Die bedingt Spanischen Niederlande

Shinigami

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Schönen Abend zusammen.

Ich lese grade George Edmundsons "History of Holland", ein relativ ausführliches Überblickswerk zur niederländischen Geschichte, seit der Herausbildung des burgundischen Länderkonglomerates im Spätmittelalter.

Dabei bin ich über eine mit der Geschichte des "achzigjährigen Krieges" verbundene Episode gestolpert, von der ich zuvor nichts wusste, die ich aber relativ interessant finde.

Dabei handelt es sich um den Umstand, das Philipp II. während seiner Regentschaft und nach dem Abfall der nördlichen niederländischen Provinzen und der ersten Etappe des Krieges wohl die südlichen Niderlande von der spanischen Krone trennte und sie der Infantin Isabella Clara Eugenia (Tochter Philipp II. v. Spanien) und ihrem Gatten Albrecht VII. v. Habsburg als eigenständiges von der spanischen Krone unabhängige Herrschaft übertrug, allerdings unter der Bedingung, dass falls das Paar kinderlos bleiben und sterben sollte, die Provinzen an die spanische Krone zurückfallen sollten.
Letzteres sollte am Ende eintreten, da aus der Ehe zwar 3 Kinder hervorgingen, diese aber alle vorzeitig verstarben.

Anscheinend verhielt es sich demnach so, dass von 1599-1633 die südlichen Niederlande (einschließlich der heute französichen Provinzen Cambrai und Artois, einschließlich auch Luxemburg) nicht mehr direkt mit der spanischen Krone verbunden waren und wohl eigenständig als "Herzogtum Burgund" firmierten.

Ich bin bisher nicht dazu gekommen mich dahingehend schlau zu machen, ob das auch die aus der ehemaligen Konkursmasse Burgunds inzwischen an Spanien gegangene "Franche Comté" betrifft.


Ich muss sagen, dass ich es doch recht bemerkenswert finde, dass ausgerechnet der für seinen Zentralismus berücksichtigte Philipp II. der mit diesem Politikstil ja massiv zur Krise der spanischen Macht in den Niederlanden beitrug, eine solche Teilung vornahm.

Ich gehe auf Grund des Umstands der Regentschaft von Isabella de Trastámara als Köngin von Kastillien und der zumindest theoretischen Herrschaft Juanas "der Wahnsinnigen" auch über die Länder der aragonesischen Krone mal davon aus, dass es in den "spanischen" Reichen auf der iberischen Halbinseln in dieser Form keine "Lex Salica" oder eine stringente Entsprechung gab, die eine weibliche Erbfolge in Kastilien und Aragon per se ausgeschlossen hätte (wie das allerdings mit Mailand, Neapel und Portugal war, weiß ich nicht), so dass eine "Wiedervereinigung" mit der spanischen Krone durch einen potentiellen Herrschaftsantritt Isabellas in Kastilien und Arragon nicht grundsätzlich ausgschlossen gewesen wäre.

Angesichts des Umstands allerdings, dass Philipp II. als er diese Teilung 1598 verfügte und die Heirat Isabellas und Albrechts auf den Weg brachte, mit dem späteren Philipp III. über einen männlichen Erben im erwachsenen und regierungsfähigen Alter verfügte, dürfte eine Nachfolge Isabellas in Kastillien und Aragon als eher unwarscheinlich gegolten haben, zumal Isabella 12 Jahre älter war als Philipp III. und es daher auch unwahhrscheinlich war, dass sie letzteren überleben würde.

Isabella selbst war 1566 geboren, als Philipp II. die Ehe mit Albrecht v. Habsburg arrangierte und die von Spanien unabhängige Regentschaft Isabellas und Albrechts in "Burgund" verfügte (1597/1598) an die 32 Jahre alt.
Nach frühneuzeitlichen Maßsstäben war sie damit sicherlich keine besonders Junge Frau mehr, aber durchaus auch noch nicht so alt, dass man es als ausgemachte Sache hätte betrachten können, dass diese Ehe kinderlos bleiben und "Burgund" damit wieder an die spanische Krone in Person Philipp III. oder seiner Nachfolger zurückfallen würde.


