u.K.-Behörden und die Regierungen in Wien und Budapest nicht sahen und woher wusste er das so genau, dass er sogar den Zeitplan benennen konnte, während die Geschichtsschreibung davon offenbar selbst ex post nichts weiß?

    Spätestens an der Stelle ist es, würde ich meinen legitim zu hinterfragen, ob denn der serbische Gesandte tatsächlich so gut informiert war und welchen Anlass er gahabt haben könnte die Lage entweder falsch einzuschätzen oder entsprechende Behauptungen wider besseren Wissens in die Welt zu setzen.
    Unter diesen Umständen halte ich es weder für falsch solche Optionen im Kopf zu behalten, noch es für nicht völlig ausgeschlossen zu halten, dass London ähnlich dachte, zumal wenn die Informationen aus den anderen relevanten Botschaften, und ggf. Konsulaten eine solche Interpretation nahegelegt haben könnten.
     
  5. Andrea-Ulrike

    Andrea-Ulrike Neues Mitglied


    Ich finde das echt cringe was hier abgeht.
    Weisst du was mansplaining ist? Ich hab im Seminar davon einige Beispiele gehört, das ist zB. wenn Männer ihre Frauen beim Autofahren immer kritisieren und am Ende die Frauen sich gar nicht mehr trauen Auto zu fahren.
    Genau diese Mechanismen werden hier angewendet. Hier postet ein Mitglied eine interessante Quelle und dann werden quellenlos 5000 EInwände gebracht. Vielleicht hat hier der Serbe konkrete Überlegungen der serbischen Regierung durchgestochen. Womit die Gefährdungslage der Österreicher schon klar ist. Wenn solche Pläne nicht umgesetzt werden, heißt das ja auch nicht, dass es sie nicht gab. Mit deiner Argumentation könnte man auch über den kalten Krieg genauso argumentieren. Nur weil es gar keinen heißen Krieg gab, wurde das Fulda Gap und der thüringer Balkon nicht genutzt. Die Planungen gab es aber trotzdem. da ist mir die oben genannten Argumentation zu sehr Glaskugel. just my 2 cents ;)
     
  6. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Es bleibt dir unbenommen das hier zu finden, wie du willst.

    Nö, was hier angewendet wird, nennt sich Quellenkritik. Vielleicht solltest du mal ein Seminar zu diesem Thema besuchen.

    Herzlich willkommen in der Diskussion historischer Themen, Quellen sind grundsätzlich kritisierbar, wenn sie Anlass dazu geben. Diese hier gibt solchen.

    Ja, und vielleicht hat er auch unter dem Einfluss einer Flasche Sliwowitz und einer übertriebenen Dosis Opium irgendwas zusammen haluziniert.

    Oder der Serbische Gesandte hat tatsächlich nie etwas gesagt, und der französische Gesandte, der behauptete es weiterzugeben hat es in Wirklichkeit erfunden um sich wichtig zu machen.

    Wenn man sich auf das Terrain der völlig substanzlosen Unterstellungen bewegt, ist schon einiges denkbar, bringt nur niemanden der versucht Geschichte zu verstehen in irgendeiner Form weiter.
    Wenn man Thesen aufstellt, sollten sie schon einen gewissen Bezug zu den überlieferten Tatsachen haben.

    Ja, natürlich und diese Gefährdungslage ist keinem K.u.K.-Sicherheitsorgan aufgefallen, obwohl die nach dem Attentat jeden Stein dreimal nach etwaigen aufrührerischen Gruppen mit Verbindung nach Belgrad umdrehten und die ominöste von Belgrad aus gesteuerte Verschwörung, die nirgendwo materielle Beweise ihrer Existenz hinterlassen hat, aber auf jeden Fall mächtig genug war die Habsburgermonarchie zu stürzen, verschwand anschließend einfach ins Nichts und ward nie wieder gesehen? Auch nicht in den serbischen Archiven die den Österreichern und Verbündeten während des Krieges in die Hände fielen?

    Bisschen sehr weit hergeholt, findest du nicht?

    So, heißen Krieg gab es nicht.
    Was waren dann deiner Meinung nach Korea und Vietnam?

    Und nö, könnte man mit meiner Argumentation nicht, weil ich in meiner Argumentation nie handfeste Beweise wie Konkret vorhandene Kriegspläne wegerklärt habe.

    Relativ weit aus dem Fenster gelehnt, wenn man selbst die große von Belgrad aus gesteuerte antihabsburgische Verschwörung an die Wand malt, für die man keinerlei materiellen Beweis hat.
     
  7. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Quellen interessieren mich grundsätzlich, ich bin nur nicht bereit ihnen grundsätzlich vorbehaltlos zu folgen, wenn ihr Inhalt mit dem anderer Quellen oder mit historischen Kontexten in Widerspruch steht.
    Wenn ich dieser Meinung bin mache ich das deutlich und motiviere das, wie oben geschehen.

    Wenn jemand meine Einwände für unberechtigt hält, bitte, kann jeder halten wie er oder sie gerne möchte.
    Wenn jemand von mir möchte dass ich seine oder ihre Sichtweise zu dem Thema übernehme, wird er oder sie mir darlegen müssen, warum er oder sie meine Sichtweise für falsch hält.
     
  8. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Am 30.Juli 1914 schrieb der englische Botschafter Sir Francis Bertie in einem Privatbrief an seinem Chef Sir Edward Grey:

    "[...] Die Leute verkennen oder ziehen nicht in Betracht, wie schwierig es für die britische Regierung ist, England in einer Frage wie dem österreichischen-serbischen Zwist mit Rußland und Frankreich solidaire zu erklären. Anstatt auf die russische Regierung einen Druck auszuüben, um ihren Eifer zu mässigen, erwarten die Franzosen von uns, dass wir den Deutschen unsere Absicht, im Falle des Kriegsausbruches mitzukämpfen, zu verstehen geben. Wenn wir Rußland und Frankreich jetzt unsere Waffenhilfe zusicherten, dann würde Rußland noch höhere Ansprüche stellen und Frankreich seinen Beispiel folgen. [...]"

