Wollte man in der DDR patriotisch sein?

unkreativ

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Hallo,

ich bin im Bundesarchiv auf folgendes Plakat gestoßen:

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https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/en/search/?yearfrom=&yearto=&query=Plak+100-033-025

Das Plakat fiel mir ins Auge, weil es von der Nationalen Front herausgegeben wurde und indirekt zum Deutschpatriotismus in Ostberlin aufruft. Für mich war das überraschend.

Das Plakat wird auf 1951/1952 datiert. Mit den (Volkskammer-)Wahlen wird es wohl kaum zusammenhängen, da das zeitlich in der Mitte der Wahlperiode liegt. Könnte es sich um ein Plakat handeln, das den freiwilligen, unbezahlten Arbeitseinsatz (Enttrümmerung und Wiederaufbau in Berlin) bewerben soll? Und der Verweis auf den Deutschpatriotismus ein genehmes Mittel, um die patriotische Zielgruppe zu erreichen? Oder sollte tatsächlich ein ostdeutscher Patriotismus gefördert werden?
 
Das Plakat fiel mir ins Auge, weil es von der Nationalen Front herausgegeben wurde und indirekt zum Deutschpatriotismus in Ostberlin aufruft. Für mich war das überraschend.

Inwiefern überraschend?

Die sowjetische und auch die DDR-Propaganda hatten sich ja weitgehend darauf eingeschossen, die Westalliierten wegen der Währungsreform und der Gründung der Bundesrepublik, als diejenigen Kräfte darzustellen, die Deutschland angeblich spalteten um die öffentliche Meinung in beiden Teilen Deutschlands gegen sie aufzubringen.

Entsprechend dieser propagandistischen Linie machte es Sinn, an deutschen Patriotismus/Nationalismus zu appellieren um die Bevölkerung gegen diejenigen auf Linie zu bringen, die dem angeblich im Weg standen, sprich die Westalliierten und die bundesdeutsche Regierung in Bonn.

Das entsprach durchaus der Generallinie der östlichen Propaganda-Strategie.
 
„Jeder deutsche Patriot...“.

Das Plakat fällt ja in die Zeit wo noch nicht die Teilung Deutschlands endgültig entschieden war. Und seitens der SED war man da guter Hoffnung dass man mit den Begriff „Patriotismus“ punkten könnte. Man spricht ja auf den Plakat auch von „Berlin“ und nicht von der „Hauptstadt der DDR“. Dies war dann erst ab August 1977.

Und geschickter Weise erschien im Vordergrund eine der legendären „Berliner Trümmerfrauen“, im Hintergrund die damals im Bau befindliche Stalinallee (Baustil „Zuckerbäcker“).

Der Generalissimus in Moskau hatte da nichts dagegen, im Gegenteil. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Plakat lebte er ja noch.
Er selbst hatte ja seinerzeit zur Verteidigung der UdSSR nach dem Überfall 1941 nicht zur „Verteidigung der sozialistischen Heimat“ aufgerufen, er hatte „den großen Vaterländischen Krieg“, angelehnt an den Krieg 1812, ausgerufen.

Beim Plakatgestalter bin ich mir nicht sicher.
Ich neige zu den Künstler Heinz Wagner (1925 Menteroda/Thüringen – 2003 Jesewitz/Sachsen). Denkbar wäre aber auch Klaus Weber (1928 Berlin – 2018 Leipzig).
 
Zuletzt bearbeitet:
Überraschend, denn "die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben." (Manifest)
Nicht überraschend, denn schon die SU nannte den WKII (in der SU) den Великая Отечественная война. Und Отечественная wird ins Deutsche mit 'Vaterländisch' übersetzt. Отеч oder Pat[e]r - gehoppst wie gesprungen.
т kursiv т (nicht m, obwohl es - warum auch immer - gleich aussieht)
 
1956 war mein erster Schulabschluss.
Zum Abschlusszeugnis gab es zum Zeugnis sowas wie ein Faltblatt dazu (Doppeltes A 4 Blatt) mit den Namen: „Schuljahresfeier 1.Juli 1956“.

Es wurde darin einiges zur gesamten Schulzeit gesagt.
Auf der 3. Seite das Pionier Emblem (links oben) und FDJ Emblem (rechts unten).
Dazwischen ein Zitat von Friedrich Schiller aus „Wilhelm Tell“ 2./1. - Attinghausen:

„Ans Vaterland, ans teure schließ dich an,
das halte fest mit deinem ganzen Herzen.
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft“.
 
