Wo blieben die Westgoten?

Dieter

Premiummitglied
Ich wende mich an das Forum mit einer Frage, die mich schon lange vergebens beschäftigt, und hoffentlich nicht allzu speziell ist. Aber wir haben hier ja einen exzellenten Pool von versierten Historikern!!

Das spanische Westgotenreich entstand etwa um 500 n. Chr. und wurde 711 von den Arabern vernichtet. Allen Publikationen zufolge zog sich die westgotische Oberschicht zusammen mit Vasallen und Anhang ins Bergland von Asturien zurück, wo sie den Abwehrkampf aufnahm und zur Reconquista ansetzte.

Wo blieb jedoch die westgotische Identität? Bestand sie fort und in welchem Umfang? Was blieb ethnisch von den Westgoten in Spanien zurück? Bis zur Vernichtung des Westgotenreichs finden wir ständig gotische Namen wie Agila, Theudegisel, Athanagild, Leowigild, Gundemar, Swintila usw. usw. Obwohl die westgotische Oberschicht anschließend in Asturien sitzt, bricht diese Namensgebung sowohl der Herrscher als auch der großen Vasallen plötzlich ab und wir hören nur noch von Alfons, Garcia, Ferdinand, Sancho usw.

Wo sind also die Westgoten ETHNISCH und KULTURELL geblieben???
 
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Lieber Dieter,
im Spanischem Volk. Die Westgoten waren auch bis 711 nur eine Oberschicht, weil sie zahlenmäßig nicht genug Menschen hatten, sind sie in der romanisierten keltoiberischen Bevölkerung aufgegangen.
Dasselbe passierte in Italien mit den Langobarden, die ja auch nicht vertrieben wurden, ganz zu schweigen von den Ostgoten. Die Franken in Neustrien sprachen schon im 8.Jahrhundert eine romanische Sprache. Der Punkt ist, dass alle germanischen Völkerschaften außerhalb ihres Stammgebietes zahlenmäßig in der einheimischen Bevölkerung untergingen. :thx:
 
Wo blieb jedoch die westgotische Identität? Bestand sie fort und in welchem Umfang? Was blieb ethnisch von den Westgoten in Spanien zurück?

Goten = Katalanen

Desweiteren waren das nur sehr wenige (wenige) Goten und daher dominierten sie die Geschichtsschreibung nur solange sie die Oberschicht stellten. Mit dem Verlust selbiger mußten sie sich schnell assimilieren.

Im übrigen ähnlich den Sueben im Bereich des heutigen Portugal, trotzdem sagt man zu einem Portugiesen manchmal noch Los Sueones !!
 
heinz schrieb:
Lieber Dieter,
im Spanischem Volk. Die Westgoten waren auch bis 711 nur eine Oberschicht, weil sie zahlenmäßig nicht genug Menschen hatten, sind sie in der romanisierten keltoiberischen Bevölkerung aufgegangen.
Dasselbe passierte in Italien mit den Langobarden, die ja auch nicht vertrieben wurden, ganz zu schweigen von den Ostgoten. Die Franken in Neustrien sprachen schon im 8.Jahrhundert eine romanische Sprache. Der Punkt ist, dass alle germanischen Völkerschaften außerhalb ihres Stammgebietes zahlenmäßig in der einheimischen Bevölkerung untergingen. :thx:

Lieber Heinz,

dass die Westgoten allmählich in der romanisierten ibero-keltischen Bevölkerung aufgegangen sind, ist mir schon klar. Diesen Prozess hat es auch bei den Ostgoten, Wandalen, Franken oder den von dir zitierten Langobarden gegeben.

Die Situation hier ist jedoch etwas anders, da die Westgoten etwa 200 Jahre regierten und bis zum Jahr 711 - dem Jahr der Eroberung durch die Araber - alle auch gotische Namen tragen. Wieso bricht diese Tradition von einem Jahr zum anderen plötzlich ab, wo doch der ganze westgotische Klüngel in Asturien noch zusammenhockt? Warum heißt der erste König nach 711 auf einmal Pelayo, und nicht Leowigild oder Fruela? Man müsste doch eine gewisse Kontinuität über sagen wir einmal 100-150 Jahre annehmen können, wie z.B. bei den Warägern in Russland, die ihren Kindern noch etwa 200 Jahre lang schwedisch-nordische Namen gaben! Wie ist vor allem auch das kulturelle Selbstverständnis dieser "Goto-Iberer"? Ich lese im Ploetz. dass sich das asturische Königreich als Nachfolger der Westgoten verstand, doch woran sieht man das?