    Auch diese Zeilen blieben im Foreign Office, wie schon die von den Bunsen aus Wien, ohne jede Beachtung!

    Auch dieses Dokument wurde in der britischen Aktenedition nicht aufgenommen.

    Passten die Informationen von den eigenen Botschaftern de Bunsen und Bertie den Entscheidungsträger im Foreign Office nicht? Wollte der Staatssekretär Grey und der ständige Unterstaatssekretär Nicholson und dessen Adlatus Crowe nichts von einen Druck auf Petersburg hören? Unwahrscheinlich ist das nicht.
    Oder war vielleicht war nun auch Sir Francis Bertie neben de Bunsen, Dumaine oder Jovanovic einfach nur inkompetent? oder unzutreffend informiert? zu kurz im Lande? oder oder. Wer da wohl noch alles inkompetent war?
     
    Zuletzt bearbeitet: 28. April 2023
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  9. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Das englische Diplomatenkorps war für damalige Verhältnisse recht professionell und unaufgeregt. De Bunsen wird sich, wie zahlreiche andere Diplomaten auch, auf sein Wirkungsfeld vor und während seine Tätigkeit als Botschafter ohne Frage entsprechend vorbereitet haben. Das gleiche gilt für Dumaine.

    Für den serbischen Gesandten gab es nun wirklich überhaupt kein Grund sicht wichtig zu nehmen oder gegenüber den französischen Botschafter Dumaine sein eigenes Land in einen zweifelhaften Licht erscheinen zu lassen, in dem er einräumt, das 1. Serbien seine völkerrechtlich verbindlichen Zusagen am Ende der Annexionskrise nicht eingehalten zu haben und 2. zuzugeben, das Serbien seine "Wühlarbeit", seine Destabilisierung der beiden südslawischen Provinzen, von ÖU übrigens hatte auch Sasonow exakt so eine Idee gegenüber ÖU. Die Kredite sollen das Lockmittel gewesen sein? Das kommt mir doch reichlich an den Haaren herbeigezogen vor. Auch Flotow, deutscher Botschafter in Rom oder Lützow ÖU Diplomat in Rom haben sich im Vertrauen an Kollegen des diplomatischen Korps gewendet, wo sie über das ÖU Ultimatum informierten. Flotow seinen Vertrauenbruch hat Merey übrigens bemerkt.

    In London wollte man, das erscheint mit wesentlich wahrscheinlicher, nichts von solchen brisanten Informationen nichts wissen, denn nicht ohne Grund wurden diese nach dem Kriege unter dem Tisch fallen gelassen und nicht in den Aktenedition aufgenommen.

    Ich habe so ein wenig den Eindruck, das du widersprichst aus reiner Freude am Widerspruch.
     
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  10. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Das bestreitet ja keiner.

    Auch das bestreitet keiner, nur hatte er schlicht nicht die Zeit die Donaumonarchie ausgibieg zu bereisen oder alle relevanten Sprachen zu lernen, jedenfalls, wenn man mal annimmt, dass er kein polyglottes Sprachgenie jenseits von gut und böse war.
    In dem Konglomerat der gängigen Sprachen waren die Südslawischen einmal nicht die besonders relevanten und die Probleme in den südslawischen Teilen der Monarchie waren auch nicht gravierender, als die Gemengelage in den italienischsprachigen Teilen, in Böhmen, Galizien oder Siebenbürgen und das alles musste de Bunsen sich aneignen und auf dem Schirm behalten.

    Er war, so weit ich das erkennen kann einfach kein Spezialist für die südslawischen Themen.

    Das hat er doch auch gar nicht, wenn man dem von dir angeführten Zitat folgt:

    Die Kredite wären ein plausibler Grund gewesen, Serbiens Einfluss größer zu reden, als er tatsächlich war.

    Nein, der Grund warum wir auf keinen Nenner kommen, ist, dass wir einmal mehr aneinander vorbei schreiben.

    Für dich ist in der ganzen Thematik die Deutung entscheidend, dass man im "foreign office" an ein eigenständiges Handeln Wiens in der serbischen Sache nicht glauben wollte.
    Und du nimmst auf Grund dieses Deutungspfades an, dass aus diesem Grund dem Bericht de Bunsens und anderen Berichten, die auf ein eigenständiges Handeln Wiens hinwiesen keine Beachtung geschenkt worden sei.

    Ich würde der These, dass die Briten grundsätzlich nicht recht an an ein eigenständiges Österreischisches Handeln glauben wollten, im Grundsatz duchaus folgen und dem nicht widersprechen wollen.
    Ich denke nur nicht dass diese Tendenz hauptverantwortlich dafür ist, dass der Bericht de Bunsens keine weitere Beachtung erfuhr, weil der einfach aus anderen Gründen wenig substanziell erscheint.

