Konfession, Antisemitismus und NS

Jetzt konnte jeder, der genug Geld hatte, ein Gewerbe, eine Manufaktur oder gar eine Fabrik betreiben.
Ganz so einfach war das auch nicht. Je nachdem um was es sich handelte Bergwerke/Einsenbahnlinen z.B. mussten erst einmal Konzessionen erworben werden und das die erteilt wurden, war durchaus nicht immer ein Selbstläufer.
Und die Darstellung, dass Gewerbefreiheit automatisch in den industriellen Aufschwung führte, ist so auch nicht richtig.
In den ländligen Regionen in Preußen, in Mecklenburg oder Bayern kam existierte gleichermaßen Gewerbefreiheit wie in anderen Regionen, die industrielle Entwicklung, wenn man von lokalen Räumen wie Königsberg, Danzig, München oder Nürnberg absieht, fand allerdings nicht oder nur sehr begrenzt statt.

Gerade im ländlichen Bayern und in den preußischen Ostprovinzen, wo Industrie bis zum 2. Weltkrieg eine vollkommeen untergeordnete Rolle spielte, konnte man realiter mit Sentiments gegen jüdische Fabrikbesitzer wohl auch kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlocken, anders als mit Polemiken gegen jüdische Bankies, bedenkt man dass durch die Entwicklung des Agrarsektors und der immer stärker werdenden Konkurrenz aus Russland und Amerika undd den damit verbundenen Preisdruck immer mehr agrarische Betriebe im preußischen Osten und wohl auch in Ostbayern (jedenfalls wurden Teile der Osthilfe in der Weimarer Republik wohl auch dorthin ausgeschüttet) zunehmend in prekäre Finanzsituationen gerieten und auf Kredite angewiesen waren um die eigenen Betriebe zu sanierien und zu reorganisieren/technisch aufzurüsten.

Wenn jüdischer Besitz an Fabriken und Produktionsstätten zu weit verbreiteten antisemitischen Vorurteilen geführt hätten, hätten die antisemitischen Parteien in den großstädtischen Millieus (denn die entstanden ja um diese Fabriken herum) große Wahlerfolge haben müssen, das ist aber nicht der Fall. Die antisemitischen Parteien schnitten da deutlich unterdurchschnittlich ab.

Und es kam wieder zum Vorwurf Luthers: Die Juden arbeiten nicht – sie leben von der Arbeit anderer.

Ne, so einfach ist das nicht.
Luther hatte ja nicht nur den Juden diesen Vorwurf gemacht, sondern er war in diesem Sinne wenigstens so konsequent, auch gegen christliche Personen zu schreiben, deren Modell zum Bestreiten des Lebensunterhalts ihm missfiel.
In diesem Sinne hätten Luthers Einlassungen zwar für die Juden, die aus anderen Bereichen verdrängt wurden gravierende Folgen gehabt, hätte sich die ganze Gesellschaft an Luthers Vorstellungen gehalten und ausgerechnet ihnen diesen Forwurf zu machen, muss vor diesem Hintergrund besonders problematisch erscheinen, darüber sollte man aber nicht aus dem Auge verlieren, dass Luther in Sachen Zinsverbot und, wenn man so möchte "Wirtschaftsethik" nicht einseitig gegen die Juden vom Leder zog, sondern Praktiken, die darauf hinausliefen durch die Investition von Geld Geld zu verdienen generell kritisch gegenüber stand.

Legt man Luthers orientierung am christlichen Zinsverbot zu Grunde und an einer Einstellung, nach der es generell moralisch verweflich sei den eigenen Lebensunterhalt durch "Müßiggang" und Investitionen, statt durch "ehrliche Arbeit" zu verdienen ist Luther in diesen Grundsätzen eigentlich dem theoretischen Marxismus in diesen Dingen näher als stramm antisemitischen Ansichten, wobei ich auch hier explizit keine Kontinuitäten unterstellen würde.
Der Ausschluss der Juden aus den Zünften war zu Luthers Zeit weitgehend Realität, aber den hat Luther weder heerbeigeführt, noch wäre mir bekannt, dass er den jemals legitimiert hätte, insofern wäre zu hinterfragen, wie weit er mit dieser Realität einverstanden war.
Ihm das als judenfeindliche Perfidie auszulegen würde jetzt voraussetzen, dass er damit einverstanden war.
 
Also mussten sie sich in den Städten niederlassen, wo sie aufgrund der Enge ab und zu mit ihren christlichen Nachbarn aneinandergerieten. Wenn bei den Christen die Arbeit aufgrund des Sonntags/Feiertags ruhte, ging sie bei den Juden weiter – und umgekehrt. Es gab im Mittelalter sehr viele christliche Feiertage, bei den Juden weniger. Und es könnte sein, dass Juden dadurch mehr arbeiteten und damit mehr Geld verdienten als ihre christlichen Nachbarn – jetzt abgesehen davon, dass das Arbeiten an einem christlichen Feiertag einem Frevel gleichkam.
Das bedarf einer Ergänzung: Dieses Nichtmitfeiern bei religiösen Festen der Mehrheitsbevölkerung war auch ein, wenn nicht der Grund für die Verfolgung der christlichen Minderheit im römischen Reich. Und im Mittelalter und darüber hinaus traf diese Intoleranz die Minderheit der Juden. Und selbst in unserer aufgeklärten Gesellschaft, in der Religion kaum mehr eine Rolle spielt, gibt es immer wieder Fälle, wo z.B. gegen den Bau von Moscheen demonstriert wird. Auch in einer Großstadt wie München.

