Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Dieses Thema im Forum "Völkerwanderung und Germanen" wurde erstellt von Sepiola, 24. Februar 2020.

  1. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    nur kurz zu Rottweil:
    nach der Tabula Peutingeriana ist ein Weg der Donau entlang von Regensburg nördlich des Bodensees durch den Schwarzwald eingezeichnet, obwohl dieses Gebiet den Alemannen zugewiesen ist
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/50/TabulaPeutingeriana.jpg
    Dieser Weg hätte durchaus auch Rottweil passieren können.

    Und unmittelbar an der "Allgäustraße" (Römerstraße Kempten (an Betzigau vorbei) - Augsburg) befindet sich der Ort "Baisweil".
    BayernAtlas

    Das sind mir bei den -weil Orten alles zu viele Zufälle, als dass es nicht zu Straßenstationen passen würde, die noch in frühbaiuwarischer Zeit besetzt waren.
    Ich meine durchaus, dass sich eine romanische (Rest-)Bevölkerung nicht nur in den Städten wie Augsburg und Regensburg erhalten haben dürfte:
    Quelle: Castra Regina – Wikipedia

    Und auch die Aussage von Schöntag/Czezior (Varia Selecta - Ausgewählte Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft … S. 133) scheint mir schlüssig:
    Wir können inzwischen durchaus feststellen, dass der Herrschaftsübergang von den Römern auf die Bajuwaren fließend vonstatten ging. Diese Germanen wurden schließlich mit der Aufgabe des Grenzschutzes betraut. Und noch die Ostgoten haben Anspruch auf das Voralpengebiet erhoben.
    Ein solcher administrativer Anspruch setzt aber ein Mindestmaß an funktionierenden Verkehrswegen mit Rast- und Versorgungsstationen etwa für Boten voraus.
    Auch die Pilgerfahrt von Venantius Fortunatus im Jahre 565 verlangt ein funktionierendes Straßennetz. Die Straßenstationen dürften also die letzten "Bastionen" gewesen sein, die auch in schwierigen Zeiten aufrecht erhalten und später von den Agilolfingern übernommen und weiter geführt wurden.
    An der adminstrativen Verwaltung änderte sich auch nichts, als 536 das Gebiet nördlich der Alpen an die Franken abgetreten wurde. Diese haben mit den Agilolfingern eines der bayrischen Uradelsgeschlechter als ihre Regenten bestätigt.

    Dass sich dies an der mit zahlreichen Städten versehene Provinz Noricum z.B. mit Salzburg, Lorch-Enns oder Passau leichter "belegen" lässt als im eher ländlich geprägten Raetien (mit den wenigen größeren Orten wie Augsburg, Kempten, Regensburg und Bregenz) spricht nicht gegen diese These.
     
  2. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Du meinst diese Straße (ich dachte, ich hätte den Beitrag schon mal verlinkt)?
    https://www.geschichtsforum.de/attachments/upload_2019-2-13_22-44-43-png.17969/

    Die führte durch Rottweil.

    Sie führte aber nicht durch Weil der Stadt.
    Sie führte auch nicht durch Weilimdorf.
    Sie führte auch nicht durch Weil im Schönbuch.
    Alle diese Weil-Orte lagen abseits der wichtigen Römerstraßen.
    Und daher ist die These "Weil-Orte zeichnen sich durch ihre Lage an wichtigen Römerstraßen aus" falsch.
     
  3. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das ist auch so ungefähr meine Meinung. Ich würde allerdings hinzufügen, dass dem archäologischen Befund zufolge die villae rustica praktisch flächendeckend aufgegeben wurden, und zwar zum großen Teil schon im 3. Jahrhundert. Danach finden wir in einigen Gegenden noch "Streusiedlungen". Ich halte es für denkbar, dass deren Bevölkerung bereits germanischsprachig war, während sich die romanisch sprechende Bevölkerung weitestgehend in die ummauerten Orte zurückgezogen hatte (wo angesichts germanischer Söldnern und Föderaten eine zweisprachige Bevölkerung anzunehmen ist). Mancherorts waren fruchtbare Landstriche tatsächlich verlassen (z. B. der Gäuboden), andernorts bestand eine stark reduzierte dünne Besiedlung ("Streusiedlungen") weiter.
    Eine völlige Neuordnung des ländlichen Raums lässt sich dann im archäologischen Befund ab dem mittleren 6. Jahrhundert feststellen.