    - Erstmal transportierte er nur Gerüchte, was der serbische Gesandte dem französischen Botschafter angeblich gesagt haben soll (stille Post usw.)
    - Dann enthält er extrem speekulative Annahmen, die sich leesen, als kämen sie aus der Glaskugel (Aufstand in längstens 3 Jahren, sag mir mal wer seriös vorhersagen kann, was in drei Jahren sein wird oder wie die allgemeine Stimmung dann ist).
    - Dann enthält die Passage keinerlei hinweise auf tatsächlich substanzielle Hinweise auf größere Unruhen, keine Erwähung von Streiks, Ausschreitungen, großen Massenprotsten etc., sondern einfach nur reine Spekulation.
    - Der Bericht ist von einem Botschafteer verfasst worden, der offenbar kein Expeerte auf dem Gebiet der südslawischen Frage war, keine Zeit hatte sich das vor Ort anzusehen und demnach kaum Möglichkeit hatte die Angaben vor Ort zu überprüfen.
    - Was de Bunsen in dieser Hinsicht tun konnte, war sich bei den österreichischen Stellen durchzufragen und die deutschsprachige Presse zu konsultieren, nur da kann er an Prsonen, wie den notorischen Serbenfresser Hötzendorff oder Zerrbilder in der deutschnationalen Presse geraten sein, die die Probleme in den südslawischen Gebieten, die zweifellos vorhanden, aber von allgemeineem Aufstand weit entfernt waren, mitunter maßlos übertrieben.
    - In London wird man im Übrigen auf die Nationalitätenfragen innerhalb der Donaumonarchie grundsätzlich durchaus mit Interesse und den Umgang damit geschaut haben, weil man ja nach wie vor selbst nach einem Rezept suchte, wie mit der Irland-Problematik umzugehen.
    Heißt, was in diesem Raum passierte, dürfte für London grundsätzlich von Interesse gewesen und weitergegeben worden sein und wenn man aus dem oben genannten Grund unterstellt, dass London einigermaßen informiert war, wird man unterstellen dürfen, dass ein alarmistischer Bericht aus Wien der von Aufständen spricht, obwohl es in den Provinzen selbst keine greeifbaren Zeichen starker Unruhe gab, bei der Auswertung durchs Raster gefallen sein wird.
    - Wie angeführt konnte der serbische Gesandte durchaus auch einfach selbst nationaleen Träumereien nachhängen oder gegenüber dem frannzösischen Geldgeber serbien als Faktor beedeutender darstellen, als es war. Desavouiert scheint er seine Regieerung mit diesem Statement nicht zu haben, denn er sprach ja nicht davon, dass man die Südslawn aufgehetzt habe, sondern davon, dass die Stimmung dort so explosiv sei, dass, dass es in nächster Zeit explizit ohne serbisches Zutun zum Aufstand kommen würde.

    Diesem Bericht wäre wahrscheinlich auch wenn die tendenzielle Haltung des foreign office eine andere gewesen wäre, wahrschinlich nicht viel Bedeutung zugemessen worden, weil er einfach auf verschiedenen Ebenen zu unsicher ist.

    Das mag sich bei bei anderen Berichten anders verhalten haben und wie gesagt, deiner Grundthese, dass man in London ein eigenständiges Vorghen Wiens nicht annehmeen wollte, würde ich im Prinzip zustimmen wollen, schon weil Grey und die übrigen außenpolitischen Funktionsträger sich dann stärker um einen direkten Draht nach Wien bemüht hätten, anstatt sich vor allem auf ein Einwirken auf Berlin zu konzentrieren.

    Im Hinblick darauf, warum dieser Bericht keine Reaktionen hervorrief und nicht zu einem Umdenken führte, komme ich, wie oben dargelegt zu anderen Schlüssen.
    Und dass wird denn auch der Grund sein, warum er in den britischen Dokumentensammlungen zum Kriegsausbruch nicht auftaucht.
     
  11. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Von Diplomaten, insbesondere von solchen, die bei einer Großmacht akkreditiert gewesen waren, wurde selbstverständlich erwartet, dass sie in der Lage waren wichtiges von unwichtigem, vertrauenswürdiges Informationsmaterial von unseriösem Geflüster zu unterscheiden. Nicht umsonst finden sich im diplomatischen Schriftverkehr immer wieder die Floskel „aus vertrauenswürdiger Quelle“. Gerade in dieser sehr schweren Krise, kann ich mir nicht vorstellen, dass de Bunsen leichtfertig so schwerwiegende, brisante Informationen an die Londoner Zentrale so ohne weiteres weitergegeben hat. De Bunsen wird sich seiner Sache schon sicher gewesen sein, ebenso der französische Botschafter Dumaine. Gerade er als Vertreter Frankreichs hatte doch eigentlich jedes Interesse, das England sich eindeutig auf Seiten des Zweierverbandes positioniert. Die Information, die Dumaine aber an de Bunsen weitergegeben hatte, waren aber doch wohl dazu geeignet, dass man im Foreign Office noch einmal innehält und alles sorgfältig gegeneinander abwägt, hinterfragt und prüft. Dies ist aber eben leider nicht geschehen. Der Kurs war klar und daran wurde nicht gerüttelt.
     
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  12. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Ich mir schon und zwar, weil er einerseits nicht die Möglichkeit hatte das auf seine Richtigkeit zu überprüfen (selbst wenn er die Sprache gesprochen hätte, er hätte am 29. Juli kaum noch Möglichkeiten gehabt die Region zu bereisen oder die slawischen Presse in Österreich Systematisch auszuwerten etc.
    Und andererseits, wusste de Bunsen, dass man sich an der Schwelle zu einem vritablen Weltkrieg befand.

    Ich würde meinen, in einer solchen Situation, liegt es nahe, dass jeder Diplomat jeden Informationsschnipsel, den er irgendwo aufschnappt so schnell als möglich weiterleitet, schon um nicht am Ende als Verantwortlich dar zu stehen, wenn es Krieg gibt und man im Nachhinein auf die Idee kommen sollte zu behaupten, er hätte sich bei der Beurteilung von Informationen geirrt und damit der eigenen Regierung möglicherweise entscheidendes vorenthalten.
    Ich würde meinen, die logische Verhaltensweise in einer solchen Situation, zumal wenn die Mittel fehlen, die Seriösität der Informationen zu überprüfen besteht darin, die Verantwortung für die Einordnung an andere Stelle zu delegieren, indem man sie einfach weitergibt.

    Nicht unbedingt, würde ich meinen.
    Ob Dumaine ein Interess daran hatte Großbritannien auf russisch-französischen Kurs festzulegen, hängt, wie ich das sehe sehr stark davon ab, ob er diesen Kurs für richtig befand und der Meinung war, dass Frankreich bereit sein sollte, auch wegen der serbischen Angelegenheiten einen Krieg inkauf zu nehmen.

