WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Dieses Thema im Forum "Der Erste Weltkrieg" wurde erstellt von Gandolf, 28. Juni 2005.

  1. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Du weißt schon, das Wilson während der Waffenstillstandsverhandlungen mit seinen Alliierten in Kontakt stand? Er wird seine Äußerungen entsprechend abgestimmt haben.
     
  2. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Findest du? Es zeigt ein wenig die Moral der Garantiemacht England. Es ging um Frankreich.

    Natürlich. Er wollte den Krieg soweit es irgend möglich war begrenzen.

    Ich habe lediglich ausgeführt, das Italien nicht zu den Mittelmächten gehört. Rom war Bestandteil des Dreibundes, nicht des Zweibundes.

    Nach den Buchstaben des Dreibundes war Italien nicht verpflichtet auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg einzutreten. Tatsächlich ist es auf Seiten des Meistbietenden in den Krieg eingetreten. Auch war es nicht sonderlich freundlich von Rom, vertrauliche Information wie das zu stellende Ultimatum an Belgrad sogleich nach Petersburg weiterzureichen. Das war ja schon fast eine feindliche Handlung. Und der Dreibundvertrag sah keine Kündigung des Vertrages vor, wie es Rom in Mai 1915 getan hatte. Das war aalglatter Vertragsbruch.

    Es ist vollkommen absurd zu erwarten, das Wien Rom in so einer bedeutenden Frage konsultiert, wenn der Ballhausplatz vollkommen zu Recht annahm, das von Italien sowieso keine Unterstützung und erst Recht keine Diskretion zu erwarten war. Du bist also der Meinung, Wien sollte sich selbst aktiv Schaden zufügen?
    A propro, Italien hatte es doch selbst aktiv vorgelebt und Wien und Berlin vor dem Tripoliskrieg auch nicht konsultiert.
    Und wie schon gesagt: Formal führte Italien Krieg gegen seine eignen Bündnispartner, da der Dreibundvertrag keine Kündigungsklausel hatte, sondern lediglich eine bestimmte Laufzeit.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15. Mai 2023
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  3. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Kurz ein Blick auf Österreich-Ungarn am Vorabend des Weltkrieges. Die Ergebnisse und die Politik Österreich-Ungarns während der Balkankriegen bildeten kein Anlass zur Freude für die Staatsmänner de Ballhausplatzes.

    Die Kriege selbst hatten in vielen Branchen einen Rückgang der Exportmöglichkeiten verursacht. So war beispielsweise der Absatz von Eisen um 30% zurückgegangen; die Textilindustrie, die besonders exportorientiert war, musste die Produktion um 40% drosseln. Die Ballankriege hatten den Aufschwung der Konjunktur zunichte gemacht und die Wirtschaft der k.u.k. Monarchien in eine Krise gestürzt, die bis zum Weltkrieg nicht überwunden werden konnte.

    Es war nicht gelungen aus der Konkursmasse ehemals osmansichen Territoriums Gewinne zu erzielen, noch hatte man die zu Anfang der Krise postulierten wirtschaftlichen Ziele erreichen können. (1)

    Albanien erwies sich als instabil und wirtschaftlich umkämpfter als je zuvor. Und der freie Zugang nach Saloniki und dessen Umwandlung in einen Freihafen brachte ebenfalls enttäuschende Resultate: die Hafenstadt nunmehr in Besitz von Griechenland, hatte durch die Aufteilung Mazedoniens auf die Staaten des Balkanbundes ihr Hinterland verloren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Saloniki selbst und in seiner unmittelbaren Umgebung hatte sich deutlich verschlechter. „Auch nach 18monatiger Besetzung hatte die griechische Regierung wenig getan, um Handel und Verkehr wiederherzustellen, sowie die vielen zerstörten Städte und Dörfer wieder aufzubauen. Ein großes Ärgernis stellte auch die Tatsache dar, das Saloniki in die z.T. neuzuschaffende Eisenbahlinie von Athen nach Belgrad und schließlich Wien nicht miteinbezogen werden sollte. Man war der Regierung vor, sie wolle den gesamten Verkehr nach Athen-Piräus richten und Saloniki zugrunde richten.“(2)

    In Folge der Umgestaltung der Landkarte des Balkans waren ca. 400.000 Menschen aus Mazuedonien nach Kleinasien vertrieben worden; die traditionell als Abnehmer österreich-ungarischer Produkte galten.