    "Die Ereignisse um die Jahre 357/358 bedeuten faktisch das Ende der Besiedlung im offenen Gäuboden. [...] Im Gäuboden sind erste Siedlungen auf dem flachen Land wieder für die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts feststellbar." (Günther Moosbauer, Die ländliche Besiedlung im östlichen Raetien während der römischen Kaiserzeit, Espelkamp 1997)

    Siehe auch: Jochen Haberstroh, Transformation oder Neuanfang? In: Gründerzeit, St. Ottilien 2019
     
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  4. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    der dann auch schreibt (S. 558 )
    (nichts anderes versuche ich ständig deutlich zu machen).

    Für diesen Thread von größerem Interesse scheint mir Fehr ("Die Anfänge Bayerns, St. Ottilien 2014 S. 311 ff, der auf S. 316 auch eine Karte der Germanisch-Romanischen Sprachgrenze und des spätantikeon Rhein-Iller-Donau-Limes darstellt.

    Dabei kommt für die "Germanisierung" des nördlichen Alpenvorraumes insbesondere der Besiedelung durch Alemannen (später vereint mit Sueben) und Baiuwaren besondere Bedeutung zu:

    1. Alemannisches Vordringen in Raetien:
    Wir wissen von den Historikern, dass die Alemannen etwa ab 260 n. Chr. von Norden her kommend in diesem Dekumatland niedergelassen haben.
    und
    (Wikipedia)
    (Heitmeier, a.a.O. S. 489)

    Für dieses Zeit von ~ 500 bis etwa 540 möchte ich das Vordingen der Alemannen östlich der Iller zumindest bis zum Lech ansetzen. Denn (wieder Wikipedia wie vor):
    Damit war aber nicht zwingend die Vertreibung der romanischen Vorbevölkerung verbunden. Schöntag ("Varia selecta - Ausgewählte Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft …" S. 134 f) verwendet die Begriffe einer "Baselromania", "Schwarzwaldromania", "Regensburgromania", "Passauromania", "Augsburgromania" und auch "Salzburgromania" um größere Sprachinseln im Umfeld der alten römischen Städte zu bezeichnen. Dazu kommen Rückzugsorte im alpinen Bereich (Walchen-Namen) sowie nach meiner Überzeugung die strategisch wichtigen Straßenstationen (Villa), die auch von den Neuankömmlingen zur Aufrechterhaltung der Verwaltungsherrschaft und -kontrolle dringend benötigt wurden (Boten- , Rast- und Versorgungsstationen). Deren Beibehaltung ist schon anzunehmen, weil diese Neuankömmlinge das Gebiet friedlich und nicht mit Gewalt übernommen hatten.

    2. Baijuvarische Landnahme in Noricum und Raetien:
    Das dem Franken Theudebert I. überlassene Protektorat über "anderen benachbarten Stämme" können nur Stämme auf dem Boden der Provinz Raetien (denn nur diese unterstand formal den Ostgoten) gewesen sein - also Sueben (seinerzeit wohl noch von den Alemannen unterschieden) und Baiuvaren (die Burgunder waren ja schon gut 100 Jahre vorher abgezogen).

    Wir können also davon ausgehen, dass die Bajuwaren schon vor 536/537 in der Provinz Raetien nördlich bzw. westlich des Inn ansässig waren. Das ist auch zu erwarten, wenn die Römer den Schutz der Donaugrenze von Passau über Künzing, Straubing und Regensburg bis zur Iller auch germanischen Hilfstruppen anvertraut hatten.
    Das waren die Baiuwaren, die auch im benachbarten Noricum unter einem eigenen "Dux" (Herzog) entsprechende Dienste leisteten. Deren "Dux" dürfte auf dem Gebiet der Provinz Raetia im Umfeld der römischen Provinzregierung, also in Augsburg, residiert haben (Anm.: Garbiald I., der 548 durch den fränkischen König Theudebald als Herzog bestätigt wurde, soll noch in Augsburg residiert haben).