Das wird jedoch besonders auf dem Land sichtbar, also dort, wo die Religion noch eine gewisse Rolle spielt und eng mit den Sitten und Gebräuchen verbunden ist. Dort wird auch Uniformität erwartet: In etwas abgelegenen Orten Bayerns sollte man zu Festen schon in Dirndl und Lederhose erscheinen, wer da aus der Reihe tanzt, wird als Fremder oder als Sonderling betrachtet – nur Respektpersonen gestand und gesteht man das Anderssein zu, d.h. ihnen gegenüber wird nicht demonstrativ die kalte Schulter gezeigt.
 
Es geht beim Thema nicht darum, sondern eher darum wo mehr Antisemitismus und mehr Unterstützung für die NSDAP war. Bei letzterem ist die Kenntnislage eindeutig.)


Da würde mich aber dann doch mal interessieren, wie man die Intensität von Antisemitismus und Unterstützung für die NSDAP empirisch messen will.

Es mag zwar unstrittig sein, dass ländliche protestantische Milieus sehr empfänglich für den NS waren. Es mag sein, dass die Katholische Kirche zurückhaltender war, die NSDAP direkt zu unterstützen. Die Katholische Kirche hat mit Sicherheit auch mehr Begehrlichkeiten seitens der Nazis geweckt, sich an Kirchengütern, Kunstschätzen und Grundeigentum der Kirche zu vergreifen, und das geschah häufig mit miesen Methoden, die das Ansehen von Geistlichen diskreditieren sollten-häufig mit Pädophilie-Vorwürfen. Insgesamt mag die Zahl der katholischen Priester und Pfarrer, die in KZs ums Leben kamen, weitaus höher gewesen sein, weitaus höher sicher auch die Zahl der Juden, die ihr Überleben Asyl in katholischen kirchlichen Einrichtungen verdankten.

Insgesamt daraus aber abzuleiten, dass Protestanten den NS stärker unterstützt haben, als Katholiken, halte ich für sehr problematisch. Antisemitismus gab es in protestantischen wie katholischen Gegenden, er war hier wie dort von Anfang an in der Mitte der Gesellschaft vorhanden, und auch in katholischen Gegenden hat die NSDAP große Zustimmung erhalten. Die katholische Kirche mochte zurückhaltender in der Unterstützung gewesen sein, größere Skepsis gegenüber der NS-Bewegung gehabt haben, ideologische Schnittmengen gab es doch auch dort. Ablehnung von Demokratie und Parlamentarismus, Ablehnung der Emanzipation. In Spanien, Italien und in Dollfus Ständestaat gehörte die Katholische Kirche zu den stärksten Säulen des faschistischen Herrschaftssystems. Auch die Katholische Kirche hat überaus willfährig mit dem NS kollaboriert, solange sie sich davon die Erhaltung ihrer Privilegien versprach.

Nach dem Krieg haben katholische Kirchenfürsten wie Alois Hudal und katholische Priester wie Kunoslaw Draganowic Massenmördern wie Klaus Barbie massenhaft Fluchthilfe geleistet und "Rattenlinien" installiert.

In Punkto Unterstützung des NS und Antisemitismus nahmen sich die beiden Kirchen beide nicht viel. Hier wie dort waren es nur Wenige, die Widerstand leisteten.
 
[QUOTE="Dion, post: 871587, member: 25645". Und selbst in unserer aufgeklärten Gesellschaft, in der Religion kaum mehr eine Rolle spielt, gibt es immer wieder Fälle, wo z.B. gegen den Bau von Moscheen demonstriert wird. Auch in einer Großstadt wie München.
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Wenn man in einer aufgeklärten , emanzipatorischen Gesellschaft leben will, warum sollte man dann auch ausgerechnet den Bau von Moscheen begrüßen, zumal wenn Gelder für den Bau aus recht dubiosen Quellen stammen, dubiose Imame aus der Türkei oder Arabien dort predigen, immer wieder Hassprediger ein Podium finden, und immer wieder auch auch die Rede ist von Dschihadisten, die in Moscheen radikalisiert wurden.
 
Dass Luther Juden verabscheute und gegen die Juden agitierte, diesen im Einflussbereich der neuen Lehre Nachteile bescherend, dürfte unstrittig sein.
Völlig einverstanden.

Ebenso scheint es mir eine Tatsache zu sein, dass Luther als prominentester Reformer einen erheblich größeren persönlichen Einfluss auf seine neue Lehre ausüben konnte als seine Kollegen im Geiste, die im Wesentlichen regional beschränkt blieben.