    Saloniki hatte in der Vergangenheit für Österreich-Ungarn einige Bedeutung gehabt. Saloniki war eine Handelsstadt, wo die Kaufleute, die importeuer große Lager hatten und die ganze europäische Türkei mit Industrieartikeln versorgten. Als Transitstadt hatte Österreich-Ungarn noch weniger Vorteile von griechischen Saloniki zu erwarten; hier handelt es sich um den Transit aus Serbien und Griechenland und vom Ausland nach Serbien.

    Gustav Stolper kommentierte bitter: Unsere wirtschaftliche Vormachtstellung auf dem Balkan haben wir eingebüßt, und von einer Sicherstellung wirtschaftlicher Interessen ….ist bisher…. Überhaupt noch nicht gesprochen worden. Viele Jahre hat man gesagt, daß der Balkan Österreich-Ungarn den Mangel an Kolonialbesitz ersetzen muß. Damit sei es nun endgültig vorbei.(3)

    Der Politcus wurde in der Österreichischen Rundschau noch deutlicher,….“wir haben das dumpfe Gefühl, daß das Jahr 1913 uns nahezu ein zweites Königgrätz gebracht hat; damals wurden wir aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen, jetzt aus dem Balkan vertrieben.“

    (1) Bridge, Österreich-Ungarn unter den Großmächten, S.320

    (2) Boekh, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg, S.225f

    (3) Der Volkswirt Nr.32/09.Mai 1914
     
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  4. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Okay, es kommt nichts mehr.

    Ich habe noch einen interessanten Fund gemacht.

    Auf einer Kabinettssitzung am 25.Juli 1914 führt der Zar das Folgende aus:

    "Es sei notwendig Serbien zu beschützen, auch wenn man dazu die Mobilmachung erklären und Kriegshandlungen beginnen müsse."

    Internationale Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus, Reihe 1, Band 5, S.67, Dokument Nr.79
     
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  5. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Nur lagen die internen Wiener Dokumente London zum einen nicht vor und zum anderen, hätte es, wenn sich Berlin geweigert hätte (und auch die internen Absprachen zwischen Berlin und Wien kannte London nicht), Wien zu unterstützen, dann wäre dem Ballhausplatz überhaupt keine andere Wahl geblieben.

    Ja, natürlich war es das. Es war aber weder durch den Dreibundvertrag verpflichtet daran teilzunehmen oder Österreich-Ungarn im Falle dass das zu Reaktionen führen würde Waffenhilfe zu leisten.
    Hier ging Berlin über seine vertraglichen Verpflichtungen deutlich hinaus, weil es meinte, dass das in seinem Interesse lag.
    Eine Bündnismechanik, die Berlin dieses Handeln aufgezwungen hätte gab es so wenig wie eine, die St. Petersburg oder Paris dieses Handeln aufgezwungen hätte.
    Mir geht es einfach darum, dass die "Mechanik der Bündnissysteme" Mythenbildung ist. Es war eine Mechanik der imperialen Interessen, die weit über alles hinausgingen, was die Bündnisse (sofern sie überhaupt vertraglich fixiert waren) verlangten.

    Die Frage ist nicht ob das anhand der Dokumente, die wir heute kennen realistisch war, sondern ob man das in London für realistisch halten konnte.
    London hatte eben nur in einen Teil der Dokumente und Abreden, die uns heute vorliegen Einblick.

    Ein Staatspräsident Poincaré konnte die Politik Frankreichs nicht Diktiren und eine massive Meinungsverschiedenheit zwischen Staatspräsident und Regierungschef hätte das Land in eine Führungskrise stürzen können, die es womöglich handlungsunfähig gemacht hätte.
    Insofern war für Frankreich nicht nur die Frage von Bedeutung, was Poincaré davon hielt, sondern auch wie weit Regierungschef Viviani zu gehen war und wie sich die an der Regierung beteiligten französischen Sozialisten dazu verhalten würden.
    Wäre für letztere die Haltung Poincarés vollkommen unannehmbar gwesen, hätte das zum Rücktritt Vivianis und zum Austritt der Sozialisten aus der Koalitionsregierung führen können. Frankreich wäre dann ohne handlungsfähige Regierung gewesen und kaum in der Lage sich in einen Krieg zu stürzen.
     
