Zweiverband Frankreich-Rußland

Was die Diskussion doch zeigt, ist das unglaublich komplizierte, fragile und volatile Geflecht von Interessen und Machtfaktoren.

Jeder "Zug" ist vielfach interpretierbar, und hat auch ohne Interpretation Auswirkungen auf mehreren "Bühnen".

Hinzu kamen dann noch die Wechselwirkungen zwischen Europa und der (kolonialen) Peripherie.


100% Zustimmung. :winke:
 
Es wäre dann interessant, sich einmal die Wechselwirkungen des französischen und russischen Imperialismus in der kolonialen Peripherie anzuschauen:

- Great Game: Persien, Indien, Vietnam und China: Unterstützung Frankreichs für Russland

- Syrien, Libanon, Ägypten (Osmanisches Reich, Balkan): Hilfestellungen Russlands für Frankreich

- Finanzen Russlands: französische Kapital- und Sachinvestitionen
 
Das wäre sicher spannend. Ein Geyer oder Altrichter zieren zwar meine Sammlung, aber ich habe diese, leider, noch nicht durchgelesen.

Jakobs sein Werk ist mir, bisher, noch nicht gelungen bei ZVAB und CO. zu erwerben.
 
Es wäre dann interessant, sich einmal die Wechselwirkungen des französischen und russischen Imperialismus in der kolonialen Peripherie anzuschauen:

Wichtig für die Ausübung kolonialer Interessen war der maritime Stand der jeweiligen Nation. Frankreich konnte vor allem im damaligen modernen Panzerschiffbau sehr gute Erfahrungswerte vorweisen, die ab den 1890iger Jahren auch die russischen Schiffbauer sehr beeinflußten. So werden z.B. Geschütztürme französischer Konstruktion verbaut bist hin zu ganzen Schiffen, wie das Linienschiff Tsessarevitsch, daß auf der Werft La Seyne 1899 erbaut wurde.
Allgemein kaufte sich die russiche Marine immerwieder bei anderen Ländern ein, doch in der Zeit von Mitte der 1890iger bis zum russisch-japanischen Krieg 1904/05 war die russische Marine sehr stark von der französischen beeinflußt.
Frankreich tat auch gut daran, sich die neuen maritimen Bestrebungen Russlands zu nutze zu machen, denn wie sonst sollte der französische Navalismus mit den englischen mithalten, nach der englischen Aufrüstung im Naval Defence Act 1889 und dem Spencerprogramm 1893.
Und der Slogan: Seemacht bedeutet Weltmacht, war zum damaligen Zeitpunkt sehr populär bzw. stand in direkter Wechselwirkung mit erfolgreichen kolonialen Bestrebungen.
 
Wichtig für die Ausübung kolonialer Interessen war der maritime Stand der jeweiligen Nation.

Gerade die russische Expansion vom Balkan - Kaukasus - afghanische Grenze - China spielte sich allerdings zu Lande ab.

Das war auch der Grund für die britischen Bedenken (so in den Grundsatzpapieren der Royal Navy vor 1900), dem im Kriegsfall nicht wirksam entgegentreten zu können. Ebenso wenig sah man eine russische Blockadeempfindlichkeit bei einer massiven Bedrohung Indiens. Die russische Schwächephase ab 1905 nutzte man dann umgehend zum "Interessenausgleich" 1907.
 
Gerade die russische Expansion vom Balkan - Kaukasus - afghanische Grenze - China spielte sich allerdings zu Lande ab.

Das war auch der Grund für die britischen Bedenken (so in den Grundsatzpapieren der Royal Navy vor 1900), dem im Kriegsfall nicht wirksam entgegentreten zu können. Ebenso wenig sah man eine russische Blockadeempfindlichkeit bei einer massiven Bedrohung Indiens. Die russische Schwächephase ab 1905 nutzte man dann umgehend zum "Interessenausgleich" 1907.

Der russisch-japanische Krieg zeigt aber genau die Problematik auf, ohne eine Seeüberlegenheit, den jeweilgen Interessen militärisch fern ab vom Heimatland nachdruck zuverleihen. Sicherlich waren die Gebiete, an denen die Konflikte entzünden hätten können, weit ab vom Meer. Doch gilt zu bedenken, daß der Seeweg auch führ die russische Armee ins entfernte Indien z.B. doch sicherlich schneller zu erreichen, wie über Land. Eisenbahnstrecken waren wohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht so stark ausgebaut. Also ich denke, der Seestrategische Aspekt wird hier zu unrecht außer acht gelassen.
Sicherlich nahmen wohl die Engländer die Problematik anders war und wurden dann 1905 eines besseren belehrt, wie auch andere Großmächte den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Navalismus klar erkannten.
 
