Zur Sozialisation von Marineoffizieren im Kaiserreich

foxbuster

Mitglied
Hallo,

zum Hintergrund:
ich bin mir sicher irgendwo irgendwann gelesen zu haben, dass der Querschnitt der Marineoffiziere in der "neuen", kaiserlichen Marine im Vergleich zu den Land- und (später) Luftstreitkräften eher nicht-adeliger, eben verhältnismäßig "ärmerer" Herkunft gewesen sind.

Oder bin ich mit diesem Gedankengang auf dem falschen Dampfer? Bedauerlicherweise gelingt es mir nicht dies entsprechend zu belegen.
-Weiß jemand Rat oder kann das gar mit Stellen aus Literatur o.ä. decken?

Danke Euch. :)
 
Ich zitiere mal eine Buchempfehlung, habe es aber nicht selbst gelesen. Vielleicht hat es ja eine Bibliothek in deiner Nähe.

Apvar

Die Kaiserliche Marine, am Anfang dieses Jahrhunderts als Instrument überseeischer Politik gebaut, wurde zum Symbol für das Weltmachtstreben Deutschlands unter Wilhelm II. In der Kaiserlichen Marine nahm 1918 die Revolution ihren Anfang, die zum Sturz der Monarchie führte. Das Offizierskorps jener deutschen Flotte ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Aus welchen Gebieten des neu erstandenen deutschen Reiches, aus welchen Schichten der Bevölkerung kamen die Offiziere, welche Vorbildung brachten sie mit und was veranlasste sie, diesen Beruf zu wählen?
Welche Vorstellungen, welche Leitbilder bestimmten ihr Verhalten im politischen, gesellschaftlichen und militärischen Bereich?
Sahen sie in der Flotte den "Schmelztiegel" des Reiches? Welche Beziehung bestanden zwischen den Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaft? Welchen Einfluss hatte all das auf das innere Gefüge der Flotte, auf die Schlagkraft in der Stunde der Bewährung? Lagen auch hier die Ursachen für die Revolution vom November 1918?

Holger H. Herwig • Das Elitekorps des Kaiser. Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland • Hans Christians Verlag Hamburg • 1977 • 280 Seiten

Buchempfehlung von Köbis17
 
Holger H. Herwig • Das Elitekorps des Kaiser. Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland • Hans Christians Verlag Hamburg • 1977 • 280 Seiten

S. 39, zur Crew 07, die als repräsentativer Jahrgang bezeichnet wird:
Von den 197 Kadetten dieser Crew kamen nur 22 (11,2%) aus adeligen Familien, zumeist aus der niederen, relativ minderbemittelten preußischen Aristokratie. 90 Bewerber (45,7 %) hatten Akademiker zu Vätern, bei 52 Kadetten (26,4%) waren die Väter Offiziere, bei 34 (17,3 %) Kaufleute oder Fabrikanten, bei jeweils 10 (5,1 %) Gutsbesitzer bzw. Nichtakademiker in gehobener Stellung.

Anmerkungen von mir: Die Unterscheidung ist m. E. nicht ganz trennscharf. Z. B. können sich unter Gutsbesitzern und Offizieren durchaus Adelige befinden.
Dies würde den Anteil der Adeligen etwas erhöhen. Allerdings beziehen sich o. a. Zahlen auf die Seeoffizierslaufbahn. Unter dieser "höchsten Marineoffizierskaste" befanden sich noch zwei weitere, nämlich die der Marineingenieure und der Deckoffiziere. Diese, noch stärker technisch ausgerichteten Gruppen dürften einen noch niedrigeren bzw. de fakto verschwindend geringen Adelsanteil gehabt haben und die Seeoffiziere versuchten sich - ganz Bürgerliche auf Adelstripp - von diesen abzuheben.
Das Klischee besagt, dass die meisten adeligen Heeresoffiziere ihren Adel nicht mehr beweisen brauchten und damit relativ umgänglich waren, während es bei den bürgerlichen Seeoffizieren einen Trend gab, trotz nichtvorhandenen blauen Blutes "Adel" in ihrer Haltung darzustellen, was viele zu einer erheblichen Arroganz und Verachtung der einfacheren Leute verleitet haben soll. Darum dreht sich Herwigs Buch und ich kenne aus neuerer Zeit immer noch mindestens einen Vertreter für jede der oben aufgeführten Gattungen.
Zuletzt: Adelig und "ärmer" sind kein Gegensatzpaar wie ich impliziert in Deinem Eingangspost lese. Adelige Offiziere waren in der Regel nachgeborene, die von ihren Bezügen bzw. Zuwendungen des Herrn Papa oder des Erstgeborenen Bruders leben mussten oder sich (häufig) hoch verschuldeten, um ihren standesgemäßen Lebenswandel zu finanzieren. Die bürgerlichen Seeoffiziere dürften in der Regel nicht "ärmer dran" gewesen sein als ihre lehmbeschmierten adeligen Kollegen...
 