  6. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Das ist korrekt. London hätte aber auch ohne Weiteres in Petersburg zur Mäßigung auffordern können; doch das wollte man nicht.

    Auch das ist korrekt. Die Sicht der deutschen Regierung sah jedoch ganz anders aus. Man sah eben die Großmachtstellung und Prestige Wiens gefährdet und handelte entsprechend. Auch Petersburg war gegenüber Serbien zu nichts verpflichtet und war dafür auch bereit einen Weltkrieg in Kauf zu nehmen. Berlin wollte, das der Konflikt zwischen Wien und Belgrad, also eben lokal, ausgetragen werden sollte. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob für Paris der Bündnisfall tatsächlich gegeben war, da Russland ja selbst militärisch offensiv gegen Wien vorgehen wollte; den Bündnisfall also für Berlin gewissermaßen provoziert hatte, denn Petersburg wußte natürlich um die deutsche Verpflichtung. Und für England war Belgien der Vorwand.


    Dem Foreign Office war vollkommen bewusst, das Paris die Russen nicht sich selbst überlassen würden. Das kam für Paris überhaupt nicht in Frage, denn das hätte wohl den Verlust des Bündnispartners bedeutet.

    Viviani war gewissenmaßen Knetmasse in den Händen Poincares. Er war die viel stärkere Persönlichkeit und pflegte sich gegenüber dem Premier durchzusetzen.
     
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  7. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Das kam vielleicht für Poincaré nicht in Frage, aber die Rechnung konnte man nicht ohne Viviani und die Sozialisten machen, die darüber ganz anders denken konnten.
    Das Poincaré die dominierende Figur der französischen Politik war, als Staatspräsident auch eine stärkere Stellung hatte und sich in der Regel gegen Viviani durchsetzte mag zwar alles stimmen, dennoch hätte Viviani wenn er sich hierzu berufen gefühlt oder ihn seine Partei entscheidend dazu gedrängt hätte, auf die Notbremse treten können.

    Letztendlich war Vivianis Koalitionsregierung von den Sozialisten abhängig und das waren bekanntlich ohnehin nicht die enthusiastischsten Freunde des russischen Zarismus.
    Hätten sich die Sozialisten dazu entschieden das nicht mit zu machen, hätten sie Viviani ein Ultimatum stellen und versuchen ihn dazu zwingen zu können Poincaré zurück zu pfeifen und aus der Regierung auszutreten, wenn das nicht passierte.

    Poincaré stand vielleicht sehr energisch hinter diesem Bündnis, ob Viviani und die Sozialisten Poincarés Kurs aber mittragen oder ihn durchkreuzen würden, war alles andere als sicher, vor allem in dem Moment, in dem sich Kriegsgfahr tatsächlich abzuzeichnen begann.
     
  8. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Ein Beispiel:

    Am 18.Juli, also während des Staatsbesuchs von Frankreichs Staatspräsidenten und Außenminister, hatte Sasonow erste Hinweise erhalten, das die Monarchie beabsichtige ein Ultimatum an Belgrad zu richten. Russland werde „in keinen Fall einen Anschlag auf die Unabhängigkeit“ (1) Serbiens dulden.