Vermutlich ist dabei das Bild des Imperialismus in Afrika und im Pazifik prägend, für die Expansion/den Imperialismus der Landmacht Russland vom Balkan über den Kaukasus, Nordpersien, die afghanische Grenze und China/Mandschurei bietet der Navalismus keine Erklärungsplattform.

Eine Flotte war zwar eine Machtdemonstration, und eine starke Flotte eine stärkere Machtdemonstration. Für das Great Game zwischen Russland und England kommt man aber hier nicht weiter: im Gegenteil, gerade in diesem Konflikt zeigte sich die Grenze des Navalismus, in der Hilflosigkeit der Seemacht England, mit dieser Seemacht ein wirksames "Erpressungspotenzial" bei Landkonflikten gegen Russland zu finden.

Siehe die diversen Untersuchungen zu "East of Suez", zur Nordwestgrenze Indiens, zum "Indian Scare", zur Isolation Englands im Machtpoker um China, usw. Auch gab es nie irgendwelche russischen Überlegungen im Flottenbau, die auf den Seeweg nach Indien zielten. Das lag außerhalb der Vorstellungskraft.
 
Vermutlich ist dabei das Bild des Imperialismus in Afrika und im Pazifik prägend, für die Expansion/den Imperialismus der Landmacht Russland vom Balkan über den Kaukasus, Nordpersien, die afghanische Grenze und China/Mandschurei bietet der Navalismus keine Erklärungsplattform.

Eine Flotte war zwar eine Machtdemonstration, und eine starke Flotte eine stärkere Machtdemonstration. Für das Great Game zwischen Russland und England kommt man aber hier nicht weiter: im Gegenteil, gerade in diesem Konflikt zeigte sich die Grenze des Navalismus, in der Hilflosigkeit der Seemacht England, mit dieser Seemacht ein wirksames "Erpressungspotenzial" bei Landkonflikten gegen Russland zu finden.

Das ist überzeugend. Die Problematik der Interessenskonflikte zwischen Russland und England lagen zum Leidwesen der Royal Navy nicht auf dem Wasser bzw. am Wasser.

Dennoch brachte Russland die Unfähigkeit, sein Reich und die Gebiete mit Interessenskonflikten rundum zu sichern, auf dem Meer zu fall.
 
Dennoch brachte Russland die Unfähigkeit, sein Reich und die Gebiete mit Interessenskonflikten rundum zu sichern, auf dem Meer zu fall.

Tsushima hattest Du schon richtigerweise angesprochen. Das Desaster gegen die bis dato als nachrangig wahrgenommene Seemacht Japan hat auch innenpolitische Folgen gehabt. Man darf darüber aber nicht die Pleite auch der Landstreitkräfte Russlands übersehen. Wo lagen hier die Gründe? Unter anderem in der Fesselung russischer Kräfte an der Westgrenze des Reiches. Es gibt mehrere Gründe für den Ausgang des Krieges, nicht nur Tsushima.

1904/05 ist damit auch ein (auf diesen Zeitraum bezogenes) Ergebnis strategischer Überdehnung. Die damit offensichtlich notwendig gewordene Atempause hat Russland veranlasst, in die Interessenregelung mit Grossbritannien 1907 einzuschlagen (und auch ein Arrangement mit Japan zu suchen, 1910, mit dem man auch die Open-Door-Policy in China gemeinsam verließ). 1913/14 sah das gegenüber Grossbritannien schon wieder anders aus.
 
Gerade die russische Expansion vom Balkan - Kaukasus - afghanische Grenze - China spielte sich allerdings zu Lande ab.

Das war auch der Grund für die britischen Bedenken (so in den Grundsatzpapieren der Royal Navy vor 1900), dem im Kriegsfall nicht wirksam entgegentreten zu können. Ebenso wenig sah man eine russische Blockadeempfindlichkeit bei einer massiven Bedrohung Indiens. Die russische Schwächephase ab 1905 nutzte man dann umgehend zum "Interessenausgleich" 1907.