Im Buch und teilweise auf den mit diesem Thema verbundenen Wiki-Seite zu Isabella und Albrecht VII. wird angedeutet, dass es sich dabei um einen Schritt gehandelt haben könnte, um mehr oder weniger durch die Fiktion von Eigenständigkeit gehandelt habe mit dem Fernziel auf diesem Weg die abgefallenen Gebiete letztendlich für Spanien zurück zu gewinnen.

Diese Deutung erscheint mir aus zwei Gründen nicht plausibel:

Erstens war wegen Philipp III. eine Sukzession Isabellas in Kastilien und Arragon unwahrscheinlich und auf Grund ihres durchaus noch gebährfähigen Alters nicht ausgemacht, dass die Ehe kinderlos bliebe (blieb sie ja auch nicht, nur starben die Kinder vorzeitig) und es zu einem erneuten "Anfall" dieser Provinzen an die spanische Krone käme.
Zweitens war Philipp II. als er dies verfügte bereits ein von schwerer Krankheit gezeichneter alter Mann (er war über 70 Jahre alt) und sein Ende war absehbar. Das würde die Frage aufwerfen, wozu eine solche Fiktion nötig gewesen wäre, wenn das ausscheiden der aufreizenden Person Philipp II. aus dem politischen Spiel ohnehin kurzfristig absehbar war.

Auch wäre wohl, so lange Gefahr bestand, dass die inzwischen als "Republik der Vereinigten Niederlande" firmierenden abgefallenden Provinzen auf dem Weg eines Erbganges wieder an die spanische Krone fallen konnten eine solche Fiktion wohl kaum geeigneter gewesen, eine friedliche Wiedervereinigung der Niederländischen Provinzen unter Habsburgischen Szepter zu erreichen, als einfach eine konzilliantere Politik von Philipp II. Nachfolger in Kastilien und Aragon.


Deswegen mag ich an den "Masterplan" zur Rückgewinnung der Provinzen für Spanien auf diesem Weg nicht wirklich glauben und müsste demach davon ausgehen, dass Philipp II. jedenfalls prinzipiell bereit war diese Gebiete für die spanische Krone aufzugeben, was allerdings angsichts dessen, dass sich die südlichen Niederlande weitgehend Loyal zeigten die Mitglieder der Union von Arras im Besonderen, schon erstaunlich erscheint.

Meine Frage wäre hier: Habe ich dabei irgendetwas fundamentales übersehen/missverstanden?

Einerseits hatten diese Gebiete unter dem Krieg stark gelitten (im Besonderen Antwerpen wegen der Scheldesperre) und dieser Konflikt war für die spanische Krone immens teuer, so dass die Aufgabe dieser Provinzen von diesem Standpunkt her durchaus nicht irrational gewesen wären (zumal wenn es sozusagen in der Familie geblieben wäre), andererseits scheint das weder zum Umstand der Loyalität der südlichen Niederlande, noch zum Umstand, dass es sich im Besonderen mit dem verbliebenen Flandern und Brabant noch immer um extrem wohlhabende Provinzen handelte, noch zu dem Umstand von Philipp II. sonstiger zentralistischer Politik wirklich zu passen.


Eine weitere Frage, die sich dann auch aufdrängn würde und die ich persönlich spannend fände, wäre dann diejenige, ob die erneute Konstituierung der südlichen Niederlande, als sowohl von Spanien unabhängiger unter der Bezeichnung "Burgund" firmierender Enthität, als auch als mit den nördlichen Niederlanden nicht mehr verbundenes Konstrukt eigentlich in irgendeiner Form im Zuge der herausbildung einer belgischen Identität später eine Rolle spielte, agesichts des Konflikts mit den nördlichen Provinzen, der ja auch im 19. jahrhundert bei der Entstehung des modernen Belgiens nach dem Auseinaderfliegen des Kgr. der Vereinigten Niederlande eine Rolle spielte, wäre das ja ein logischer Bezugspunkt gewesen.

Eine dritte Frage, die sich dan auch aufdrängt, wäre diejenige wie Stände und Bevölkerung in den nämlichen Provinzen eigentlich darauf reagierten, als Isabella 1633 ohne lebende Nachfolger verstarb (Albrecht VII. war bereits 1621 verstorben) und der erneute "Anfall" der Provinzen an die "Spanische" Krone anstand?
Wurde das hingenommen oder führte das zu Schwierigkeiten? (mag sein, dass das im Buch noch vorkommt, ich habe es erst zu einem Drittel gelesen).
 
