Kriegsgerichte nach dem Gesetz etc.
Aber:
"...Was dabei Juristen sollen, wäre für mich eher die Frage. :grübel: ..."
Ein Gericht, zusammengesetzt aus Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten ohne juristischen Beistand/Rat? Alle "Richter" dieses Gerichtes sind weisungsgebunden/befehlsgebunden. Berufung/Revision scheint gemäß des Zitates unseres Mitdiskutanten nicht vorgesehen zu sein, das "Begnadigungsrecht" ist auch nicht geregelt, ebenfalls nicht ein eventuelles "Bestätigungsrecht" bei Urteilen. Die Anklagevertretung und Verteidigung ist auch nicht geregelt.
Erstmal, man braucht keinerlei Französischkenntnisse, da so ziemlich sämtliche Vorschriften für die Westphälische Armee ins Deutsche übersetzt wurden. Wahrscheinlich braucht man auch nicht in ein franz. Archiv gehen.
Von Berufung oder Revision ist in dem Falle nicht die Rede, aber das war usus. Verteidiger etc. gab es auch. Ich will hier aber nicht das gesamte französische Kriegsrecht darlegen, weil das selbstredend einige Seiten eines Themas füllen würde.
Aber erstmal zu dem Wesentlichen!
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen den Arten der Strafen und dem Grad der Tat.
Die nachfolgenden Zitate erfolgen im O-Ton mit entsprechenden rechtschreiblichen zeitgenössischen Eigenheiten.
"Die Mannszucht straft nur Versehen [wohl Vergehen], die gerichtliche Gewalt bestraft die Verbrechen."
*1)
(Hervorhebungen von mir.)
Für die Strafen der
Mannszucht waren neben den jeweiligen Vorgesetzten auch ein "Rath der Mannszucht" zuständig.
"Rath der Mannszucht
Bey einem jedem Regimente soll ein Rath der Mannszucht errichtet werden; bestehend aus drey Oberoffizieren, aus drey Hauptleuten und dem ersten Lieutenant."
*2)
(Anmerkung meinerseits: Die drei Oberoffiziere sind offensichtlich die 2 Majore und ein Oberst des Regimentes. Es sind nur 2 Majore, da die Vorschrift noch von einem Linienregiment zu 2 Bataillonen ausgeht, wie 1792 in der königl. franz. Armee noch üblich.)
Die Aufgaben des Rates der Mannszucht waren recht eindeutig:
- über Verlängerung von verhängten Strafen sollte verhandelt werden
- Klagen von Untergeordnete gegen Vorgesetzte wurden angenommen (übrigens schriftl. vom Kläger einzureichen oder wenn dieser nicht schreiben konnte, in Gegenwart von 2 Zeugen vom ihm mit einem Kreuz zu unterschreiben) *3)
Generell galt zu den Strafen der Mannszucht, dass diese von jedem Vorgesetzten gegen den Untergeordneten verhängbar waren.
"Ein jeder höhere Grad darf den unter ihm stehenden abstrafen."
*4)
Allerdings waren diejenigen, welche Strafen verhingen ihren Übergeordneten Rechenschaft schuldig. *5)
Die Regel scheinen Arreststrafen und dergleichen in Garnison gewesen zu sein.
Schwerere Strafen wie geschärfter Arrest und Gefängnis durfte nur der Oberst verhängen. *6)
Die Strafen richteten sich vor allem gegen geringe Delikte wie Murren etc..
Für die Verbrechen gab es die ordentlichen
Kriegsgerichte, welche ebenfalls sehr detailiert beschrieben sind und per Gesetz festgelegt waren, wobei offenbar auch Abwandlungen vorgenommen wurden.
"Die beständigen Kriegsgerichte wurden durch das Gesetz vom 13ten Brümär, welches durch das Gesetz vom 4ten Fruktidor 5 einige Abänderungen erlitten hat, eingeführt. Sie bestehen: aus einem Obristen, als Präsidenten; einem Oberoffizier, zweyen Hauptleuten, einem Lieutenant, einem Unterlieutenant, einem Unteroffizier; einem Hauptmann als Berichterstatter, der sich seinen Sekretär selbst wählt; und einem Hauptmann, der die Stelle des königlichen Prokurators versieht."
