Erstmal: Vielen Dank für die vielen Literaturverweise! Da muss ich mich jetzt erstmal durcharbeiten.
Den "Knaller" zu dieser Fragestellung habe ich noch nicht gesehen. Das Ganze ist mehr meine Wahrnehmung der angelsächsischen Literatur der letzten 30 Jahre.
Naja, der Knaller ist vielleicht tatsächlich eher der persönlichen Begeisterung geschuldet und kommt daher, wie ich an das Thema Imperialismus gekommen bin. Mein Hauptwissen über Imperialstrukturen stammt nicht vom britischen Empire, sondern eher von Literatur über das amerikanische Empire. In dieser (eher neuen) Forschungsdiskussion ist es ja ganz erheblich, Strukturen und Verknüpfungen überhaupt erst sichtbar zu machen, weil die USA ja bis 9/11 kaum als Imperialmacht wahrgenommen wurde. Da gab es dann diese Studien, ich denke hier vornehmlich an Chalmers Johnson's
Sorrows of Empire, die versucht haben, die strukturelle Seite eines Imperiums aufzurollen und von dort aus zu argumentieren. Das fand ich schon ganz überzeugend, um den Zusammenhang zwischen Tagesgeschäft und Tiefenstruktur deutlich zu machen, und auch wie bestimmte Entscheidungen oder infrastrukturelle Entwicklungen ein ganzes System repräsentieren können.
So modellhaft so ein Ansatz letztendlich natürlich bleiben muss (denn das meiste Konkrete trifft sich ja nicht gerade sauber mit dem politisch-diskursiv Übergeordneten, wie ja auch an Johnson kritisiert wird) finde ich schon, dass so ein Ansatz sehr spannende Erklärungsansätze bietet. Ganz besonders relevant finde ich das bei geschichtlichen Themen wie wir sie behandeln, weil über diesen Umweg versucht werden kann, ein Verständnis für den zeitgenössischen Kontext zu schaffen, den wir ja mit schöner Regelmäßigkeit nur unzureichend verstehen - oft auch an Stellen, von denen uns gar nicht klar war, dass wir da etwas missverstehen könnten.
Mein persönliches Lieblingsbeispiel ist das Wort Zivilisation, das wir Deutschen ja oft einfach mit Hochkultur übersetzen. Im Englischen hat es aber eine ganz stark christlich-missionarisch-progressivistische Konnotation, die außerdem ab dem 19. Jahrhundert (britischer Imperialismus!) noch eine entscheidende ökonomische Komponente bekommt. Plötzlich heißt Zivilisierung neben den bisherigen Bedeutungen auch automatisch noch Industrialisierung. Da schwingt also eine ganze Menge Wichtiges aber für uns weitgehend Unsichtbares mit, wenn ein 19.Jhdt-Brite in Indien so ein Wort benutzt, zum Beispiel.
Vielleicht wird daran auch klar, warum ich hier immer so auf der kulturellen bzw. diskursiven Dimension herumreite. Es geht mir gar nicht darum zu sagen, dass hier noch eine
zusätzliche oder gar
übergeordnete Dimension existiert, die dem Politischen oder Ökonomischen den Rang abläuft. Die haben ja damals garantiert nicht gesagt, so, jetzt haben wir hier dieses schöne Core-Periphery-Modell, jetzt machen wir da mal Politik zu. Von daher verstehe ich schon dein Unbehagen an dieser Stelle.
Es geht mir vielmehr darum zu sagen, dass wir einige Dinge an der politischen und ökonomischen Dimension besser
verstehen können, wenn uns klar ist, was für gesamtgesellschaftliche Verkürzungen und Konsensstrukturen in jener Zeit existiert haben. Es erlaubt einem, sicherer und akkurater Prioritäten zu setzen in dem was man untersucht und wie man es untersucht - oder sich über zumindest über die Prioritäten dieser Zeit besser bewusst zu sein. Ich finde das einfach methodisch einen sehr dankbaren Ansatz.