    Wenn er diesen Kurs allerdings nicht für richtig, sondern für einen fatalen Fehler hielt, hätte sein Interesse wahrscheinlich eher darin bestanden zusammen mit GB mäßigend auf Russland einzuwirken, damit es Serbien in dieser Situation fallen ließe.
    Das war nicht die Haltung der französischen Regierung, aber er wäre dann durchaus nicht der einzige Diplomat in dieser Krise gewesen, der versucht hätte durch eigenmächtiges Handeln positiv auf die Erhaltung des europäischen Friedens einzuwirken, Tschirschky in Wien (mindestens zu Anfang, bevor er dann von Berlin zurecht gewiesen wurde) und Pourtales in St. Petersburg, hatten ja etwa, mindestens zeitweise auch versucht entgegen dem Berliner Kurs (oder auch in Unkenntnis davon) mäßigend zu wirken.


    Die Information an sich ja, wenn man sie für authentisch hielt, das Problem ist aber der Zeitpunkt.

    Du schreibst selbst, dass de Bunsen das am 29. Juli 1914 an Grey übermittelt habe.
    Wien hatte aber bereits am 28 Juli 1914 Belgrad den Krieg erklärt.

    So wie die Nachricht formuliert ist, gehe ich davon aus, dass de Bunsen die Übermittlung in Auftrag gegeben hat, bevor er von der Kriegserklärung Kenntnis bekam und dass sich aus irgendwelchen Gründen die Übermittlung verzögert hat:

    "[...] Österreich-Ungarn, dass es nicht länger warten konnte* und entschloss sich zum Kriege, von dem es jetzt anscheinend nichts mehr abzuhalten vermag"

    Die Spekulation darüber, dass es anscheinend davon nicht mehr abgehalten werden könne, klingt für mich nicht so, als hätte de Bunsen da schon über die Kriegserklärung bescheid gewusst, deswegen würde ich darauf tippen, dass de Bunsen das schon am 28. oder gar 27. Juli verfasste.
    Auch der Umstand, dass auf die Abreise des serbischen Gesandten bereits am 26. Juli verwiesen wird, er dies, wenn er es geäußert hat, also spätestens am 26. Juli, wenn nicht früher geäußert haben müsste, spricht für eine frühere Abfassung.
    Denn anders wäre schwer zu verstehen, warum sich der französische Botschafter Dumaine, wenn er es für wichtig hielt, seinen britischen Kollegen darüber zu informieren, drei Tage Zeit damit ließ oder de Bunsen sich möglicherweise, nachem er Kenntnis erlangte, mehrere Tage Zeit ließ um es weiter zu melden.

    Wenn wir mal davon ausgehen, dass de Bunsen dass vorher verfasste, möglicherweise schon am 27. Juli (was plausibel wäre wenn Dumaine das spätestens am 26. erfuhr und für so wichtig hielt, dass er de Bunsen in Kenntnis setzen musste), die Depesche aber aus welchem Grund auch immer 3 Tage ligen blieb, bis sie bei Grey eintrudelte, war der Inhalt einfach bereits überholt.

    Die Reaktion, wenn man die Einschätzung, dass keine deutsche Anstiftung dahinter steckte ernst nahm, hätte darin bestehen müssen, seine Verhandlungsstrategie zu ändern, Berlin Berlin sein zu lassen und mit allem Möglichkeiten auf Wien einzuwirken.
    Das war am 29. Juli, nachdem Wien am Vortag bereits Serbien den Krieg erklärt hatte, aber osbolet, somit blieb nur noch Berlin als Ansprechpartner um Österreich zu mäßigen.

    Für die Frage der Sicherheit Westeuropas war die Frage ob es eine deutsche Anstiftung gab im Grunde relativ wenig relevant, die hierfür relevante Frage wäre gewesen, ob Berlin bereit gewesen wäre Wien fallen zu lassen und dass wäre, selbst wenn man es angenommen hätte, aus der Annahme, dass Wien auf eigene Rechnung handelte nicht zwangsläufig zu schließen gewesen.

    Für Russland war es wenig interessant, ob Berlin das ausgeheckt hatte oder nicht Russland wollte seine Interessen durchsetzen und das stellte Frankreich, nachdem Österreich bereits den Krieg erklärt hatte vor die Wahl seinen russischen Partner aufzugeben oder Deutschland, wenn dieses nicht zurückzog einen Krieg aufzuzwingen, in den Belgien involviert würde, egal wer von beiden ihn anfinge.
    Und nachdem Wien den Krieg bereits begonnen hatte, war auch klar, dass sich St. Petersburg nicht so leicht würde beruhigen lassen, da wenn es zurückzog seine Position auf dem Balkan verlieren würde.

    2 Wochen früher, hätte dieser Bericht, wenn er ernstgenommen worden wäre sicherlich zu Konsequenzen geführt, mindestens dahin den eigenen Verhandlungsmodus zu ändern und zu versuchen direkter auf Wien einzugehen, anstatt den Weg über Berlin zu gehen und möglicherweise auch darin den Russen zu verstehen zu geben, dass man sich wegen des serbisch-österreichischen Konfliktes nicht in einen Krieg ziehen lassen würde, um Russland zurück zu halten.
    Aber nachdem Wien bereits losgelegt hatte, erübrigte sich das.
     
  13. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Zunächst ganz kurz. Zu beachten sind hier zwei Dinge:

    1. Die Kriegserklärung an Serbien bedeutete noch nicht den Weltkrieg und das Ende der Bemühungen um Erhalt des Friedens.

    2. Österreich-Ungarn hatte zunächst "nur" gegen Serbien mobil gemacht.
     
  14. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    De Bunsen wird sich auf Dumaine verlassen haben und ich denke, das konnte er auch. Warum? Die Informationen waren dazu geeignet, ich führte es bereits aus, in der Londoner Zentrale noch einmal innezuhalten und zu hinterfragen und zu prüfen. De Bunsen konnte nicht davon ausgehen, das diese Art Information im Foreign Office ganz offenkundig nicht von Relevanz gewesen war.
    De Bunsen hatte genügend Möglichkeiten sich zu informieren. Er wird über Kontakte jeglicher Art gehabt haben und Englisch war schon damals Weltsprache. Im Zweifelsfall gab es sich auch Dolmetscher. De Bunsen konnte sich über die Presse, auch internationale in der Metropole Wien, informieren. Und der Balkan lag ohne Frage im besonderen Fokus, nicht nur des englischen Botschafters, der Betrachtung.