Lord Curzon befürchtete ja sogar für den Fall einer Niederlage des Zarenreichs gegen Japan, das die Russen schon aus Prestigegründen gegen Afghanistan und Persien losschlagen könnten und Indien sei damit erhöhter Gefahr ausgesetzt. Schon seit dem Burgenkrieg war Curzon in Sorge, denn es kursierte zu jener Zeit in Persien ein Papier, das den Bau eine Eisenbahnlinie zwischen Teheran und Bender Abbas verlangte. Mit deren Hilfe war Persien dann unter russischer Kontrolle zu bringen.

Als im April 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien die Entente Cordiale unterzeichnet wurde, waren sich die Partner auch darüber einig, da ein vergleichbares Abkommen auch zwischen Russland und Großbritannien wünschenswert wäre. Frankreich kam hierbei die Rolle des Briefträgers und Mittlers zu. Auch die Russen begrüßten das Abkommen. Gleichzeitig liefen aber auch Gespräche zwischen Briten und Japanern, denn seit Frühjahr 1904 waren Lansdowne und den japanischen Gesandten Hayashi. London fuhr mehrgleisig. Die Japaner hingegen gingen davon aus, dass das Deutsche Reich den Abmachungen zwischen Japan und Großbritannien beitreten würde.

Auch für den Fernen Osten war das eine explosive Gemengelage.
 
[...]
Was mich ansonsten erstaunt, ist diese rege Besuchtätigkeit der russ.-frz. Flotten untereinander 1892/94, während das Abkommen nur eine Landkomponente aufwies (keine Marinekomponente, die erst 1912 nachgearbeitet wurde). Oder wollten hier die Marinen mehr als in den Absprachen geregelt wurde? [...]
Ich würde das für die wahrscheinlichste Erklärung halten. Zunächst einmal muss man sehen, dass Großbrittanien und Frankreich keinen formellen Bündnisvertrag hatten. Trotzdem haben sich britische und französische Militärs regelmäßig getroffen, um für einen etwaigen Kriegsfall mit Deutschland zu planen. Diese Planungen gingen dabei sehr weit (Zusicherung einer britischen Expeditionsarmee), ohne dass dies die Rückendeckung des britischen Parlaments gehabt hätte. Tatsächlich warennoch nichtmal alle Minister des britischen Kabinetts eingeweiht. Eine weitere interessante Parallele ist das informelle Flottenabkommen zwischen FR und GB über die Aufteilung des Schutzes des Mittelmeers und der französischen Kanalküste von 1912. In den Besprechungen kurz vor Kriegsausbruch spielte die - wenn auch nicht gesetzlich vorgegebene - so doch moralische Verpflichtung GBs FR mit der Flotte zu unterstützen eine wesentliche Rolle. Dabei wurde schließlich auch das Problem angesprochen, dass eine rein auf die Flotte beschränkte Unterstützung gar nicht möglich sei und GB damit auch irgendwann zu Lande würde in den Krieg eintreten müssen.

Um das auf die russisch-französische Situation zu übertragen: Ich halte es für denkbar, dass zwar der Vertrag nur zu eine Unterstützung zu Lande verpflichtete, aber ebenso wie im Falle GB/FR man bereits die Notwendigkeit sah, dass diese Unterstützung zu Lande unweigerlich auch die zu Wasser würde nach sich ziehen müssen. Dass dafür dann bereits geplant wurde, ist nur nachvollziehbar und hatte den Nebeneffekt, dass die Marine damit auch Tatsachen schuf, die unabhängig von dem Vertrag Bestand haben würden.

Grüße,
G.
 
Ich sehe das ja ähnlich, aber 1912 ist wohl nicht mit 1892/94 vergleichbar, und hatte einen ganz konkreten Anlass, und insbesondere bzgl. Großbritannien einen ganz anderen Stellenwert.


Möglicherweise waren diese Flottenkontakte Anfang der 1890er auch eine Demonstration in Richtung Großbritannien. Die mir bekannten Quellen bzw. Literatur ergeben dazu leider wenig.
 
Ich sehe das ja ähnlich, aber 1912 ist wohl nicht mit 1892/94 vergleichbar, und hatte einen ganz konkreten Anlass, und insbesondere bzgl. Großbritannien einen ganz anderen Stellenwert.

