Da ich gerade den gesamten Ordner quer lese, und versuche nach übergreifenden Stichworten versuche zu strukturieren (mit der Idee, dass man Themen schneller wiederfindet), fiel mir natürlich auf, dass viele Diskussionen um die "Definition des Keltischen" und die Vorgeschichte gehen - Sepiola hat oben noch einmal die sich manchmal überschneidenden, manchmal auch divergierenden Definitionen (archäologisch, linguistisch, philologisch) aufgeführt. das Rätselhafte ist für uns zu erklären, wie sich eine Kultur soweit ausdehnen konnte - die Hypothese, dass dies durch Wanderungen aus einem definierten Kernraum geschah, ist naheliegend, da der Einfluss dieser "Kultur" (als hilfsweiser Begriff) sehr ausgedehnt ist, und tatsächlich historisch greifbare Expansionen / Wanderungen in den antiken Quellen für das 4. bis 2.Jahrhundert greifbar sind (Norditalien, Balkan, Griechenland, Tylis, Kleinasien/Galatien), und daher frühere uns unbekannte Wanderungen vermutet werden können.
Inzwischen ist aber gerade über die archäologische Forschung bekannt, dass dies für viele Gebiete unzutreffend ist. Beispielhaft ein "Randbereich" (hilft das Zentrum/Ursprungsgebiet - Randmodell überhaupt weiter?) für die Niederlande und das Rheinland: "Zwischen Rhein und Nordsee fand man viele keltische Gegenstände und auch Reste keltischer Sprache können nachgewiesen werden. Lebten hier also Kelten? Die römischen Überlieferungen geben in dieser Frage keine klare Antwort. Daher sind nun Archäologen und Linguisten der Identität der eisenzeitlichen Bewohner auf der Spur. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass mit Beginn der Eisenzeit keine neue Bevölkerung einwanderte. Die Keltisierung der Gesellschaft muss daher andere Gründe haben. Großflächige Siedlungsgrabungen und die Untersuchung von Gräberfeldern belegen, dass man offensichtlich mit wechselnden zeitlichen Schwerpunkten keltische Bräuche übernahm. Hierbei behielt man im engeren und weiteren Lebensbereich eigene Traditionen bei. Vieles deutet darauf hin, dass vor allem die eisenzeitliche Elite Träger der keltischen Kultur war."(Ausstellung Das Geheimnis der Kelten in Nordwesteuropa 2008) zur Kritik:
Verhart: Den Kelten auf der Spur: Archäologie Online
Ich möchte jetzt auf einen Raum eingehen, der nahe am Ort des diesjährigen Bundestreffens liegt, das Hessisch-Westfälische Bergland eingehen.
In der Urnenfelderzeit (späte Bronzezeit) war nur der südliche Teil dieses Gebietes bis zum Lahntal, den Beckenlandschaften um Limburg, Wetzlar, Gießen und Amöneburg Teil eines geschlossenen Siedlungsgebiets. Rothaargebirge und Westerwald in den Höhenlagen bleiben relativ fundarm.
Die Gebiete gehörten zur nördlichen Peripherie der Urnenefelderkultur, die westliche am Rhein gelegenen Teile gehörten zur Rheinisch-Schweizerisch-Ostfranzösischen-Gruppe, der östliche zur Untermainisch-Schwäbischen Gruppe der Urnenfelderkultur. Die kulturelle Ausrichtung ging jedoch in beiden Teilen nach Süden bzw. Südwesten. In der Übergangsphase von Bronzezeit zu Eisenzeit, die unterschiedlich angesetzt wird (fließender Übergang der Stufen Ha B2/3 und Ha C, W.Kubach 1994, Koberstadter Kultur stark von süddeutschem Hallstattraum beeinflußt; Keramik unterscheide sich kaum von Urnenfelderzeit; Trennung zwischen Urnenfelder Kultur und Koberstadter Kultur Laufelder Gruppe kulturell und chronologisch K.Dielmann, 1949; Jockehövel 1990, Herrmann 1966 Heynowski 1992 sehen fließenden Übergang, jedoch unterschiedliche Definitionen:Ha B2/3 als Frühstufe der Eisenzeit oder Ha C (800 - 620 v Chr.) als letzte Phase der Urnenfelderkultur) folgen die Laufelder Gruppe auf die Rheinisch-ostfranzösische Gruppe, die Koberstadter Kultur auf die untermainisch-schwäbische Gruppe. In der Keramik lässt sich urnenfelderzeitliches Kultursubstrat erkennen (F.Verse 2011). Es besteht eine Belegungskontinuität auf den Gräberfeldern zwischen beiden Stufen, was auf ein ungefähr gleichbleibendes Bevölkerungssubstrat hindeute.
