Also dann - bleiben wir beim Nebenkriegsschauplatz im Dekumatenland:
Sofern es den bayerischen Teil Raetiens betrifft, will ich nicht diametral widersprechen. Ich würde allenfalls die Fragezeichen unterstreichen (und an das Wort "starke" ebenfalls ein Fragezeichen machen). Auf das um 260 n. Chr. von den Römern geräumte Gebiet würde ich diese These nicht übertragen. Da sind wir in einem anderen Jahrhundert unter anderen Bedingungen.
Alle Informationen, die ich auf die Schnelle finde, laufen darauf hinaus, dass die militärischen Besatzungen bereits im 1. Jahrhundert wieder abgezogen wurden. Die zivilen Siedlungen blieben bestehen, wurden also nicht um 250/260 "zweitgegründet", sondern - ganz im Gegenteil - in dieser Zeit endgültig aufgegeben:
Das stimmt nur teilweise, etwa für das von Dir genannte Urspring. Die Gräber aus Urspring stammen nur aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Der Ort scheint daher Mitte des 2. Jahrhunderts verlassen worden zu sein.
Aber was ist woanders?
Kastell D von
Ennetach/Donau entstand wohl noch in frühflavischer Zeit und war möglicherweise bis in frühdomitianische Zeit belegt, wie eine Münze des Domitian aus dem Jahr 81 n. Chr. vermuten lässt. Danach befand sich dort für lange Zeit nur noch eine Zivilsiedlung.
Aber was ist mit der Kastellbauphase "E" im
Kastell Ennetach – nach Wikipedia? Die Bauphase war offenbar
nachdem die Limesgrenze unter Domitian/Traian (90 - 115 n. Chr.) bzw. in der antoninischen Phase (ab 150 bis 3. Jh. n. Chr. weit in das Barbaricum vorverlegt worden war.
Eine solche "
Kastellbauphase E" kann in diesem Bereich historisch nur im Zusammenhang mit dem Limesfall und dem Versuch einer Rückverlegung der Reichsgrenze an die obere Donau und Rhein (entsprechend der Grenze zur frühen Kaiserzeit, 15 v. Chr. bis 69 n. Chr.) erklärt werden, bevor dann in der Spätantike (letztes Drittel 3. Jahrhundert bis 5. Jahrhundert) endgültig die weitere Rückverlegung an die Iller erfolgte.
Dann zu
Hüfingen / Brigobane, das an der Donau liegt und in der Tabula ausdrücklich als Straßenstation genannt wird. Die römische Siedlungsperiode dauerte bis 350 n. Chr. (
Quelle), also über den "Limesfall" hinaus bis kurz vor die weitere Rückverlegung zur Iller-Grenze.
Besonders interessant ist in dem Zusammenhang auch
Rißtissen - denn zur Römerzeit war die Donau wohl ab der Einmündung der Riß abwärts (bis Regensburg und darüber hinaus) schiffbar.
Mir ist hier vor einigen Tagen vorgeworfen worden, dass ich Wiki "unvollständig" zitiere. Der wichtige Satz:
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hätte gefehlt.
Daher ist es auch nur bedingt tauglich, wenn ich zu
Kastell Rißtissen – Wikipedia zitiere, mit der Aussage:
Bemerkenswert sind am damaligen Ostrand von Rißtissen, 70 Meter südlich des Kastells geborgene Münzgussformen, die 1920 gefunden wurden. Die Forschung ist sich bis heute nicht einig, ob die 267 Modeln, die Münzen der römischen Kaiser
Septimius Severus (193–211),
Geta (211),
Caracalla (211–217),
Diadumenianus (218) und
Elagabal (218–222) imitieren, zu einer Falschmünzerwerkstatt gehörten oder ob es sich, wie Befunde aus verschiedenen Gebieten des Römischen Reiches nahelegen, um offizielle
Notprägungen aus grenzpolitisch unruhiger werdenden Zeiten handelt, als etliche Gebiete von der Zufuhr frischen Geldes zeitweilig abgeschnitten waren. Der Althistoriker
Karl Christ sprach in diesem Zusammenhang von einer „dezentralisierten Herstellung“.
- denn diese "Imitate" sind offenbar
in der fraglichen Zeit Mitte des 3. Jahrhunderts produziert worden. Und das deutet nicht auf eine verlassene Siedlung hin.