Möglicherweise waren diese Flottenkontakte Anfang der 1890er auch eine Demonstration in Richtung Großbritannien. Die mir bekannten Quellen bzw. Literatur ergeben dazu leider wenig.
Das ist natürlich richtig. Die Situation war eine andere. Ich wollte das auch gar nicht so direkt vergleichen. Ich sehe nur, dass die Kooperation der Militärs beider Staaten (FR/GB) auch ohne irgendein formelles Bündnis, was diese gerechtfertigt hätte (es gab ja auch genau deswegen später Probleme für Grey im Kabinett), konsequent Bestand hatte - und auf der Landseite ja auch schon sehr viel früher als 1912, wenn auch nicht schon 1892/94.

Eine Demonstration gegenüber GB ist durchaus denkbar, eventuell aber auch gegenüber DR/Ö-U - derartige Flottenmanöver hatten ja eine gewisse Öffentlichkeitswirkung wie Köbis17 schon schrieb, bedingt vor allem durch Alfred Thayer Mahans 1890 veröffentlichten Werk The Influence of Sea Power upon History, das weltweite Beachtung fand.
 
Das ist natürlich richtig. Die Situation war eine andere. Ich wollte das auch gar nicht so direkt vergleichen. Ich sehe nur, dass die Kooperation der Militärs beider Staaten (FR/GB) auch ohne irgendein formelles Bündnis, was diese gerechtfertigt hätte (es gab ja auch genau deswegen später Probleme für Grey im Kabinett), konsequent Bestand hatte - und auf der Landseite ja auch schon sehr viel früher als 1912, wenn auch nicht schon 1892/94..

Ich würde von Motivation und nicht von Rechtfertigung sprechen, da Großbritannien (bzw. die Politik) die realisierte Form der Absprache sehr flexibel gehalten hat. Greg Kennedys Werk zur "Imperial Defence", dort der Aufsatz von Otte zum Foreign Office bringt auf den Punkt, dass es einen politischen Konsens in Großbritannien gab, die Verteidigung des Empire nicht mehr "unilateral" leisten zu können. Der trat nach 1900 offen zu Tage, in Folge verschobener Mächtestrukturen und Vermehrung der "global player" zB durch Deutschland, USA, Japan. Herausgebildet hat sich das jedoch schon früher, mindestens seit dem Great Game und der Einsicht, allein einer großen Landmacht nicht mehr entgegentreten zu können.

Theoretisch blieb Frankreich jedoch ein möglicher Konkurrent, vor allem im "scramble for Africa", möglicherweise auch eine potenzielle Bedrohung im Mittelmeer bei einer enger werdenden Bindung zu Russland. Logischerweise hielt man sich daher in gewisser Weise die Optionen offen, und hielt die kurzfristigen militärischen Absprachen wachsweich. Bis 1914 achtete jede britische Regierung darauf, Frankreich deutlich verstehen zu geben, dass es keinen Automatismus im Beistand bei einem Konflikt mit dem Deutschen Reich geben würde. In dieses Bild hätte eine engere, offene militärische Absprache nicht gepasst.

P.S. an ein maritimes Signal ggü. ÖU glaube ich nicht, da das weder für Russland noch für Frankreich militärisch Sinn ergeben hätte. Das "maritime Signal" kann mE nur an die Seemacht Großbritannien und ihre Lebensader Gibaltar-Suez auf der Indien-Route geacht gewesen sein.
 
[...]
Nochmal zur Vorgeschichte: Rußland hatte nach 1873 mit dem Dreikaiserabkommen eine Bündnisbindung an das Deutsche Reich, ab dem Dreikaiserbund 1881 und dem Rückversicherungsvertrag 1887 eine Quasi-Neutralitätsvereinbarung. Das Bündnis war ein kurzzeitiges Intermezzo, und wurde gefolgt vom Rückzug auf Raten infolge der real existierenden Interessengegensätze zum Block DR/Ö-U. Richtig sind die Kräftespannungen, ich hatte dazu bereits auf die Umstellung der russischen Militärplanung 1889/90 in der Kräfteverteilung gegenüber DR und Ö-U hingewiesen.

Die Situation Rußland ab den 80er Jahren und Mitte der 90er erforderte, eine Einkreisung im Westen durch DR/ÖU, im Süden durch Großbritannien und in Fernost durch GB und das aufstrebende Japan zu verhindern.

Auch hier ist ein wesentlicher Faktor noch nicht angesprochen: Frankreich war der einzige potentielle Bündnispartner für die russische "Weltpolitik" also ein globaler Partner. Das konnte zuvor und bis 1894 weder das DR noch Ö-U bieten. Es wäre also zu beachten, dass der Zweiverband eine anti-britische Komponente aufweist. Deren Bedeutung ist noch abzuschätzen.
[...]
Ich habe mich nochmal etwas intensiver mit ein paar Aufsätzen zu dem Themenkreis befasst, die ich in meinem Archiv gefunden habe.