    Und ich nehme durchaus an, dass auch diese bajuwarischen Bauernkrieger (Selbstversorger) ebenso wieder friedlich die vielfach von den Römern verlassenen Gebiete besetzten, nicht aber romanische Restbevölkerung vertrieben.

    Diese fränkische Herrschaft ging damit formal bis zum Inn, der römischen Provinzgrenze zwischen Raetien (nun unter fränkischer Herrschaft) und Noricum (als äußerstem Vorposten Konstantinopels - dazu und zum weiteren Heitmeier in "Gründerzeit …" S. 500 ff).
    Sie "zerschnitt" damit das Gebiet der Bajuwaren unter den Agilolfingern, die sich ja in beiden Provinzen - auch hier angefangen als Hilfstruppen zur Grenzsicherung an der Donau - ausgebreitet hatten.

    Damit kommen wir zu einem interessanten Phänomen: erst nach einer militärischen Niederlage (im Jahr 787 !) mussten die Bayern "das Recht König Karls" für den östlichen Teil, also die vormalige Provinz Noricum anerkennen. Und noch bis spätestens in das 7. Jh. war der Begriff Noricum als Abgrenzung zum raetischen Gebiet in Gebrauch. Heitmeier schließt das aus dem Nurihtal - lat. vallis Norica - in der lautverschobenen Form "Nurih" (Heitmeier in "Die Anfänge Bayerns …" S. 518 ff - 521) - Zitat:
    mit anschließenden Ausführungen zur kirchlichen Organisation, die "der weltlichen folgte".
    Noch Bischof Arbeo von Freising (wir kennen ihn aus der Gründung von Scharnitz) beschreibt im späten Jahrhundert die "besondere Konstellation des Herzogtums, aus auf dem Boden zweier römischer Provinzen lag" (Heitmeier, "Die Anfänge Bayerns …" S. 520).

    Um 555 wird von Garivaldus Dux berichtet, dem König Chlothar I. die langobardische Königstochter und merowingische Königswitwe Waltrade zur Frau gab.
    Um 565 beschreibt Venantius Fortunatus bekanntlich, dass die Baiovarius den Weg von Augsburg am Lech entlang bis zu den Alpen kontrollierten.
    (Quelle: Wikipedia)


    Das ist dann nichts anderes als die Anerkennung einer faktischen Machtstellung der bayrischen Herzöge, die sich mit Noricum auch auf eine (zunächst den Franken nicht unterstehende) weitere Provinz stützen konnten (dazu Heitmeier, a.a.O. S. 510 ff) - verbunden mit einer "Rangerhöhung" ("rex" wie bei Odoaker als "rex Italiae") aber zugleich mit einem damit verbundenen Machtanspruch (von den Franken eingesetzt) der Franken über das ganze baierische Gebiet, das als "Provinz Noricum" auch von den Karolingern so bezeichnet wurde (Heitmeier, "Die Anfänge Bayerns …" S. 522). .
     
    Zuletzt bearbeitet: 18. Juli 2020
  5. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    dennoch ist das Gebiet der Provinz Raetien erst 535 den Franken - die Provinz Pannonia Savia mit dem südöstlichen Teil Binnennoricums erst um 550 von Kaiser Justinian den Langobarden - überlassen worden. Das setzt ein Mindestmaß an Herrschaft und kein herrenloses, verlassenes Gebiet voraus. Und das Mindestmaß verlangt eine funktionierende Verwaltung, die auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen ist und auf einer wohl ausgedünnten, aber durchaus noch vorhandenen Restbevölkerung aufbauen kann.
    Das "Zwischengebiet" - also die restliche Provinz Noricum - ist von den Baiuwaren in Besitz genommen worden, die mit einer "Schaukelpolitik" zwischen Franken und Langobarden möglichst viel Unabhängigkeit für ihr Stammesgebiet erreichen wollten.
     
    Zuletzt bearbeitet: 18. Juli 2020
  6. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das ist mir bekannt. Ich hatte in früheren Diskussionen ja auch schon Wolfgang Kleiber / Max Pfister, Aspekte und Probleme der römisch-germanischen Kontinuität (Stuttgart 1992) zitiert. Beim Schwarzwald handelt es sich eindeutig um ein Rückzugsgebiet - hier haben sich die letzten Romanen in z. T. bislang unbesiedelte Täler zurückgezogen.