Unmittelbar in der Reformationszeit ja. Wäre allerdings fraglich, wie das im Folgenden aussah. Hier würde ich noch einmal darauf hinweisen wollen, dass die sich in der Folge herausbildenden lutherischen Landeskirchen bis 1918 der Oberaufsicht der weltlichen Landesherren unterfielen.
Und dass musste mindestens insofern Folgen haben, dass sich Religion und Ordnungspolitik jedenfalls bis 1918 nicht mehr komplett trennen ließen.
Luther hatte außerhalb des kirchlichen/universitären Bereiches keine Amtspflichten Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten und auch keine Herrschaftsinteressen, die es schlicht verboten die Bevölkerung aufzuhetzen.
Mit den Landesfürsten verhielt es sich etwas anders.
Die konnten zwar natürlich ihre persönlichen judenfeindlichen Ansichten haben, gleichwohl musste ihnen aus gleichzeitige Landesherren und Chefs der Landeskirchen daran gelegen sein, dass in den ihnen unterstehenden kirchlichen Einrichtungen nicht so radikal gegen Juden gepredigt wurde, dass es die öffentliche Sicherheit gefährdete und ihre Autorität als Landesherren herausforderte, bzw. zu schwer kontrollierbaren innenpolitischen Problemen führte.

Von dem her, ohne es explizig beweisen zu können, würde ich davon ausgehen, dass in den Jahrhunderten nach Luther die Obrigkeiten sich eher bemühten Luthers antijüdische Ausfälle zu kaschieren und entsprechend auf die ihnen unterstehenden landeskirchlichen Organisationen einzuwirken.

Luther vermarktete sich besser, er hatte den Charme des Rebellen, der dem Kaiser selbst die Stirn geboten hatte, und stand mit den reformierten Fürsten auf du und du.

Ja, aber dieses auf du und du stehen hatte seinen Preis und der lag darin, dass die Fürsten ihre Interessen zuweilen gegen ihn durchsetzten.
Unter anderem die Doppelehe Philipp I. v. Hessen zu schlucken hat Luther einige Bauchschmerzen bereitet.


Kurzum, es erscheint mir plausibel anzunehmen, dass Luther dem deutschen Protestantismus einen Stempel aufdrücken konnte, dessen Abdruck noch lange zu sehen war. Plausibel deshalb, weil die Beobachtung offenbar bestätigt, dass sich in protestantischen Ländern anderer Prägung weniger Antisemitismus regte, etwa in England. (Das Gegenargument, in England hätten kaum Juden gelebt, überzeugt mich nicht; Fremdenfeindlichkeit braucht zur Entstehung keine Nachbarschaft zu Fremden.)

Im Hinblick darauf, dass das Argument, dass in England wenig Juden lebten nicht wirklich überzeugend ist, gebe ich dir recht, nur frage ich mich ob dieser Vergleich nicht etwas reduktionistisch ist, weil er diverse andere sozioökonomische Faktoren nicht berücksichtigt.

Ich würde da z.B. unterstellen dass in England/Großbritannien zunächst einmal die Religion als Identitätskriterium (sofern man die Verhältnisse in Irland ausklammert) für die Bevölkerung ohnehin eine wesentlich geringere Rolle gespielt haben dürfte, als im Besonderen in den deutschsprachigen Gebieten, weil nach Maria Tudor die Reformation in England nicht mehr aufzuhalten war und sich in der Folge die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung relativ homogen ausformte, so dass der Folge spätestens ab dem frühen 18. Jahrhundert die religiösen Fragen eigentlich geklärt waren, während die Thematik im deutschsprachigen Raum zwar am Ende des 30-Jährigen Krieges zu der Erkenntnis geführt hatte, dass sich die religiösen Differenzen auf dem Schlachtfeld und durch das Schwert nicht lösen ließen, die Fragen aber weitgehend ungelöst blieben und die Konfessionszugehörigkeit in ganz anderem Maße als in England zu einem regionalen Identifikations- und Abgrenzungsmerkmal werden konnte.

Zumal religiöse Dissidenten, anders als in England, nicht in irgendwelche Kolonien gehen und dort ihr eigenes Ding machen konnten.
Demgegenüber gab es Vertreibungen christlicher Minderheiten im deutschsprachigen Raum bis ins 18. Jahrhundert hinein (Z.B. die Salzburger Exkulanten), während ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, von Seiten der preußischen Regierungen her den Katholiken stehts mit Misstrauen begegnet wurde, sei es wegen des schwierigen Standes, den der preußische Staat in Rheinpreußen durch seine zunächst eher geringe Akzeptanz ohnehin hatte, sei es im Osten durch das Aufkommen der polnischen Nationalbewegung und die Zuspitzung dieses Konfliktes.

Mit einem derartigen permanenten Problemfeld im Hinblick auf religiöse Fragen und der immer wieder auftauchenden Problematik für die Bevölkerung sich in diesen Konflikten zu einer religiösen Gruppe bekennen zu müssen, war England eigentlich seit den Stuart-Königen nicht mehr konfrontiert, Großbritannien allenfalls an der irischen Peripherie.

Überhaupt hatte sich in Großbritannien seit dem Beginn der Neuzeit ja ohnehin eine sozial wesentlich mobilere Gesellschaft herausgebildet, die für dezidierte Standesschranken, auch religiöser Art, deutlich weniger Spielraum ließ, als in den deutschen Territorien.

Auch war die englische Bevölkerung in der Neuzeit deutlich weniger Krisensituationen ausgesetzt, als in anderen Teilen Europas.
Seit der Union mit Schottland und der endgültigen Durchsetzung der englischen Oberherrschaft in Irland, musste die englische Bevölkerung im Grunde bis zum 2. Weltkrieg keine größeren krisenhaften Einschnitte durch Kriegsereignisse mehr erleben, während die europäischen Kriege auf dem kontinentalen Festland zwischen 1700 und 1930 stellenweise für massivstes Elend und soziale Extremsituationen sorgten.