    Sasonow wollte seinem Ansinnen entsprechenden Nachdruck verleihen und strebte deshalb in dieser Frage ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich an. Gegenüber Buchanan, englischer Botschafter in Petersburg, kündigt er an, dass er die französische Führung bitten werde, to give a word of warning at Vienna.“ (2)

    Dieses Ansinnen fand allerdings beim französischen Außenminister Viviani keine ungeteilte Zustimmung. Sasonow beschloss sich dann an Poincare zu wenden, wie er den englischen Botschafter wissen ließ. (3)

    Am Abend des 22.Juli telegrafierte Sasonow an seinen Botschafter Schebeko in Wien, daß er im gemeinschaftlichen Vorgehen mit seinem französischen Kollegen die Habsburgermonarchie auf die gefährlichen Folgen aufmerksam machen solle, zu denen Forderungen führen könnten, die nicht im Einklang mit der staatlichen Souveränität Serbiens stehen würden. (4)

    Dem Tagebuch Poincares ist zu entnehmen, das Viviani sich zu diesem Schritt entschlossen habe, nachdem er sich persönlich darum bemüht hatte, den Außenminister auf Linie zu bringen. (5)

    (1)Tagebuchaufzeichnung russisches Außenministerium vom 18.07.19145 in Internationale Beziehungen des Imperialismus Reihe I, Band 4 , Dokument Nr. 272

    (2)Die Britischen Amtlichen Dokumente, Band 11, Dokument Nr.60

    (3) Die Britischen Amtlichen Dokumente, Band 11, Dokument Nr.76

    (4) Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus, Reihe I, Band 4, Dokument 322

    (5) Schmidt, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914
     
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  9. hatl

    hatl Premiummitglied

    Der Viviani war Ministerpräsident. War er auch Außenminister?
     
  10. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Meines Wissens nach ja.
     
  11. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Ergänzend hierzu der englische Botschafter Buchanan, der am 25.07.1914 an seinem Chef Grey telegrafierte:

    "[...] Der französische Botschafter gab mir zu verstehen, daß Frankreich Rußland nicht bloß diplomatisch energisch unterstützen werde, sondern im Notfall auch alle ihm durch sein Bündnis auferlegten Verpflichtungen erfüllen werde." (1)

    In einem weiteren Telegramm vom gleichen Tage teilte Buchanan u.a. mit:

    "[...] Französischer Botschafter bemerkte sodann, er habe eine Anzahl Telegramme vom stellvertretenden Minister des Äußeren erhalten; kein einziges von ihnen verrate geringste Anzeichen von Unschlüssigkeit und er sei in der Lage, Seiner Excellenz formelle Zusicherung zu geben, daß sich Frankreich vorbehaltlos an Seite Rußlands stelle." (2)

    Hervorhebung durch mich.

    (1)Die Britischen Amtlichen Dokumente zur Vorgeschichte des Weltkrieges Band 11, Dokument Nr. 101
    (2) Die Britischen Amtlichen Dokumente zur Vorgeschichte des Weltkrieges Band 11, Dokument Nr. 125
     
  12. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Woraus zu entnehmen ist, dass Viviani das eigentlich ein kleines Bisschen anders sah als Poincaré.
    Und Viviani persönlich von der Notwendigkeit zu überzeugen, das war das eine, aber es mussten auch die beiden sozialistischen Parteien und ihre Abgeordneten, die Vivianis Regierung mittrugen davon überzeugt werden und dass ließ sich nicht so einfach im stillen Kämmerlein zwischen Poincaré und Viviani ausverhandeln.

    Viviani selbst gehörte der PRS ("Parti républicain-socialiste) an an der Regierung beteiligt war ebenfalls die PRRRS ("Parti républicain, radical et radical-socialiste").

    Diese beiden Parteien stellten in der Regierung neben Viviani als Regierungchef und Außenminister (bis zum 3. August) mit Adolphe Messimy (Ministre de la Guerre) und Armand Gauthier de l'Aude (Ministre de la Marine, ebenfalls bis zur Kabinettsumbildung am 3. August) beide PRRRS auch die Verbindugsstelle der Politik zu den Teilstreitkräften, die Ministerien des Inneren, der Finanzen und der Kolonien lagen ebenfalls in der Hand der PRRRS.

