lemming099
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Ich habe mir in der englischen Wikipedia einige Artikel zur türkischen Geschichte angeschaut und musste feststellen, dass ein Großteil der Artikel über die türkische Geschichte pro-iranisch verzehrt ist. Die Seldschuken zum Beispiel gelten dort nicht mehr als Türken, sondern als „Turko-Perser“. In mehren Artikeln fiel mir ein Zitat auf, dass häufig zitiert wird, nicht nur in den Artikeln, sondern auch in den Diskussionszeiten:
Dieses Zitat stammt von Bernhard Lewis, einen der bekanntesten Orientalisten. Lewis behauptet, dass es vor Wien angeblich Jahrhunderte eine „iranische Zivilisation“ gegeben hat. Begann die iranische Welt schon vor Wien? War der Balkan Jahrhunderte ein zweites Iran? Jedenfalls für Nelson Richard Frye, einer der renommiertesten Experten für die Geschichte des Iran, reicht der iranische Kulturraum von der Mongolei bis nach Ungarn.
Ob nun die Mongolen, die Türken oder die Ungarn, sie alle haben keine kulturell nichts eigenständiges. Alles Kultur von der Mongolei bis nach Ungarn ist iranisch. Ist die „Geheime Geschichte der Mongolen“ eigentlich auch iranisch?
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[/FONT]Mir geht es hier aber vielmehr um die Behauptung von Lewis, dass das Osmanische Reich angeblich ein Teil der „iranische Zivilisation“ war und dass das Osmanenreich ein Teil des großen iranischen Kulturraums gewesen sein soll. Das die Kultur der Osmanen nicht türkisch war, sondern iranisch. Was versteht man überhaupt unter den Begriff „Zivilisation“?
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[/FONT]Wissen.de definiert diesen Begriff folgenermaßen:
Lewis behauptet, dass die Osmanen angeblich die iranische Zivilisation vor Wien brachten. Ein wichtiges Merkmal einer Zivilisation ist doch die gesprochene Sprache in den Städten. In Städten die zur griechischen Zivilisation gehörten, wurde ja auch griechisch gesprochen. Demnach müsste das Osmanische Reich bis vor Wien zumindest in den Städten iranischsprachig gewesen sein, was aber nicht sein kann. Nicht einmal in den anatolischen Kerngebieten wurde Persisch gesprochen, sondern hauptsächlich türkisch:
Ein wichtiger Bestandteil einer Zivilisation ist doch die die Architektur. Wenn das Osmanische Reich zum iranischen Kulturraum gehörte, dann müsste auch die Architektur iranisch sein, die Architektur müsse dieselbe sein, wie die des Irans. Ist die Selimiye ein iranisches Bauwerk?
Das schreiben bedeutende Experten zur islamischen Kunst über die osmanische Architektur.
Prof. Robert Hillenbrand in seinem Standardwerk „Kunst und Architektur des Islam“:
Bei einem Staat, der zum iranischen Kulturkreis zählen soll, muss man doch annehmen, dass die führende Sprache des Staates Persisch war. War Persisch Staatssprache im Osmanischen Reich?
Matuz schreibt:
War zumindest die Kunst der Osmanen Form der iranischen Kunst?
Robert Hillenbrand:
"The work of Iranians can be seen in every field of cultural endeavor, including Arabic poetry, to which poets of Iranian origin composing their poems in Arabic made a very significant contribution. In a sense, Iranian Islam is a second advent of Islam itself, a new Islam sometimes referred to as Islam-i Ajam. It was this Persian Islam, rather than the original Arab Islam, that was brought to new areas and new peoples: to the Turks, first in Central Asia and then in the Middle East in the country which came to be called Turkey, and of course to India. The Ottoman Turks brought a form of Iranian civilization to the walls of Vienna. [...] By the time of the great Mongol invasions of the thirteenth century, Iranian Islam had become not only an important component; it had become a dominant element in Islam itself, and for several centuries the main centers of Islamic power and civilization were in countries that were, if not Iranian, at least marked by Iranian civilization. [...] The center of the Islamic world was under Turkish and Persian states, both shaped by Iranian culture. [...] The major centers of Islam in the late medieval and early modern periods, the centers of both political and cultural power, such as India, Central Asia, Iran, Turkey, were all part of this Iranian civilization. Although much of it spoke various forms of Turkish, as well as other local languages, their classical and cultural language was Persian. Arabic was of course the language of scripture and law, but Persian was the language of poetry and literature". (Bernard Lewis)
Dieses Zitat stammt von Bernhard Lewis, einen der bekanntesten Orientalisten. Lewis behauptet, dass es vor Wien angeblich Jahrhunderte eine „iranische Zivilisation“ gegeben hat. Begann die iranische Welt schon vor Wien? War der Balkan Jahrhunderte ein zweites Iran? Jedenfalls für Nelson Richard Frye, einer der renommiertesten Experten für die Geschichte des Iran, reicht der iranische Kulturraum von der Mongolei bis nach Ungarn.