Ich denke da wird man einige Faktoren herausgreifen können, nach deren Betrachtung zu hinterfragen wäre, ob es sinnvoll ist, die Frage nach den Ursachen für den Antisemitismus allein auf die verschiedenen Spielarten des Protestantismus zu reduzieren.


Nichts desto weniger würde ich eine Basis sehen, auf der man den Vergleich durchaus anstellen könnte, aber nicht durch eine gegenüberstellende Betrachtung Großbritanniens und Deutschlands, sondern vielleicht eher durch eine Betrachtung der inneren Verhältnisse in den USA.

Denn insofern der KuKluxKlan, der in den 1920er Jahren eine Massenorganisation war, die Millionen von Mitgliedern hatte auch mit massiven antisemitischen Protestkundgebungen und Aktionen auf sich aufmerksam machte und Briten und Deutsche die traditionellen Haupteinwanderergruppen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dargstellt hatten, hätte man hier eine in Teilen antisemitisch eingestellte Gruppe, die sich, was ihre Zusammensetzung betrifft aus Teilgruppen speiste, die sowohl lutherische, als auch angelikanische Traditionen mitbrachten.
Möglicherweise wäre eine genauere Analyse dieses Phänomens dann aufschlussreich dafür, ob es durch die Konfession bedingt eindeutige Tendenzen für größere Anfälligkeiten für Antisemitismus innerhalb des gleichen oder eines sehr ähnlichen sozioökonomischen Rahmens gibt.
 
Von dem her, ohne es explizig beweisen zu können, würde ich davon ausgehen, dass in den Jahrhunderten nach Luther die Obrigkeiten sich eher bemühten Luthers antijüdische Ausfälle zu kaschieren und entsprechend auf die ihnen unterstehenden landeskirchlichen Organisationen einzuwirken.
im oberen Neckarraum (Reutlingen bis Sulz) hatte der Hochadel zur Finanzierung seiner kostspieligen Repräsentationspflichten jüdische Bevölkerungsteile angesiedelt, die jüdischen Friedhöfe (z.B. in Nordstädten, wo Berthold Auerbach begraben ist) dieser Region sind sehenswert. Das betraf sowohl "reformierten" als auch "katholischen" Adel.
 
Da würde mich aber dann doch mal interessieren, wie man die Intensität von Antisemitismus und Unterstützung für die NSDAP empirisch messen will.

Was soll ich sagen?
Messen ist ja in der Geschichtsforschung nicht so einfach möglich.
Was die Datenauswertung des Wählerverhaltens angeht, so scheint das Ergebnis klar.
Welche Konfession jedoch stärker dem Antisemitismus zugeneigt war, lässt sich wahrscheinlich nicht einfach bestimmen. Da wird das ein „Indizienprozess“ wenn wir uns vorstellen wir müssten als Richter herausfinden wie es war.
Doch scheint mir auch hier die Zuneigung zur Judenmisshandlung größer, mindestens an führenden Stellen.
Ich wollt aber nicht wieder von ganz vorne, sprich #1, anfangen. Wäre auch langweilig.


Ich hab mal versucht mir anzuschauen, wie die „theologische Lage“ so um die Zeit gewesen ist, als Luther 1543 seine Hassschrift versendet.
Da scheint er mir schon ein Extremist im Vergleich zu Eck oder gar Osiander.
Der große Luther blieb groß, und andere blieben Zwerge.
..vielleicht kann man diese Story so erzählen? Ich weiß es nicht.

Wie sich das dann als spezifischer Antisemitismus weiter entwickelte weiß ich nicht, und krieg die Spur erst wieder im Kaiserreich.*
Hier beherbergt die protestantische Kirche des DR durchaus Brutstätten des Antisemitismus, doch gewiss nicht als einzige Organisation.
Dass sich der Antisemitismus der Eliten wilhelminischer Zeit bis in das „3. Reich“ fortsetzte und Blüte fand, darf man m.E. als gegeben ansehen.
Wie groß dabei der protestantische Einfluss, oder gar des Luthers, war wird wahrscheinlich schwer zu wägen sein.
Ich stell mir das vor als Wurzelwerk einer Giftpflanze, oder als bösartige Labor-Mischung aus vielen Zutaten, oder auch mal als Wetterereignis zum perfekten Sturm, oder gar als Conways Game Of Life.
Die Spieler auf der NS-Bühne hatten jedenfalls mit keiner der beiden Konfessionen etwas am Hut.
Ihre Anhänger schon.


* mein missing link – vielleicht findet oder weiß jemand was dazu. Es würde mich interessieren.
 
Da aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; seht ihr zu! 25 Da antwortete alles Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! 26 Da gab er ihnen Barabbas los, aber Jesus ließ er geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt würde. 27 Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Kohorte[1] 2
Matthäus 27 | Lutherbibel 2017 :: ERF Bibleserver

Das wurde vielleicht schon irgendwo thematisiert. Es kann bei allen Christen als Grundlage für die Rechtfertigung von Pogromen dienen.
 
Da scheint er mir schon ein Extremist im Vergleich zu Eck oder gar Osiander.
Der große Luther blieb groß, und andere blieben Zwerge.
Man darf hier den Einfluss von Philipp Melanchthon nicht unterschätzen, der die Luthers Schriften von 1543 als „nützliche Lehre“ verbreitete.
 
