Ganz so einfach war das auch nicht. Je nachdem um was es sich handelte Bergwerke/Einsenbahnlinen z.B. mussten erst einmal Konzessionen erworben werden und das die erteilt wurden, war durchaus nicht immer ein Selbstläufer.Jetzt konnte jeder, der genug Geld hatte, ein Gewerbe, eine Manufaktur oder gar eine Fabrik betreiben.
Und die Darstellung, dass Gewerbefreiheit automatisch in den industriellen Aufschwung führte, ist so auch nicht richtig.
In den ländligen Regionen in Preußen, in Mecklenburg oder Bayern kam existierte gleichermaßen Gewerbefreiheit wie in anderen Regionen, die industrielle Entwicklung, wenn man von lokalen Räumen wie Königsberg, Danzig, München oder Nürnberg absieht, fand allerdings nicht oder nur sehr begrenzt statt.
Gerade im ländlichen Bayern und in den preußischen Ostprovinzen, wo Industrie bis zum 2. Weltkrieg eine vollkommeen untergeordnete Rolle spielte, konnte man realiter mit Sentiments gegen jüdische Fabrikbesitzer wohl auch kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlocken, anders als mit Polemiken gegen jüdische Bankies, bedenkt man dass durch die Entwicklung des Agrarsektors und der immer stärker werdenden Konkurrenz aus Russland und Amerika undd den damit verbundenen Preisdruck immer mehr agrarische Betriebe im preußischen Osten und wohl auch in Ostbayern (jedenfalls wurden Teile der Osthilfe in der Weimarer Republik wohl auch dorthin ausgeschüttet) zunehmend in prekäre Finanzsituationen gerieten und auf Kredite angewiesen waren um die eigenen Betriebe zu sanierien und zu reorganisieren/technisch aufzurüsten.
Wenn jüdischer Besitz an Fabriken und Produktionsstätten zu weit verbreiteten antisemitischen Vorurteilen geführt hätten, hätten die antisemitischen Parteien in den großstädtischen Millieus (denn die entstanden ja um diese Fabriken herum) große Wahlerfolge haben müssen, das ist aber nicht der Fall. Die antisemitischen Parteien schnitten da deutlich unterdurchschnittlich ab.
Und es kam wieder zum Vorwurf Luthers: Die Juden arbeiten nicht – sie leben von der Arbeit anderer.
Ne, so einfach ist das nicht.
Luther hatte ja nicht nur den Juden diesen Vorwurf gemacht, sondern er war in diesem Sinne wenigstens so konsequent, auch gegen christliche Personen zu schreiben, deren Modell zum Bestreiten des Lebensunterhalts ihm missfiel.
In diesem Sinne hätten Luthers Einlassungen zwar für die Juden, die aus anderen Bereichen verdrängt wurden gravierende Folgen gehabt, hätte sich die ganze Gesellschaft an Luthers Vorstellungen gehalten und ausgerechnet ihnen diesen Forwurf zu machen, muss vor diesem Hintergrund besonders problematisch erscheinen, darüber sollte man aber nicht aus dem Auge verlieren, dass Luther in Sachen Zinsverbot und, wenn man so möchte "Wirtschaftsethik" nicht einseitig gegen die Juden vom Leder zog, sondern Praktiken, die darauf hinausliefen durch die Investition von Geld Geld zu verdienen generell kritisch gegenüber stand.
Legt man Luthers orientierung am christlichen Zinsverbot zu Grunde und an einer Einstellung, nach der es generell moralisch verweflich sei den eigenen Lebensunterhalt durch "Müßiggang" und Investitionen, statt durch "ehrliche Arbeit" zu verdienen ist Luther in diesen Grundsätzen eigentlich dem theoretischen Marxismus in diesen Dingen näher als stramm antisemitischen Ansichten, wobei ich auch hier explizit keine Kontinuitäten unterstellen würde.
Der Ausschluss der Juden aus den Zünften war zu Luthers Zeit weitgehend Realität, aber den hat Luther weder heerbeigeführt, noch wäre mir bekannt, dass er den jemals legitimiert hätte, insofern wäre zu hinterfragen, wie weit er mit dieser Realität einverstanden war.
Ihm das als judenfeindliche Perfidie auszulegen würde jetzt voraussetzen, dass er damit einverstanden war.