Ob nun die Mongolen, die Türken oder die Ungarn, sie alle haben keine kulturell nichts eigenständiges. Alles Kultur von der Mongolei bis nach Ungarn ist iranisch. Ist die „Geheime Geschichte der Mongolen“ eigentlich auch iranisch?
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[/FONT]Mir geht es hier aber vielmehr um die Behauptung von Lewis, dass das Osmanische Reich angeblich ein Teil der „iranische Zivilisation“ war und dass das Osmanenreich ein Teil des großen iranischen Kulturraums gewesen sein soll. Das die Kultur der Osmanen nicht türkisch war, sondern iranisch. Was versteht man überhaupt unter den Begriff „Zivilisation“?
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[/FONT]Wissen.de definiert diesen Begriff folgenermaßen:
Das bringt mich jetzt auch nicht wirklich weiter. Ich nehme mal an, dass die gesprochene Sprache in den Städten, die Kultur und die Architektur wichtige Bestandteile einer Zivilisation sind.Gesittung; verfeinerte bürgerliche Lebensform; die durch den Fortschritt der Wissenschaft und Technik geschaffenen verbesserten Lebensbedingungen. Besonders in Deutschland wird Zivilisation noch oft als Gegensatzbegriff zu [FONT="]Kultur[/FONT] gebraucht, wobei Zivilisation etwas Materielles, Kultur etwas Geistiges bedeuten soll; diese Unterscheidung ist jedoch wissenschaftlich nicht haltbar.
Zivilisation | wissen.de
Lewis behauptet, dass die Osmanen angeblich die iranische Zivilisation vor Wien brachten. Ein wichtiges Merkmal einer Zivilisation ist doch die gesprochene Sprache in den Städten. In Städten die zur griechischen Zivilisation gehörten, wurde ja auch griechisch gesprochen. Demnach müsste das Osmanische Reich bis vor Wien zumindest in den Städten iranischsprachig gewesen sein, was aber nicht sein kann. Nicht einmal in den anatolischen Kerngebieten wurde Persisch gesprochen, sondern hauptsächlich türkisch:
Wie kann man ein Reich, wo gar nicht Persisch die Sprache der Bevölkerung war, sondern Türkisch, zur „iranischen Zivilisation“ erklären? Wenn Rumelien (Osteuropa/Balkan) zur „iranischen Zivilisation“ gehörte, dann müsste zumindest in den Städten Persisch die Sprache der Bevölkerung gewesen sein.»Seit dem 12. und jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert war Anatolien weithin türkisiert, seit dem 15. Jahrhundert auch große Teile Rumeliens. «(Flemming, Barbara: Literatur und Gesellschaft im Osmanischen Reich, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, Band 1, Recklinghausen, 1985, S. 92)
Ein wichtiger Bestandteil einer Zivilisation ist doch die die Architektur. Wenn das Osmanische Reich zum iranischen Kulturraum gehörte, dann müsste auch die Architektur iranisch sein, die Architektur müsse dieselbe sein, wie die des Irans. Ist die Selimiye ein iranisches Bauwerk?
Das schreiben bedeutende Experten zur islamischen Kunst über die osmanische Architektur.
Prof. Robert Hillenbrand in seinem Standardwerk „Kunst und Architektur des Islam“:
Ich hab noch das Werk „Die Moscheen von Sinan“ (2008). Auch in diesem Werk steht nichts davon, dass die osmanische Architektur iranisch war. Obwohl nicht einmal die Architektur der Osmanen iranisch war, zählt Lews das Osmanische Reich zum „iranischen Kulturraum“.»Die Osmanische Architektur ist innerhalb der islamischen Welt einzigartig durch ihr unbeirrbares Festhalten an einem einzigen Zentralkonzept – dem des überkuppelten Quadrats. […] Der Besitz dieses soliden konstruktiven Zentrums ermöglichte es der osmanischen Architektur, ungeachtet lokaler Unterschiede in Materialwahl oder Baudekoration ihre wesentliche Eigenart in all den weit gespannten Provinzen des Reichs zu behaupten. Von Algerien bis in den Irak, von Syrien bis in den Jemen etablierte sich ohne große Mühe eine ausgeprägt türkisch-osmanische Architektur. « (Robert Hillenbrand: Kunst und Architektur des Islam. Berlin 2005, S. 257f)
Bei einem Staat, der zum iranischen Kulturkreis zählen soll, muss man doch annehmen, dass die führende Sprache des Staates Persisch war. War Persisch Staatssprache im Osmanischen Reich?