Zunächst einmal hat sich der Zweiverband doch recht schrittweise entwickelt. 1891 die erste politische Vereinbarung mit noch sehr vagem militärischen Gehalt. Dann 1893/94 ein konkreteres militärisches Abkommen. 1899 kommt dann eine weitere Vertiefung, die ab 1905 kontinuierlich fortentwickelt wurde.

In den Aufsätzen wird ehrfach herausgearbeitet, dass Russland zunächst gar kein Interesse an einem Bündnis mit Frankreich hatte, solange die Aussicht auf ein Neutralitätsabkommen mit Deutschland – wie es der Rückversicherungsvertrag darstellte – bestand. Nach dieser Ansicht war es von größerer Bedeutung für Russland, den Rücken frei zu haben, um die Dardanellen zu besetzen, als ein Defensivbündnis zum Schutze vor Deutschland. Die russischen Entscheidungsträger waren wohl – nicht ganz zu Unrecht – der Ansicht, dass Frankreich im Kriegsfalle mit Deutschland so oder so zur Hilfe kommen werde. Auf der anderen Seite stellte die Mittelmeer-Entente eine erhebliche Störung russischer strategischer Bestrebungen dar und eine deutsche Neutralität im Konfliktfalle war insofern viel wert. Die Möglichkeit der Finanzierung über Frankreich war ja trotz Rückversicherungsvertrag gegeben gewesen, also nichts besonderes was Russland gewinnen konnte. Die Situation gestaltete sich erst anders, als Alexander III. – trotz der sich bereits zuvor generell verschlechterten Beziehungen zwischen beiden Ländern (Du erwähntest schon den „Handelskrieg“) – versuchte, zu einer Erneuerung des Rückversicherungsvertrages zu kommen, was vom Kaiser aber abgelehnt wurde. Dazu kam eine recht offene Annäherung Deutschlands an England (Helgoland-Sansibar-Vertrag, entsprechende Pressemeldungen von der Aufgabe der britischen Isolation). Damit stand quasi fest, dass Deutschland sich der Mittelmeer-Entente zuneigen würde und damit war auch für Russland ein Punkt gekommen, wo eine generelle Unterstützung durch Frankreich nützlich erschien, zumal Deutschland sich auch Frankreich anzunähern drohte, was zu einer kompletten Isolation Russlands geführt hätte. Auf der anderen Seite bemühte sich Frankreich um ein Bündnis und versuchte aktiv, Italien aus der Mittelmeer-Entente herauszulösen, was natürlich einen positiven Eindruck bei Russland hinterließ. Dazu kam noch der wachsende Einfluss deutschfeindlicher Gruppierungen in Russland.

Wie meist hat der Zweiverband also mehr als eine Ursache, sondern mehrere sich zum Teil gegenseitig begünstigende Strömungen führten schließlich zu dem Abschluss dieses Bündnisses:

Auf französischer Seite:

  • Unterstützung gegen Deutschland
  • aber auch Unterstützung gegen GB*

Auf russischer Seite:

  • fehlendes Vertrauen in Deutschland nach Auslaufen des Rückversicherungsvertrages insbesondere mit Blick auf die ungelöste Dardanellen-Frage
  • damit drohende Isolation (durch wahrgenommene Annäherung D an F und GB und die bereits bestehende Mittelmeer-Entente, die mit I und Ö-U auch Einfluss auf dem Balkan ausübten)
  • finanziell auf den französischen Kapitalmarkt angewiesen
  • Zuwachs der panslawistischen und deutschfeindlichen Gruppierungen

*Das Frankreich in Russland auch ein probates Mittel sah, um GB zu bedrohen, zeigt sich in dem Druck, den Frankreich auf Russland zum Bau strategischer Eisenbahnen ausübte. Interessanterweise war es nicht eine Bahn an die russische Westgrenze zu Deutschland, die Russland zuerst bauen sollte, sondern nach Afghanistan. Frankreich bemühte sich gegen erhebliche russische Widerstände – namentlich von Seiten Wittes – diese durchzusetzen, was 1900 dann auch gelang. Witte hatte nicht viel davon gehalten, weil es ihm um die wirtschaftliche Entwicklung Russlands ging, die seiner Ansicht von dieser rein strategischen Bahnlinie aber nichts profitieren konnte, s. hierzu Collins, The Franco-Russian Alliance and Russian Railways, 1891-1914, in: The Historical Journal, Bd. 16, Nr. 4 (Dez., 1973), S. 777 ff., konkret S. 779 ff.