    Und nein, Informationen, von denen ein Spitzendiplomat in einer solche schwerwiegenden Krise nicht überzeugt war, wurden sicher nicht einfach so in den Zentrale weitergegeben. Da wäre angesichts der Krise an der Schwelle zum Weltkrieg geradezu fahrlässig und die unterstelle ich weder de Bunsen noch Dumaine.

    Und zu Österreich-Ungarn: Szapary, ÖU Botschafter in Petersburg, hatte noch am 01.August mit Sasonow über einen Ausweg der Krise gesprochen gehabt. Am 29.07. war es definitiv noch nicht zu spät.
     
  15. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Die Kriegserklärung Österreichs an Serbien machte den Weltkrieg aber sehr viel wahrscheinlicher, weil die Kriese jetzt nur noch ohne Krieg beendet werden konnte, wenn eine der beteiligten Mächte dazu bereit war ihre Interessen oder ihre Sicherheitsarchitektur aufzugeben und dass wäre ein hoher Preis gewesen.

    - Entwerder Russland hätte Serbien fallen lassen müssen, damit seinen Einfluss am Balkan verloren und in Reaktion darauf die Entente infragestellen müssen.
    - Oder Deutschland hätte Österreich im Stich lassen müssen und damit seinen verlässlichsten Bündnispartner verloren.
    - Oder Frankreich hätte Russland im Stich lassen müssen und sich damit gegenüber dem Dreibund weitgehend isoliert.

    Das keiner diesen Preis freiwillig zu zahlen bereit war, durfte man annehmen, zumal die Situation sich insofern theoretisch durch einen Verzicht von nicht weniger als 3 verschiedenen Parteien hätte lösen lassen, womit sie als blame-game taugte, Motto "Warum soll ich meine Sicherheitsarchitektur aufgeben, wegen Problem, die andere verursacht haben, sollen es doch bitte die Anderen tun".

    Wenn es wenigstens so ausgsehen hätte, dass nur eine Partei in der Lage gewesen wäre die Situation zu lösen und diese die Verantwortung nicht hätte abschieben können, wäre vielleicht etwas möglich gewesen, aber so kaum noch.

    Der eigentliche Wert für London, wenn es die Information als autentisch betrachtet hätte, wäre dahin bestanden, dass, wenn Wien weitgehend eigenständig entschied, der Hebel für diplomatischen Druck gegenüber Wien, nicht Berlin anzusetzen wäre.
    Der Wert dieser Information verfiel aber mit der Österreichischen Kriegserklärung, weil klar war, dass Wien, nachdem es diesen Schritt einmal getan hatte, keinen Rückzieher machen konnte, ohne sich selbst komplett unglaubwürdig zu machen.
    Insofern hätte die Information vielleicht ihren Wert vor der österreichischen Kriegserklärung gehabt, aber nicht danach.
    Im Bezug auf Deutschland, deutet die Nachricht zwar an, dass wenn nicht von deutscher Anstiftung auszugehen sei, man nicht mit überbordenden deutschen Eroberungswünschen zu rechnen habe, aber das allein war keine Garantie dafür, dass Deutschland Wien nicht stützte und damit keine Garantie, dass sich nicht ein auf Westeuropa ausgreifender Krieg entwickeln könnte an dessen Folge möglicherweise eben doch deutsche Zugewinne stünden.

    Insofern was sollte der Inhalt der Nachricht jetzt noch ändern?

    Das ist doch vollkommen uninteressant.

    Das Problem ist, dass das in dem Augenblick in dem Österreich losschlug eine der Großmächte den politischen Preis für die Eskalation zahlen musste und damit war das Kind mehr oder minder in den Brunnen gefallen.

    Ich fürchte am 29. Juli 1914 nicht mehr, weil der Krieg begonnen hatte und es damit zu spät war die Verhandlungstaktik zu ändern.

    Dann erklär mir mal etwas. Ich hatte ja bereits oben Spekulationen darüber angestellt, wann diese Nachricht entstanden sein mag.

    Wenn der Inhalt der Nachricht in dieser Form authentisch ist, muss der serbische Gesandte spätestens am Tag seiner Abreise, also spätestens am 26. Juli in dieser Weise Dumaine in Bild gesetzt haben.

    Wenn Dumaine davon besonders überzeugt war und es für besonders relevant hielt und der Meinung war, es sei wichtig, dass die Briten Kenntnis davon bekämen, warum läutete er nicht unverzüglich den britischen Botschafter auf?
    Und wenn de Bunsen so überzeugt von der Wichtigkeit war, warum dauerte es bis zum 29. Juli, bis die Nachricht rausging?
    Denkbar natürlich, dass er selbst das irgendwann Abends oder nachts erfuhr, und die Telegraphenämter und die Chiffrier- und Dechiffrierdienste ihre Arbeit bereits eingestellt hatten, so dass eine Depesche erst am kommenden Morgen herausgehen konnte, aber selbst dann hätte noch immer die Möglichkeit bestanden, zu versuchen es telephonisch zu übermitteln, was nicht ganz den Gepflogenheiten entsprochen hätte, aber das wäre wohl kaum ein Hindernis gewsen, wenn de Bunsen wirklich davon überzeugt gewesen wäre, damit ggf. den Frieden zu retten oder seine Regierung vor einem folgenschweren Fehler zu bewahren.
    Warum wurde das nicht versucht?
    Das passt doch nicht zusammen.