Ja, und?
Genausogut hättest Du mitteilen können, dass im Wort Отечественная das с eigentlich ein "s" ist oder dass das н eigentlich ein "n" ist.

Der Buchstabe sieht in normaler Druckschrift wie ein T aus und wird auch so gesprochen, nur in Schreibschrift (und offensichtlich auch als kursive Minuskel, zumindest in einigen Schriftarten) sieht er wie ein m aus. Das kann schon verwirrend sein, wenn man die kyrillische Schrift nicht so gut kennt.

Т – Wikipedia
 
Statt sich offensichtlich über die Transkription kyrillischer Buchstaben zu streiten sollte man folgendes bedenken: die SED-Machthaber waren in ihren Denkstrukturen mindestens so konservativ wie ihr Gegenpart auf westlicher Seite. Was lag also näher als an konservative Werte wie Patriotismus zu appellieren.?



Und das auch vor dem Hintergrund, dass gerade auch sozialistische und sozialdemokratische Parteien immer die nationale Einheit betonten und der amtierenden Regierung Adenauer die Westbindung der BRD ankreideten.



Zudem kam die sowjetische Lesart eines sozialistischen Patriotismus, die hier Eingang fand.



Hätte man sich hier auf den Internationalismus marxscher Prägung eingelassen hätte das die Führungsrolle der jeweiligen kommunistischen Partei in Zweifel gezogen
 
Etwas zum Thema:

Nationalismus und Patriotismus in den frühen Jahren der DDR

Moskau spornte die Deutschen zum eigenen "nationalen", zum "patriotischen Handeln" an. Nichts schien Stalin zuverlässiger zu sein als deutsches Nationalbewusstsein, der nationale Stolz eines Volkes, das seinen Traditionen - wie man in Moskau während des Krieges schmerzvoll erfahren hatte - so stark verbunden schien. Diese Annahme zeitigte ein politisches Programm. Es setzte eine faktisch ungebrochene Kontinuität nationaler Identität voraus, wie sie sich bis 1945 in Deutschland entwickelt hatte, und unterstellte ein Wertesystem, in dem ein "Deutschland, Deutschland über alles" Priorität hatte. Eine Reihe von Indizien weist darauf hin, dass die Sowjetunion seit dem zweiten Halbjahr 1951 entsprechenden Druck ausübte, um den "nationalen" Kampf zu intensivieren. So konstatierten die Politbüromitglieder Hermann Matern und Fred Oelssner - nachdem sie sich noch kurz zuvor in dieser Sache eher skeptisch geäußert hatten - das Fehlen eines "echten Nationalbewusstseins" und des "nationalen Verantwortungsgefühls" bei vielen Genossen; sie stellten schließlich fest, dass es bislang nicht gelungen sei, "ein echtes demokratisches Nationalbewusstsein, einen echten Patriotismus im deutschen Volke zu erziehen" Zur Auflösung der Fußnote[15] . Dabei wurde das "patriotische Bürgertum" als der "gesetzmäßige Bundesgenosse" hervorgehoben Zur Auflösung der Fußnote[16] , was ebenfalls Moskauer Vorstellungen entsprach.
 
Auch in der Nationalhymne wurde das "einig Vaterland" zwei Jahrzehnte lang besungen.
Auferstanden aus Ruinen – Wikipedia
Das Ganze ist auch im Zusammenhang zu sehen mit den Stalin-Noten – Wikipedia

Man muss auch nicht unbedingt einen Widerspruch zum Kommunistischen Manifest und Internaionalismus sehen. In feudalistischen und kapitalistischen Systemen haben die Proletarier kein Vaterland. In einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Werktätigen über die Produktionsmittel verfügen, kann man das anders sehen. Oder wie es der Kabarettist Schmickler ungefähr formuliert hat: Mein Vaterland hat ein paar hundert qm und liegt im Oberbergischen.
 
Dass kyrillische Buchstaben mitunter anders zu lesen sind als lateinische, muss man doch nicht eigens erklären, oder?
Im Grunde nicht. Aber ich hatte das Wort kursiv gesetzt und dann gedacht, ich hätte aus Versehen einen Buchstaben markiert und ein -m- an dessen Stelle geschrieben. Und habe dann beim Korrekturversuch bemerkt, dass kyrillisch -т- kursiv aussieht wie kyrillisch -m- kursiv. Ich wollte eben nicht, dass man das kursive т als -m- liest (ich hätte das nämlich getan und ich bin mittlerweile recht gut darin, die kyrillische Schrift zu lesen, obwohl ich das wenigste verstehe).
 
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