Die Alternative zum Zweiverband war 1905 der "Dreiverband" Frankreich-Russland-Deutschland. Das wurde den Russen ja 1905 von den Deutschen angeboten.

Das Argument - Frankreich als einziger globaler Partner - finde ich nach 1905 nicht mehr überzeugend. Gerade 1905 hat sich Frankreich als globaler Partner völlig nutzlos erwiesen im Gegesatz zu Deutschland, das im Krieg gegen Japan unterstützt hat. Wenn man von seinem Feind mehr Unterstützung erhält als von seinem engsten Verbündeten, wäre das normalerweise ein Anlaß, die Bündnisplanung zu überdenken.
Der Aufsatz von Spring, Russia and the Franco-Russian Alliance, 1905-14: Dependence or Interdependence?, in: The Slavonic and East European Review, Bd. 66, Nr. 4 (Okt., 1988), S. 564 ff. sieht allerdings mit beachtlichen Argumenten eine klare Abhängigkeit Russlands vom französischen Kapitalmarkt. Das war eine Bresche, in die Deutschland angesichts der sich stetig verschlechternden Finanzlage des Reiches nicht springen konnte und zum Teil auch nicht wollte. Russland war aber nach der Niederlage gegen Japan und konfrontiert mit einer Revolution mehr denn je auf intensive Finanzhilfe angewiesen. Man kann es Russlands Politikern also kaum verübeln, wenn sie den Bestand des Vertrags von Björkö von der Billigung ihres Geldgebers abhängig gemacht haben. Und dass Frankreich kein Interesse mehr daran haben konnte, angesichts der nunmehr bestehenden Verständigung mit Groß-Britannien, dürfte auch verständlich sein.

Darüber hinaus hat Frankreich den Krieg gegen Japan mehr oder weniger finanziert. Zu einem militärischen Eingreifen war Frankreich auch gar nicht verpflichtet, solange sich GB aus dem Konflikt raus hielt. Insofern war das Bündnis mit Frankreich aber schon von Bedeutung, weil Russland zumindest sicher sein konnte, dass Frankreich es militärisch unterstützen würde im Falle eines Kriegseintritts GBs.

In jedem Fall waren nach 1905 Russlands Möglichkeiten in der Außenpolitik stark eingeschränkt. Die Abhängigkeit vom französischen Kapitalmarkt führten dann auch zu einer von Frankreich in vielerlei Hinsicht dominierten russischen Politik.

Ich würde von Motivation und nicht von Rechtfertigung sprechen, da Großbritannien (bzw. die Politik) die realisierte Form der Absprache sehr flexibel gehalten hat. Greg Kennedys Werk zur "Imperial Defence", dort der Aufsatz von Otte zum Foreign Office bringt auf den Punkt, dass es einen politischen Konsens in Großbritannien gab, die Verteidigung des Empire nicht mehr "unilateral" leisten zu können. Der trat nach 1900 offen zu Tage, in Folge verschobener Mächtestrukturen und Vermehrung der "global player" zB durch Deutschland, USA, Japan. Herausgebildet hat sich das jedoch schon früher, mindestens seit dem Great Game und der Einsicht, allein einer großen Landmacht nicht mehr entgegentreten zu können.
Da stimme ich völlig zu.