Es bestätigt vielmehr die Erkenntnis aus den bisher aufgefundenen Grabstätten dieser Epoche im "Keil" zwischen Rhein und Donau:
Das deutliche Zurückgehen bekannter Bestattungen wird sich zum Teil mit den geänderten Bestattungssitten und nicht selten flachen, ärmlichen bis beigabenlosen Brandbestattungen erklären lassen, die weniger gut archäologisch fassbar sind; vielfach herrscht Beigabenlosigkeit vor *). Das entspricht auch dem Befund aus dem deutlich stärker beanspruchten Gräberfeld von Regensburg aus römischer und merowingischer Zeit.
Die im Dekumatenland stark ausgedünnte, verbliebene Restbevölkerung, die unter den Raubzügen der bis aus dem nördlichen Elbegebiet anrückenden elbgermanischen Kriegerhorden zu leiden hatte, war verarmt - aber immer noch vorhanden.
Auch in Stuttgart-Bad Canstatt sind bis zum Anfang des 3. Jhdts. diverse Bestattungen nachweisbar. Zudem erwähnt
Joachim (2017, 187 – 190) vorberichtlich fünf römische Gräber. Zwei Gräber stammen nach Theune
(2004, 457) aus der Spätantike. Eine insgesamt deutlich höhere Gesamtanzahl römischer Gräber wird in
Filtzinger (Stuttgart-Bad Cannstatt. In: D. Planck (Hrsg.), Römer in Baden-Würt-temberg (Stuttgart 2005, 331) mit etwa 3000 erwähnt.
Das unterscheidet etwa Urspring an der von Euch präferierten Trassenführung von anderen Orten. Btw.: auch Rottweil ist wohl über den Limesfall hinaus besiedelt gewesen
Nachdem die römischen Truppen um 260 n. Chr. die Region verlassen hatten („
Limesfall“), ging auch
Arae Flaviae unter;
vermutlich existierte aber eine deutlich reduzierte Siedlung noch einige Zeit weiter.
Wikipedia
Martin Grünewald (Studien zur Bevölkerungsdichte und Migration in Obergermanien und Raetien. Ein Überblick anhand ausgewählter Gräberfelder, S. 181 f) schreibt dazu:
Von einer stärkeren Abwanderung ausgenommen blieben unter den Kastellorten einzig jene, die nach der militärischen Aufgabebesondere Infrastruktur- oder Zentralortfunktionen wahrnahmen.
Die gegenteilige Entwicklung vollzog sich nach der Zeit um 260 n. Chr.: Die betrachteten Bestattungsplätze im Rechtsrheinischen und nördlich der Donau werden nicht mehrweiterbelegt, die Anzahl der betrachteten Gräber entlang der neuen (bzw. teilweise alten) Flussgrenze steigt erneut auf ein höheres Niveau. Daraus lässt sich für die Spätantike auf eine Migration zur Donau-Iller-Rhein-Grenze schließen, ein mindestens teilweiser Rückfluss der Bevölkerung aus dem rechtsrheinischen ... Raum ist anzunehmen.
...
Damit sehe ich für die Zeit
- nach 250 den Bestand weiterer römischer Funktions-Siedlungen im Dekumatenland und
- zwischen 250 n. Chr. (Aufgabe des Limes) und 370 n. Chr. (Rückverlegung der Grenze zur Iller) die "Wiederbelebung" einer Kette von Ortschaften entlang der Donau
durchaus bestätigt.
Und nochmal:
ganz egal, wie ihr die Trassenführung der Tabula von Kaiseraugst nach Regensburg
durch die Alemannia legen wollt:
sie führt eben durch die Alemannia, also nördlich des Bodensees vorbei.
Das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Und das bedeutet, dass die Straße auch nach dem Abzug der römischen Staatsmacht weiter genutzt werden konnte, ja, sogar so weit genutzt wurde, dass eine Darstellung in der Tabula erfolgte.
*) vgl.
WIEBE, Das spätkaiserzeitliche frühvölkerwandungszeitliche Gräberfeld in Lampertheim, 2012, 87–101;
THEUNE C. , Germanen und Romanen in der Alamannia. Strukturveränderungen aufgrund der archäologischen Quellen vom 3.bis zum 7. Jahrhundert. RGA Ergbd. 45 (Berlin, New York 2004) 2004,180.
SCHACH-DÖRGES, Zu süddeutschenGrabfunden frühalamannischer Zeit. Versuch einer Bestandsaufnahme. Fundber. Baden-Württemberg 22, 1, 1998, 627–654 1998, 646.
Zusammenfassend DIES. 1998;
zuletzt THEUNE a.a.O. , 438–460 Liste 5 mit frühvölkerwanderungszeitlichen Gräbern in Südwestdeutschland