In der nachfolgenden Stufe 2 der älteren Eisenzeit (HA D 620 - 450 v.Chr.)) folgen auf die Laufelder Gruppe chronologisch und kulturell die ältere Hunsrück-Eifelkultur (deren Einfluss bis zum Limburger Becken reichte), auf die Koberstadter Kultur eine Mittelgebirgszonenkultur, in der ein kultureller Bruch (Verse spricht von Zäsur) feststellbar ist: der Mittelgebirgsraum entwickelt eigenständige Kulturformen, die sich vom süddeutschen Hallstattraum abgekoppeln, die kulturelle Vermittlung läuft verstärkt von Osten nach Westen (und umgekehrt), das Gebiet wird zum eigenständigen Kulturraum nördlich des Westhallstattkreises. Eine Hypothese dazu ist, dass durch eine verstärkte Erschließung des Raumes, auch höherer Lagen und deren Besiedlung ab Ha D (2) auch eine neue Verkehrs - und Transportstruktur auf neuen West-Ostachsen der Höhenwege entstanden sind, die den Austausch verschiedener Kulturgruppen ermöglichte - dagegen spricht, zumindestens für die Laufelder und Koberstadter Kultur, dass die großen Flüsse Main, Lahn und Sieg hervorragende Ost-Westverkehrsachsen auch schon in der frühen Eisenzeit gewesen waren. Anders ist dies vielleicht für den thüringischen und nordostbayerischen Raum, die durch Thüringer Wald und Rhön stärker von den westlich liegenden Siedlungslandschaften abgetrennt waren.
Dieser geraffte Überblick der archäologischen Forschung auf einen begrenzten Raum zeigt, wie vielfältig die Entwicklungen sein können: vom intensiven kulturellen Austausch nach Süden in Urnenfelderkultur und früher Hallstattzeit bis zur Entwicklung einer kulturellen Eigenständigkeit unter Beibehaltung regionaler Besonderheiten einer Mittelgebirgsnordgruppe ab Hallstatt D / Frühlatene - ohne das der kulturelle Austausch nach Süden in den West - und Osthallstattkreis komplett abgebrochen wurde (Funde von Schlangenfibeln und Hallstattdolch-scheiden). Ob die nachfolgende Erschließung der Rohstoffgebiete Lahn-Dill oder Siegerland und die intensivierte anmutende "Metallindustrie" ab Latene A auch durch zugewanderte Spezialisten erfolgte, wer die überraschende " planmäßige Erschließung" (Claus Dobiat, Uni Marburg) organisierte (Überschussproduktion, Prospektion, Holzkohlegewinnung, Eisenhandel und Weiterverarbeitung) , ist kaum nachvollziehbar - insgesamt zeigt sich in dieser Zeit gravierende gesellschaftliche Veränderungen in den "keltischen Gesellschaften und Personenverbänden", auch im Mittelgebirgsraum, über deren Ursachen verschiedene Hypothesen existieren (Klimaverschlechterung, soziale Umbrüche). Die verstärkte Nutzung von Rohstoffen und Ressourcen (Eisen, Gold, Silber, Salz) machte die Mittelgebirgszonen (wieder) interessant für einen überegionalen Markt und Wirtschaftsraum, so dass dieses Gebiet auch Teil der Oppidakultur wurde (Niedenstein, Amöneburg, Heidetränk, Dünsberg, Dornburg), im Spätlatene mit eigenständiger Münzprägung. Man könnte das historisch als eine Wiederannäherung an den süddeutschen - schweizerisch - ostfranzösischen Raum bezeichnen, unter Beibehaltung der alten Beziehungen nach Westen (Eifel-Hunsrückkultur/Treverer) und Osten (Thüringen/Böhmen - Boier). Vielleicht lässt sich auf dem Umweg einer mehr mikroskopisch - kleinteiligen regionalen Betrachtung der historischen Entwicklung die Dynamik und die Ursachen einer Keltisierung annähernd verstehen.
Zur Vertiefung noch ein Artikel, der im einleitenden Teil die Region um Ha D / Latene A mitskizziert:
http://www.academia.edu/4592239/Hol...Zentralorte_der_Kelten_Stuttgart_2010_289-318