Meine Intention war und ist allein, Luther von dem hohen Sockel zu stoßen, den die Protestanten ihrem Gründer errichtet haben.
.


In einem anderen Thread hast du die Meinung geäußert:

Es ist schlicht Hybris, zu glauben nur wir heutigen wissen genau, was sich moralisch gehört und was nicht. Und vergessen dabei, dass unser Denken und Handeln von unseren Nachkommen möglicherweise als falsch und unvereinbar mit der dann geltenden Moral betrachtet werden.

Daraus die Konsequenz gezogen:
Um auf den Punkt zu kommen: Was Colston mit Sklaven machte, war Usus, und was Luther über Juden schrieb auch.

Wenn man die Maßstäbe, die du in einem anderen Thread gelten lassen willst, auch in diesem konsequent anwendet, dann dürftest du Luther eigentlich sein widerliches Pamphlet nicht einmal vorwerfen.


Von mir aus kannst du Luther ruhig vom Sockel stoßen! Wenn der ein oder andere Farbbeutel geflogen kommt- ich halte mich an protestantische Tradition und habe nichts gesehen.

Die Auflagen, die Ikonoklasmus erfüllen muss, um auch nur halbwegs legitim zu sein, sind immerhin doch recht ambitioniert:

Ich habe nichts gegen spontane Bilderstürme aber ich habe etwas dagegen, wenn sie aus politisch, moralisch religiösen Gründen stattfinden, nachdem die Menschen dazu angestiftet oder aufgehetzt wurden. Siehe Bilderstürme... oder jetzt durch politische Korrektheit, die inzwischen dafür sorgt, dass alte Bücher gesäubert werden und Statuen in die Museumsmagazine verschwinden, um sie vor dem Zorn der politisch Korrekten zu schützen.
Diese Bilderstürme sind nichts anderes, als Pogrome gegen Sachen, die Menschen symbolisieren, die aus heutiger Sicht Verbrecherisches gesagt oder getan haben, damals aber völlig normal waren.




-Ikonoklasmus muss unbedingt spontan sein
-Ikonoklasten sollten sich nicht aus politischen, moralischen und religiösen Motiven aufhetzen lassen-
-Ikonoklasmus muss politisch inkorrekt sein
Ikonoklasmus ist nur echt mit gerechtem Zorn, ist politischer Aktivismus, ideologische Verblendung und religiöse Intoleranz im Spiel hat die (gute) Sache ein arges Geschmäckle und gerät zum Frevel.

Spontaner Ikonoklasmus
Politisch inkorrekt
nur aus gerechtem Zorn motiviert, von der "richtigen" Seite aus
Ganz ohne politische, ideologische oder religiöse Stoßrichtung- das klingt wie das Zuchtprogramm für die eierlegende Wollmilchsau.

Könnte es ganz zufällig hin und wieder mal der Fall sein, dass sich die eigene Logik und Weltanschauung selbst in den eigenen Schwanz beißt?
 
(...)das klingt wie das Zuchtprogramm für die eierlegende Wollmilchsau.
Könnte es ganz zufällig hin und wieder mal der Fall sein, dass sich die eigene Logik und Weltanschauung selbst in den eigenen Schwanz beißt?
@Scorpio was du unterstrichen metaphorisch zum Ausdruck bringst, dafür gibt es einen wissenschaftlichen oder besser gesagt methodischen Terminus: der Kausalsimplizismus.
Mit der Methode des Kausalsimplizismus lassen sich Vereinfachungen, Behauptungen, Schlagworte, Irrtümer, Fehlschlüsse etc. zu Kausalketten verknüpfen und erklären dann restlos alles, und das auf variable Art und Weise. So zum Beispiel können wir dank Dions kausalsimplizistischer Forschung variabel in Jesus und in den Hethitern die Ursache für Nazi-Antisemitismus erkennen. Denn wenn in die Reagenzgläser des Kausalsimplizismus "ohne Luther kein NS" eingegeben wird, dann erfolgt in der rückschließenden kausalsimplizistischen Reaktionskette:
1 ohne Luther kein NS
1 a und luther ist böse
2 ohne Kirche kein Luther
2 a die Kirche allerdings ist auch böse, durch alle Zeiten hindurch
2 a ohne Kirche kein Antijudaismus 2 b ohne Kirche keine lutherische Judenhetze
3 ohne predigenden Jesus keine Kirche
-- variable erste Ursache: hätte der Sandalenmann den väterlichen Betrieb übernommen statt zu wanderpredigen, wären der Welt Kirchen und deren Folgen erspart geblieben
4 ohne Versagen der Ägypter/Pharaonen, die nicht alle Juden über die Klinge springen ließen, hätte Moses womöglich das Rote Meer geteilt, aber niemand wäre da durchgelaufen
-- variable zweite Ursache: die Pharaonen haben versagt
5 hätten es die Hethiter den Ägyptern final besorgt, hätte es kein späteres ägyptisches Versagen gegeben
-- variable dritte Ursache: die Hethiter sind an allem schuld, weil sie nur halbe Sachen fertig brachten
@Scorpio die Forschung Dions basiert auf den Kernsätzen böse Kirche/böses Christentum und nieder mit Praenazi Luther und dank der brillanten Methodik ist es unerheblich, ob die Kernsätze wahr oder falsch sind: am Ende ist wahlweise Jesus oder Pharao oder die Hethiter schuld an allem.
:D

