'Missing Link'-Skelett könnte das Geheimnis der Ersten Amerikaner lösen
von Charles Q. Choi, 15. Mai 2014
Das uralte Skelett eines Mädchens im Teenageralter aus einer Unterwasserhöhle in Mexiko könnte das fehlende Glied darstellen, daß das lange bestehende Geheimnis der Identität der Ersten Amerikaner lösen kann, sagen Wissenschaftler.
Diese Funde, bei denen Wissenschaftler erstmals in der Lage waren, ein frühes amerikanisches Skelett mit moderner indigener DNA zu verbinden, legen nahe, daß die frühesten Amerikaner in der Tat nahe Verwandte der modernen indigenen Amerikaner sind, ergänzen die Wissenschaftler.
Das gefundene Skelett wurde „Naia“ genannt, nach den griechischen Wassergeistern, den Naiaden. Die Knochen sind die fast intakten Überreste eines kleinen, zierlich gebauten Mädchens im Teenageralter, das ungefähr 1,49 m groß und zum Zeitpunkt ihres Todes ca 15 oder 16 Jahre alt war, nach der Entwicklung ihrer Knochen und Zähne zu schließen.
Naia verdeutlicht, daß – trotz vorhandener Unterschiede bei Gesicht und Schädel zwischen den frühesten Amerikanern und modernen indigenen Amerikanern – diese tatsächlich signifikante Verwandtschaft aufweisen, die möglicherweise aus demselben Genpool stammen.
„Naia ist das Missing Link in einer Wissenslücke, die wir bezüglich der frühesten Amerikaner und der modernen indigenen Amerikaner hatten“, berichtete der Hauptautor der Studie James Chatters, Eigentümer der Firma Applied Paleoscience, einer archäologischen und paläontologischen Beratungsfirma aus Bothell, Washington. Chatters ist bekannt durch seine Arbeit am Kennewick Man, einem 1996 in Kennewick, Washinton gefundenen Skelett, dessen Ursprung debattiert wurde, da sich sein Schädel deutlich von denen moderner indigener Amerikaner unterschied.
Entdeckung der Höhle
Naia war in einer tiefen Höhle verborgen, die als Hoyo Negro bekannt ist. Diese Unterwasserkammer kann nur von Tauchern im Höhlensystem Sac Actun erreicht werden, einem Netz aus gefluteten Tunneln unter dem Dschungel der östlichen Yucatan-Halbinsel in Mexiko.
„Hoyo Negro ist über 30 Meter tief, glockenförmig, von der Größe einer Baskettballarena tief im Inneren eines gefluteten Höhlensystems“, sagte Chatters. „Nur Taucher können den Boden erreichen. Zunächst müssen sie eine 9m-Leiter hinabsteigen, dann einen 60 m langen Tunnel zum Rand der Grube entlangschwimmen, bevor es zum letzten, 30 m tiefen Absatz geht. [...]“
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Mit Wildtieren begraben
Naia wurde 2007 neben den Knochen von Wildtieren wie Säbelzahntiger, Coyoten, Pumas, Bären, Faultieren und Rotluchse. „Es ist eine Miniaturversion der Teergruben von La Brea, nur ohne Teer und mit einem besseren Erhaltungsgrad“, erläuterte Chatters. „Es ist eine Zeitkapsel von Klima und pflanzlichem, tierischem und menschlichem Leben am Ende der letzten Eiszeit“. [...]
Anhand der Radiokarbondatierung ihres Zahnschmelzes und indirekter Uran-Thorium-Datierung von kristallinen Ablagerungen in Naias Knochen schätzen die Forscher ihre Überreste auf ein Alter von 12.000 bis 13.000 Jahren. Dies wies darauf hin, daß sie eine lang anhaltene Kontroverse bezüglich der mysteriösen Verwandtschaft zwischen frühesten und modernen indigenen Amerikanern aufdecken könnte.
Genetisch ähneln moderne indigene Amerikaner den Sibirern. Dies legt nahe, daß moderne indigene Amerikaner die Nachkommen von Menschen sind, die vor 26.000 bis 18.000 Jahren nach Beringia einwanderten, auf die Landmasse, die einst Asien und Nordamerika verband und jetzt von der Beringstraße geteilt wird. Diese Menschen zogen dann irgendwann nach einem Zeitpunkt vor 17.000 Jahren weiter südwärts nach Nordamerika.
Wer waren die ersten Amerikaner?
