Ich wollte eigentlich ein neues Thema zu alten Berufen eröffnen und fand diesen Strang dann bei der Suche.
Mein Vater war Uhrmacher. Als Jugenlicher hatte er eigentlich Hufschmied gelernt, eigentlich schon 1939 kein so richtig zukunftssicherer Job, aber auf dem platten Land gabs nicht viel Auswahl.
Direkt nach der Ausbildung hat er sich dann freiwillig gemeldet und kehrte 1946 doppelbeinamputiert aus Krieg und Gefangendschaft zurück. Als Schmied konnte er so natürlich nicht mehr arbeiten.
Er hatte das "Glück" noch Hände und Augenlicht behalten zu haben und konnte deshalb 1947-48 zum Uhrmacher umgeschult werden. Fast alle Uhrmacher seiner Generation waren ebenfalls Kriegsbeschädigte.
Er arbeitete seitdem in diesem Handwerk. Zu tun gab es immer genug, jede und jeder trug eine Armbanduhr, zuhause hatte man mindestens eine Küchenuhr hängen. Mechanische Uhren gingen auch kaputt oder die Genauigkeit ließ nach.
Über Arbeit konnte sich mein Vater nie beklagen. Ab 1971 konnte er von zuhause aus arbeiten. In der Küche der ehemaligen Einliegerwohnung war seine Werkstatt. Dadurch bekam ich als kleiner Junge einen recht tiefen Einblick in den Beruf.
Mein Vater, 2 Zentner Lebendgewicht und entsprechend große Hände, konnte dennoch winzigste Zahnräder zusammenfügen. Immer wie Lupe wie ein Monokel vors Auge eingeklemmt.Ein Wunder, kleinste Damenuhren auseinanderzunehmen und wieder zusammensetzen zu können.
Eine richtige Reparatur war und ist immer noch zeitaufwändig. Für eine "Revision" genannte Wartung musste die Uhr mindestens geöffnet, gereinigt und geölt werden. Das war damals nur deshalb gang und gäbe, weil neue Uhren recht teuer waren und es Uhrmacher zuhauf gab. Der Stundenlohn meines Vaters lag nur unwesentlich höher als für eine Friseurin.
Da mein Vater zuhause arbeitete, bekamen wir den Niedergang, besser gesagt Beinaheuntergang des Berufes hautnah mit.
Wer sich an die Fernsehwerbung der frühen 70er erinnern kann, kennt die Uhrenmarke "Timex". Ein amerikanischer Hersteller, der sehr günstige Armbanduhren auf den Markt brachte. Mein Vater hasste Timex, ließen die sich doch nicht wirtschaftlich reparieren, eine neue Timex war kaum teurer als eine Reparatur.
Es folgten japanische Uhren, noch günstiger. Die machten v.a. den deutschen Herstellern zu schaffen, die doppelt und dreifach so teuer waren (sein mussten aufgrund der Herstellungskosten).
Den Todesstoß, zumindest sah es über 2 Jahrzehnte so aus, versetzten die Quartzuhren den Uhrmachern. Viel genauer als jede mechanische Uhren und immer günstiger werden. Selbst Nobelmarken wie Rolex mussten Quartzuhren anbieten. Höhepunkt dieser Etwicklung war sicherlich die Swatch. Auch aus der Not der schweizer Uhrenindustrie geboren.
Für meinen Vater bedeutete das die Entlassung, im gegenseitigen Einvernehmen, mit 50 Jahren konnte er auf Erwerbsminderung/ungähigkeit in Frührente gehen (was allerdings noch fast 5 Jahre und zwei Prozesse dauerte). Als Abfindung durfte er die Werkstattausstattung behalten.
Er arbeitete schwarz weiter, für Nachbarn und Bekannte, aber auch für 2 Uhrengeschäfte, die ihn mit Aufträgen versorgten. Letztendlich wurde es aber immer weniger. Batterien wechseln und neue Armbänder waren dann die Hauptaufgabe.
Luxusuhren wie Rolex, Breitling oder Omega, reparierte mein Vater nicht, dazu hätte es einer teuren Zertifizierung bedurft, selbst als er noch angestellt war. Und später, ohne anerkannte Werkstatt, zu den Kosten, undenkbar.
In den späten 80ern musste mein Vater endgültig die Augenlupe beiseite legen, die Finger machten nicht mehr mit.
Selbst wenn ich gewollt hätte, Uhrmacher zu werden stand nie zur Diskussion. 1980, als ich hätte anfangen können, waren Hufschmiede vermutlich gefragter als Uhrmacher.
Der Beruf erlebt seine Wiederauferstehung um die Jahrtausendwende. Mechanische Armbanduhren sind ein Statusymbol geworden.
Das Problem, seit Mitte der 70er wurden kaum noch Uhrmacher ausgebildet, von Meister und Audbildern ganz zu schweigen. Und diese Generation ist bzw. geht in den Ruhestand.
Uhrmacher sind inzwischen sehr gefragte und gut verdienende Handwerker mit rosigen Zukunftsaussichten.