Das Thema ´Papias-Fragmente´ ist so komplex, dass es einen eigenen Thread verdient, vor allem, wenn man etwas gründlicher in die Details eintauchen möchte. Ich eröffne ihn mit einem Kommentar zu Richard Bauckhams Argumenten für Papias´ Kenntnis des Johannesevangeliums, die er 2006 vorgebracht hat. Allerdings ist er sechs Jahre nach der Publikation von "Jesus and the Eyewitnesses" (2006), aus welcher der im Kanon-Thread von Sepiola zitierte Satz (S. 51) stammt,
Auf S.17 heißt es:
Ich gehe dennoch auf Bauckhams Argumente im älteren Werk ein, (1) weil Bauckham im Prinzip bei seinen Thesen bleibt, auch wenn er seine Begründung betr. Papias´ Kenntnis des Joh geändert zu haben scheint (ohne sie im neueren Werk nennen, siehe sein letzter Satz auf S.18), und (2) weil die Argumente nicht nur von ihm vorgebracht werden.
(Übrigens hat bis zu Tatian in der zweiten Hälfte des 2. Jh. kein einziger bedeutender christlicher Autor explizit auf das Joh Bezug genommen. Papias wäre eine Ausnahme von dieser empirischen Regel.)
Bauckhams Argumente betr. Joh-Kenntnis des Papias (in "Jesus and the Eyewitnesses", S. 51 ff.) sind in einer Reihenfolge aufgeführt, die vermutlich der Relevanz entspricht, die er den einzelnen Argumenten bemisst (und/oder beimaß). Ich beginne also mit dem wichtigsten:
(1)
Eus. Hist. eccl. 3.39,4:
Dieses Argument gibt es bereits seit dem 19. Jh. (u.a. Lightfoot und Zahn).
In Joh 1,35 werden zwei Joh.d.T.-Schüler als erste Jünger berufen, einer bleibt unbenannt, der andere ist Andreas. Darauf folgt die Berufung von Andreas´ Bruder Petrus und des Philippus (1,41-44). Die Reihenfolge Andreas bis Philippus stimmt also mit Papias´ Auflistung überein. Dann wird bei Papias Thomas - der im Joh sehr spät in 11,16 erscheint - genannt, wohingegen im Joh auf Philippus sofort Nathanael folgt (1,45), der bei Papias keine Erwähnung findet, obwohl er im Joh bei seiner Berufung auffallend exponiert wird:
Die nächsten von Papias Genannten sind die Zebedaiden Jakobus und Johannes sowie Matthäus, die im Joh bis zum regulären Ende (Joh 20,31) aber nicht auftreten. Das Kap. 21 ist eine redaktionelle Ergänzung ("Nachtragskapitel"), in der die Zebedaiden zwar genannt werden, aber nicht mit ihren individuellen Namen Jakobus und Johannes.
Zwischenfazit:
Die Parallelität der Reihe ´Andreas-Petrus-Philippus´ in beiden Texten ist in der Tat auffällig (manche Anhänger dieser These neigen dazu, ´Thomas´ aus dem Argument auszuklammern, irritiert durch die Auslassung von ´Nathanael´ und weil bei Thomas keine Berufung geschildert wird). Auf dieser Dreierreihe aber eine Gewissheit zu gründen, Papias habe Joh gekannt, führt denn doch zu weit, weil ein Zufall nicht ausgeschlossen werden kann. Mit kaum weniger Plausibilität könnte man die Reihenfolge A-ndreas, P-etrus und Ph-ilippus auch auf die Position der Anfangsbuchstaben im altgriechischen Alphabet zurückführen (mein Argument).
(PS. Nachträglich habe ich festgestellt, dass bereits W. Weiffenbach im 19. Jh. ("Das Papias-Fragment bei Eusebius") auf die alphabetische Reihenfolge hingewiesen hat.)
Trotz allem einmal angenommen, Papias hätte auf Joh Bezug genommen, dann ist zu fragen:
a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert, der laut Nachtragskapitel 21,24 das Evangelium verfasst hat,
b) diesen ´geliebten Jünger´ mit dem anonymen Joh.d.T.-Schüler gleichgesetzt, der neben Andreas zu den beiden Erstberufenen in 1,35 zählt,
c) und also den Zebedaiden Johannes als ersten in der Auflistung von Apostelnamen genannt (statt Andreas)?
Bauckham selbst stellt sich diese Fragen, ohne ihre Herkunft aus der deutschen Papias-Literatur zu erwähnen, und schlussfolgert auf S. 418:
Dass Papias in seiner Liste den Zebedaiden nicht an den Anfang setzte, ist also weniger ein Indiz dafür, dass Papias dem Zebedaiden die Autorschaft absprach, als vielmehr dafür, dass er das Joh gar nicht kannte.