Meine Frage bleibt also: Was hat sich bei der westgotischen Führungsriege in Asturien ereignet, dass sie plötzlich - von heute auf morgen - ihren westgotischen Untergrund vergessen hat? Oder hat sie das doch nicht??

Vielleicht gibt es im Forum ja einen Spezialisten, der sich mit spanischer Geschichte gut auskennt, und die Frage beantworten kann.
 
Also ich weiß nur, dass im Ebrotal nach der maurischen Invasion der westgotische Graf Casio mit seiner ganzen Familie zum Islam konvertierte und und den Namen Banu-Quasi annahm. Könnte doch auch sein, dass sich die Westgoten in Asturien und Kantabrien spanische Namen gaben umso sich so nicht mehr zu sehr von der einheimischen Bevölkerung zu unterscheiden und letztlich auch um Machtgewinn zu erzielen.
 
die Religion machts möglicherweise

Dieter schrieb:
Meine Frage bleibt also: Was hat sich bei der westgotischen Führungsriege in Asturien ereignet, dass sie plötzlich - von heute auf morgen - ihren westgotischen Untergrund vergessen hat? Oder hat sie das doch nicht??

"Das nun auf Spanien beschränkte Westgotenreich mit der Hauptstadt Toledo hatte sich mit Kämpfen zwischen König und Adel im Inneren und Bedrohungen von aussen auseinander zu setzen. Mitte des 6. Jahrhunderts eroberten die Byzantiner den Süden, konnten jedoch wenig später wieder verdrängt werden, und 585 eroberten die Westgoten das Swebenreich im Nordwesten der Iberischen Halbinsel. 587 trat der westgotische König Rekkared I. vom Arianismus zum Katholizismus über und leitete damit sowie mit der Zulassung von Mischehen zwischen Westgoten und Romanen eine rasche Romanisierung der Westgoten ein. Mitte des 7. Jahrhunderts erliess schliesslich König Rekkeswind mit dem Liber Iudicourum oder Lex Visigothorum ein einheitliches Recht für Westgoten und Romanen. 711 besiegten die Mauren den letzten westgotischen König Roderich in der Schlacht am Río Barbate und besiegelten damit das Ende des Westgotenreiches in Spanien."
Wenn hier steht, daß 587 König Rekkares I. zum Katholizismus (den es damals strengenommen noch nicht gab ) konvertierte, so begann damit durch den Einfluß der , der
lateinischen Schrift und Sprache die Romanisierung Asturiens.
Vermutlich dadurch ist der Wandel vom "Gotischen" zum "Romanischen" begründbar.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Dieter schrieb:
Lieber Heinz,

Meine Frage bleibt also: Was hat sich bei der westgotischen Führungsriege in Asturien ereignet, dass sie plötzlich - von heute auf morgen - ihren westgotischen Untergrund vergessen hat? Oder hat sie das doch nicht??

Vielleicht gibt es im Forum ja einen Spezialisten, der sich mit spanischer Geschichte gut auskennt, und die Frage beantworten kann.

Lieber Dieter,
ich bin zwar ein Spezialist, aber es ist doch vollkommen klar, dass sich die verbliebene westgotische Oberschicht in den Restgebieten der keltoiberischen Bevölkerung angepaßt hat, um mit ihrer Unterstützung den Mauren weiter Widerstand leisten zukönnen. :thx:
 
Die Westgoten haben eine neue Identität gesucht. Nach den vernichtenden Niederlagen gegen die Mauren, und der Zwangsumsiedlung nach Norden, kein Wunder, sich konvertieren zu lassen.
 
Lieber Hurvinek, aus welchen Gebieten und wohin wurden die Westgoten umgesiedelt? :confused: Doch sicherlich von den Mauren? :confused:
 
heinz schrieb:
Lieber Hurvinek, aus welchen Gebieten und wohin wurden die Westgoten umgesiedelt? :confused: Doch sicherlich von den Mauren? :confused:

Mit "Umsiedlung" meine ich Vertreibung. Wobei nur die herrschenden Westgoten sich selbst vertrieben haben.
 
Die Westgoten sind in der spanischen Bevölkerung aufgegangen. Aber in der von beiden Seiten, auch der muslimischen.

Die Arabische Invasion griff in einen Westgotischen Bürgerkrieg ein. Der arabische Führer Tarik wurde vom westgotischen Governeur von Ceuta gerufen und gegen den König Roderich (Don Rodrigo) unterstützt.