    Wenn Dumaine Angst gehabt hätte, diese Nachricht könnte London dazu veranlassen seine Position zu überdenken und von russisch-französischen Zweibund abzurücken, hätte er de Bunsen überhaupt nicht in Kenntnis gesetzt.
    Wenn er die Haltung seiner eigenen Regierung allerdings für falsch hielt und ein Gegensteuern aus London wünschte um St. Petersburg zurück zu halten und den Inhalt des Gesprächs für geeignet hielt, dass zu bewerkstelligen, hätte er sich doch sofort an Bunsen oder falls der nicht anzutreffen war, an das britische Botschaftspersonal gewand.

    Heißt, wenn wir annehem, dass Dumaine das spätestens am 26. Juli erfahren haben muss, möglicherweise schon früher, dem Relevanz beimaß und der Meinung war, er müsse die britischen Verbündeten in Kenntnis setzen, sollte man meinen, dass er das postwendend versucht hätte, zumal das österreichische Ultimatum an Belgrad ja bereits auf dem Tisch lag und die Zeit drängte.
    Dann müsste die britische Botschaft am Abend des 26. Juli oder spätestens am Mogen des 27. Juli, falls niemand mehr anzutreffen war, informiert gewesen sein, heißt, de Bunsen müsste dann am Morgen des 27. Juli informiert gewesen sein.
    Wenn er die Information für entscheidend hielt, wäre zu fragen, warum gab er sie nicht stante pedes nach London weiter? Wenn das von Dumaine und de Bunsen als so alarmierend und entscheidend gesehen worden wäre, warum wurde das nicht spätestens am Mittag des 27. Juli nach London übermittelt, sondern erst am 29. Juli, obwohl das Ultimatum befristet zum 28. Juli auf dem Tisch lag und keine Zeit mehr zu verlieren war?
    Ein halber Tag Verzug ließe sich vielleicht damit erklären, dass spät abends auf dem üblichen Weg nichts mehr zu übermitteln war, aber damit ist keine Verzögerung von 2 Tagen zu erklären.

    Damit gibt es, wie ich sehe nocht 2 Möglichkeiten:

    1. Die Nachricht ist bei der Chiffrierstelle oder bei der Dechiffrierung aus irgendwelchen Gründen liegengeblieben, aber das glaube ich nicht, denn wenn de Bunsen überzeugt davon gewesen wäre, dass von dieser Depesche möglicherweise der europäische Frieden abhinge, würde er sich telephonisch vergewissert, dass die Depesche in London eingegangen ist und auf die Dringlichkeit hingewisen haben, was er ohne konkrete Inhalte am Telephon auszuplaudern hätte tun können oder aber er hat (da wäre ich dir verbunden, wenn du nachschauen könntest, ob so etwas bekannt ist), der Depesche eine Bitte um Bestätigung auf dem telegraphischen Weg angehängt um sicher zu gehen, dass das auch wirklich ankam und es ggf. erneut zu senden, wenn binnen kurzer Frist keine Bestätigung hereinkam.
    Sicherlich denkbar, dass etwas hängen geblieben sein könnte, weil in der Kriesenstimmung die Drähte heiß gelaufen sein dürften und möglicherweise die Chiffrier- und Dechiffrierabteilungen mit der ungewöhnlichen Masse an Nachrichten überfordert waren, aber Nachrichten aus der Wiener Botschaft wird man sicherlich aus naheliegenden Gründen Priorität eingeräumt haben, so dass ich daran nicht recht glaube, zumal ich mir wie gesagt kaum vorstellen kann, dass de Bunsen, wenn er das für so entscheidend hielt nicht nachharkte, wenn die Reaktion ausblieb.

    2. Die Nachricht wurde von de Bunsen tatsächlich erst am 29. verfasst, dann wäre zu fragen warum, denn das würde darauf hinweisen, das mindestens einer aus Dumaine und de Bunsen, diese Nachricht nicht für entscheidend hielt, denn sonst wäre sie zügiger weiterbefördert worden, so dass London bereits am 26. oder spätestens am 27. Juli davon Kenntnis hätte haben müssen, aber nicht erst am 29.
     
  16. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Welche?

    Er hatte sicherlich Kontakte in Wien, aber die konnten zu großen Teilen auch nur aus der Zeitung wissen, was sich in den Provinzen abspielte, zudem ich hatte es angesprochen, sind Kontakte eine unsichere Sache.
    Sofern die entwder selbst südslawisch-nationalistisch oder deutschnational oder einfach serbophob eingestellt waren und den Krieg beführworteten, werden die geneigt gewesen sein, die Auswirkungen serbischer Propaganda maßlos zu übertreiben, entweder um damit zu prahlen oder den anstehenden Krieg zu rechtfertigen.
    Hier wäre, dann entscheidend, ob de Bunsen eher Kontakte zur Kriegs- oder zur Friedenspartei hatte.

    Gut und schön, aber es fehlte die Zeit, Dolmetscher und Gewährsleute weiträumig in die Südprovinzen auszuschicken um sich ein tatsächlichs Bild von der Lage zu machen und das zusammen zu tragen.

    Wenn de Bunsen das am 26. oder 27. Juli so gehört hat, hatte er längstens allenfalls ein paar Stunden gehabt um den Wahrheitsgehalt zu prüfen und London ins Bild zu setzen, wenn dieses noch vor Ablauf des Ultimatums informiert werden sollte um radikal umzusteuern.
    Das war nicht nicht machbar. Wäre nur dann machbar gewesen, wenn er ein intimer Kenner der Region gewesen wäre und bereits vorher ein gründliches Bild gehabt hätte, das geht aber aus nichts hervor.

    Die Presse hätte ihm allenfalls Zerrbilder geliefert.

