Hallo Augusto, (..)Zuerst benennst du eine Untersuchung nicht, die mir bisher auch unbekannt war, die Untersuchung von Glimmerpartikeln im Darm bzw. deren Alter..
Die Untersuchung hatte ich aus Platzgründen weggelassen, aber auch, weil sie nicht Ötzis Herkunft beleuchtet, sondern bestenfalls den Aufenthaltsort kurz vor seinem Tod. Die Glimmerpartikel reichern sich im Darm nicht an, sondern werden wie alle Ballaststoffe früher oder später wieder ausgeschieden.
Mit dem Glimmer gibt es noch ein zweites Problem - wie kam er in den Darm? Typischerweise handelt es sich um Mahlstein- bzw. Mörserabrieb. Die starke Abnutzung von Ötzis Zähnen wird auf verhältnismäßig hohen Abriebanteil in den von ihm konsumierten Getreideprodukten zurückgeführt. Letztendlich sagt die Glimmeranalyse also nur etwas darüber aus, wo der
Mahlstein, mit dem das Mehl für seine letzten Brote/ Breie gemahlen wurde, herkam. Eine Handmühle wurde bei Ötzi nicht gefunden, jedoch haftete Getreideschrot an seiner Kleidung, im Darm fand sich feingemahlenes Einkorn-Mehl. Er mag sich vor seinem Tod also durchaus von Vorräten aus andernorts geschrotetem/ gemahlenem Getreide ernährt haben. Sprich: Aus der Glimmerananalyse lassen sich kaum konkrete Rückschlüsse ziehen - vielleicht ein Grund, warum sie in archäologischen Isotopenanalysen so selten vorkommt.
Zur Methode (
Kalium-Argon-Datierung): Das Kalium-Isotop 40K zerfällt, mit einer sehr langen Halbwertzeit von 1,25 Mrd. Jahren, zu 40Ar. Das Edelgas Argon entweicht aus Flüssigkeiten, einschließlich Lava, bleibt aber in Kristallen erhalten. Über das K/Ar-Verhältnis kann man damit feststellen, wann die Kristallisierung erfolgte.
Vermutung der Wissenschaftler ist aufgrund verschiedener Werte: Glimmer-Alterwerte im Darm, dass er sich zuletzt westlich von Meran etwa bei Juval (in der Tabelle Ju) aufgehalten habe,
Juval ist durchaus plausibel - dort zweigt das Schnalstal vom Etschtal ab, und der Aufstieg zum Simlaun erfolgt üblicherweise vom oberen Schnalstal aus.
Die Glimmer-Partikel in Ötzis Darm waren 100-70 Mio. Jahre alt, datieren also in die obere (jüngere) Kreidezeit bzw. den Beginn der
Alpidische Orogenese. Geologisch älteres Gestein der afrikanischen Platte wurde unter die europäische Platte geschoben, und dabei unter Druck re-kristallisiert (
Metamorphose (Geologie)). Entsprechende Alterswerte charakterisieren die geologische Kategorie des "Kristallinen Ostalpins" (mittelblau in der angehängten geologischen Karte), das prinzipiell überall entlang des zentralen und östlichen Alpenhauptkamms zu finden ist, wo nicht Erosion älteres Urgestein (
Tauernfenster) freigelegt hat.
Spätere Faltungen, Verschiebungen, Erosion und Sedimentablagerungen haben lokal sehr differenzierte Muster erzeugt, so dass die geologische Grobschau natürlich verfeinert werden muss. Gerade das
Ötztal-Stubai-Kristallin hat eine komplexe geologische Geschichte mit vielfältiger lokaler Differenzierung. Die in meinem ersten Post hier als möglicher Jadeit-Lieferant erwähnte Ötztal-Eklogitfazies,
nördlich des Hauptkamms, hat beispielsweise das erforderliche geologische Alter, ebenso wie die Umgebung von Sterzing, oder auch das
Passeier. Um das Tauernfenster herum, und in den Ostalpen finden sich diverse weitere Gesteine im fraglichen Alter. Da würde ich schon gerne genauer wissen, warum all diese Regionen verworfen wurden, und die Wahl auf Juval fiel. Hier wird ohne Blick in die Originalstudie kaum weitere Aufklärung möglich sein.