    Auch das ist kein Diskussionspunkt.

    Und für diese Überzeugung fehlt es bislang an Begründungen, die auch andere überzeugen könnten. Der lateinische Begriff villa bezeichnet nämlich im allgemeinen keine Straßenstation, sondern ein ländliches Anwesen oder auch (in der Spätantike) ein Dorf. "Strategisch wichtige Straßenstationen" bzw. Pässe, Flussübergänge, Verkehrsknotenpunkte wurden von den neuen alemannischen bzw. bajuwarischen Herren selbstverständlich früher oder später besetzt; daraus kann aber keine romanische Siedlungskontinuität geschlossen werden.
    Die romanische Bevölkerung wird sich auch da auf einige wenige - vor allem befestigte - Punkte konzentriert haben, z. B. in Epfach wohl noch bis ins 5. Jahrhundert.

    Dabei wird der "barbarische" Baiovarius explizit als potentielles Verkehrshindernis beschrieben: "Si vacat ire viam neque te Baiovarius obstat..."
     
  7. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Danke für den Hinweis. Eventuell kann ich im Lauf der nächsten Woche das Buch einsehen. Für welche Zeit stellt Fehr die Sprachgrenze dar und mit welchen Methoden hat er die Sprachgrenze ermittelt?
     
  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Das ist etwas naiv gedacht. Herrscher nehmen für sich häufig nicht nur das tatsächlich beherrschte Territorium in Anspruch, sondern auch eines, worauf sie glauben, Anspruch zu haben. Ich glaube, der spanische König betitelt sich bis heute als König von Jerusalem. Zumindest tat sein Vater das noch. Als Karl V., in der Blüte seiner Säfte junger König von Spanien war, noch bevor er auch deutscher König wurde, bot ihm Franz I. ihm seine Tochter Louise zur Frau und als Mitgift Neapel. Die Prinzessin war nicht einmal ein Jahr alt (und sollte auch nur drei Jahre alt werden) und Neapel hatte Karl längst von seinen spanischen Großeltern, um genau zu sein von seinem aragonesischen Großvater geerbt. Franz bot Karl also etwas, das de facto seit gut 80 Jahren von seiner Familie großväterlicherseits beherrscht wurde und zuletzt vor 80 Jahren in Anjou-Besitz gewesen war. Will sagen: Franz hätte auf Ansprüche verzichtet, die er eh nicht gegen Karl durchsetzen konnte. Justinian war 535 der Herrscher des römischen Ostreichs, das Westreich existierte da seit 70 Jahren nicht mehr, die genannten Gebietsabtretungen waren letztendlich nur das Eingeständnis, dass das eh längst nicht mehr römisch kontrolliertes Gebiet war. Man hatte gerade das die Region um Karthago wieder zurückerobert, und war jetzt dabei, das Ostgotenreich zu zerschlagen. Die Franken waren da ein willkommener Verbündeter, denn die waren katholisch, im Gegensatz zu den arrianischen Ostgoten. Den Franken also einen Teil des ostgotischen Territoriums zuzugestehen, bedeutete, die Rückeroberung Italiens von den Ostgoten für Rom zu erleichtern und ggf Bündnisse zwischen den Germanen zu verhindern, denn nach Afrika und Italien war Spanien dran - dessen Rückeroberung aber nur im Süden gelang, Sevilla, Córdoba, Málaga konnten 552 wieder ins römische Reich integriert werden, dann war Schluss mit den justitianischen Rückeroberungen. Aber die Stoßrichtung war doch klar: Das römische Reich in seiner Gänze und Integrität wiederherzustellen, das konnte auch den Franken auf Dauer nicht gefallen. Nur solange, wie man mit Justinian das Interesse teilte, West- und Ostgoten zu schwächen.
     
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  9. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Mit der Abtretung Raetiens 535 meint Erich aber doch die Abtretung durch die Ostgoten, nicht durch Byzanz.
     