Trotz weitgehender Unterstützung für die Sichtweise, daß die frühesten Amerikaner die Vorfahren der modernen indigenen Amerikaner sind, wurde die Abstammung der ersten Bewohner der Amerikas lange diskutiert, da Merkmale an Gesicht und Kopf bei den ältesten bekannten amerikanischen Skeletten denen heutiger indigener Amerikaner nicht sehr ähnlich sehen.
„Moderne indigene Amerikaner sind den Völkern in China, Korea und Japan sehr ähnlich, aber die ältesten amerikanischen Skelette sind dies nicht“, sagte Chatters. Die frühesten amerikanischen Skelette haben längere, schmalere Schädel als moderne indigene Amerikaner und kleinere, kürzere Gesichter.
Alles in allem ähneln die frühesten Amerikaner mehr den modernen Völkern in Afrika, Australien und dem Südpazifikraum. „Dies führte zu der Spekulation, daß die ersten Amerikaner und [heutige] indigene Amerikaner aus unterschiedlichen Gebieten stammten, oder zu verschiedenen Zeitpunkten in der Entwicklung aus Asien migriert waren“, erklärte Chatters.
Es war außerdem sehr schwierig, intakte Skelette der frühesten Amerikaner [zu finden und] auszugraben, die bei der Auflösung dieser Kontroverse hätten behilflich sein können.
Paläoamerikanische Skelette sind aus mehreren Gründen selten“, sagte Chatters. „Es gab nur wenige Menschen, sie lebten höchst nomadisch und scheinen ihre Toten dort begraben oder verbrannt zu haben, wo sie starben, so daß Begräbnisorte nicht vorherzusagen sind; außerdem wurden Gräber durch geologische Prozesse zerstört oder gelangten dadurch in tiefere Schichten.“
Bislang waren die von Forschern entdeckten Überreste der frühesten Amerikaner typischerweise nur Fragmente. Zusätzlich wurden die meisten auf weniger als 10.000 Jahre geschätzt – die frühesten Amerikaner kamen aber lange vorher an.
Die Untersuchung von Naias Schädel
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Naias Schädel wies die Merkmale auf, die man bei den frühesten Amerikanern erwarten würde. Um mehr über ihre möglichen Verbindungen zu den modernen indigenen Amerikanern herauszufinden, extrahierten die Forscher DNA aus ihrem oberen rechten Weisheitszahn. Sie konzentrierten sich auf Material aus ihren Mitochondrien […].
Diese DNA aus ihrem Backenzahn ergab, daß Naia genetische Mutationen besaß, die bei modernen indigenen Amerikanern üblich sind. Diese genetische Signatur ist nur in den Amerikas zu finden und entwickelte sich möglicherweise zuerst in Beringia, nachdem die Bevölkerungen dort sich von den Asiaten getrennt hatten.
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„Diese Ergebnisse sind sehr bedeutend“, sagte die Studienautorin Pilar Luna, Direktorin der Unterwasserarchäologie am mexikanischen Nationalinstitut für Anthropologie und Geschichte. „Sie werfen nicht nur ein Licht auf die Ursprünge der modernen Amerikaner, sie zeigen deutlich das paläontologische Potential der Yukatan-Halbinsel und die Wichtigkeit der Bewahrung des einziartigen mexikanischen Erbes“.
Die Unterschiede bei Gesicht und Kopf zwischen den frühesten und modernen indigenen Amerikanern gehen möglicherweise auf evolutionäre Veränderungen zurück, die während oder nach der Kolonisierung der Amerikas stattfanden.
„Die Veränderungen, die bei den nördlichsten indigenen Amerikanern ein asiatisches Aussehen bewirken, sind Adaptionen an kalte Umgebungen – zB ein flacheres Gesicht und eine niedrigere Nase bedeuten weniger hervorstehende Körperteile, die abfrieren könnten,“ sagte Chatters. „Danach waren evolutionäre Merkmale, die während der Expansion in die Amerikas vorteilhaft waren, nicht mehr notwendig, nachdem die Menschen sich niedergelassen hatten, daher konnten andere Merkmale dominieren.“ *
Die Forscher hoffen jetzt, das gesamte Genom von Naia sequenzieren zu können. „Die gegenwärtige Technologie läßt das zu, es wird aber immer noch eine große Aufgabe sein“, meinte Studienautor Brian Kemp, ein Molekularanthropologe an der Washington State University in Pullman.
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