difficile est saturam non scribere
 
Zuletzt bearbeitet:
@Scorpio was du unterstrichen metaphorisch zum Ausdruck bringst, dafür gibt es einen wissenschaftlichen oder besser gesagt methodischen Terminus: der Kausalsimplizismus.
Mit der Methode des Kausalsimplizismus lassen sich Vereinfachungen, Behauptungen, Schlagworte, Irrtümer, Fehlschlüsse etc. zu Kausalketten verknüpfen und erklären dann restlos alles, und das auf variable Art und Weise. So zum Beispiel können wir dank Dions kausalsimplizistischer Forschung variabel in Jesus und in den Hethitern die Ursache für Nazi-Antisemitismus erkennen. Denn wenn in die Reagenzgläser des Kausalsimplizismus "ohne Luther kein NS" eingegeben wird, dann erfolgt in der rückschließenden kausalsimplizistischen Reaktionskette:
1 ohne Luther kein NS
1 a und luther ist böse
2 ohne Kirche kein Luther
2 a die Kirche allerdings ist auch böse, durch alle Zeiten hindurch
2 a ohne Kirche kein Antijudaismus 2 b ohne Kirche keine lutherische Judenhetze
3 ohne predigenden Jesus keine Kirche
-- variable erste Ursache: hätte der Sandalenmann den väterlichen Betrieb übernommen statt zu predigen, wären der Welt Kirchen und deren Folgen erspart geblieben
4 ohne Versagen der Ägypter/Pharaonen, die nicht alle Juden über die Klinge springen ließen, hätte Moses womöglich das Rote Meer geteilt, aber niemand wäre da durchgelaufen
-- variable zweite Ursache: die Pharaonen haben versagt
5 hätten es die Hethiter den Ägyptern final besorgt, hätte es kein späteres ägyptisches Versagen gegeben
-- variable dritte Ursache: die Hethiter sind an allem schuld, weil sie nur halbe Sachen fertig brachten
@Scorpio die Forschung Dions basiert auf den Kernsätzen böse Kirche/böses Christentum und nieder mit Praenazi Luther und dank der brillanten Methodik ist es unerheblich, ob die Kernsätze wahr oder falsch sind: am Ende ist wahlweise Jesus oder Pharao oder die Ägypter schuld an allem.
:D

difficile est saturam non scribere

Mal ganz ehrlich! Ich diskutiere eigentlich sehr gerne in Christentum-Threads mit, und man kann ja nicht bestreiten, dass diese Threads nicht nur großen Unterhaltungswert haben, sondern dass regelmäßig auch gute, ausgewogene fundierte Beiträge mit Literaturverweisen geschrieben werden.

Mit dem User @Chan habe ich viele Diskussionen geführt, durchaus auch sehr scharfe- und als er dann endgültig gesperrt wurde, habe ich zu meiner eigenen Überraschung festgestellt, dass ich @Chan ehrlich vermisse.

Ärgerlich ist freilich, dass man in diesen Threads sich immer wieder als Verteidiger von Personen und Institutionen wiederfindet, von denen man nicht einmal eine sonderlich hohe Meinung hat. Dass man hin und wieder gegen Thesen argumentieren muss, die man gar nicht vertreten hat.

Wie auch immer- der Ikonoklasmus-Thread, der Konfession, Antisemitismus und NS-Thread und auch der letzte über Aufarbeitung der NS-Geschichte und das Scheitern oder Nicht-Scheitern haben jedenfalls zu einer sehr aktiven Beteiligung und zu anregenden Diskussionen geführt. Diskussionen wie in der Blütezeit der Internetforen!

Wenn man im GF noch Diskussionspartner, von mir aus auch Diskussionsgegner hat, die einen dazu zwingen, sich ein bisschen Zeit nehmen zu müssen, mal ein bisschen nachzudenken, sich mal wieder in Literatur zu vertiefen oder auch mal so richtig polemisch zu argumentieren- Dann sollte man unterm Strich eigentlich froh sein, dass es solche Foren und Diskussionen noch gibt.
 
sollte man unterm Strich eigentlich froh sein, dass es solche Foren und Diskussionen noch gibt
(ich ergänze den Satz abweichend) welche es ermöglichen, dass man
das Zuchtprogramm für die eierlegende Wollmilchsau
mit Gewinn an Unterhaltungswert einbringen kann ;)
Mal ganz ehrlich! Ich diskutiere eigentlich sehr gerne in Christentum-Threads mit, und man kann ja nicht bestreiten, dass diese Threads nicht nur großen Unterhaltungswert haben, sondern dass regelmäßig auch gute, ausgewogene fundierte Beiträge mit Literaturverweisen geschrieben werden.
am schönsten fand ich den Faden mit der Deschner-Diskussion
 
Spontaner Ikonoklasmus
Politisch inkorrekt
nur aus gerechtem Zorn motiviert, von der "richtigen" Seite aus
Wer hier etwas simplifiziert, @Scorpio, das ist in diesen 3 Zeilen leicht zu erkennen, denn ich habe weit mehr und differenziert über Ikonoklasmus, Luther und Nazis geschrieben.

Luther hat angeregt, jüdische Bücher zu verbrennen, Synagogen zu zerstören und Juden zu vertreiben, was Nazis dann in die Tat umgesetzt haben – die braven Bürger glaubten dann auch bereitwillig, die Juden würden lediglich umgesiedelt. An diesem Sachverhalt wirst auch du nichts ändern können.
 
