Ich habe heute mal kurz auf die Seite geklickt. Das ist ja ein riesiger Artikel.
Wenn man schon so viel "Theorien" zulassen möchte, dann kann die Ananas kein Argument mehr sein, denn dann könnte man die Rechnung auch in die andere Richtung aufmachen:
Wenn die Ananas eine neuzeitliche Frucht darstellt und auf einer Wandmalerei von Pompeji zu sehen sein soll, dann gibt es nicht eine, sondern zwei Lösungen:
1. Pompeji ist nicht 79 n. Chr. untergegangen, sondern erst in der Neuzeit (so die These des Autors)
2. Pompeji ist doch 79 n. Chr. untergegangen, aber die Ananas ist ein Beleg für Theorien in Verbindung mit Thor Heyerdahl bzw. den ihm nahestehenden Forschungslinien, die einen präkolumbianischen Kulturaustausch zwischen Europa und Amerika annehmen.
Theorie Nr. 1 krankt ja schon an verschiedenen Stellen, wo sind die neuzeitlichen Chroniken, die diese "exotische Stadt" und ihren Untergang belegen würden. Denn mit diesem Outfit wäre diese Stadt auch in der Renaissance "exotisch" gewesen. Wer sich einmal Renaissance-Kunst und römische bzw. antike Kunst gegenüberstellt, sieht zwar sofort die offensichtlichen Parallelen (sollte es ja geben, wie der Namen schon sagt), aber er sieht auch ganz deutlich Unterschiede. Man steigt nicht zweimal in den selben Fluss, auch dann nicht, wenn man Renaissance veranstaltet. Wenn er hier Raffaels Grazien und eine Wandmalerei aus Pompeji gegenüberstellt, dann spricht dies für Raffaels Bezug auf ein antikes Motiv, das ganz genau in dieser Art und Weise mehrere Male produziert worden war,
nicht nur in Pompeji. Und das gilt auch für andere angebliche "Beweise". Vollkommen unklar blieb mir allerdings, was er mit "Eisen in der Bronzestadt" ausdrücken wollte. Die Theorie vom Untergang Pompejis 1631 ist daher nie zu halten.
Jetzt könnte Herr Tschurilow, der damit auch auf
Vortragstour gegangen ist, daraus schnell eine neue These stricken und in der vermeintlichen Ananas einen Beleg für den präkolumbianischen Austausch zwischen den Indianern Südamerikas und dem Imperium Romanum konstruieren. "Beleg" für diese frühen Kontakt bietet ja der Fall
Asterix in Amerika ;0)
So eine These wäre jedenfalls interessanter, als These Nr.1.
Theorie Nr. 2 ist heute im Prinzip nicht mehr fraglich (Sorry, Kolumbus).
Wie man am Beispiel Australien sehen kann ist der offizielle Entdecker nicht immer auch der Erste. Die Holländer waren ja auch schon da, bevor James Cook mal vorbeikam. Aber wirtschaftliche Gründe haben ein Tuch des Schweigens über diese Entdeckungen gelegt.
Das könnte man jetzt auch für Amerika annehmen, jedoch würde man - abgesehen von der Frage des Zeitpunktes - nur schwer bis gar nicht beantworten können, ob es nur einzelne Kontakte oder gleich ein Kulturaustausch war. Letzteres wohl weniger, denn - wie auch frühe Formen des Kulturaustausches zeigen: Kulturaustausch führt letztendlich immer auch einen vegetativen Austausch mit sich. Bei der Expedition Hatschepsuts ins Land Punt wurden nicht nur edle Materialien, sondern auch Tiere und Pflanzen mitgebracht. Oder man trete nur vor die eigene Haustüre bzw. ein Blick in den Obstteller genügt: Es gäbe wenig zu sehen, denn hier gäbe es keine Äpfel, Kirschen, Birnen, Trauben, Zwetschgen usw., wenn es den Kulturaustausch mit den Römern nicht gegeben hätte. Wie man an diesen Früchtchen ermessen kann, werden gute Produkte schnell ein Renner und setzen sich durch.
Nach der "offiziellen" Enteckung Amerikas galt das auch relativ schnell für die amerikanischen Früchte unabhängig davon, ob man sich zuerst nur an ihrer Exotik erfreut hat, oder sie auch verspeiste. Sie haben sich auf jeden Fall ziemlich schnell durchgesetzt. (Vor kurzem gab es bei arte(?) zwar eine Doku, die das Gegenteil behauptete und nur einen one-way-Austausch nach Amerika annahm, was mich jetzt rückblickend doch nicht ganz überzeugt, weil wir meines Wissens nach keine Maßstäbe dafür haben, wie schnell die Akzeptanz neuer Produkte stattfindet, aber das ist eine andere Diskussion)
Jedenfalls: Hätte es einen präkolumbianischen Kulturaustausch mit dem Imperium Romanum gegeben, wäre irgendwann auch einmal die süße Ananas im Gepäck gewesen, gerade für eine Oberschicht, der nichts zu teuer und zu exquisit war. Aber keine Quelle - ob Text oder Bild - berichtet von einer Ananas.
Daher würde ich mit dem Mann-im-Mond-Argument plädieren: Man sieht immer das, was man sehen möchte, aber das lässt sich (leider/zum Glück?) nicht immer mit der Realität zur Deckung bringen.