Grundätzlich weiß Müller sicher, wovon er redet. Seine ersten Publikationen, vor den Ötzi-Untersuchungen, beschäftigten sich mit der geologischen Altersbestimmung in den Süd- und Ostalpen mittels der Ar/Ar-Methode. Die Vor-Eingrenzung des Untersuchungsraums (s.u.) dürfte das größere Problem sein.
https://pure.royalholloway.ac.uk/po...894-4682-b156-8df9280585aa)/publications.html
Auch wurden nicht nur der Zahnschmelz (Kindheit, Wachstum) und die Knochen (letzte 10 Lebensjahre) sondern auch die Strontiumisotopenwerte in seiner Darmwand vorgenommen.
Zu den Werten in der Darmwand habe ich keine weitere Analyse/ Diskussion gefunden. Interessant ist aber die Aussage in der im Vorbeitrag verlinkten Arbeit von Kutschera/ Müller zu den übrigen Analysen:
Tooth enamel, even of the permanent dentition, mineralizes during the early childhood (..) Bones, on the other hand, constantly remineralize and therefore compositionally average the last 10–20 years of life of an individual (..) Compact (cortical) bones average over longer periods of time, whereas spongy (cancellous) bone turns over more rapidly.
The results for enamel point towards gneisses/phyllites building up the region for the childhood of the Iceman (e.g. similar to the ones found in the vicinity of the finding site). During his adulthood (represented by the bone value) an isotopically distinct food source was utilized and migration of the Iceman is highly probable, although it is not yet possible to deduce with certainty where to.
Dies liest sich deutlich anders als die Interpretation in der zunächst verlinkten Hausarbeit.
Möglichweise ein Hinweis auf Transhumanz (Wanderweidewirtschaft) - im Sommer südliches Ötztal auf Hochalmen und im Herbst bis Frühling in seiner Heimat (seit der Kindheit) verbracht.
Wanderweidewirtschaft wird inzwischen ausgeschlossen, dazu passen die orthopädischen Befunde nicht (kaum Gelenkabnutzung, jedoch starker Bandscheibenverschleiß, vgl. u.a. die von Lukullus verlinkte, lesenswerte Studie). Auch trug er weder Hirtenstab noch typische Hirtenkleidung (Schafswolle). Seine letzten Mahlzeiten enthielten Fleisch von Rothirsch und Steinbock, aber weder Fleisch noch Milchprodukte von Schaf/ Ziege.
Ötzi war wohl handwerklich tätig, nutzte seine Fingernägel häufig als Werkzeug. Er war entweder medizinisch geschult, oder regelmäßig in medizinischer Betreuung - in seiner "Kräuterdose" fand sich beispielsweise ein Baumpilz zur Behandlung seines Wurmbefalls, die "Tätowierungen" liegen auf Akupunkturpunkten zur Linderung von Bandscheiben-/ Arthroseschmerzen. Auch völliges Fehlen von Karies trotz hohen Getreidekonsums ist untypisch, sowohl zahnmedizinisch als auch im Vergleich zu sonstigen Untersuchungen neolithischer/ bronzezeitlicher Skelette. Die gesamte Ausrüstung ist sehr "edel" -neben Kupferaxt u.a. Eibenholzbogen, Bärenfellmütze, Schuhsohlen aus Bärenleder, hirschlederne Kleidung und Schuhe.
Metallrückstände in den Haaren, starke Beinmuskulatur (Blasebalg treten), Bandscheibenverschleiß - passt alles zum Erzauflesen/ -schmelzen.
ich kann der Quelle auch nicht entnehmen, ob die Ergebnisse nicht mit anderen möglichen Lokalisierungen/Regionen verglichen wurden,
Bei der
Sauerstoffisotopenanalyse ist die Arbeit von Kutschera/ Müller (s. 707) eindeutig:
Delta 18O-analyses of river waters from valleys north and south of the finding site (the latter being located at the main Alpine watershed) have revealed significant differences predominantly between northern and southern rivers, but also in east and west direction. Waters from the southeast of the investigated area (i.e. a 100100 km square with the finding site located close to the middle) display the least depleted d18O values.
Neben klimabedingten 18O-Schwankungen (übrigens einer von Müllers aktuellen Forschungsschwerpunkten), und geographisch eingeengter Betrachtung haben wir also auch noch einen festgestellten west-östlichen Gradient. Letzteres heisst, dass tendenziell auch weiter nord-östlich des Eisacktals mit Ötzis Zahnschmelz/ Knochen korrepsondierende Sauerstoffisotopenverhältnisse vorkommen könnten.
