Reinecke
Aktives Mitglied
Hallo,
bei meiner Beschäftigung mit der Militärhistorik ist mir folgendes immer wieder aufgefallen: In manchen Zeiten scheint sich das Kriegswesen einer Epoche/Kultur in festgelegten Bahnen zu bewegen; es nahm fast den Charakter eines Rituals an, in dem jeder eine festgelegte Rolle oder Funktion ausübte, auch wenn der Ausgang natürlich offen blieb. Wenn es nicht um Krieg ginge wäre ich fast versucht, es mit einem sportlichen Wettkampf zu vergleichen...
Ich möchte an ein paar Beispielen erläutern, was ich meine:
Den Begriff „ritualisiert“ habe ich im Forum kürzlich im Zusammenhang mit der klassisch-griechischen Phalanx verwandt (Danke nachträglich für den Grünen in dem Zusammenhang... ). Das Buch „Die Kriege der griechischen Antike“* macht das an sieben Punkten fest, die tatsächlich lange Zeit über das militärische Geschehen in großen Teilen Hellas' dominierten:
*Hrsg Joachim Hack; teilweise interessant, aber mE nicht unbedingt zu empfehlen, außer in diesem Punkt; und die miese Sicht auf Alexander ist interessant...
1. Formelle Kriegserklärungen, Waffenruhen und Verträge
2. Religiöse Rituale, Opfer u.ä. Vor dem direkten Aufeinandertreffen
3. Kampfhandlungen sind auf Frühjahr und Sommer und Tageslichtzeiten beschränkt
4. Schnelle Beendigung des Tötens nach Entscheid der Schlacht; lange Verfolgungen waren unüblich. Während der Schlacht bot der große Schild, der Helm und der Panzer einen hinlänglichen Schutz, so dass die Zahl der Toten und Verweundeten recht niedrig gelegen haben dürfte.
5. Vereinbarung über die Gefallenen; auch den Besiegten wurden normalerweise erlaubt, ihre Toten zu bergen, ohne dass diese geschändet wurden; die Bitte, dies tun zu drüfen, galt auch als Eingeständnis in die eigene Niederlage.
7. Begrenzung der Technik; lange Zeit dominierten die Hopliten als schwere, in der Phalanx fechtende Infantrie das Kriegsgeschehen alleine; effektive Leichtbewaffnete gab es vor dem 5. Jh. praktisch gar nicht, Reiter dienten nur zur Aufklärung. Damit blieben die Kampfhandlungen vornehmlich auf das Zusammentreffen der beiden Phalangen beschränkt.
Solange alle Beteiligten sich diesen „Regeln“ unterwarfen war es möglich, dass Krieg eine nahezu alltäglich Sache war und durchaus als das Mittel der Wahl begriffen wurde, um Meinungsverschiedenheiten oder Landstreitigkeiten zwischen zwei oder mehreren poleis zu entscheiden, ohne dass dies regelmäßig zur Verheerung weiter Landstriche oder zum Tod unzähliger Menschen geführt hätte. In dieser Hinsicht scheint mit dem Aufstieg Athens seit den Perserkriegen und v.a. dem peloponnesischen Krieg eine eklatante Brutalisierung des Kriegsgeschehens eingetreten zu sein.
Das zweite Beispiel stammt aus einer völlig anderen Zeit, anderen Kultur und anderem Kontinent: Die Stämme der Bantu bzw Nguni, die im 18. Jh. im südöstlichen Afrika lebten, betrieben nach allem, was ich darüber herausfinden konnten, ebenfalls eine stark ritualisierte Kriegsführung. Hierbei spielten Wurfspeere, entstanden aus Jagdwaffen, eine große Rolle; Zweikämpfe zwischen führenden Persönlichkeiten scheint es öfters gegeben zu haben, aber direkte Nahkämpfe mit vielen Beteiligten (und Opfern) waren sehr selten. Damit einher geht aber wieder die „Normalität“ des Krieges: Er scheint recht oft geführt worden zu sein.
Auch hier setzt übrigens später eine erhebliche Brutalisierung ein; hierfür einfach nach Mfecane oder Shaka googeln...
Als drittes Beispiel möchte ich die gleiche Zeit in Europa anführen: Die sog. Lineartaktik. Diese ist im Gegensatz zu Bsp 1 und 2 hervorragend belegt und untersucht, evtl erhellt dass (über 2.500 Jahre oder 25.000 km hinweg) etwas.