  10. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    bist Du da mit den "natürlichen katholischen Verbündeten" sicher?
    Justinian war nach WIKIPEDIA zwar sehr fromm, aber auch Anhänger der orthodoxen Kirche, scheint aber durchaus im Gegensatz zu weströmischen Bischöfen, insbesondere auch dem Bischof Vigilius von Rom gestanden zu haben. Letzendlioch wird er als Wegbereiter der Kirchenspaltung zwischen der (oströmischen) Orthodoxie und der (westlichen) katholischen Kirche gesehen.
    Schon das Konzil von Ephesus (431) und erst recht das Konzil von Chalcedon (451) brachte eine Reihe von Abspaltungen mit sich.
    Schisma – Wikipedia
     
  11. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Dann habe ich ihn falsch verstanden. Ich sehe aber nach wie vor als Agens nur Justinian genannt. Gut, ist ein wenig verschachtelt der Satz, vielleicht hast du Recht.
     
  12. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich habe den Begriff "natürlicher .... Verbündeter" nicht verwendet. Ich habe geschrieben "willkommener Verbündeter", weil katholisch.

    Das Morgenländische Schisma/Μεγάλο Σχίσμα war erst im 11. Jhdt. Insofern sehe ich das Problem nicht.
     
  13. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    dann bitte ich um Entschuldigung, da habe ich Dich wohl falsch verstanden
    J...ein, bereits unter Justinian gab es die Differenzen zwischen dem (ost-)römischen Herrscher und den Bischöfen seines Herrschaftsbereiches mit dem Bischof von (West-)Rom, der sich als legitimer Nachfolger von Petrus und Paulus in der Rolle eines "primus inter pares" sah.
    Dem stand der Anspruch des orthodoxen Bischofs von Konstantinopel/Byzanz entgegen, der sich als Bischof am Regierungssitz in einer bevorzugten Stellung sah.
    Die Differenzen belegt schon die Tatsache, dass Justinian den römischen Bischof Vigilius festnehmen lies. Die gemeinsame Kirche konnte die Differenzen bis zum endgültigen morgenländischen Schisma zwar immer wieder überspielen, letztendlich ist das Schisma aber nur bis zum 11. Jh. mühselig überkleistert aufrecht erhalten worden.
     
  14. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Es gab seit Beginn 'Schismen', Häresien, Dissens innerhalb des Christentums, innerhalb und zwischen den Ortskirchen, den Bischöfen etc.. Justinian verstand und sah sich als Oberhaupt der römischen Reichskirche inklusive Rom, Alexandria, Antiochia etc., wie schon Konstantin d. Gr. Dass das römische Bischofsamt sich im Laufe der Jahrhunderte eine Sonderstellung zubilligte, schließlich die ganze Welt umfassend, katholisch, hat mit orthodox, also rechtgläubig, erst mal nichts zu tun, das sind verschiedene Bereiche.

    Zwischen dem Bischof von Rom und dem weltlichen römischen Herrscher in Konstantinopel entwickelten sich vor allem Machtfragen auf weltlicher, religiöse-theologischer und kirchlicher Ebene. Daher hat Justinian und nicht der Bischof von Konstantinopel Vigilius nach Konstantinopel verbringen lassen.
     
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  15. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    Ich lese gerade "Baiern und Romanen" von Wiesinger/Greute (Hrsg.).; auf S. 91 ff wird das Gebiet im südlichen Oberbayern abgehandelt. In Auszügen zitierend:
    Wir haben hier also eine schöne Beschreibung der Sprachgrenze im 7./8. Jh. vor uns.

    Insgesamt möchte ich von einer langsamen aber stetigen Durchdringung dieses Raumes mit einer zunehmend bairisch-germanischen Bevölkerung ausgehen. Wie das geschieht, ist auf Seite 80 recht anschaulich geschildert.
    Archäologisch wird das Ergebnis durch die erschlossenen Gräberfelder (Sindelsdorf 1. Hälfte 6. Jh. bis frühes 8. Jh. - u.a.) bestätigt, in denen in der Frühzeit überwiegend romanische Bestattungen im Laufe der Zeit zunehmend durch germanische Bestattungsbeigaben ersetzt wurden.