Ich gehe auf Grund des Umstands der Regentschaft von Isabella de Trastámara als Köngin von Kastillien und der zumindest theoretischen Herrschaft Juanas "der Wahnsinnigen" auch über die Länder der aragonesischen Krone mal davon aus, dass es in den "spanischen" Reichen auf der iberischen Halbinseln in dieser Form keine "Lex Salica" oder eine stringente Entsprechung gab, die eine weibliche Erbfolge in Kastilien und Aragon per se ausgeschlossen hätte (wie das allerdings mit Mailand, Neapel und Portugal war, weiß ich nicht), so dass eine "Wiedervereinigung" mit der spanischen Krone durch einen potentiellen Herrschaftsantritt Isabellas in Kastilien und Arragon nicht grundsätzlich ausgschlossen gewesen wäre.
Eine „Lex Salica“ (im uneigentlichen Sinne, also als nur männliche Erben zulassend) gab es in Spanien erst durch die Bourbonen, seit 1713, in der pragmatischen Sanktion von 1830 (in Spanien nur kurz la Pragmática) wurde diese Regelung gegen den Widerstand von Ferdinands Bruder Carlos erlassen. Ferdinand war ja schon ein absolutistischer Herrscher, aber sein Bruder war noch konservativer. Am Ende führte das mehreren carlistischen Erhebungen, von denen drei richtiggehende Bürgerkriege waren (im Spanischen Bürgerkrieg mischten die Carlisten auch mit) und die Carlisten lehnen bis heute die regierende bourbonische Linie ab, sind allerdings in den 1960er Jahren nach links gedriftet: linke Monarchisten, sind vermutlich eine der ideologisch verdrehtesten Parteien in Europa.
Also im Sinne deiner Vermutung, korrekt, in der damaligen Zeit gab es in Spanien kein salisches Gesetz und Philipps Herrschaft über die kastilischen Besitzungen und die amerikanischen Kolonien verdankte er seiner Groß- und Urgroßmutter, seine Ansprüche auf Portugal seiner Mutter und seiner verstorbenen Cousine und ersten Frau
(Isabel von Kastilien/die Katholische, Juana die Wahnsinnige, Isabel von Portugal, Maria von Portugal).
 
Ich bin bisher nicht dazu gekommen mich dahingehend schlau zu machen, ob das auch die aus der ehemaligen Konkursmasse Burgunds inzwischen an Spanien gegangene "Franche Comté" betrifft.
Auf Münzen der Freigrafschaft in der Zeit von Albrecht und Isabella werden sie auf der Vorderseite "Erzherzöge von Österreich" und auf der Rückseite "Herzöge und Grafen von Burgund" genannt. Die Franche-Comté war definitiv Teil der Abmachung mit Philipp II. Ein Aufenthalt von Isabella in der Freigrafschaft ist nicht belegt, Albrecht soll einmal dort gewesen sein.

Die Freigrafschaft war vertraglich bis 1609 unter Schutz der Eidgenossenschaft neutralisiert. Heinrich IV. von Frankreich wollte eigentlich den Vertrag nicht erneuern oder wenigstens nicht mit eidg. Beteiligung, doch wurde er 1610 ermordet. Noch im selben Jahr wurde ein neuer Vertrag mit den "Erzherzögen" und Seiner Allerkatholischsten Majestät aufgesetzt, wobei nicht nur die Freigrafschaft, sondern auch das "besagte Herzogtum Burgund" als neutral erklärt wurden.
Ich bin mir aber nicht sicher ob damit das von Albrecht und Isabella beanspruchte "alte" Herzogtum Burgund gemeint ist oder das französische Herzogtum, denn der Gouverneur des französischen Herzogtums, Roger de Bellegarde Roger II. de Saint-Lary – Wikipedia ist als Mitunterzeichner aufgeführt.
Auffallend wird der Titel "Herzöge von Burgund" für Albrecht und Isabella im Vertrag nicht erwähnt.
ALBERT & ISABELLE Clara Eugenia Infante d'Espagne par la Grace de Dieu Archiducs d'Autriche, Ducs de Brabant, de Lembourg, de Luxembourg, de. Gueldres, .&c. Comtes de Flandres, de Bourgogne, de Hainau,d'Artois, &c.

