Es geht ja um Illigs 300 Jahre. Ich habe mich seeeehr lange mit seinem treuesten Anhänger (Lehrer aus Andernach) im Usenet gestritten. Das war so schlimm, dass die Newsgroup sich spaltete und einen moderierten Ableger bekam, wo die Illigisten nicht reingelassen werden. Ein Gutes hatte diese Sache: Ich habe nie so viel Quellenstudium betrieben, wie in dieser Zeit.:scheinheilig:
Die Illigisten scheiterten schon an den Personen zwischen 600 und 900: Zwr konnten Personen, die in dieser Phantomzeit gelebt haben, in Wirklichkeit vor oder nach dieser Zeit gelebt haben und dann umdatiert worden sein. Aber es müsste ja jede Menge gleichnamige Menschen vor und nach der Phantomzeit mit gleichen Funktionen geben. Wenn einer kurz vor der Phantomzeit geboren war, wann sollte der gestorben sein, wenn die 300 Jahre während seines Lebens eingeschoben wurden? Er müsste in der Phantomzeit gestorben und ein Gleichnamiger gegen Ende geboren werden, der dann nach der Phantomzeit unverdächtig leben konnte - andernfalls hätte es jede Menge Methusaleme geben müssen.
Dann beriefen sie sich auf die umfangreichen Urkundenfälschungen, die es ja tatsächlich gab. Nur hatten sie einen sehr verschwommenen Fälschungsbegriff, der jede physikalische Manipulation an einer Urkunde diese auch inhaltlich falsch, dh. zu einer Dichtung machte. Dass jemand sich eine Urkunde fabrizierte, um ein tatsächlich bestehendes Recht zu belegen - sowas gibt's nicht. Auf mein Beispiel, dass ein Kirgise, der nach Berlin reisen will, einen Pass braucht, und - da er sein Geburtsdatum nicht kennt - dort irgendwas angibt, und trotz des erfundenen Datums doch selber existiert und reist, kam keine befriedigende Antwort. Rückwirkende urkundliche Dokumentationen von früheren Schenkungen waren erlogene Urkunden.
Nun gibt es ja nicht nur Urkunden, sondern in den Klöstern (besonders in Frankreich) liegen jede Menge Berichte und Protokolle von Diözesansynoden aus dieser Zeit, die nicht alle ediert sind, die aber im Nachhinein rückwirkend zu fälschen völlig sinnlos war, da sie ja niemand mehr las, so dass sie keinerlei Beweisfunktion für die Existenz der von ihnen dokumentierten Zeit hatten.
Tja, dann kam Hans Constantin Faußner, emeritierter Titularprofessor in Österreich, zuständig für Rechtsgeschichte. Ihm gelang es, ein unsägliches Werk "Die Königsurkundenfälschungen Ottos von Freising" in der renommierten Reihe"Studien zur Rechts- Wirtschafts- und Kulturgeschichte" unterzubringen. Darin "weist er nach"
rofl
, dass der Abt Wibald von Stablo (+ 19.07.1158) im Auftrag Ottos v. Freising unmittelbar nach dem Wormser Konkordat (23.9.1122) sämtliche königlichen Besitzurkunden für die kirchlichen Güter gefälscht und rückdatiert habe. Aus merowingischer und karolingischer Zeit gibt es ca 15.000 Urkunden über Besitzverhältnisse, Schenkungen, Vermächtnisse usw. Stablo hätte in seiner verbleibenden Lebenszeit ununterbrochen täglich 1 Urkunde fälschen müssen, sogar an Sonn- und Feiertagen und auf Reisen (er starb auf einer diplomatischen Mission), denn Mitwisser waren durchaus gefährlich. Und alles für die Katz, denn die Urkunden verloren mit dem Tod des Ausstellers ihre unmittelbare Geltung und mussten vom Nachfolger bestätigt werden. Merowingische Urkunden ohne nachfolgende Bestätigungen waren also Makulatur.
Na ja, das war mein Abenteuer mit den Illigisten.