Beim Heer haben sich die adeligen Offiziere in bestimmten Einheiten und bestimmten Garnisionsorten "geballt". Auch bei der Marine dürften bestimmte Kommandos eine höhere Anzahl an adelige Offiziere gehabt haben als ihr Verhältnis in der Marine betrug.
Auf der SMS "Emden" dienten im Juli 1914 zwölf See-Offiziere. Davon waren fünf adelig. Von diesen fünf wiederum war einer aus einer fürstlichen Familie (= Prinz Franz-Josef von Hohenzollern-Sigmaringen). Ein Adelsanteil von 42 % geht also weit über den der Crew 1907 hinaus.
Dagegen war der Kreuzer "Leipzig" geradezu bürgerlich. Von dreizehn Seeoffizieren war nur einer adelig ( = 8% ).
Ähnlich "bürgerlich" sah es auf SMS "Dresden" aus. Dort dienten zwölf Seeoffiziere. 'Auch hier war nur einer adelig ( = 8%) .
Dagegen war SMS "Nürnberg" schon wieder sehr blaublütig. Von dreizehn Seeoffizieren waren drei adelig ( = 23%)

Auch auf den Großen Kreuzern des Kreuzergeschwader ist das Bild uneinheitlich:
So hatte SMS "Scharnhorst" dreißig Seeoffiziere. Adelig waren lediglich vier ( = 13 %)
Auf der SMS "Gneisenau sah es schon wieder anders aus. Dort dienten im Juli 1914 achtundzwanzig Seeoffiziere. Davon waren sechs adelig (darunter ein Graf sowie ein Freiherr). Demnach waren 21% der Seeoffiziere adelig.

Um die Zahlen besser einordnen zu können, müsste man diese Zahlen mit den Seeoffiziersmessen von Kreuzern der Hochseeflotte oder gar der Schulschiffe vergleichen. Ich wage die Vermutung, dass dort die Prozentzahlen an Adeligen niedriger waren als auf den begehrten Überseekommandos.

Bei den Berechnungen habe ich die Reserve-Offiziere weggelassen. Diese kamen eher zufällig auf die jeweiligen Schiffe und waren durchweg bürgerlich.
 
Zuletzt: Adelig und "ärmer" sind kein Gegensatzpaar wie ich impliziert in Deinem Eingangspost lese.

Stimmt. Jetzt wo du's sagst.

Beim Heer haben sich die adeligen Offiziere in bestimmten Einheiten und bestimmten Garnisionsorten "geballt". Auch bei der Marine dürften bestimmte Kommandos eine höhere Anzahl an adelige Offiziere gehabt haben als ihr Verhältnis in der Marine betrug.

Den Aspekt der "Ballung" ist natürlich bemerkenswert. Müsste man mal schauen inwiefern die Zuversetzung bewusst beeinflusst wurde.

Herwig's Titel hole ich mir demnächst mal an der Uni. Danke schonmal euch dreien für die bisher geleistete Hilfe. :)
 
Beim Heer haben sich die adeligen Offiziere in bestimmten Einheiten und bestimmten Garnisionsorten "geballt". Auch bei der Marine dürften bestimmte Kommandos eine höhere Anzahl an adelige Offiziere gehabt haben als ihr Verhältnis in der Marine betrug.
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Bei dem Heer (nicht nur dem Preussischen) gab es eine art Rangordnung im Ansehen der verschiedenen Waffengattungen. Kavallerie war angesehener als Infanterie und diese mehr als Artillerie oder Pioniere (die andererseits höhere geistige Anforderungen stellten und deshalb von gebildeten höher angesehen wurden).

Garde stand natürlich an oberster Stelle und da hat man auf eine adlige Besetzung der Offiziersposten geachtet. Als 1914 bei den Gardeinfanterieregimentern die Ausfälle häuften, kam es zur einmaligen Situation, das die Mehrheit der Kompanie- und sogar einige Bataillonführerstellen von Nichtadligen besetzt waren. Das hat man aber sehr schnell korrigiert in den man schleunigst mit entsprechenden Versetzungen reagierte.
 
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