Die arabische Streitmacht bestand aus lediglich ca. 7.000 Arabern und ca. 20.000 Berbern. Sie brauchten jedoch nur zwei Jahre um die Halbinsel zu beherrschen, etwas wofür die Römer fast 200 Jahre gebraucht hatten und die Goten über hundert (und es nie ganz schafften).

Bei der letzten Schlacht der Westgoten, die von Guadalete im Jahr 711, kämpften auch auf islamischer Seite mehrere tausend Goten.
Im spanischen "Romance de Don Rodrigo" wird der islamische Sieg erklärt in dem man behauptet Don Rodrigo hätte die Tochter eines gotischen Edelmanns "entehrt" und so die Zwietracht unter den Goten und die Strafe Gottes heraufbeschworen.

Viele Mitglieder des Westgotischen Adels unterwarfen sich den neuen Herren. Es gab auch eine Zeitlang noch halbautonome Westgotische Fürstentümer die später Schritt für Schritt politisch integriert und assimiliert wurden (es existieren noch Verträge zwischen solchen Fürstentümern und den arabischen Herren). Es ist auch dokumentarisch überliefert, dass die neuen Herren sich sowohl mit den Westgoten wie mit der römisch-iberischen Bevölkerung über Heiratspolitik vermischten (die Invasoren waren ausschließlich Männer). es fand weniger ein Bevölkerungsaustausch als eine kulturelle und religiöse Assimilierung statt.

Ein anderer Teil des Westgotischen Adels floh nach Norden , in die Gegenden die bis dahin am wenigsten von ihnen dominiert waren (das Baskenland wurde nie komplett von den Westgoten beherrscht, Cantabrien nur oberflächlich, in Galizien herrschten die Sueben). Die Westgoten Siedelten hauptsächlich im (später kastilischen ) Hochland um Toledo und an der Mittelmeerküste.

Bezüglich der Namen: Die Bildung der spanischen, galizischen, asturischen und katalanischen Sprache, so wie des inzwischen weitgehend erloschenen Aragonesisch, erfolgte in diesen Jahren.
Es ist zu vermuten, dass durch den gewaltigen sozialen Umbruch der damals erfolgte, so wie durch den übertritt der letzten Westgoten zum Katholizismus, viele westgortische Namen die entweder als Heidnisch oder (noch schlimmer) als arrianisch betrachtet wurden, ausser gebrauch kamen.

Trotzdem blieben mehr als es auf ersten Blick erscheinen mag. Viele erzspanische Namen haben einen westgotischen Ursprung: So der erwähnte Rodrigo (Roderich) Ricardo (Rekkared) Alfonso, Adolfo (Adalwulf), Enrique ( Heimrich) Ramiro, Elvira (Athalwer), Ramiro, Rodolfo, Raúl und viele andere.

Auch viele Wörter des spanischen wie Guerra (Krieg) und Guardia (Wache) von Wehr, Yelmo von Helm, Bandera von Bann oder Banner, Botin (Beute) und viele andere, besonders in Bereichen die mit dem Krieg, dem Adel oder dem Reiten zu tun haben.

Noch als Anekdote: Bis vor dreißig oder vierzig Jahren galt es in einigen Kreisen als schick sich als "Cristiano viejo y descendiente de Godos" (alter Christ und Abkömling von Goten) zu bezeichen. Das galt als Adelsprädikat und wurde im 15-16 Jahrhundert geprägt, da dieses (irrigerweise) eine arabische oder jüdische Herkunft ausschließen sollte.

In den südamerikanischen Unabhängigkeitskriegen wurden die Spanier dann als Schipfwort als "Godos" bezeichnet und auf den Kanarischen Inseln nennt man bis heute so die Festlandspanier.
 
Die Westgoten wurden getötet, vertrieben und sind in der spanischen oder muslimischen Bevölkerung aufgegangen. So einfach ist das. Sie wurden gestürzt und mussten irgendwie weiterleben.
 
Lungos schrieb:
Die Westgoten wurden getötet, vertrieben und sind in der spanischen oder muslimischen Bevölkerung aufgegangen. So einfach ist das. Sie wurden gestürzt und mussten irgendwie weiterleben.

