Sepiola
Aktives Mitglied
Diesen Unfug hatte ich die Tage überlesen:
Die Behauptung, die NSDAP habe sich Anfang der 1930er Jahre verstärkt um Arbeiter bemüht (verglichen mit vorher) entbehrt jeglicher Grundlage.
Nein, so falsch ist das gar nicht, was @Dion hier schreibt. Vgl.:
Während die SPD diffamiert wurde, gab sich die NSDAP im Reichstag ausgesprochen arbeiterfreundlich und versuchte gelegentlich sogar die KPD in kapitalismuskritischer Rhetorik zu übertrumpfen, wie Turner (1985) ausführt: Die Partei beantragte die Konfiskation des gesamten Vermögens der „Bank und Börsenfürsten“, votierte gegen Erhöhungen indirekter Steuern, weil diese eine degressive Verteilungswirkung hätten, unterstütze Vorschläge zur Ausweitung der Sozialausgaben und votierte gegen Bedürftigkeitsprüfungen bei Sozialhilfe. In einigen Fällen stimmte die NSDAP als einzige Partei mit der KPD, z. B. bei Lohnsteuerbefreiungen für Geringverdienende und höheren Steuern für Reiche. Es wurde zu einer Schlüsselfrage, wer die authentischere „antikapitalistische“ Kraft war (Szejnmann, 2013).
Die zielgruppenspezifische Agitation in Bezug auf die Arbeiterschaft wurde speziell von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) vorangetrieben, die unter der Schirmherrschaft von Gregor Strasser gegründet wurde (Turner, 1985). In ihrer Zeitschrift „Arbeitertum“ stellte sich die NSBO als „Spezialwaffe gegen den Betriebsmarxismus“ dar und proklamierte auf der anderen Seite den Kampf gegen das „liberal-kapitalistische Wirtschaftssystem“ (Tjiok, 1997, 130-133). Die NSBO nahm 1932 nach eigenen Angaben an 108 Streiks aktiv teil (Bons, 1995). Im September 1931 initiierte Josef Goebbels als Gauleiter von Berlin eine große Propagandakampagne unter dem Motto „Hinein in die Betriebe“ (Turner, 1985). Bons (1995, 52) spricht von einer „unübersehbaren Offensive in der Arbeiterfrage“ in der Endphase der Weimarer Republik.
Diese Stoßrichtung schlug sich auch in der zielgruppenspezifischen Propaganda der NSDAP nieder, wie Paul (1992) auf Grundlage von 168 NS-Plakaten aus fünf Urnengängen im Zeitraum 1928 bis 1932 nachweist. Im Wahlkampf vom Juli 1932 richteten sich zehn von 44 Plakaten explizit an die Arbeiterschaft, im Wahlkampf vom November 1932 neun von 36. Innerhalb der zielgruppenspezifischen Plakate (Frauen, Bauern etc.) dominierten die an Arbeiter gerichteten eindeutig. „Entsprechend ihrem Selbstverständnis galt der NSDAP die Arbeiterschaft in allen Wahlkämpfen als die mit Abstand wichtigste Zielgruppe“ (Paul, 1992, 217). Das widerspräche der herkömmlichen Annahme, dass die Mittelschicht die NSDAP-Hauptzielgruppe gewesen sei (Falter, 1992).
„Arbeit und Brot“ – die sozioökonomische NS-Propaganda vor 1933
Vom Thema "ethnische Konflikte" sind wir da aber ganz weit weg...