Eine Identität von Zebedaide und Presbyter bei Papias ist insofern auszuschließen, als beide in Eus. 3.39,4 separat und in unterschiedlichen Zeitformen aufgeführt werden. Zwar wird auch der Presbyter als ´Herrenjünger´ bezeichnet, was aber keine unmittelbare Jesus-Gefolgschaft bedeuten kann (dessen Historizität hier einmal vorausgesetzt), da andernfalls der Presbyter ein unwahrscheinlich hohes Alter erreicht haben müsste. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Papias den Presbyter fälschlich für einen direkten Zeugen des Jesus hielt.
Fazit:
Die Parallelität der ersten drei Apostelnamen bei Papias und Joh ist kein zwingendes Indiz für eine Joh-Kenntnis des Papias.
in diesem Punkt deutlich zurückhaltender geworden. In einem kurzen Text von 2012 ("Papias and the Gospels") schreibt er auf S.1:There should be no doubt that Papias knew the Fourth Gospel.
Beachtenswert ist der Sprung von "no doubt" zu "possibility".In Jesus and the Eyewitnesses I have discussed many aspects of Papias and the Gospels, including detailed study of his comments on Mark and Matthew, the possibility that he knew John´s Gospel and (...)
Auf S.17 heißt es:
Beachtenswert ist hier der Sprung von "no doubt" zu "I am not sure".The final question we must pose is whether Papias did use written Gospels as sources, in addition to his oral information, when he actually wrote his book. If we had the whole of his preface (...) we would probably know the answer. As it is, I am not sure that we can.
Ich gehe dennoch auf Bauckhams Argumente im älteren Werk ein, (1) weil Bauckham im Prinzip bei seinen Thesen bleibt, auch wenn er seine Begründung betr. Papias´ Kenntnis des Joh geändert zu haben scheint (ohne sie im neueren Werk nennen, siehe sein letzter Satz auf S.18), und (2) weil die Argumente nicht nur von ihm vorgebracht werden.
(Übrigens hat bis zu Tatian in der zweiten Hälfte des 2. Jh. kein einziger bedeutender christlicher Autor explizit auf das Joh Bezug genommen. Papias wäre eine Ausnahme von dieser empirischen Regel.)
Bauckhams Argumente betr. Joh-Kenntnis des Papias (in "Jesus and the Eyewitnesses", S. 51 ff.) sind in einer Reihenfolge aufgeführt, die vermutlich der Relevanz entspricht, die er den einzelnen Argumenten bemisst (und/oder beimaß). Ich beginne also mit dem wichtigsten:
(1)
Eus. Hist. eccl. 3.39,4:
Dazu Bauckham:Wenn aber irgendwo jemand, der den Presbytern nachgefolgt war, kam, erkundigte ich mich nach den Berichten der Presbyter: Was hat Andreas oder was hat Petrus gesagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder was Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn (...)
(Das darin angeschnittenen Themas ´Papias und Matthäus´ hebe ich mir für auf einen anderen Beitrag auf)There is his (= Papias, Anm. Chan) list of seven disciples (...), the first six of whom (Andrew, Peter, Philip, Thomas, James, John) are in a distinctive Johannine order, the order they appear in the Fourth Gospel, with James and John in fifth and sixth place (...), and Matthew, a non-Johannine disciple important for Papias as a disciple who wrote a Gospel, in seventh place.
Dieses Argument gibt es bereits seit dem 19. Jh. (u.a. Lightfoot und Zahn).
In Joh 1,35 werden zwei Joh.d.T.-Schüler als erste Jünger berufen, einer bleibt unbenannt, der andere ist Andreas. Darauf folgt die Berufung von Andreas´ Bruder Petrus und des Philippus (1,41-44). Die Reihenfolge Andreas bis Philippus stimmt also mit Papias´ Auflistung überein. Dann wird bei Papias Thomas - der im Joh sehr spät in 11,16 erscheint - genannt, wohingegen im Joh auf Philippus sofort Nathanael folgt (1,45), der bei Papias keine Erwähnung findet, obwohl er im Joh bei seiner Berufung auffallend exponiert wird:
Da stellt sich die Frage, warum Papias ausgerechnet Nathanael, den Jesus hier in ganz besonderer Weise anspricht, aus einer am Joh orientierten Auflistung ausgeschlossen haben soll, nur um in seiner Liste mit Thomas fortzufahren, dessen Berufung im JohEv überhaupt nicht geschildert und der in 11,16 nur ganz nebenbei in die Handlung eingeführt wird. Eine größere ´theologische´ Bedeutung von Thomas gegenüber Nathanael ist nicht erkennbar, die den Vorzug des Thomas auf Kosten des Nathanael rechtfertigen könnte, im Gegenteil: Sein Auftritt in Kap. 20 als ´ungläubiger Thomas´ prädestiniert ihn kaum zu einem Vorzeige-Apostel in der Art von Nathanael (1,47 ff.). Beim ersten Erscheinen des ´auferstandenen´ Christus sind beide, Thomas und Nathanael, zugegen, sie haben als Zeugen dieses (im christlichen Glauben) hochbedeutsamen Ereignisses für die nachfolgende Generation also den gleichen Wert.47 Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist. 48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. 49 Nathanael antwortete und spricht zu ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! 50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres denn das sehen. 51 Und spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.