Nach Kreiser war Türkisch Staatssprache im Osmanischen Reich. Josef Matuz hat sich mit dieser Frage in seiner Arbeit „Die Emanzipation der türkischen Sprache in der osmanischen Staatsverwaltung“ genauer auseinandergesetzt.»Die osmanische Zentrale – Hof, Finanz- und Religionsbehörden – verwandten ab der Mitte des 16. Jahrhunderts fast ausschließlich das Osmanische-Türkisch als Medium von Staat und Verwaltung. « (Kreiser, Klaus: Der Osmanische Staat. 1300-1922 [=Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 30], 2., aktualisierte Auflage, München 2008, S. 2)
Matuz schreibt:
Die führende Sprache des Osmanischen Reiches war nicht Persisch, sondern Türkisch.Am 9. Juni 1456, auf dem Wege nach Belgrad', erlaubte der damalige
Osmanensultan, Mehmed der Eroberer, in einem Schreiben an Peter 2 ,
den Woiwoden der Moldau, den Kaufleuten von Aqkermän, im Osmanischen
Reich Handel zu treiben. Dieses Schreiben wurde — nebenbei bemerkt
in einem schlichten und sachlichen Stil — auf Türkisch abgefaßt 3.
Das gleiche läßt sich von den meisten anderen uns bekannten Schreiben
dieses Sultans feststellen 4. Dieser Umstand ist für unsere Fragestellung
wichtig, da man sich kaum zwei Jahrhunderte zuvor, im Reich der ethnisch
ebenfalls türkischen anatolischen Seldschuken, dem Vorgänger des Osmanenstaates,
zur Abfassung offizieller Schreiben der persischen Sprache
bediente. So drängen sich uns mehrere Fragen auf. Seit wann wurde bei
den Osmanen das Türkische als Amtssprache verwendet? Diente ihnen
jemals das Persische als offizielle Sprache? Wenn ja, unter welchen Umständen
und zu welcher Zeit wurde letzteres von der türkischen Sprache
abgelöst? Hat man etwa urplötzlich entdeckt, daß das Türkische sich besser
für die Übermittlung konkreter Begebenheiten eignete als etwa das Persische
? Bestand am Osmanenhof diese Auffassung schon Jahrzehnte früher,
bevor Mir 'Ali Sir Naväyi, die bedeutendste Gestalt der tschagataischen Literatur,
sie zur Wende 5 zum 16. Jh. zu Papier brachte? […] Die wenigen Schreiben, meistens Stiftungsurkunden frommer
Stiftungen, wurden — wenn als religiöse Schriftstücke nicht auf Arabisch —
so auf türkisch abgefaßt 51. Echte persische Stücke sind uns nicht bekannt 52
Die Überschrift unseres Referats ist folglich ungenau, wenn hier von einer
Emanzipation der türkischen Sprache in der osmanischen Staatsverwaltung
die Rede ist. Denn die Emanzipation fand bereits vor den Osmanen, unter
den Qaramanen statt. Die Rolle des Türkischen als offizielle Sprache wurde im Osmanenreich
auch zu den späteren Jahrhunderten nicht angetastet 53. Gewiß, wir können seit dem 16. Jh. eine Entfremdung des Wortschatzes nicht nur in literarischen
Werken, sondern auch in Urkunden beobachten, u. zw. vorerst
in den allerwichtigsten Großherrlichen Schreiben (näme). Dieser literarische
Geschmack", die Verwendung der „Drei Sprachen" (elsine-yi
seläse), wobei der Wortschatz mit arabischen und persischen Elementen
durchwoben wurde, dehnte sich später auch auf minderbedeutende
offizielle Schreiben aus. Aber selbst dadurch wurde das „Gerippe" der
Sprache, die Morphologie, nur in verhältnismäßig geringem Maße angetastet
55, eine Tatsache, die für die sprachliche Erneuerung in der Zeit
der Republik eine günstige Ausgangsposition darstellte. (Matuz Josef: Die Emanzipation der türkischen Sprache in der osmanischen Staatsverwaltung, S. 62-71, Online-Publikation)
War zumindest die Kunst der Osmanen Form der iranischen Kunst?