    Jeder der vor der Krise pan-südslawische Schriften produzierte und verteilte wusste in dem Moment, in dem das Attentat publik wurde, dass er damit ganz schnell aufhören musste um sich nicht ins Visier der Justiz zu geraten, während alle deutschnationalen und konservativen Blätter einen Grund hatten loszugeifern und die südslawische Bedrohung an die Wand zu mahlen, sei es aus Ablehnung auf nationalistischer Basis, weil sie als Kaisertreue Konservative den Mord am Thronfolger gerächt sehen wollten, oder weil sie als Vertreter katholischer Interessen eine Möglichkeit darin sahen die Orthodoxen zu diskreditieren und mehr Befugnisse für die katholische Kirche zu fordern.
    Diese Gemengelage, wird kein objektives Bild in der Presse mehr zugelassen haben, sondern vor allem vollkommen übertriebene Hysterie sowohl, vor allem bei Blättern, die einen bellizistischen Standpunkt vertraten, während anders eingestellte Blätter infolge der Ereignisse eher vorsichtig agiert haben dürften, um sich nicht dem Vorwurf des Verrats oder der Sabotage auszusetzen.

    Nun, dann müsstest du erklären, warum de Bunsen das angeblich erst am 29. Juli weiterleitete, denn wenn sowohl de Bunsen, als auch Dumaine davon so überzeugt waren, hätte das spätestens am 27. Juli rausgehen müssen, wenn nicht schon am 26.

    Hilf mir mal, was genau wäre fahrlässig daran gewesen Informationen weiterzugeben, derer man sich nicht ganz sicher war und die man auf Grund des Zeitdrucks auch nicht so einfach nachprüfen konnte?

    Aus der Nachricht geht ganz klar hervor, dass es sich um Gerüchte handelt, die de Bunsen von französischen Botschafter erhalten haben will, die waren ohnedies nicht ohne weitere Prüfung des Inhalts für bare Münze zu nehmen.
    Nein, fahrlässig wäre es gewesen irgendwas nicht weiterzuleiten, das London auf Grund des Umstands, dass die Informationsströme dort zusammenliefen möglicherweise besser einordnen konnte.

    Dieses Gespräch hat aber offensichtlich zu keinem österreichischen Angebot geführt, dass St. Petersburg akzeptabel genug gefunden hätte um nicht einzugreifen, von dem her war es eben doch zu spät, sofern Wien nicht bereit war auf ganzer Linie zurück zu ziehen, was ein Gesichtsverlust par excellence gewesen wäre.
     
  17. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Hatte ich doch oben erwähnt; meine ich. Zunächst bei seinen Diplomatenkollegen und Militärattaches vor Ort. Journalisten sind eine weitere Möglichkeit und die unentbehrlichen gesellschaftlichen Kontakte eine andere. Sicher wurden auch Presseerzeugnisse, auch internationale, sorgfältig gelesen. Sprachliche Barrieren konnten problemlos durch die Dienste eines Dolmetschers überwunden werden.

    Das Gespräch fand am 01.August statt. Was war da sonst noch. Ach ja, die deutsche Kriegserklärung an Russland.
    Sasonow war von dem Vorschlag Szapary hoch befriedigt und schlug vor die Gespräche auf neutralen Boden, er schlug London vor, fortzusetzten.
    Nein, das wäre kein Gesichtsverlust gewesen. Wie kommst du zu diesem Schluss? Kennst du denn das Angebot?

    Lassen wir das. Du hälst wie immer an deiner Meinung fest und wir werden hier kein Konsens finden. Jetzt unterstellst du de Bunsen sogar noch en passant der Lüge. Also wirklich....
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 2. Mai 2023
  18. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Gar nicht. Denn ÖU wollte "nur " Serbien eine "Lektion" erteilen. Russland spielt sich aber als Protektor Serbiens, nicht nur Serbiens, auf und war serbischer als die Serben. Wie du schon bei Gelegenheit ausgeführt hast, das Ultimatum war nicht unannehmbar. Eigenartigerweise wurde auch in den ganzen diplomatischen Bemühungen seitens der Triple Entente immer wieder behauptet, Serbien hätte ja nun fast alle Punkte des Ultimatums akzeptiert. Dem ist aber nicht so, da eine Reihe von Punkten nur unter Vorbehalt angenommen worden war.

    ÖU begann erst am 11.August mit den Feindseligkeiten gegen Serbien.

    Russland betrachtete die Mobilmachung gegen Serbien auch gegen sich selbst gerichtet; zumindest wurde dies von den russischen Diplomaten behauptet; was ja nicht stimmte.
     
    Nikias gefällt das.
  19. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Und die waren über die lokal Lage in den österreichischen Südprovinzen beser unterrichtet? Durch was? Die saßen genau wie de Bunsen auch in Wien hunderte Km vom Geschehen weg.
    Wenn jemand genauere Auskunft hätte erteilen können, wären das die K.u.K-Behörden gewesen, nur da konnte er je nachdem auf wen er da traf an Vertreter der Kriegspartei geaten, die eine Neigung haben mussten die Situation überzogen darzustellen.
    Ja, mit welchem Ergebnis? Dass die deutschnationale Presse, die Konservative und die Katholische in Deutschland und Österreich das in den grellsten Farben ausmalten und nach Rache und Krieg schrien, die panslawische und slawophile Presse in Russland sich ähnlich verhalten haben dürfte, in Österreich selbst sich gemäßigte Stimmen sehr zurückhielten, um sich keinen Repressionen auszusetzen, die linke Presse in Deutschland und im übrigen Europa zur Mäßigung aufrief und sich die konservativen und liberalen Presseorgane aus Großbritannien und Frankreich irgndwo dazwischen befunden haben dürften, die nationalistische Presse in Frankreich möglicherweise sogar eher noch auf Kriegskurs, alle mit den entsprechenden Narrativen.

    Inwiefern konnte man dadurch über die konkrete Lage in den Südprovinzen der Donaumonarchie schlauer werden?

    ....und war offensichtlich nicht hinreichend den Frieden zu retten.
    Du selbst hast den Schritt der russischen Generalmobilmachung, als entscheidend für die weitere Eskalation und das deutsche Losschlagen charakterisiert.

    Was nur nicht mehr möglich war, weil die russische Mobilmachung am 30. Juli längst Deutschland auf den Plan gerufen und die Mechanik des Schlieffenplans aktiviert und damit auch Frankreich hineingezogen hatte.

