Nachdem ich die “Realität” als Referenz der Kunst in die Runde warf,
und da verbleibt nach wie vor die Frage, was diese Referenz für die Frage nach einem qualitativen Unterschied zwischen antiker und mittelalterlicher Kunst nützt. Soll es um das Verhältnis der Kunst zur Realität gehen? Und wenn ja, warum sollte dieses Verhältnis Wertungen zur künstlerischen Gestaltung ermöglichen? Schließlich kann das Verhältnis einer Kunstepoche zu ihrer jeweiligen Realität recht verschieden ausfallen (ein "Werther" ist gewiß kein naturalistischer Roman, darum aber nicht notwendig besser oder schlechter als "Bestie Mensch") und zudem muss "Realität" nicht zwingend notwendig der Gegenstand von Kunst sein (ein Laokoon oder eine Artemis dürften sich in der Wirklichkeit nicht auffinden lassen)
vielleicht wäre es sinnvoll, Vergleiche in den
Künsten anzustellen?
- in der Musik vermag ich die These des qualitativen Niedergangs nicht zu bestätigen, eher das Gegenteil scheint der Fall (allerdings ist nicht sonderlich viel aus der Antike überliefert...)
- in der Literatur kann ich kein Niveaugefälle zwischen einem Gedicht von Ovid und einem von von der Vogelweide feststellen (betrifft die Lyrik) / die Gattung "Roman", immerhin von Petronius fragmentarisch überliefert, scheint im Mittelalter nicht en vogue gewesen zu sein / in der Epik findenwir z.B. Aeneas und Tristan (wer wollte bei solchen Meisterwerken einen qualitativen Unterschied nachweisen?) / die Gattungen der Theaterstücke scheinen im Mittelalter weniger gebräuchlich als in der Antike gewesen zu sein --- reicht das wirklich aus, um in der Literatur der Antike die Krone zu überreichen? meiner Ansicht nach nicht. (ausgenommen habe ich "wissenschaftliche" Literatur, also philosoph., rhetor. etc. Texte*))
- in der Malerei wird es schwierig werden, zu vergleichen, weil nicht eben allzuviel vorhanden ist: sollte man z.B. pompejanische Wandmalereien als Kunstwerke oder als quasi Deko betrachten? Es gibt ua. ein spätantikes röm. Frauenportrait (aus Ägypten, auf einem Sargdeckel wenn ich mich richtig erinnere) - aber es gibt kein solches mittelalterliches Portrait. Es gibt furiose, sehr dynamische frühmittelalterliche (sic) Buchillustrationen (gezeichnet, nicht koloriert), aber antike solche wüsste ich jetzt nicht --- ich finde, auch in der Malerei wird es schwierig, vergleichbares zu finden um vergleichen zu können
- verbleibt die Architektur: einerseits Palastaula und Pantheon, andererseits romanische und gotische Kathedralen - da maße ich mir nicht an, das eine über das andere zu stellen
ja, die Skulpturen, ich weiß - da sind sehr große Unterschiede in der Intention und in der Thematik vorhanden, wobei allerdings beide Epochen ihre jeweils eigenen Typisierungen/Idealisierungen vornehmen; zumindest mir will auch in diesem Bereich noch nicht einleuchten, wieso herausragende mittelalterliche Skulpturen handwerklich und/oder künstlerisch schlechter als antike sein sollten.
Ganz anders sieht es gewiß auf dem Gebiet des zivilisatorischen Niveaus aus, auch auf dem technischen (mal abgesehen von Pantheon und Kathedrale) - ich hätte auch lieber in Rom mit Thermen und Villen gelebt als
auf einer zugigen Wartburg
so, jetzt hab ich mal nur summarisch angedeutet, was die Ausgangsfrage alles enthalten könnte - von kunsttheoretischen überlegungen ist das noch weit entfernt. Aber vielleicht entwickelt sich zu einzelnen Aspekten ja eine anregende Diskussion.
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*) diese könnte man eher für den zivilisatorischen Bereich nutzen - sie bestätigen als wiss. Werke/Quellen, dass antike Großstädte eben doch ein zivilisatorisch höheres Nieveau hatten als mittelalterliche