Dazu tritt noch der lange bekannte O18-Anreicherungseffekt in Thermalwasser, an dem es in den Alpen, und insbesondere im Einzugsgebiet der Salzach, wahrlich nicht mangelt.
Heilwasser ? Salzburgwiki
Thermalwasser entsteht u.a. durch radioaktiven Uran-Zerfall (daher auch der hohe Radium-Gehalt vieler Thermalquellen), welches häufig an der Genese von Erzlagerstätten beteiligt ist, was dann auch zu charakteristisch hohen Isotopenwerten von 206Pb in der Nähe von Erzlagern/ Thermalquellen führt.
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Blei-/ Strontiumanalysen:
Soils from Neolithic–Copper age archaeological horizons, which minimize the risk of picking up an anthropologically modified isotopic signal, crucial in particular for Pb, have been leached with very dilute acetic acid in order to only extract the biologically available trace elemental budget present in a given soil sample.
Prinzipiell sehr lobenswert. 50 Jahre verbleites Benzin haben in fast jedem heutigen Boden Spuren hinterlassen bzw. verfälscht; Metallurgie ab der Bronzezeit hat u.a. heute noch unschwer auffindbare Bleifahnen im Okertal (Rammelsberg), im Erzgebirge, im Böhmerwald und in den Westkarpaten erzeugt. Die Methode schränkt aber natürlich die Probenauswahl stark ein bzw. macht sie relativ aufwendig.
Die einzelnen Messpunkte wurden in den mir zugänglichen Quellen nicht vollständig aufgelistet. Ein Vergleich von Fig. 11 bei Kutschera/ Müller und Abb. 3 in Zimmermanns Hausarbeit zeigt aber jeweils 11 Messpunkte (ohne Basalte, nichtalpin, vermutl. bei Zimmermann zum Vergleich neu eingefügt). 9 dieser 11 Messpunkte, alle aus Italien, sind in Zimmermanns Tafel 2 / Abb. 3 benannt, und entsprechen in ihren Werten denen aus Fig. 11 bei Kutschera/ Müller. Dazu tritt bei Zimmermann ein weiterer Carbonat-Fundort (
Brixlegg?*), bei Kutschera/ Müller ein zusätzlicher Gneiss-Fundort mit sehr hoher Bleisignatur (
Prettau?**), und bei beiden ein dritter vulkanitischer Fundort.
Von umfassendem Vergleich mit anderen Regionen/ Lokalisierungen kann also nicht die Rede sein - dies wäre bei der gerechtfertigten Beschränkung der Probeentnahme auf kupferzeitliche Fundhorizonte auch kaum leistbar gewesen.
Von den untersuchten 11-13 kupferzeitlichen Fundhorizonten kam Feldthurns den Isotopenwerten in Ötzis Zähnen am nächsten, jedoch bei der Bleisignatur nicht wirklich nah. Die Werte seiner kompakten Knochen (~Wohnort im frühen Erwachsenenalter) liegen sehr nahe an einem der drei untersuchten Fundhorizonte aus dem Vulkanit-Gebiet - hier wäre es interessant zu wissen, um welchen Ort es sich handelt, und warum diese sehr genaue Übereinstimmung in der Folge nicht weiter diskutiert wurde.
Mein Eindruck ist, dass eine durchaus vorsichtig formulierende wissenschaftliche Arbeit (zumindest für die Kutschera/Müller-Studie trifft dies zu) aus regional-politischen Gründen überinterpretiert wurde (Feldthurns hat ein archäologisches Museum). Dazu auch
Eismann: Neue Befunde: Die Herkunft von Ötzi - Spektrum der Wissenschaft
Allerdings fand Wolfgang Müller von der australischen National-Universität in Canberra, als er den Zahnschmelz untersuchte, dass der Gletschermann in seiner Kindheit und Jugend offenbar in einer anderen Gegend lebte als später im Erwachsenenalter. Genaueren chemisch-physikalischen Untersuchungen weiterer Forscher zufolge scheint er seine letzten Lebensjahre vorwiegend im Ventertal oder benachbarten Nordtiroler Tälern verbracht zu haben.
(Geologie auf S. 300, Bleiisotopenwerte S. 305).
**) Vgl. zu Prettau
http://paduaresearch.cab.unipd.it/3982/1/thesis.pdf (Geologie auf S. 49f, Bleiisotopenwerte S. 69).