    Wie ich zu dem Schluss komme? Ganz einfach, dass Angebot hätte nicht nur eine Verhandlungsbasis darstellen müssen, es hätte geeignet sein müssen Russland von vorn herein von der Mobilmachung abzuhalten um nicht Deutschland auf den Plan zu rufen.
    Das aber hätte mehr oder weniger vorausgesetzt, die am 28. Juli ausgsprochene Kriegserklärung postwendend wieder zurück zu nehmen und das war nicht zu erwarten.

    Hatte Wien was Szápáry da vorschlug eigentlich abgesegnet, oder handelte es sich um seine eigene Initiative, für die er de facto von der österreichisch-ungarischen Regierung und vom Kaiser keine Rückendeckung hatte?
    Sasonows geäußerte Zufriedenheit, war jedenfalls nicht geeignet Russland von weiteren Mobilmachungsschritten abzuhalten und so lange das nicht passierte hätten weitere Unterhandlungen den Frieden kaum retten können.

    Zeig mir mal bitte, wo ich das getan haben soll.

    Ich habe geschrieben, dass aus dem Schreiben hervorgeht, dass es sich mehr oder minder um Gerüchte/Informationen aus zweiter Hand handelte, die London ungeprüft ohnehin nicht als Tatsachen akzeptieren konnte, dass de Bunsen nicht die Möglichkeit hatte das binnen weniger Stunden zu verifizieren und dass es fahrlässiger gewesen wäre London eventuell relevantes, was vor Ort nicht letztgültig eingeordnet werden kann, zu verschweigen, als eventuell unbeedeutends/überflüssiges nach London zu übermitteln.

    Von einer Behuaptung de Bunsen hätte Lügen eerzählt, war da nirgendwo die Rede.

    Es wäre im Übrigen schön, wenn du auf meine Fragen eingehen würdest. Warum wäre es deiner Meinung nach eine Fahrlässigkeit gewesen in dieser Situation nicht hundertprozentig verifizierbare Informationen nach London weiter zu geben? Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
    Fahrlässig wäre gewesen das zu unterlassen, alleine schon, weil ja eventuell London andere Möglichkeiten zur Verifizierung offenstanden, die Londoner Regierung aber auf jede Information angwiesen war, um eine der Situation angemessene Entscheidung zu treffen.

    Nun, du kennst meine Einstellung zum Ultimatum, und dass Russland meinte sich derart als Protektor Serbiens verhalten zu müssen, ist sicherlich bedauerlich, schlechterdings war dem nun einmal so.

    Was im Hinblick auf die Mechanik und die Möglichkeit das aufzuhalten zählte, war letzteres, so bedauerlich man es finden mag.

    Mag sein, aber die Kriegserklärung erfolgte bereits am 28. Juli und führte zu den Mobilmachungen in Russland und Deutschland, womit die ganz große Auseinandersetzung anfang August, möglicherweise schon am 30. Juli nicht mehr abwendbar war.

    Das ist doch alles für die Frage ob eine veränderte Haltung Londons am 29. oder danach etwas hätte ändern können, nicht mehr von Bedeutung.
    Von Bedeutung ist, dass Österreichs Kriegserklärung an Serbien Russland zur Mobilmachug bewegte. Die russische Teilmobilmachung begann am 29. Juli und damit am gleichen Tag, an dem de Bunsens Nachricht in London vermerkt wurde.

    Heißt um den Frieden retten zu können, hätte die britische Regierung und zwar blind, weil Zeit noch irgendwas zu prüfen hätte sie nicht mehr gehabt, Schritte einleiten müssen, die geignet gewesen wären, nicht nur zwischen Österreich und Serbien zu vermitteln, sondern auch Russland davon zu überzeugen jegliche Mobilmachungsmaßnahmen sofort einzustellen und rückgängig zu machen, bevor Deutschland darauf reagieren würde und mit dem Versuch das zu tun hätte London, so weit wie die Dinge einmal gegangen waren, wahrscheinlich die Entente gesprengt.


    Im Hinblick auf die Daten, bleibt meine Frage im Raum.

    Wenn Dumaine und de Bunsen so sicher waren da hochrelevante Informationen in der Hand zu haben, von denen ihre Regierungen unbedingt Kenntnis haben mussten, warum wird dann Bunsens Nachricht auf dem 29. Juli datiert, während Dumaine die Nachricht, wenn der serbische Gesandte am 26. Juli abreiste, bereits spätestens an diesem Tag erhalten haben musste und wegen des österreichischen Ultimatums keine Zeit zu verlieren war?
    Da stimmt etwas nicht bei dieser Deutung, wenn du mich fragst.
     
  20. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Hier unterstellst du nach meiner Interpretation de Bunsen der Unwahrheit.

    Welche Erkenntnisgewinn. Woran das wohl liegen mag. 01.August 1914? Die Ereignisse haben die diplomatischen Bemühungen überholt würde ich meinen.

    Du spekulierst hier in einer Tour. Was glaubst du denn, wie das diplomatische personal sich informierte. Man kennt jemanden, der jemanden kennt oder es aus eigener Anschauung weiß. Glaubst du, die Herren sind permanent durch das Land gereist. Die Vertreter der Großmächte hatten gerade in den Jahren vor dem Kriegsausbruch alles Hände voll zu tun, um eben einen Krieg zu verhindern. Du möchtest die Nachricht von de Bunsen die dieser von Dumaine und dieser von Jovanovis nicht als wahrheitsgemäß akzeptieren. Konkrete Belege hast du aber nicht benannt, sondern eben Spekulationen.

    Ich denke, das wir hier nicht weiterkommen.

    Hier die Quelle:

    Lichnowsky informierte Jagow am 02.August 1914:
    "Sir Eyre Crowe äusserte gesprächsweise , nach einen kürzlich hier gemachten Mitteilung scheine Österreich jetzt bereit, grundsätzliche Besprechungen durch eine Vier-Mächte-Konferenz in London zuzustimmen. Die Mitteilung sei aber zu spät gekommen, um noch einen praktischen Nutzen zu haben."
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 2. Mai 2023

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