Luther hat angeregt, jüdische Bücher zu verbrennen, Synagogen zu zerstören und Juden zu vertreiben, was Nazis dann in die Tat umgesetzt haben
Jules Verne (1828-1905) hat 1865 eine bemannte Reise zum Mond angeregt, was dann rund 100 Jahre später die NASA in die Tat umgesetzt hatte ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
1787 erschien die erste Fassung von von Meyerns Thesenroman Dia-Na-Sore , welcher ein "Super-Drittes-Reich" zu etablieren anregte (Arno Schmidt), was dann nach der Weimarer Republik in die Tat umgesetzt wurde ;)

Martin Luther, Jules Verne, Friedrich Wilhelm von Meyern - bei Bedarf liste ich gerne auch "Anreger" von Überwachungsdiktaturen und anderen Unannehmlichkeiten auf. ...man sollte sie alle dann mit Aplomb vom Sockel...
 
Wer hier etwas simplifiziert, @Scorpio, das ist in diesen 3 Zeilen leicht zu erkennen, denn ich habe weit mehr und differenziert über Ikonoklasmus, Luther und Nazis geschrieben.

Luther hat angeregt, jüdische Bücher zu verbrennen, Synagogen zu zerstören und Juden zu vertreiben, was Nazis dann in die Tat umgesetzt haben – die braven Bürger glaubten dann auch bereitwillig, die Juden würden lediglich umgesiedelt. An diesem Sachverhalt wirst auch du nichts ändern können.

Diesen Sachverhalt bestreitet ja doch kein Teilnehmer der Diskussion- ich auch nicht!

Es hat aber Luther doch immerhin so einiges angeregt. Er hat auch angeregt, Juden freundlich zu behandeln. Er hat darauf hingewiesen, dass Jesus und die Apostel Juden waren, er hielt Ritualmord-Vorwürfe für "Narrenwerck", und es war Luther anfangs durchaus so etwas wie ein Hoffnungsträger innerhalb der Juden selbst. Luther bekannte, beim Zustand der Judenmission wäre auch er selbst "lieber eine Sau, als ein Christ geworden. Es haben sich nicht nur Nazis, sondern auch deren Gegner auf Luther berufen und haben mit dessen Schriften gegen Antisemitismus argumentiert. Heinrich Heine jedenfalls war er nicht der Antisemit, sondern ein großer Reformator, der ein großes Halt gesprochen. Wie (un)berechtigt diese positive Luther-Rezeption auch gewesen sein mag sei dahingestellt. Luther war eigentlich zu keinem Zeitpunkt seines Lebens je Philosemit oder war auch nur aufgeschlossen, jüdische Belange und jüdisches Leben zu verstehen- die in ihn gesetzten Hoffnungen hat er gründlich enttäuscht.

Immerhin aber konnten sich Mitglieder der BK oder Juden wie Heinrich Heine mit mindestens soviel Berechtigung auf Luther und dessen Schriften berufen wie die Nazis, die eigentlich nur auf Versatzstücke und Kurzzitate aus Luthers Pamphlet von 1543 zurückgriffen.
 
Dass sich der Antisemitismus der Eliten wilhelminischer Zeit bis in das „3. Reich“ fortsetzte und Blüte fand, darf man m.E. als gegeben ansehen.

Da wäre ich mit auf verschiedener Ebene nicht so sicher.

Zunächstmal bin ich mir nicht so sicher, ob sich die These, die wilhelminischen Eliten im Allgemeinen seien antisemiten gewsen so ohne weiteres halten unwidersprochen halten lässt.
Sicherlich war KWII ein Antisemit, sicherlich auch Teile des Hofes (ob man dabei von einer dezidierten "Brutstätte" sprechen kann, würde ich, da das oben angesprochen war hinterfragen wollen, weil die Hofgesellschaft relativ abgeschottet war und mangels engem Kontakt zur Bevölkerung kein geeigneter Träger war um massenwirksam politische Ansichten zu propagieren.
Sicherlich war auch ein guter Teil der Ostelbischen Agrarier antisemitisch eingestellt, inwiefern sich dass allerdings von etwa auch vom Offizierskorps oder Industriemagnaten sagen lässt, da würde ich ein Fragezeichen drann machen wollen.

Das zweite Problem, was ich hier im Punkto Kontinuität sehe, ist dass ein Großteil der wilhelminischen Eliten mit ihrem Kaiserreich 1918 untergeht.
Das Offizierskorps wird entsprechend der Reduktion der Reichswehr auf 100.000 Mann gemäß Versailler Vertrag im Grunde genommen zu einer weitgehend zu vernachlässigenden Größe, ein Großteil der ostelbischen Landbesitzer hat durch die Abtrennung des polnischen Korridors auf einmal sehr viel weniger Landbesitz in Deutschland.
Die unmittlbare Krisenzeit am Ende des 1. Weltkriegs mag gerade den Agrarproduzenten finnziell nochmal einen Schub gegeben haben, wie Hyperinflation 1923, aber letztendlich war diese Klasse ziemlich unaufhaltsam auf dem absteigenden Ast.
Die finanziellen Probleme der rückständig geführten Großbetriebe blieben weitgehend bestehen.
Den Großagrariern blieb am Anfang der 1920er Jahre noch ein gewisser Einfluss, der sich allerdings weniger auf ihre ökonomische Macht gründete, als viel mehr auf den Umstand, dass wegen der Grenzfragen mit Polen und der Abstimmungen, so wie eventueller friedlicher Revisionen des Versailler Vertrags die Regierungen in Berlin durchweg glaubten, dass sie die nationalistischen und DNVP-nahen "Deutschtumsverbände/-Vereine" etc. im Besonderen in Ostpreußen benötigten um alle Versuche polnischer Einflussnahmen durch Einbindung im Besonderen auch der masurischen Bevölkerung voruzbauen und gleichzeitig für die deutschen Minderheiten in Polen die Werbetrommel dafür zu rühren sich mit dem polnischen Staat nicht zu arrangieren.

