Wunderheiler auf dem Lande

Artefakt

Mitglied
Hallo Forum,
gestern Abend habe ich im WDR einen Dokumentarfilm gesehen:
Kindheit auf dem Lande

Ein Beitrag hat mich sehr verwundert.

Eine Frau erzählte, dass sich ihre Mutter das Gesicht verbrannt hat. Kochendes Kühlwasser ist ihr ins Gesicht geschosse. Sie sei noch in die Küche gelaufen und dort zusammengebrochen.
Im Dorf wohnte eine Frau. Eine Heilerin.
Man fürchtete sich ein wenig vor ihr, suchte sie aber im Krankheitsfall auf.
Das Besondere: Man musste sie zuerst zum Kranken holen. Wenn der Arzt vor ihr da war, konnte sie nichts mehr machen.

Das kleine Mädche ist also in Windeseile zu dieser Frau gerannt und beide rannten dann zur verletzten Mutter. Die Zeugin erinnerte sich, dass die Mutter wieder ganz gesund wurde.
Ein Kindheitswunder.

Ich kenne es nur immer andersrum. Leute klammern sich an Wunderheiler, wenn Ärzte nichts mehr tun können.

Dies Frau besaß offenbar ein Exklusivrecht. Sie war die erste am Krankenbett und hat vielleicht auch oft gesagt: Da müsst ihr einen Arzt holen/zum Chirurgen.
Meine Fantasie. Der Bericht der Frau war leider sehr kurz.- Aber eindrucksvoll.

Habt ihr so etwas schon einmal gehört?

Der Wunderheiler muss zuerst beim Kranken/Verletzten sein - sonst könne er nicht helfen?

Grüße
arti
 
Artefakt schrieb:
Habt ihr so etwas schon einmal gehört?

Der Wunderheiler muss zuerst beim Kranken/Verletzten sein - sonst könne er nicht helfen?

Das hat durchaus seine Richtigkeit.... denn wenn der Arzt zuerst da ist, wird er den 'Wunderheiler' sehr schnell vor die Tür setzen! Also nicht das Versagen der angeblichen Wunderkräfte, sondern schlicht der Mangel an Gelegenheit.
 
Das hat durchaus seine Richtigkeit.... denn wenn der Arzt zuerst da ist, wird er den 'Wunderheiler' sehr schnell vor die Tür setzen! Also nicht das Versagen der angeblichen Wunderkräfte, sondern schlicht der Mangel an Gelegenheit.

Du verstehst das als "Sonst dürfe sie nicht helfen". Darau bin ich nicht gekommen.
Vielleicht hat das kleine Mädche das damals falsch (mysthischer) verstanden.
Vielleicht haben die Erwachsenen die Situation so verunklart.

Mir fällt noch ein, dass das Kind damals gehört hat, die Frau könnte "den Brand segnen". Darum ist sie zu dieser Frau gerannt und nicht zu einem Arzt.

In dem Dorf, in dem meine Mutter aufgewachen ist, wohnte eine Frau, die Krankheiten besprochen hat.
Da war glaube ich klar, womit man zum Arzt und womit zu dieser Frau gegangen ist.


Grüße
arti
 
Zuletzt bearbeitet:
Artefakt schrieb:
Mir fällt noch ein, dass das Kind damals gehört hat, die Frau könnte "den Brand segnen". Darum ist sie zu dieser Frau gerannt und nicht zu einem Arzt.

Nun ja, daraus ergibt sich ja schon einige Einsicht in die Methoden... Die Brandverletzung wird gesegnet?! Auhauahauaha!

Wenn ich als Arzt oder Ersthelfer darüber hinzukäme, daß jemand mit erheblichen Brandwunden von Angehörigen oder 'Wunderheilern' mit Mehl bestäubt oder mit Segnungen eingedeckt wird, womit Zeit verschwendet und die Leiden verlängert werden, anstatt sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, läge mir da die Verabschiedung dieser 'Helfer' per Tritt ins Verlängerte auch seeeehr nahe. Der örtliche Arzt hat offenbar ähnliche Empfindungen verspürt... :devil:, und zwar nicht zu Unrecht!

Unabhängig davon ist es natürlich sehr gut möglich, daß von der 'Wunderheilerin' sowie von Personen, die an die Wirksamkeit dieses Segens glaubten, mehr oder weniger gezielt mystifiziert wurde.
 
Ich kenne es nur immer andersrum. Leute klammern sich an Wunderheiler, wenn Ärzte nichts mehr tun können.


Habt ihr so etwas schon einmal gehört?

Der Wunderheiler muss zuerst beim Kranken/Verletzten sein - sonst könne er nicht helfen?

Grüße
arti
Es ist schon so, wie Ingeborg sagt. Ein dazugerufener Arzt würde einen Heiler natürlich sofort vom Krankenbett verweisen, anders herum wäre es nicht denkbar.

Es gab einige Faktoren, warum die Leute auf dem Land lieber mal das Kräuterweib holten:
1. Approbierte Ärzte kosteten Geld und die von ihnen verschriebene Medizin kostete oft noch deutlich mehr. "Heiler" dagegen wurden, wenn überhaupt, mit Naturalien bezahlt (von ein paar Ausnahmen natürlich abgesehen).
2. Sowohl Arzt als auch die nächste Apotheke befanden sich in Städten, nicht auf dem Land. Der Arzt musste erst benachrichtigt und im Zweifelsfall auch abgeholt werden. Das kostete Zeit. Dann musste wiederum einer los und in einer Apotheke die sündhaft teure Medizin holen, wenn der Arzt sie nicht in seiner Tasche hatte. "Heiler" wohnten meist in der Nachbarschaft und verwendeten selbst gesammelte und hergestellte Naturarzneien.
3. Ärzte waren unbedingte Respektspersonen, zum Kräuterweib von nebenan hatte man deutlich mehr Vertrauen. Die kannte man, vielleicht hat sie ja einem selbst schon auf die Welt geholfen...