Die nächsten von Papias Genannten sind die Zebedaiden Jakobus und Johannes sowie Matthäus, die im Joh bis zum regulären Ende (Joh 20,31) aber nicht auftreten. Das Kap. 21 ist eine redaktionelle Ergänzung ("Nachtragskapitel"), in der die Zebedaiden zwar genannt werden, aber nicht mit ihren individuellen Namen Jakobus und Johannes.
Zwischenfazit:
Die Parallelität der Reihe ´Andreas-Petrus-Philippus´ in beiden Texten ist in der Tat auffällig (manche Anhänger dieser These neigen dazu, ´Thomas´ aus dem Argument auszuklammern, irritiert durch die Auslassung von ´Nathanael´ und weil bei Thomas keine Berufung geschildert wird). Auf dieser Dreierreihe aber eine Gewissheit zu gründen, Papias habe Joh gekannt, führt denn doch zu weit, weil ein Zufall nicht ausgeschlossen werden kann. Mit kaum weniger Plausibilität könnte man die Reihenfolge A-ndreas, P-etrus und Ph-ilippus auch auf die Position der Anfangsbuchstaben im altgriechischen Alphabet zurückführen (mein Argument).
(PS. Nachträglich habe ich festgestellt, dass bereits W. Weiffenbach im 19. Jh. ("Das Papias-Fragment bei Eusebius") auf die alphabetische Reihenfolge hingewiesen hat.)
Trotz allem einmal angenommen, Papias hätte auf Joh Bezug genommen, dann ist zu fragen:
a) Warum hat er den Zebedaiden Johannes, der in der Alten Kirche unangefochten als Verfasser des Joh galt, nicht mit dem ´geliebten Jünger´ identifiziert, der laut Nachtragskapitel 21,24 das Evangelium verfasst hat,
b) diesen ´geliebten Jünger´ mit dem anonymen Joh.d.T.-Schüler gleichgesetzt, der neben Andreas zu den beiden Erstberufenen in 1,35 zählt,
c) und also den Zebedaiden Johannes als ersten in der Auflistung von Apostelnamen genannt (statt Andreas)?
Bauckham selbst stellt sich diese Fragen, ohne ihre Herkunft aus der deutschen Papias-Literatur zu erwähnen, und schlussfolgert auf S. 418:
Da aber Andreas an erster Stelle erscheint, steht für Bauckham fest, dass Papias(...) if Papias recognized the Beloved Disciple in the anonymous disciple of 1:35–39, he would have placed him first in the list.
Bauckham will damit seine These stützen, Papias´ "Presbyter Johannes" - und nicht der Zebedaide - habe Joh verfasst, was aber überhaupt nicht mit der altkirchlischen Konvention der Autorschaft des Zebedaiden Johannes zusammengeht. Hätte Papias irgendwo in seinen Schriften diese Autorschaft angezweifelt bzw. anders dargestellt, warum ist davon bei Irenäus und Eusebius nichts zu lesen?did not identify him (= den ´geliebten Jünger´) as the son of Zebedee.
Dass Papias in seiner Liste den Zebedaiden nicht an den Anfang setzte, ist also weniger ein Indiz dafür, dass Papias dem Zebedaiden die Autorschaft absprach, als vielmehr dafür, dass er das Joh gar nicht kannte.
Eine Identität von Zebedaide und Presbyter bei Papias ist insofern auszuschließen, als beide in Eus. 3.39,4 separat und in unterschiedlichen Zeitformen aufgeführt werden. Zwar wird auch der Presbyter als ´Herrenjünger´ bezeichnet, was aber keine unmittelbare Jesus-Gefolgschaft bedeuten kann (dessen Historizität hier einmal vorausgesetzt), da andernfalls der Presbyter ein unwahrscheinlich hohes Alter erreicht haben müsste. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Papias den Presbyter fälschlich für einen direkten Zeugen des Jesus hielt.
Fazit:
Die Parallelität der ersten drei Apostelnamen bei Papias und Joh ist kein zwingendes Indiz für eine Joh-Kenntnis des Papias.
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(Fortsetzung im nächsten Beitrag)
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