Vertrieben wurden sie nicht. Zumindest nicht gezielt.
Wer sich nicht unterwerfen wollte zog jedoch vermutlich nach Norden. Im grossen und ganzen verlief die arabische Invasion in Spanien jedoch weniger blutig als allgemein dargestellt. Es sind noch viele "Capitulaciones" von spanischen Städten gegenüber den Arabern erhalten. Es waren richtige Verträge mit Rechten (Glaubensfreiheit) und Pflichten (Kopfsteuer und Gehorsam). Die zum Islam übergetretenen Westgoten bildeten auch auf der islamischen Seite ein teil der Führungsschicht ( z.B. die oben erwähnten Beni Quasim im Ebrotal)

Der grösste Teil der Bevölkerung, einschliesslich der Westgoten, arrangierte sich anscheinend prächtig mit den neuen Herrschern.
 
Hurvinek schrieb:
Mit "Umsiedlung" meine ich Vertreibung. Wobei nur die herrschenden Westgoten sich selbst vertrieben haben.

Lieber Hurvinek, Umsiedlung und Vertreibung, da sind doch wohl ein paar kleine Unterschiede. Umsiedlung sollte doch meistens geordnet vor sich gehen und hat auch jemanden, der diese Umsiedlung leitet. Was nan von einer Vertreibung nicht sagen kann. :rolleyes:
 
Ich schließe mich auch Bdaian an. Von der Bevölkerung Spaniens wurde nach der Eroberung derselben durch die Araber das hohe Wissen der Araber anerkannt. Manche sprachen sogar davon, dass wieder römische Zeiten einkehren (Luxus, Frieden etc).
 
heinz schrieb:
Lieber Dieter,
ich bin zwar ein Spezialist, aber es ist doch vollkommen klar, dass sich die verbliebene westgotische Oberschicht in den Restgebieten der keltoiberischen Bevölkerung angepaßt hat, um mit ihrer Unterstützung den Mauren weiter Widerstand leisten zukönnen. :thx:
Wobei es aber auch etliche Westgoten gab, die, wie Aragorn richtig sagte, zum Islam konvertierten und nicht gegen die Araber, sondern mit ihnen kämpften. Übrigens hat später der "große El Cid" auch die Seiten gewechselt und ist auf moslemischer Seite gefallen, ich glaube, bei der Eroberung Sevillas.
 
Crawford schrieb:
Wobei es aber auch etliche Westgoten gab, die, wie Aragorn richtig sagte, zum Islam konvertierten und nicht gegen die Araber, sondern mit ihnen kämpften. Übrigens hat später der "große El Cid" auch die Seiten gewechselt und ist auf moslemischer Seite gefallen, ich glaube, bei der Eroberung Sevillas.

Valencias. Er eroberte diese Stadt auf eigene Faust, und starb bei der erfolgreichen Verteidigung, sie ging später jedoch wieder verloren und wurde von Jaime el conquistador von Aragon endgültig erobert.

Man kann nicht direkt sagen, dass er die Seiten gewechselt hätte. Er wurde aus Kastilien verbannt und machte seine eigen Politik, darunter auch in Allianz mit einigen Moslems und im Kampf gegen andere. Die moslemische Seite war in zahlreiche kleine Reiche zersplittert, die so genannten "Reinos de taifas".
 
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Bdaian schrieb:
Valencias. Er eroberte diese Stadt auf eigene Faust, und starb bei der erfolgreichen Verteidigung, sie ging später jedoch wieder verloren und wurde von Jaime el conquistador von Aragon endgültig erobert.
Danke, Bdaian, es war Valencia! :hoch::hoch::hoch:
 
Die Seiten waren aber wirklich viel durchlässiger als heute angenommen und es gab zahlreiche Überläufer in beide Richtungen.

In Spanien gab es einen "Helden" der immer als Beispiel für spanische Unbeugsamkeit dargestellt wurde: Guzman el bueno. Dieser verteidigte Tarifa. Sein Sohn war von den Belagerern gefangen worden, die damit drohten diesen zu töten wenn der Vater die Festung nicht übergab. Er warf seinen eigenen Dolch von der Zinne damit sie seinen Sohn damit töteten.
:spinner:

Was in den früheren spanischen Geschichtsbüchern jedoch nicht erwähnt wurde war, dass er die Festung als Söldner eines muslimischen Herrschers und gegen ein christliches Heer hielt!
 
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Ein Chema, hier Christen dort moslems wird es anscheinend nicht gegeben haben. Die Christen kämpften anscheinend nicht einheitlich und die Muslime auch nicht. Es gab auf beiden seiten verschiedene Fürstentümer. El Cid war zwar mit einigen Muslimen verbündet, lief aber niemals auf die muslimische seite über. :thx:
 
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