*7)
(Anmerkung: königl. Prokurator, weil es hier ja um die königl. westph. Armee in der Ausgabe der aber eigentl. offensichtlich franz. Gesetze geht.)
Es gab pro Division noch ein zweites Gericht, welches die Urteile neu verhandelte, welche von einem Revisionsgericht für ungültig erklärt wurden.
Das Revisionsgericht bestand aus: 1 General als Präsident, 1 Oberst, 1 "Bataillons=Chef", 2 Hauptleuten, 1 Sekretär (vom Präsidenten gewählt); das Gericht bestimmte noch einen Berichterstatter.*8)
Es gab noch für bestimmte Delikte diverse unterschiedliche Tribunale und Gerichte. Eines will ich, weil vielleicht hier doch wegen des gewissen Handlungsspielraums des obersten Vorgesetzten interessant anführen. Das Gesetz vom 26. Vendemiare Jahr 6 der Republik besagte:
"In jedem berennten oder belagerten Kriegsplatze sollen die Kriegs- und Revisions=Gerichte gebildet werden, deren Mitglieder vom obersten Commandanten des Platzes ernannt und aus den Offizieren und Unteroffizieren der Garnison genommen werden sollen."
*9)
Nach der extremen Situation waren solche Sondergerichte aber sogleich aufzulösen und dem Kriegsministerium Rapport über die Vorgehensweise zu erstatten.
Zur Verteidigung:
"Derjenige, der die Klage vorbringt, so wie auch derjenige, gegen welchen sie gerichtet ist, sollen im Rathe der Manneszucht angehört werden, und beyde können, wenn sie wollen, sich einen Verteidiger wählen, der vom Regimente seyn muß, um ihre Gründe auseinander zu setzen."
*10)
Da in dem "Handbuch für Unteroffiziere" keine Abwandlung dazu drin steht, müsste das mit der Verteidigung wohl auch noch 1810 in Kraft gewesen sein. Eine Frage wäre, ob dies nur für die Vergehen gegen die Mannszucht galt, die vor den "Rat der Mannszucht" kamen oder auch für andere Delikte wie Verbrechen.
Das "Reglement für den Dienst in Garnison" ist leider nicht datiert, von der Vignette am Anfang her, würde ich es aber in die Zeit des Empire datieren, was die Auflage anbelangt. (Man erkennt einen Kaiseradler und ein Faschinenbündel samt einem Orden, der nach dem der Ehrenlegion ausschaut.) Dass manche veraltete Vorschriften, v.a. was die Frisur etc. anbelangt (Zopf usw.), noch enthalten sind, scheint nicht so wichtig gewesen zu sein.
*1): "Handbuch für Unteroffiziere und Corporäle der Infanterie
oder
Inbegriff aller Vorschriften und Gebräuche deren Kenntniß ihnen unentbehrlich ist" "Herausgegeben mit Gutheißen S.E. des Kriegs=Ministers zum Gebrauche der Westphälischen Armee" Straßburg, F.G. Levrault, 1810
S. 59-60
*2): "Reglement für den Dienst in Garnison, für die Polizey und Mannszucht der Infanterie" vom 24. Juni 1792, Straßburg, bei Levrault
S. 62
*3) ebenda: S.64
*4) ebenda: S. 54
*5) ebenda: S. 56
*6) ebenda: S. 61
*7) "Handbuch für Unteroffiziere und Corporäle der Infanterie
oder
Inbegriff aller Vorschriften und Gebräuche deren Kenntniß ihnen unentbehrlich ist" "Herausgegeben mit Gutheißen S.E. des Kriegs=Ministers zum Gebrauche der Westphälischen Armee" Straßburg, F.G. Levrault, 1810
S. 60
*8) S. 60-61
*9) S. 61
*10) "Reglement für den Dienst in Garnison, für die Polizey und Mannszucht der Infanterie" vom 24. Juni 1792, Straßburg, bei Levrault
S. 65