Robert Hillenbrand:
Die berühmte Iznik-Keramik war spezifisch osmanisch:»Die osmanische bildet eine ganz eigene Kategorie innerhalb der islamischen Kunst. Sicherlich besitzt sie in den Hauptgattungen wie der Architektur, der Töpferei, der Buchmalerei und Textilkunst eine ausgeprägte Eigenart und die Werke künden von den gewaltigen finanziellen Ressourcen des mächtigsten Reiches seiner Zeit. «(Hillenbrand, Robert: Kunst und Architektur des Islam, Berlin 2005, S. 257)
Hier noch einige Zitate:»Es ist eine Ironie, dass die berühmteste und beliebteste aller osmanischen Kunstformen – Iznik-Fayencen und -Schmuckfliesen – ausgerechnet in einem billigen und bescheidenen Material ausgeführt wurde. Iznik-Fayencen sind die bekanntesten und begehrtesten aller muslimischen Keramiken.« (Robert Hillenbrand: Kunst und Architektur des Islam. Berlin 2005, S. 269)
»Wie in allen anderen Bereichen des Kunsthandwerks hat auch die osmanische Metallkunst anfangs das kulturelle Erbe der Seldschuken übernommen. So wie die Seldschuken neue Formen, Techniken und Ziermotive durch die Verschmelzung ihrer eigenen mittelasiatischen Traditionen mit denen des Nahen Ostens gewannen, so schlugen auch die Osmanen, ihre historischen Nachfolger, einen ähnlichen Weg ein. « (Nazan Ölcer: Türkische Metallkunst, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, Band 2, Recklinghausen, 1985, 274)
Schreibt Zick-Nissen über Motive in der osmanischen Kunst, die es nur bei Türken, aber nicht bei Persern gibt:»Was sich in der Entstehungsphase der osmanischen Kunst und des kunsthandwerklichen Dekors als Übernahme aus vorraufgehenden Entwicklungen in Persien wie Zentralasien erweist, beruht auch auf dem türkischen Anteil an der Kultur dieser Gebiete. « (Zick-Nissen, Johanna: Osmanisches Kunsthandwerk, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, Band 2, Recklinghausen, 1985, 22)
Wieso wird das Osmanische Reich von machen Orientalisten zum „iranischen Kulturkreis“ bzw. zur „iranischen Zivilisation“ gezählt, obwohl die Sprache der Bevölkerung und die des Staates nicht Persisch war. Nicht einmal die Architektur der Osmanen war iranisch. Wenn ein Orientalist wie Frye behauptet, dass der iranische Kulturkreis von Ungarn bis nach China reicht, dann leugnet er jegliche kulturelle Eigenständigkeit ganzer Völker. Genauso Blödsinn ist es, die Kultur der Osmanen den Persern zuzuordnen und nicht den Türken, wie Lewis es macht. Was haben denn die Perser mit der Selimiye zu tun? Eben, nichts! Korrekter wäre es, beim Osmanischen Reich von einer „türkischen Zivilisation“ und von einen „türkischen Kulturkreis“ zu sprechen nicht von einer „iranischen Zivilisation“.»Im osmanischen Dekor erscheint die Päonie bereits zur Zeit Murads II., das einzelne Juwel gegen Ende des 16. Jh. auf Tellerrückflächen. Das Drei-Kugel-Motiv wird jedoch als stellares Diagramm für den Frühlingspunkt der Sonne und Sitz des Sultans als gewähltes Motiv uighurisch-türkischer Tradition, unter Süleyman und bevorzugt bis Murad III. (Kat. Nr. 8/1) wiederbelegt. Uşak-Teppiche, Textilien, Waffen, Einlegearbeiten verwenden diese Elemente besonders, wenn es sich um Gegenstände für das Serial, etwa eine Thronbank, handelt (Kat. Nr. 8/1), oder auch bei Teppichen aus Hofwerkstätten, die z. B. in ein Heiligtum gestiftet werden. Dass sie hingegen im gleichzeitigen persischen Kunsthandwerk fehlen, dann aber auftreten werden, wenn es sich im 14. Jh. um die Wiedergabe eines turkestanischen Fürsten auf dem Thron handelt, ist bezeichnend. « (Zick-Nissen, Johanna: Osmanisches Kunsthandwerk, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, Band 2, Recklinghausen, 1985, 21)
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