Auch in Europa wurde im 18. Jh. der Krieg nach „Regeln“ geführt, die von der zur Verfügung stehenden Bewaffnung und der gesellschaftlichen Situation bedingt waren; Schlachten liefen nach einem fest eintrainierten Schema ab, an dem schon geringe Veränderungen (Friedrichs schiefe Schlachtreihe bspw) „revolutionär“ wirkten. Der „kleine Krieg“ abseits des Schlachtfeldes nahm zwar eine gewisse Rolle ein, aber selten eine wirklich kriegsentscheidende.
Auch damals spielten Verträge, Kriegserklärungen etc. eine große Rolle: Der Hof bzw die Regierungen bestimmte, wann sich wo welche Truppen schlugen, und diese stellen die Kampfhandlungen ein, wenn die Regierungen sich einig wurden; der Kabinettkrieg ist wohl das Schlagwort. Und auch im 18. Jh. wurde Krieg vorwiegend in der warmen Jahreszeit und tagsüber geführt. Dank der Notwendigkeit, die stehenden Heere zu versorgen (und wenig Anlass/Möglichkeit zur Desertion zu nutzen), und dem daraus resultierenden Magazinal-System war auch die „Restbevölkerung“ weniger betroffen als bei Kämpfen zwischen Armeen, die sich „aus dem Land heraus“ versorgen müssen.
Ein großer Unterschied ist, dass die mit der Lineartaktik geschlagenen Schlachten alles andere als unblutig waren. Dennoch wurde im 18. Jh. recht häufig Krieg geführt, und nur selten führte dies zu Zerstörung und Verelendung, wie sie andere Jahrhunderte prägten; am ehesten trifft das noch auf die Gebieten zu, die Friedrich im 7-jährigen Krieg bis aufs Blut aussaugte, um eben diesen zu finanzieren...
Auch die Epoche der Lineartaktik endete übrigens mit einem „großen Clash“, der alle althergebrachten militärischen Regeln, Gepflogenheiten und Erkenntnisse auslöschte, zusammen mit der alten politischen Ordnung und mal wieder ungezählten Menschenleben.
Soweit erst mal; zu was all diese Gedanken führen weiß ich selbst noch nicht, eine Pointe oder Hauptaussage gibt’s daher auch nicht. Interessant finde ich, inwieweit sich hier soziale Voraussetzungen und militärische Notwendigkeit gegenseitig beeinflussen, um eine gewisse „Bändigung“ des Krieges zu erreichen... und wie dann veränderte Voraussetzungen und Notwendigkeiten diese nachhaltig zerstören.
So long fürs erste
Reinecke
bei meiner Beschäftigung mit der Militärhistorik ist mir folgendes immer wieder aufgefallen: In manchen Zeiten scheint sich das Kriegswesen einer Epoche/Kultur in festgelegten Bahnen zu bewegen; es nahm fast den Charakter eines Rituals an, in dem jeder eine festgelegte Rolle oder Funktion ausübte, auch wenn der Ausgang natürlich offen blieb. Wenn es nicht um Krieg ginge wäre ich fast versucht, es mit einem sportlichen Wettkampf zu vergleichen...
Ich möchte an ein paar Beispielen erläutern, was ich meine:
Den Begriff „ritualisiert“ habe ich im Forum kürzlich im Zusammenhang mit der klassisch-griechischen Phalanx verwandt (Danke nachträglich für den Grünen in dem Zusammenhang... ). Das Buch „Die Kriege der griechischen Antike“* macht das an sieben Punkten fest, die tatsächlich lange Zeit über das militärische Geschehen in großen Teilen Hellas' dominierten:
*Hrsg Joachim Hack; teilweise interessant, aber mE nicht unbedingt zu empfehlen, außer in diesem Punkt; und die miese Sicht auf Alexander ist interessant...
1. Formelle Kriegserklärungen, Waffenruhen und Verträge
2. Religiöse Rituale, Opfer u.ä. Vor dem direkten Aufeinandertreffen
3. Kampfhandlungen sind auf Frühjahr und Sommer und Tageslichtzeiten beschränkt
4. Schnelle Beendigung des Tötens nach Entscheid der Schlacht; lange Verfolgungen waren unüblich. Während der Schlacht bot der große Schild, der Helm und der Panzer einen hinlänglichen Schutz, so dass die Zahl der Toten und Verweundeten recht niedrig gelegen haben dürfte.
5. Vereinbarung über die Gefallenen; auch den Besiegten wurden normalerweise erlaubt, ihre Toten zu bergen, ohne dass diese geschändet wurden; die Bitte, dies tun zu drüfen, galt auch als Eingeständnis in die eigene Niederlage.
7. Begrenzung der Technik; lange Zeit dominierten die Hopliten als schwere, in der Phalanx fechtende Infantrie das Kriegsgeschehen alleine; effektive Leichtbewaffnete gab es vor dem 5. Jh. praktisch gar nicht, Reiter dienten nur zur Aufklärung. Damit blieben die Kampfhandlungen vornehmlich auf das Zusammentreffen der beiden Phalangen beschränkt.