Gegen Ende der Weimarer Republik erfolgte dann allerdings die Selbstentmachtung der Agrarier, insofern sie noch Einfluss hatten, dadurch, dass sie mit der "Osthilfe" zu argen Missbracht trieben und in dem Maße Subventionen des Reiches zur Sanierung ihrer eigenen Betriebe abgriffen, während für die notleidenden Kleinbauern häufig nichts blieb, dass es sie gesellschaftlich um jeden Kredit brachte.

Einzelne Persönlichkeiten aus diesem Millieu wie Elard v. Oldenburg-Januschau mögen noch in der Lage gewesen sein darüber hinaus ein wenig Einflusss zu waren, dadurch, dass sie noch einen intakten Draht zu Hindenburg hatten, aber für die Masse der Agrarier gilt das sicherlich nicht.
Schaut man sich das auf der politischen Ebene an, ist das Überwechseln der Provinzen Ostpreußen und Pommern vom Lager der DNVP ins Lager der NSDAP ein relativ klares Zeichen dafür, dass die alten wilheminischen Eliten endgültig abgewirtschaftet hatten.
En miniatur ließe sich dass möglicherweise auch an der DNVP festmachen, in dem Moment in dem 1928 Kuno Graf Westarp als Vertreter der alten abrarischen Eliten innerparteilich die Macht an Hugenberg verlor, den man sicherlich noch zu den Vertretern der wilhelminischen Eliten zählen kann, dessen wirtschaftliches Modell allerdings völlig anders aussah, als das des alten Landadels und dass vor allem in der Weimarer Zeit anfing zum Tragen zu kommen.

Was die Industriegewaltigen angeht, die Kaiserreich und Weimarer Republik überstanden, wäre die Frage zu stellen, wie antisemitisch diese Gruppe tatsächlich eingestellt war.
Da würdem einem sicherlich einige Exponenten einfallen, wie Emil Kirdorff oder Fritz Thyssen, die mit dem Antisemitismus der Nazis ganz einverstanden waren, zu hinterfragen wäre es für die gesamte Gruppe aber zumal es ja durchaus auch einige Industrielle mit jüdischen Wurzeln gab.

Sicherlich unterstützt die Grupp der Industriellen vor allem die rechten Parteien, allerdings wohl überproportional DVP und DNVP und als Motive wird man hier sicherlich eher den Wunsch betrachten können den 8-Stunden-Tag und die Rechte der Gewerkschaften wieder abzuschaffen/einzuschränken, als den Antisemitismus.
Bei einigen Industriellen, wird Auslandsvermögen etwa durch Beteiligungen in Elsass-Lothringen, den Saar-Gebiet oder Oberschlesien hinzugekommen sein, was aus wirtschaftlichen Gründen den Wunsch nach Grenzrevisionen naheleegen konnte, oder in Form von dessen Enteignung zu Revisionswünschen führen konnte.

Das Problem, dass ich bei dieser postulierten Kontinuität sehe, ist dass es außerhalb des industriellen Sektors und vielleicht einiger Spitzenbeamten die Personellen Kontinuitäten zwischen Wilhelminischen und NS-Eliten eigentlich relativ gering sind, weil zwischenzeitlich doch eniges in Bewegung kommt.
Das ändert sich möglicherweise etwas mit der Aufrüstung und damit verbunden auch der Wiedereinsetzung des alten Militäradels in den neuen Streitkräften aber die im Kaiserreich maßgeblich tonangebenden Gruppen des alten Land- und Militäradels und des Hofes sind eigentlich seit der Weimarer Zeit politisch abgemeldet gewesen, die Agrarier blieben das mehr oder weniger auch.

Oder aber meinst du mit Kontinuität, keine personellen Abhängigkeiten oder nachweisbaren Einflussnetzwerke/Einflussnahmen im größeren Stil, sondern nur den Umstand, dass es innerhalb der wilhelminischen Eliten durchaus auch einigen Antisemitismus gegeben hatte?
 
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Ärgerlich ist freilich, dass man in diesen Threads sich immer wieder als Verteidiger von Personen und Institutionen wiederfindet, von denen man nicht einmal eine sonderlich hohe Meinung hat.

Dem möchte ich mich anschließen, es geht mir mittlerweile ziemlich auf den Sender andauernd Luther oder auch die katholische Kirche, gegen die völlig unbegründeten oder in der Regel jedenfalls sehr schlecht begründeten Angriffe eines ganz bestimmten Users verteidigen zu müssen.
Ich finde im Übrigen auch, dass das zu oft eigentlich interessante Diskussionen, die Potential hätten kauptt macht.
 
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