Theoretisch blieb Frankreich jedoch ein möglicher Konkurrent, vor allem im "scramble for Africa", möglicherweise auch eine potenzielle Bedrohung im Mittelmeer bei einer enger werdenden Bindung zu Russland. Logischerweise hielt man sich daher in gewisser Weise die Optionen offen, und hielt die kurzfristigen militärischen Absprachen wachsweich. Bis 1914 achtete jede britische Regierung darauf, Frankreich deutlich verstehen zu geben, dass es keinen Automatismus im Beistand bei einem Konflikt mit dem Deutschen Reich geben würde. In dieses Bild hätte eine engere, offene militärische Absprache nicht gepasst.
Ich denke eher, dass verbindliche (im Sinne von völkerrechtlichem Vertrag) militärische Abkommen, der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Kräfte als primärer Zielsetzung der britischen Außenpolitik nach Greys Verständnis widersprochen hätten. Und damit stand für Grey jedes offizielle Bündnis außer Frage. Die französische Konkurrenz in Afrika war ja mit der entente cordiale beigelegt. Ein offizielles Bündnis mit Frankreich hätte die Konkurrenzsituation eher eliminiert als sie zu einem Problem zu machen. Im Foreign Office war ja auch die große Mehrheit der Mitarbeiter für ein klares und eindeutiges Bündnis mit Frankreich, manche hätten sogar Russland gerne eingeschlossen. Das war natürlich zum Teil der Flottenrüstung des Deutschen Reiches geschuldet. Aber Grey hatte sich dagegen stets gewehrt. Zum Teil natürlich, weil eine solche offizielle Festlegung, die ja auch eine Verantwortung auf dem Kontinent bedeutet hätte, wohl den Kabinettskollegen, der Partei und auch der Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar gewesen wäre. Auch wenn der politische Konsens unter bestimmten Eliten da war, das Reich nicht mehr alleine verteidigen zu können, scheint es mir doch so, dass die breitere politische Öffentlichkeit immer noch der Politik der freien Hand, der Gleichgewichtspolitik aus eigener imperialer Stärke anhing. Und Grey versuchte eben diese beiden divergierenden Ansätze über informelle Absprachen zwischen den Militärs und „harten“ Abkommen über die Peripherie zu erreichen. Dabei war ja auch Grey überzeugt – und das bewahrheitete sich später – dass diese Abkommen auch schon eine bindende Wirkung entfalten würden. Insbesondere die Mittelmeer-Absprache wurde im Juli 1914 vom Kabinett als bindend angesehen, obwohl es insofern an einem völkerrechtlichen Vertrag fehlte. Wobei das eh Stoff für ein anderes Thema wäre.

P.S. an ein maritimes Signal ggü. ÖU glaube ich nicht, da das weder für Russland noch für Frankreich militärisch Sinn ergeben hätte. Das "maritime Signal" kann mE nur an die Seemacht Großbritannien und ihre Lebensader Gibaltar-Suez auf der Indien-Route geacht gewesen sein.
Ö-U war aber Teil der Mittelmeer-Entente, auch wenn seine Flotte sicher nicht zu den wesentlichen Faktoren gehörte. Insofern muss das Signal auch nicht in erster Linie „maritim“ gewesen sein, sonder ein allgemeines politisches. Und das war meines Erachtens – gerade von französischer Seite aus – sehr wohl auch gegen den Zweibund (D/Ö-U) gerichtet. Und für Russland ist eine ähnliche Spitze gerade mit Blick auf die Dardanellen denkbar.

Tatsächlich würde ich nach Durchsicht meiner Artikel auch so die Flottenbesuche 1891 und 1893 deuten wollen, nämlich als allgemeines politisches Signal sowohl an den Verhandlungspartner (wir wollen die Allianz) als auch an die Weltöffentlichkeit, insbesondere die potentiellen Gegner (GB, D, Ö-U, I) und weniger als militärisches Wollen der Marineverantwortlichen, wie ich zuerst noch meinte. Der genaue Ablauf der Flottenbesuche war mir auch nicht mehr wirklich präsent.

Flottenbesuche waren ja damals wohl als diplomatische Freundschaftsgeste nicht unüblich. Und die französische Flotte besuchte Kronstadt noch vor Abschluss des Abkommens. Wenn überhaupt war das also ein Symbol zukünftiger Zusammenarbeit zwischen Russland und Frankreich. Das zeitigte als solche natürlich eine Wirkung nach außen. GB hatte ja entsprechend verstimmt reagiert (Deutschland war auch aufgeschreckt worden) – und Frankreich schickte zur versöhnlichen Geste seine Flotte nach Portsmouth. Wenn dann 1893 die russische Flotte nach Toulon kommt, ist das mehr die Erwiderung eines Besuches – und auch das ging der Militärkonvention voraus. Insofern habe ich da den Flottenbesuchen sowieso zu viel Bedeutung beigemessen. Ich würde das jetzt eher einer diplomatischen Mode zuordnen.


Beste Grüße,
G.
 
Nochmal ergänzend: Bei dem Besuch der französischen Flotte in Kronstadt ist wohl mehr noch als dieser selbst, der Empfang, den die Russen den Franzosen dort bereitet hatten, von erheblicher Bedeutung. So habe der Zar dort barhäuptig "den ihm verhaßten Kampfgesang der französischen Revolution, die Marseillaise" angehört, Groepper, Bismarcks Sturz und die Preisgabe des Rückversicherungsvertrages, S. 519. Auch die Bevölkerung soll besonders gejubelt haben (ob freiwillig oder entsprechend angeleitet sei mal dahin gestellt). Jedenfalls ist dies schon ein eindeutiges diplomatisches Signal an die anderen Großmächte: Wenn ihr nicht mit uns wollt, dann gehen wir eben zusammen.

