Irgendwie hast Du ein Problem mit der Sprache. Weil eine Zeitschrift, in den letzten Zuckungen des Regimes, einem Verbot unterlag, "zensierte die DDR selbst die sowjetische Medien,". Das stimmt so nicht, weil eine Zeitschrift nicht die "sowjetischen Medien" sind. Und suggeriert, dass es eine effektive Zensur der sowjetischen Medien gab! Das trifft nicht zu! und war auch gar nicht mehr möglich! Es gab sogar schon das Internet! und wurde bereits zur Kommunikation im wissenschaftlichen Bereich genutzt.
Dir fehlt das Verständnis für die Gesamtsituation in der DDR. Es war ein autoritärer Polizeistaat. Das ist die eine Seite. Diese wird hier lang und breit betont. Man könnte sagen politisch zelebriert.
Die andere Seite der realen Kontrolle eines Staates, die ohne MfS funktionierte und funktinieren mußte, sonst hätte es die DDR nicht so lange gegeben, war das System des Aushandelns der politischen Macht.
Ein komplexer Prozess, den Bude in Analogie zu Bourdieus "sozialem Kapital" beschreibt und bei der Durchsetzung von Interessen die Personen priviligierte, die über das etnsprechende Kapital verfügten. Eine subtile Form der Durchsetzung von Interessen, die aber auch bedeutete, dass es viele gab, die durchaus etwas zu verlieren hatten. Und nicht zuletzt diese waren wichtig, die Stabilität zu gewährleisten.
Und es sind die vielen "Freiräume", die auch Port beschreibt. Die teilweise "suberversive Aneignung" der Parteiinstitutionen, FdJ etc. um diese Bereiche - sicher unter Gleichgesinnten - zu Diskussionsräumen umzugestalten. Ähnliche Darstellungen finden sich bei Fulbrook und auch bei Jarausch.
Und genau diese andere Seite, die wird von manchen aus dem Forum ausgeblendet. Eine Stimme, die leider erlöschen ist - excideuil (RIP) - hatte immer vor einer Simplifizierung gewarnt und manche Darstellungen seiner früheren DDR-Mitbürger widersprochen.
Auch die DDR hat den Anspruch historisch korrekt beurteilt zu werden. Und dieses kann nur durch eine angemessene Berücksichtigung der relevanten Literatur erfolgen.
Wobei mit den Worten von Kershaw und Lewin darauf hinzuweisen ist, dass die Analysen u.a. zur DDR stark durch den Kalten Krieg beeinflusst worden sind:
"Above all, it was the way in which the totalitarian concept was used as an ideological tool in the service of the Cold War - often distorting reality and intellectual dishonest - which disqualified in the eyes of numerous scholars." (Kershaw & Lewin: Stalinism and Nazism, S. 3)
Und deswegen sollte man wenigsten heute in der Lage sein, eine angemessene und objektivierende Analyse vorzunehmen und keine einseitigen politischen Statements zu fabrizieren, die behaupten "Tatsachenbehauptungen" zu sein und ihren ideologischen Bias nicht reflektieren.
Obwohl wir es mittlerweile eigentlich besser wissen.
Bude; Heinz (1993): Das Ende einer tragischen Gesellschaft. In: Hans Joas und Martin Kohli (Hg.): Der Zusammenbruch der DDR. Soziologische Analysen. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. 267–281.
Dennia, Mike; Laporte, Norman (2014): The Stasi. Myth and Reality. Hoboken: Taylor and Francis
Fulbrook, Mary (2009,): Anatomy of a dictatorship. Inside the GDR, 1949-1989. Oxford: Oxford University Press.
Fulbrook, Mary (2011): Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR. 2., durchges. und um ein neues Vorwort erg. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchges.
Jarausch, Konrad (1999): Dictatorship as experience. Towards a socio-cultural history of the GDR. New York: Berghahn Books.
Port, Andrew I. (2010): Die rätselhafte Stabilität der DDR. Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland. Berlin: Links
Ich war zwar nicht ausdrücklich angesprochen, denke aber schon, ich kann guten Gewissens sagen, dass ich mich um historische Objektivität bemühe und diese Objektivität ausdrücklich auch für die DDR gelten lasse. Das fällt mir aber auch leichter, da ich nicht in diesem Staat leben musste, keine Angehörigen habe, die aus politischen Gründen in der DDR Repressionen ausgesetzt waren oder aus ideologischen Gründen benachteiligt wurden. Dass der Charakter der DDR als autoritärer Polizeistaat nur eine Facette der politischen Wirklichkeit darstellte, würde ich ohne weiteres unterschreiben. Diese Seite der Wirklichkeit war aber weiß Gott beklemmend genug.
Missliebige Aussagen und auch wissenschaftliche Arbeiten, die nicht zu dem Selbstverständnis der DDR als antifaschistischem Staat passten, wurden in der DDR unterdrückt und versucht, totzuschweigen. Fairerweise muss man dazu sagen, dass so etwas auch in funktionierenden Demokratien geschah/geschieht. Wissenschaftler, die sich kritisch mit der kolonialen Vergangenheit Belgiens im Kongo beschäftigten, wurden bis vor wenigen Jahren in ihrer Arbeit massiv behindert.