    Gouvernement René Viviani (1) — Wikipédia

    Viviani konnte auf seine Parteifreunde und Koalitionspartner von PRS und PRRRS zwar einwirken, hätten sich diese beiden Parteien aber Poincarés Kurs verweigert und Viviani die Unterstützung entzogen oder wären aus der Regierung, die dann keine Mehrheit mehr gehabt hätte, ausgetreten, hätte dass dazu führen können, dass Frankreich de facto handlungsunfähig gewesen wären, im Besonderen auch, wenn sich die PRRRS und aus der Koalition und die von ihr gestellten Minister aus der Regierung zurückgezogen hätten, denn dann hätte Frankreich nicht nur ohne Regierungsmehrheit im Parlament, sondern abrupt auch ohne Kriegs- Marine- Innen- Finanz- und Kolonialminister dargestanden.

    Natürlich hätte man die Positionen neu besetzen können, aber Nachfolger hätten dann keine Zeit gehabt sich einzuarbeiten und ob man ohne eingearbeiteten Kriegsminister, ohne Klärung der Finanzierung und ohne Regierungsmehrheiten im Parlament in einen Krieg hineeingehen möchte, erscheint mir doch überlegenswert.

    Insofern gab es selbst wenn Viviani nicht die politisch stärkste Peersönlichkeit war in Form von PRS und PRRRS zu diesem Zeitpunkt ein politisches Gegengewicht zu Staatspräsident Poincaré, so dass London selbst wenn man dort den Konfrontationskurs Poincarés richtig einschätzte, nicht unbedingt damit rechnen musste, dass dieser Kurs auch durchsetzbar sei, wenn es tatsächlich um die Frage eines bewaffneten Konfliktes ging.
    Setzte immerhin voraus, dass sich letztendlich die französischen Sozialisten dafür hergeben würden die Imperialistischen Einflussinteressen des Zarenreiches zu unterstützen und man durfte mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass dass für sie eine extrem schwer zu schluckende Kröte sein würde und ggf. zu widerstannd gegen solche Zumutungen führen konnte.
     
    Zuletzt bearbeitet: 24. Mai 2023
  13. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Eben nicht wirklich, denn Sasonow musste sich ja mit seinem Anliegen an Poincare wenden, nachdem er bei Viviani gescheitert war, was für sich genommen schon ein recht ungewöhnlicher Schritt gewesen war, und dieser hatte Viviani dann "auf Linie gebracht", damit in Wien entsprechend abgestimmt vorgegangen wird. Für solche Maßnahmen bedarf es wohl nicht der Zustimmung der Parteien; ansonsten wäre die Regierung ja überhaupt nicht handlungsfähig.

    Zwischen dem 18.Juni und dem 29.Juli leitete faktisch der Poltische Direktor des Französischen Außenministerium Berthelot die Amtsgeschäfte. Der in auswärtigen Dingen vollkommen unerfahrene Bienvenu-Martin stand unter dem Einfluss von Berthelot und hatte sich dessen Einschätzngen zu eigen gemacht.
    Ziel der französischen Außenpolitik war es, das sich Wien und Berlin ins Unrecht setzen, damit London militärisch interveniere und das französische Volk geschlossen hinter der Regierung stand. So ähnlich wie auch in Deutschland.
    So legte dann Berthelot beispielsweise den serbischen Botschafter am 24.07.1914 nahe, das Ultimatums Wiens nicht a limine abzulehnen, sondern sich auf die Forderungen einzulassen, die mit seiner Souveränität und Ehre im Einklang standen. Sollte der Ballhausplatz dies als unzureichend empfinden, dann gestand sie öffentlich ein, das ihr Ultimatum in der Absicht entworfen worden war, eine militärische Auseinandersetzung einzuleiten, und hatte sich geschickt ins Unrecht setzen lassen. Sehr gute Regieanweisung von Berthelot. Als die französische Staatsspitze am 25.07.1914 an Bord der France von der Absicht Russlands erfuhr, Wien um eine Verlängerung des Ultimatums zu bitten, war es wieder Poincare, der Viviani veranlasste diesen Schritt sofort zu unterstützen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 24. Mai 2023
  14. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    @Turgot du ignorierst weiterhin dass es damit Viviani zu überzeugen nicht getan war, auch die beiden sozialistischen Parteien, die die Regierungsmehrheit sicherten und die für einen Krieg relevanten Ministerien in der Hand hatten, dieser Linie folgen mussten.
    Und dass wenn sie damit nicht einverstanden waren, was sich nicht ohne weiteres voraussetzen lässt, diese Poincarés konterkarieren konnten.