Wobei nach Groepper Giers bis noch 1893 versucht hat, die französisch-russische Entente zu verhindern und dabei wohl auch grundsätzlich auf die Haltung des Zaren vertrauen konnte. Grund dafür dürfte wohl die Tatsache gewesen sein, dass ein Neutralitätsabkommen mit Deutschland weniger bindend ist und letztlich im Fall der Fälle mehr Entscheidungsfreiraum lässt, als ein Defensivpakt auf Gedeih und Verderb. Ob sich aber - selbst bei einer Verlängerung des RV - Russland wirklich hätte diesen Entscheidungsfreiraum erhalten können, angesichts der Finanzmisere aus der wohl nur Frankreich ernsthaft helfen konnte oder wollte, ist fraglich.
 
Nochmal ergänzend: Bei dem Besuch der französischen Flotte in Kronstadt ist wohl mehr noch als dieser selbst, der Empfang, den die Russen den Franzosen dort bereitet hatten, von erheblicher Bedeutung. So habe der Zar dort barhäuptig "den ihm verhaßten Kampfgesang der französischen Revolution, die Marseillaise" angehört

So viel ich über dieses Ereignis weiß, hat Alexander III. aber die Marseillaise nicht ganz "ertragen", sondern die Darbietung vorher abbrechen laßen.
 
silesia schrieb:
Was mich ansonsten erstaunt, ist diese rege Besuchtätigkeit der russ.-frz. Flotten untereinander 1892/94, während das Abkommen nur eine Landkomponente aufwies (keine Marinekomponente, die erst 1912 nachgearbeitet wurde). Oder wollten hier die Marinen mehr als in den Absprachen geregelt wurde?

Interessant in diesen Kontext ist auch, das französisiche Kriegsschiffe (uneingeladen, unaufgefordert und unter Einsatz der vorsätzlichen Täuschung) im Sommer 1893 in Kopenhagen anlegten, während Alexander dort seine Schwiegereltern besuchte. Der Zar hatte dann auch tatsächlich die französischen Schiffe besucht und das mit senen Schwiegervater, den dänischen König. brüskiert. Alexanders Verhalten war wohl schlicht unhöflich.

Zur fehlenden Marinekomponente:

Das könnte doch auch ggf. daran liegen, das eigentlichen Obrutschew und Boisdeffre in der Hauptsache die Militärkonvention ausgehandelt haben, also zwei Herresoffiziere.


DerGreif schrieb:
Wobei nach Groepper Giers bis noch 1893 versucht hat, die französisch-russische Entente zu verhindern und dabei wohl auch grundsätzlich auf die Haltung des Zaren vertrauen konnte. Grund dafür dürfte wohl die Tatsache gewesen sein, dass ein Neutralitätsabkommen mit Deutschland weniger bindend ist und letztlich im Fall der Fälle mehr Entscheidungsfreiraum lässt, als ein Defensivpakt auf Gedeih und Verderb. Ob sich aber - selbst bei einer Verlängerung des RV - Russland wirklich hätte diesen Entscheidungsfreiraum erhalten können, angesichts der Finanzmisere aus der wohl nur Frankreich ernsthaft helfen konnte oder wollte, ist fraglich.

Giers wollte sicherlich nicht, das Russlands Handlungsfähigkeit dermaßen eingeschränkt wurde. Seiner Ansicht wäre wäre es sicher ausreichend gewesen, wenn man sich in einer konkreten Krisensituation zu konkreten Abmachungen in Gespräche eintrat. Die Konvention geht ja von einen angeblich unvermeindlichen Krieg in der Zukunft aus und schreibt den beiden Partner ja exakt vor, wenn nur einer der Dreibundmächte mobil macht. Siehe auch Juli 1914 die Mobilmachung Österreich-Ungarns gegen Serbien. Diese Konvention eröffnete theorethisch für Russland doch die Möglichkeit die Zündschnurr am Pulverfaß Balkan anzuzünden. Dabei waren es doch die Franzosen die diese Vereinbarung unbedingt wollten und fortlaufend gedrängt hatten.
 
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