Wenn aber beide Bevölkerungsgruppen sich nicht mischen durften, könnte innerhalb der gotischen Bevölkerung das Gotische noch gebraucht worden sein.
Ende 6.Jh. unter König Rekkared I, der zum Katholizismus übertrat (und mit ihm der Adel etc), endete der Gegensatz arianisch-katholisch.
Eventuell gibt es einen Zusammenhang zwischen Konfession und Sprache.
Im Zusammenhang mit Wulfilas Bibelübersetzung wurde offensichtlich auch eine Liturgie in gotischer Sprache geschaffen. Aus dem Wandalenreich ist da noch ein Hinweis erhalten: Die anonyme Schrift
Collatio Augustini cum Pascentio, im ausgehenden 5. Jahrhundert im wandalischen Nordafrika entstanden, belegt eine gotisch-wandalische* Liturgieformel 'Froja arme' ("Herr, erbarme dich"). Die Stelle lautet:
Denn im Lateinischen sagen wir 'Domine miserere'. Darf also dieses Erbarmen vom einen Gott selbst, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist allein in hebräischer, griechischer oder zuletzt sogar in lateinischer Sprache erbeten werden, nicht aber auch in einer Barbarensprache? Denn wenn nicht nur die Barbaren in ihrer Sprache, sondern auch die Römer 'Froja arme' sagen dürfen, was die Übersetzung von 'Domine miserere' ist, warum hätte man dann nicht auf den Konzilien der Väter im Land der Griechen selbst, von wo aus das Glaubensbekenntnis überallhin seinen Ausgang nahm, in deren eigener Sprache das Homousion bekennen dürfen, das heißt die eine Substanz des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes?
Collatio Augustini cum Pascentio: Einleitung, Text, Übersetzung (Hrsg. Hildegund Müller, Dorothea Weber, Clemens Weidmann), Wien 2008, S. 115
Sehe ich das richtig? Die 'arianisch-gotischen' Gottesdienste wurden in gotischer Sprache gefeiert, und wenn ein Römer (freiwillig oder gezwungenermaßen) zum 'Arianismus' konvertierte, dann sprach er mit den anderen Mitfeiernden die Volksakklamationen in gotischer Sprache.
Wahrscheinlich hat es trotz der repressiven Religionspolitik der Wandalen nicht sehr viele Konversionen gegeben, aber es wird sie doch wohl gegeben haben.
Im erwähnten Band schreibt Hermann Reichert in einem eigenen Artikel
Die Sprache der Wandalen in Afrika:
Die Versteifung der religiösen Fronten ist wohl so zu sehen: Die Wandalen legten auf Abstammungstraditionen größten Wert und waren vermutlich der Meinung, sie könnten sich nur durch Betonung religiöser Unterschiede von den Römern getrennt und ohne Mischehen erhalten; daher versteiften sie sich auf ihren Arianismus und hatten nichts dagegen, wenn die Römer Katholiken blieben, wenn sie sich nur außerhalb des wandalischen Kerngebietes ansiedelten. Da die Zustimmung der Bischöfe zu Ehen von Grundbesitzern in der frühen Kirche eine große Rolle spielte, war durch die Einsetzung arianischer Bischöfe für die Wandalen deren Weiterexistenz als Volk besser gesichert als durch Maßnahmen zugunsten der gotischen Sprache. Im Denken der altgermanischen Völker spielte die Beibehaltung der Sprache sicher eine geringere Rolle als die Abstammung; die Sprache erhielt die für die ethnische Selbstzuordnung wesentlichste Position erst rund um das 19. Jh.
Ich könnte mir folgendes vorstellen: Als im Lauf der Generationen die Goten und Wandalen im Alltag immer mehr vom Gotischen zum Lateinischen übergingen, wird das dazu geführt haben, dass der gotischsprachige Gottesdienst gegenüber der besser verständlichen lateinisch-katholischen Liturgie an Attraktivität verlor.
* Zwischen Wandalisch und Gotisch gab es, soweit sich das feststellen lässt, keine nennenswerten Unterschiede.