Die DDR sah sich als antifaschistischen Staat, der den Nationalsozialismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet habe. Das war gängige Staatsdoktrin. Intern gab es in der DDR Forschungsprojekte, die sich durchaus kritisch mit diesem Selbstverständnis auseinandersetzten. Der Berliner Historiker Harry Waibel konnte nachweisen, dass im Jahre 1954 27% der SED-Mitglieder vorher in der NSDAP waren und 32% der Angestellten im öffentlichen Dienst der DDR vorher nationalsozialistischen Verbänden und Organisationen angehörten.
Nach einem Überfall von Neonazis auf ein Punkkonzert nahe der Berliner Zionskirche 1987, kam es zu einer Untersuchung in staatlichem Auftrag, die von einem Oberstleutnant der Polizei und der Soziologin Loni Niederländer geleitet und Ende 1988 fertiggestellt wurde. Dazu waren mehrere Mitglieder der Kripo und ein Forscherteam der Humboldt-Universität mit Recherchen beschäftigt. Es wurden akribisch Daten aus mehr als 50 Städten der DDR eruiert, und Loni Niederländer wertete dabei nach modernen soziologischen Methoden für die Studie Straf- und Prozessakten aus und führte Gespräche und Interviews mit DDR-Neonazis. Insgesamt konnten durch die Studie mehr als 6000 Neonazis namentlich erfasst und etwa 500 Gewalttaten nachgewiesen werden, die sich vor allem gegen Gastarbeiter aus Angola, Mosambik und Vietnam richteten. "Briketts" und "Fidschis" wurden diese Menschen im Jargon der DDR-Neonazis genannt. Es zeigte sich, dass die Aktionen keineswegs von Neonazis aus dem Westen koordiniert wurden und die Entwicklung eher hausgemacht war und auf DDR-typische Ursachen zurückzuführen waren. Es zeigte sich in der Studie, dass die DDR-Neonazis zu effektiver Organisation fähig und gut vernetzt waren. Die meisten Jugendlichen, die in dieser Studie namentlich erfasst wurden, waren gute Schüler mit Bestnoten im Staatsbürgerkunde-Unterricht, die aus der "Arbeiterklasse" stammten und vielfach aus Elternhäusern, in denen ein oder beide Elternteile Mitglieder der SED waren. Zeitgleich zu dieser von Loni Niederländer geleiteten Studie fanden Forscher des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung um Walter Friedrich heraus, dass etwa 13,3 % der befragten Jugendlichen der Meinung waren, dass der Faschismus auch gute Seiten gehabt habe. 4% der Befragten waren Mitglieder der rechten Skinheadszene, und ca. 8% sympathisierten mit dieser. Die aufwändigen Studien verschwanden aber Ende 1988 in den Giftschränken und wurden niemals veröffentlicht. Die "AG Skinhead"wurde aufgelöst und Loni Niederländer und die anderen Wissenschaftler, die an der Studie beteiligt waren, vom MfS überwacht. Die Studie der Humboldt-Universität wurde mit einem Sperrvermerk versehen.
Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Im antifaschistischen Staat DDR durfte es keine Neonazis geben, es durften keine Studien existieren, die das Propaganda-Konstrukt der antifaschistischen DDR hätten erschüttern oder zusammenbrechen lassen können.
Um der Wahrheit gerecht zu werden, ist aber noch zu sagen, dass die These, bei den DDR Neonazis handele es sich bloß um unpolitische Rowdys- Die Neonazis, die 1987 die Zionskirche überfallen hatten, wurden nur wegen Rowdytum verurteilt- auch nach der Wende unkritisch übernommen wurde. Das BKA schloss sich 1992 der Einschätzung der Stasi an, dass es sich nur um eine zahlenmäßig kleine Gruppe von gewaltbereiten Rowdys, nicht aber um gut vernetzte und hochgradig ideologisierte, gefährliche Neonazis handelte. Hüben wie drüben wurde das Problem klein geredet und bagatellisiert.
Eisenfeld, Bernd Rechtsextremismus in der DDR (2002)
Manfred Agethen, Eckhard Jesse, Ehrhard Neubert (Hrsg) Der missbrauchte Antifaschismus DDR Staatsdoktrin und LebenslügeS. 221-226
Harnischmacher, Robert Angriff von rechts Rechtsextremismus unter Jugendlichen Ostberlins
Reinhard, Oliver Neonazis Wotansbrüder und Weimarer Front
Schmidt, Monika Schändung jüdischer Friedhöfe in der DDR
Wagner, Bernd Rechtsextemismus in der Spät-DDR
Waibel, Harry Rechtsextemismus in der DDR
Heinemann, Karl Heinz Der antifaschistische Staat entlässt seine Kinder