    In dem Kontext ist dann auch die Ausführung auf S. 90 nicht uninteressant:
     
    Zuletzt bearbeitet: 20. Juli 2020
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  16. Erich

    Erich Aktives Mitglied

    Lass mich die Reihe noch mit Wannweil zwischen Reutlingen und Tübingen ergänzen.
    Weil der Stadt, Weilimdorf sowie Weil im Schönbuch (mit dem zugehörigen Ortsteil Neuweiler) sowie das genannte Wannweil liegen alle im ehem. Dekumatenland, und zwar in dem Gebiet, das im 1. Jh. bzw. zuletzt um 150 n. Chr. unter Antoninus Pius dem römischen Reich integriert wurde.
    Es wurde während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts
    Quelle: Wikipedia

    Mir liegt für das Gebiet nur eine Karte der bedeutenden römischen Fernstraßen vor, an der wohl auch Rottweil liegt.
    Die genannten Ortschaften liegen zwischen Rottenburg, Pforzheim und Cannstatt bzw. nördlich von Cannstatt, wo wichtige Fernstraßen nach Wimpfen bzw. in Richtung Speyer eingezeichnet sind.
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Agri_decumates_Karte.png

    Weil der Stadt ist etwa zwischen Rottenburg und Pforzheim zu verorten. Und da finde ich:
    Quelle: Weil der Stadt – die Keplerstadt im Landkreis Böblingen | Das Dorf Weil , ebenso Wikipedia

    Zu Weil im Dorf finde ich
    Quelle Wikipedia

    Zu Weil im Schönbuch finde ich
    Quelle Wikipedia

    Zu Wannweil finde ich
    Quelle

    Dazu
    1.
    Aus dem mir vorliegenden und im Internet einsehbaren bayerischen Denkmalschutzatlas, den ich hier schon mehrfach verlinkt habe, lässt sich ein archäologisch zumindest in Teilstrecken nachgewiesenes deutlich (!) dichteres römisches Straßennetz entnehmen als in den antiken Quellen (Itinerarium Antonini und Tabula Peutingeriana) genannt ist und auch in dieser "Fernstraßenkarte" aufgezeichnet sind.
    So fehlen die (sogar als Fernstraßen) wichtigen Verbindungen zwischen der Via Claudia (Epfach) und der Via Raetia (über Wessobrunn - Weilheim bzw. Wessobrunn - Peißenberg - Oberhausen) und durch das Ammertal bei Ammergau.
    Darüber hinaus sind die nur regional und lokal bedeutenden Straßenverbindungen nicht aufgeführt.
    Woher nimmst Du also die Gewissheit, dass die von Dir genannten Orte "abseits der (wichtigen) Römerstraßen" lagen?
    Auch wenn man unterstellt, dass das Dekumatenland nur eine sehr viel kürzere Zeit zum römischen Reich gehörte als die Provinz Raetia östlich der Iller - auch im Dekumatenland ist jedenfalls ein dichteres Wegenetz zu erwarten als in den historischen Quellen und der bisher sehr lückenhaften archäologischen Erfassung aufgezeigt ist.

    2.
    Ich möchte hinterfragen, ab die in der Tabula Peutegerania abgebildete "Donaustraße" von Regensburg südlich der Donau entlang https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/50/TabulaPeutingeriana.jpg durch den Schwarzwald nach (jeweils mit Fragezeichen, ich kann die Begriffe nicht ganz lesen) Samulocemo, Brigobane, Tenedonce und Augusta Ruracum (sicher Augst, jenseites des Rheins) führende Straße tatsächlich durch Rottweil geführt hat.
    Ich vermute vielmehr die geradlinige Weiterführung im Donau- und Bregtal etwas südlich an Donaueschingen vorbei bis zu einem Übergang über die Breg (wohl Hüfingen mit seinem Kastellbad) und von dort entlang der Wutach (Achdorf, Weilheim/Baden, Birndorf), den Hotzenwald passierend, nach Süden zum Rhein, während die Straße vom Übergang aus nach Norden weiter bis Rottweil führte.