üs: Albrecht und Isabella Clara Eugenia Infantin von Spanien durch Gottes Gnade Erzherzöge von Österreich, Herzöge von Brabant, von Limburg, von Luxemburg, von Geldern etc. Grafen von Flandern, Burgund, Hennegau, Artois etc.

aus:
Da der spanische König mit einbezogen wurde, deutet darauf hin, dass mindestens aus der Sicht Frankreichs, Isabella und Albrecht nicht als vollwertige Partner betrachtet wurden.
Eine dritte Frage, die sich dan auch aufdrängt, wäre diejenige wie Stände und Bevölkerung in den nämlichen Provinzen eigentlich darauf reagierten, als Isabella 1633 ohne lebende Nachfolger verstarb (Albrecht VII. war bereits 1621 verstorben) und der erneute "Anfall" der Provinzen an die "Spanische" Krone anstand?
Meines Erachtens war der Übergang zwischen der "Herrschaft der Erzherzöge" und der erneuten direkten spanischen Regentschaft ein sanfter. Die Gebiete fielen mMn bereits durch den Tod Albrechts zurück an Spanien und Isabella fungierte dann nur noch als eine Art Gouverneurin.

 
Auffallend wird der Titel "Herzöge von Burgund" für Albrecht und Isabella im Vertrag nicht erwähnt.
ALBERT & ISABELLE Clara Eugenia Infante d'Espagne par la Grace de Dieu Archiducs d'Autriche, Ducs de Brabant, de Lembourg, de Luxembourg, de. Gueldres, .&c. Comtes de Flandres, de Bourgogne, de Hainau,d'Artois, &c.

Das der nicht erwähnt wird, wundert mich nicht, der eine solche Titulatur in einem Vertrag mit Frankreich hätte sich ja als französische Anerkennung eines Anspruchs Albrechts und Isabellas auf das mittelweile französische Herzogtum deuten lassen und einen solchen Präzedenzfall konnte man von französischer Seite her unmöglich schaffen wollen.

Vielen Dank jedenfalls für die engagierte Recherche bezüglich der "Franche Comté", dass ist alles sehr interessant.

Ich werde wahrscheinlich morgen die Möglichkeit haben in die Bibliothek zu kommen, da scheint es ein Werk zur Geschichte Belgiens/ der südliche Niederlande zu geben, dass den benannten Zeitraum abdeckt.
Ich bin mal gespannt, ob sich daraus etwas interessantes ergibt, wenn ja, werde ich wahrscheinlich spätestens am Wochenende dazu kommen, das hier im Faden weiter zu verfolgen.
 
Seit vor 40 Jahren ein ob meiner Fragen entnervter Kustos der Zitadelle von Namur mich ins dortige Staatsarchiv vermittelte, habe ich eine besondere Leidenschaft für belgische Geschichte.

Eine weitere Frage, die sich dann auch aufdrängn würde und die ich persönlich spannend fände, wäre dann diejenige, ob die erneute Konstituierung der südlichen Niederlande, als sowohl von Spanien unabhängiger unter der Bezeichnung "Burgund" firmierender Enthität, als auch als mit den nördlichen Niederlanden nicht mehr verbundenes Konstrukt eigentlich in irgendeiner Form im Zuge der herausbildung einer belgischen Identität später eine Rolle spielte, agesichts des Konflikts mit den nördlichen Provinzen, der ja auch im 19. jahrhundert bei der Entstehung des modernen Belgiens nach dem Auseinaderfliegen des Kgr. der Vereinigten Niederlande eine Rolle spielte, wäre das ja ein logischer Bezugspunkt gewesen.
Ein, wie mir scheint, gelungener Beitrag zu dieser Frage ist
Johannes Süßmann befasst sich darin mit der belgischen Erinnerung an die Erzherzöge im 19. Jh. bis heute.

Daraus:
Mit dieser Koppelung von Dynastie und Eigenstaatlichkeit konnte man nach der Revolution von 1830 in dem neugegründeten Königreich Belgien etwas anfangen. Die versuchte Etablierung einer eigenen Dynastie durch die Erzherzöge erschien nun wie ein erster Anlauf, ein damals, weil kein Kind des Paars überlebt hatte und die Herrschaft an Spanien zurückgefallen war, unerfüllt gebliebenes, erst jetzt eingelöstes Versprechen. Die Regierung der Erzherzöge Albrecht und Isabella wurde als Vorwegnahme der belgischen Monarchie von 1830 gedeutet.
 
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