Edit: über die Wirksamkeit der Heilmethoden mag ich hier nicht referieren ;)
 
Es ist einfach eine Business-Taktik.
Wird der Arzt zuerst geholt, bestand natürlich auch die Chance, dass er Profi die Frau heilt. Das würde sich rumsprechen. Wer würde dann noch den Laien brauchen?

Wann spielte der Film?
Klingt nach 19. Jahrhundert.
Zur Arzt-Kranken-Laien-Beziehung gibt es einen sehr guten Aufsatz von Francisca Loetz in: Die Grenzen des Anderen.
;-)
Hieraus wird auch deutlich, dass Ärzte und Laienheiler sich keineswegs stets antagonistisch gegenüber standen, sondern sich im 19. Jh. jedenfalls sehr oft halfen und gegenseitig berieten.
 
Hallo,
das ist eigentlich nicht das, was ich hier erfahren wollte.
Dass wir mit unserem Wissen heute viel weiter sind - und sogar "Wunderheilern" gewisse Erfolge zubilligen, ist klar.
Ich würde mit Brandverletzungen sofort ins Krankenhaus wollen und nicht zu einer Wunderheilerin.

Ob wunderheiler einfach einen Knall haben oder total abgefeimt sind, war gar nicht mein Thema hier.

Ich wollte nur wissen, ob hier schon jemand gehört hat, dass von einem Wunderheiler gesagt wurde: Wenn ein Arzt da war, kann ich nichts mehr machen.
Das finde ich neu und erwähnenswert.

Ihr zäumt das Pferd von hinten auf. In diesem Dorf wurde ja nicht erzählt, wenn Arzt und Heilerin aufeinandertreffen, muss die Wunderheilerin weichen. Oder, wenn der Arzt bezahlt wurde, ist für das Kräuterweib kein Geld mehr da.


Falls hier Zweifel auftreten sollten: ich vertraue der Schulmedizin - vertraue Ärzten aber nicht blind.

Die Geschichte stammte nicht aus dem 19.Jh., sondern von 1960/70.

Dorflebe und Stadtleben waren zu der Zeit grundverschieden. Darum geht es in der WDR Reihe.
Kann man sich auch im Internet angucken.
Ich finde die Interviews sehr interessant.

Grüße
arti
 
Vieleicht mal ein ganz anderer Ansatz. Wenn ein Patient zum Arzt geht, wird er im Rahmen der Aufnahme auch gefragt ob er irgendwelche Medikamente einnimmt. Vor allem bei OP`s ist dies mitunter Lebenswichtig.
Ob die Heilerin nun die Wirkung der vom Arzt verschriebenen Medikamente kannte oder nicht, möglicherweise ging sie aber auf Nummer sicher in dem sie eine Behandlung mit ihren Mitteln nach einer Behandlung durch den Arzt verweigerte.
 
Ich wollte nur wissen, ob hier schon jemand gehört hat, dass von einem Wunderheiler gesagt wurde: Wenn ein Arzt da war, kann ich nichts mehr machen.
Das finde ich neu und erwähnenswert.

Doch. Ich wiederhole meinen Standpunkt: Business-Taktik.
 
Den Begriff Wunderheilen finde ich schon mal urteilbildend.
Hier im Norden nennt man das Böten.
Ich persönlich habe damit positive Erfahrungen gemacht. Natürlich muss man jemanden kennen, der böten kann. Diejenigen gehen damit nicht gerade hausieren.
Niemand, der Besprechen kann, hext z.B. abgerissene Beine an, heilt Brandwunden oder läßt den Krebs verschwinden.
 
Den Begriff Wunderheilen finde ich schon mal urteilbildend.
Hier im Norden nennt man das Böten.
Ich persönlich habe damit positive Erfahrungen gemacht. Natürlich muss man jemanden kennen, der böten kann. Diejenigen gehen damit nicht gerade hausieren.
Niemand, der Besprechen kann, hext z.B. abgerissene Beine an, heilt Brandwunden oder läßt den Krebs verschwinden.
Fürs Warzenbesprechen oder andere Kleinigkeiten kennt man auf dem platten Land hier im Norden immer noch eine weise Frau...
Hm, sollte mal gehen um mir das Rauchen abzugewöhnen.
 
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naja, es gibt ja noch die Heiligen, das Wort 'Heiliger' bedeutet Heilender und ihnen wurden oft Wunderheilungen zugeschrieben:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wunderheilung_(Christentum)

Dann gibt es noch Kaltbäder: wohl mag es einige geben, die aufgrund des Schwefelgehalts (oder aufgrund eines anderen Gehalts) durchaus heilende Wirkung gehabt haben können (Betonung auf können). Moorbäder sollen auch gesund sein (man denke an Fango). Mag in einen oder anderen Fall auch zutreffen, aber sicher nicht in jedem.

Auch durch trinken von Wasser von Heilquellen konnte (oder sollte) man genesen... dazu folgendes Lied, welches klein-megatrend in der Schule gesungen hatte:
Und in dem Schneegebirge

Negativ hingegen: Quacksalber und Kurpfuscher

Dann gibt es noch Exorzisten, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Exorzismus
 
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