    Nun stammt die Tabula wohl aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts (ca. 375 n. Chr.), zu einer Zeit also, zu der das Gebiet schon seit rund 100 Jahren im Alemannischen Herrschaftsgebiet lag. Wenn also trotzdem (!) in der Tabula eine Straße nördlich des Bodensees vorbei bestätigt ist, dann war diese zu dieser Zeit noch benutzbar - was auch den Bestand entsprechender Straßenstationen im alemannischen Gebiet voraus setzt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 20. Juli 2020
  17. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Bei diesem Gedankengang wäre ich vorsichtig. Die TP beinhaltet zum Beispiel auch Pompeii, das bereits seit knapp 300 Jahren unter einer Ascheschicht begraben war. Es ist davon auszugehen, dass diese Karte auf älteren Vorläuferkarten beruhte, und dass nicht alle Angaben zu dem Zeitpunkt noch aktuell waren.
     
  18. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Die Namen sind:

    Aus Rottenburg stammt eine Inschrift mit der gut lesbaren Ortsangabe SUMELOCENNENSIS:
    7414 Bauinschrift (Bilder)

    Aus Köngen stammt ein Meilenstein mit der Angabe A SUMEL M.P. XXVIII:
    7387 Meilenstein des Kaisers Hadrian

    29 Meilen entspricht ziemlich genau der Entfernung Köngen-Rottenburg. (Die Entfernung auf den Peutingertafeln ist auf dieser Strecke wahrscheinlich in Leugen, nicht in Meilen angegeben.)

    Außerdem gibt es eine Köngener Inschrift, auf der sowohl die Ortsangaben [SU]MELOCENES
    wie auch VICI GRINAR zu lesen sind:
    7389 Bauinschrift für die Umfassungsmauer eines Jupiterheiligtums (Bilder)

    Damit steht zweifelsfrei fest, dass Rottenburg mit Sumelocenna und Köngen mit Grinario zu identifizieren ist.
    Die Straße zwischen Rottweil und Rottenburg ist teilweise heute noch sichtbar, die Straße zwischen Rottenburg und Köngen archäologisch gesichert. In der Gegend von Wannweil verlief sie links des Neckar, in Wannweil kann es also keine Straßenstation gegeben haben.

    Aus Rottweil stammt ein Wachstäfelchen mit der Orts- und Datumsangabe ACTUM MUNICIPIO ARIS PRIDIE N AUGUSTAS [etc.]:
    Datei:Römermuseum Osterburken (DerHexer) 2012-09-30 035.jpg – Wikipedia
    Demnach ist auch nicht daran zu zweifeln, dass Rottweil ein municipium mit dem Namen Arae war.
     
    Zuletzt bearbeitet: 20. Juli 2020
    Erich gefällt das.
  19. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Die eine wichtige Römerstraße lief (von Augst) über Rottweil (municipium) und Rottenburg (civitas) nach Köngen (vicus, ursprünglich mit Kastell). Dort gab es eine Abzweigung nach Osten über die Alb - das ist die Strecke, die auf den Peutingertafeln erwähnt wird. Die Nord-Südverbindung ging aber weiter zum Kastell Bad Cannstatt (römischer Name unbekannt), und von dort zweigte die nächste wichtige Straße nach Westen ab, die über Pforzheim in die Rheinebene führte. Diese Straße ist archäologisch sehr gut nachvollziehbar:

    Hier der Verlauf in der Gegend Weil der Stadt / Weilimdorf:
    https://www.gerlingen.de/die+roemer+in+gerlingen

    Damit haben wir zweifellos die beiden wichtigsten Fernstraßen im Bereich Wannweil / Weilimdorf / Weil der Stadt / Weil im Schönbuch.
    Und zweifellos liegt keiner dieser Orte direkt an der Straße. Um einen Abstecher in diese Orte zu machen, war man zu Fuß oder mit bepacktem Maultier jeweils mindestens eine Stunde unterwegs.
     
    Zuletzt bearbeitet: 20. Juli 2020
  20. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Mir fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung, warum Bestattungsbeigaben in Gräbern ein und desselben Friedhofs (!) Auskunft über die bevorzugte Sprache des einzelnen Individuums geben könnten.

    Das einzige, was uns irgendeinen Hinweis auf die Sprache der in Sindelsdorf Bestatteten liefern kann, ist der Ortsname mit dem deutschen Grundwort Dorf und dem deutschen Namen Sindolf - mit deutschem Genitiv -(e)s - als Bestimmungswort.
     

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