Solange alle Beteiligten sich diesen „Regeln“ unterwarfen war es möglich, dass Krieg eine nahezu alltäglich Sache war und durchaus als das Mittel der Wahl begriffen wurde, um Meinungsverschiedenheiten oder Landstreitigkeiten zwischen zwei oder mehreren poleis zu entscheiden, ohne dass dies regelmäßig zur Verheerung weiter Landstriche oder zum Tod unzähliger Menschen geführt hätte. In dieser Hinsicht scheint mit dem Aufstieg Athens seit den Perserkriegen und v.a. dem peloponnesischen Krieg eine eklatante Brutalisierung des Kriegsgeschehens eingetreten zu sein.
Das zweite Beispiel stammt aus einer völlig anderen Zeit, anderen Kultur und anderem Kontinent: Die Stämme der Bantu bzw Nguni, die im 18. Jh. im südöstlichen Afrika lebten, betrieben nach allem, was ich darüber herausfinden konnten, ebenfalls eine stark ritualisierte Kriegsführung. Hierbei spielten Wurfspeere, entstanden aus Jagdwaffen, eine große Rolle; Zweikämpfe zwischen führenden Persönlichkeiten scheint es öfters gegeben zu haben, aber direkte Nahkämpfe mit vielen Beteiligten (und Opfern) waren sehr selten. Damit einher geht aber wieder die „Normalität“ des Krieges: Er scheint recht oft geführt worden zu sein.
Auch hier setzt übrigens später eine erhebliche Brutalisierung ein; hierfür einfach nach Mfecane oder Shaka googeln...
Als drittes Beispiel möchte ich die gleiche Zeit in Europa anführen: Die sog. Lineartaktik. Diese ist im Gegensatz zu Bsp 1 und 2 hervorragend belegt und untersucht, evtl erhellt dass (über 2.500 Jahre oder 25.000 km hinweg) etwas.
Auch in Europa wurde im 18. Jh. der Krieg nach „Regeln“ geführt, die von der zur Verfügung stehenden Bewaffnung und der gesellschaftlichen Situation bedingt waren; Schlachten liefen nach einem fest eintrainierten Schema ab, an dem schon geringe Veränderungen (Friedrichs schiefe Schlachtreihe bspw) „revolutionär“ wirkten. Der „kleine Krieg“ abseits des Schlachtfeldes nahm zwar eine gewisse Rolle ein, aber selten eine wirklich kriegsentscheidende.
Auch damals spielten Verträge, Kriegserklärungen etc. eine große Rolle: Der Hof bzw die Regierungen bestimmte, wann sich wo welche Truppen schlugen, und diese stellen die Kampfhandlungen ein, wenn die Regierungen sich einig wurden; der Kabinettkrieg ist wohl das Schlagwort. Und auch im 18. Jh. wurde Krieg vorwiegend in der warmen Jahreszeit und tagsüber geführt. Dank der Notwendigkeit, die stehenden Heere zu versorgen (und wenig Anlass/Möglichkeit zur Desertion zu nutzen), und dem daraus resultierenden Magazinal-System war auch die „Restbevölkerung“ weniger betroffen als bei Kämpfen zwischen Armeen, die sich „aus dem Land heraus“ versorgen müssen.
Ein großer Unterschied ist, dass die mit der Lineartaktik geschlagenen Schlachten alles andere als unblutig waren. Dennoch wurde im 18. Jh. recht häufig Krieg geführt, und nur selten führte dies zu Zerstörung und Verelendung, wie sie andere Jahrhunderte prägten; am ehesten trifft das noch auf die Gebieten zu, die Friedrich im 7-jährigen Krieg bis aufs Blut aussaugte, um eben diesen zu finanzieren...
Auch die Epoche der Lineartaktik endete übrigens mit einem „großen Clash“, der alle althergebrachten militärischen Regeln, Gepflogenheiten und Erkenntnisse auslöschte, zusammen mit der alten politischen Ordnung und mal wieder ungezählten Menschenleben.
Soweit erst mal; zu was all diese Gedanken führen weiß ich selbst noch nicht, eine Pointe oder Hauptaussage gibt’s daher auch nicht. Interessant finde ich, inwieweit sich hier soziale Voraussetzungen und militärische Notwendigkeit gegenseitig beeinflussen, um eine gewisse „Bändigung“ des Krieges zu erreichen... und wie dann veränderte Voraussetzungen und Notwendigkeiten diese nachhaltig zerstören.
So long fürs erste
Reinecke