    Du bemühst oben den Vergleich mit Deutschland.
    Dir ist doch klar, wie großes Kopfzerbrechen sich die Regierung Bethmann-Hollweg über die Haltung der Sozialdemokraten zum Krieg machte und was alles in Bewegung gesetzt werden musste, was nicht öffentlich werden durfte etc. um Loyalität der Sozialdemokraten nicht zu verlieren.
    Dabei hatten die Sozialdemokraten in Deutschland aber überhaupt keine Schlüsselpositionen im politischen System inne, hätten auch die Kriegskredite, selbst wenn sie als stärkste im Parlament vertetene Partei dagegen gestimmt hätte alleine nicht ablehnen können.
    Das einzige Machtmittel, dass die SPD gehabt hätte, wäre der Aufruf zum Generalstreik gewesen und selbst dass fürchteten Bethmann-Hollweg und co. wie der Teufel das Weihwasser.

    Die sozialistischen Parteien in Frankreich waren vielleicht was die Massenbasis angeht nicht so stark, wie die SPD, konnten im Gegensatz zur SPD im politischen System Frankreichs aber Schlüsselpositionen einnehmen.

    Ein halb verdecktes Spiel wie in Deutschland, dass darauf hinauslief geheime Schritte hinter dem Rücken der Sozialisten zu gehen und anderen die Verantwortung zuzuschieben konnte vor diesem Hintergrund nicht funktionieren.
    Und im Gegensatz zu Deutschland stand den französischen Sozialisten nicht nur der Aufruf zum Streik zu Gebote, sondern es gab ohne sie überhaupt keine intakte Regierung und sie hatten mit Finanzen, Innen, Flotte, Marine, Kolonien und Krieg auch mehr oder minder sämtliche für einen militärischen konflikt relevante Ministerien in der Hand, von denen aus sich jegliche Kriegsvorbereitung im Kern sabotieren ließ.

    Das lässt sich nicht wegignorieren, weder mit dem Verweis auf die Ansichten Poincarés noch mit dem Umstand, dass sich Viviani Poincaré letztendlich beugte.
    Mit den beiden sozialistischen Parteien verblieb ein potentieller Veto-Player, der nur sehr schwer berechenbar war.

    Das wusste man in London und damit war eine Beteiligung Frankreichs an einem potentiellen Konflikt durchaus nicht ausgemacht.
    Hätten die Sozialisten Poincarés Politik, die einen Krieg offen riskierte, konterkarieren wollen, hätten sie jederzeit die Machtmittel dazu in der Hand gehabt.
    Die Frage war, wollten sie.

    Ob Frankreich in den Krieg ziehen würde oder nicht, hing leetztendlich an der Frage ob die französischen Sozialisten das russische Bündnis am Ende als wichtiger bewerten würden, als ihre Ablehnung von Zarismus, Imperialismus und ihre Ablehnung von Krieg im Allgemeinen.
    Bei Poincaré, selbst Lothringer und keiner sozialistischen Ideen verdächtig waren diese Hürden nicht vorhanden. Bei Viviani und den beiden sozialistsichen Parteien schon.
     
  15. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Möglicherweise reden wir wieder aneinander vorbei. Egal.

    Was glaubst du wohl, weshalb Paris auf das deutsche Ultimatum eine eher ausweichende Antwort gegeben hatte? Es ging darum Deutschland ins Unrecht zu setzen. So bekam man die Bevölkerung und die Parteien hinter sich. Genau wie Bethmann Russland ins Unrecht setzen wollte. Das bedeutete in der Praxis, das Frankreich es Deutschland überlassen wollte, den Krieg zu erklären. Hierzu bedurfte es keiner Zustimmung der Sozialisten, sondern einer entsprechenden Außenpolitik, die ganz entscheidend von Poincare gestaltet wurde. Das habe ich in #933 versucht zum Ausdruck zu bringen.
    Frankreich stand aufgrund seiner geographischen Lage nicht so enorm unter zeitlichen Druck wie Deutschland.
     
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