Ave Zusammen,
Naja, wenn keiner weiter rätselt, zitier ich mich mal ausnahmsweise selbst:
Trajan schrieb:
....Besonders deutlich wird das an den Personen Etzel und Dietrich von Bern. Die Deutung als Attila (gestorben 453) und Theoderich (geboren 454) liegen nahe, aber es ist ohne jeden Zweifel klar, dass die beiden niemals irgendwas gemeinsames unternommen haben können. Und schlimmer noch, auch die Charaktere der dargestellten Persönlichkeiten stimmen mit den scheinbaren historischen Vorbildern nicht überein, besonders bei der Person Theoderich und Dietrich von Bern ist das überdeutlich: Theoderich war ein ausgesprochen erfolgreicher König der sogar als Stellvertreter des oströmischen Kaisers neben den Gotenreich auch noch das ehemalige Westrom beherrschte; Dietrich von Bern dagegen wird als ein Vertriebener, ein König im Exil, auf der Suche nach seinem Land charakterisiert. Hier ist also offensichtlich was schief gelaufen, aber was und wieso?....
Nun was ist da wohl passiert? Klar wir haben das Siegfriedlied, d.h. die Sage des Arminius (dafür gibt es ein weite Zustimmung, wenn gleich auch noch lange nicht von allen akzeptiert, aber das soll uns für den Moment nicht stören). Aber wir hatten zu dieser Zeit ja die zwei ersten grossgermanischen Reiche, nämlich das des Marbods, das fast drei Jahrzehnte hielt, und das ist schon verdammt viel gewesen, und das des Arminius, das nur gute 10 Jahre währte (auch wenn wir das nach unserer heutigen anachronen Sicht als formidablen Rohrkrepierer sehen, seine Zeitgenossen taten es aus diachroner Sicht natürlich nicht). Nun beide gingen im Bruderstreit komplett(!) unter, und das muss einen bleibenden Eindruck auf die germanischen Völker hinterlassen haben (incl. des komplexen Frauenthemas, das ich hier nicht noch mal aufrollen will).
Es ist natürlich klar, das beide Könige besungen werden mussten, nicht nur Siegfried, nein auch Marbod. Der war zwar etwas weniger heldisch und weniger tragisch, aber so einen vergisst man auch nicht einfach.
Es muss auch ein Marbodlied gegeben haben!
Und zur Dietrichepik mal die Wikipedia
Wikipedia schrieb:
Kern der Dietrichsage:.... Dietrich vollbringt große Heldentaten. So ist er neben Beowulf, Sigfried (bzw. Sigurd) und dessen Vater Sigmund einer der wenigen germanischen Sagenhelden, denen ein Sieg über einen Drachen angedichtet wird. Dennoch ist er nicht immer imstande, seine Gegner aus eigener Kraft zu besiegen. Wittich (altwestnordisch Widga) etwa, sein späterer Kampfgenosse, ist ihm wegen seines besseren Schwertes überlegen..... Odoaker (in einigen Überlieferungen auch Sigurd) kann er nur mit Hilfe des Zauberschwertes Mimung besiegen .Eines Tages wird Dietrich von seinem Onkel Ermanarich vertrieben und ist gezwungen beim Hunnenkönig Attila (in einigen Überlieferungen auch Etzel) ins Exil zu gehen. Einen Versuch, sein Reich wieder zu erobern, gibt er auf. ..... Beim Kampf des Königs mit den Nibelungen versucht er zuerst zu vermitteln. Im Verlauf der Schlacht stellt er sich auf Attilas Seite und wird mitverantwortlich dafür, dass die letzten Nibelungen und Kriemhild getötet werden.
....
In hohem Alter kehrt er ohne Heer zusammen mit seinem Waffenmeister in sein Reich zurück und gewinnt wieder die Herrschaft.....
Die Thidrekssaga stellt als einzige mittelalterliche Quelle das gesamte Leben des Dietich von Bern dar......
Die deutsche Dietrichsage ist leider nur in einem zweiseitigen Fragment erhalten, dagegen aber die skandinavische Thidreksage.
Nun die Dietrichepik ist natürlich nichts anderes, als die späte Weiterentwicklung der früheren Marbodsage!
Wikipedia schrieb:
...Wittig, wird Wittich gesprochen, in der Thidrekssaga Widga, sonst auch Witege, Wittich, ist eine Sagengestalt der germanischen Heldensage. ...Er hatte mit Mimung das beste Schwert, seine Rüstung und sein Helm waren ebenfalls von Wieland geschmiedet worden und damit vom Feinsten, ....
Mimung spielt in der Wielandsage eine wichtige Rolle, aber auch in der Sage von Dietrich von Bern. Denn mit Mimungs Hilfe kann Wittig Dietrich besiegen. .......
Nun, der Dietrich der späteren Sage hatte mit zwei Persönlichkeiten massive Probleme, nämlich mit Wittig und mit Sigurd. Für Marbod waren das Arminius (Segifrit nach Jörg Oreste) und Vibilius, sprich germansich Wibilo. Über Sigurd braucht man nicht weiter zu philosophieren, aber mit Wittig/Widga/Witege dürfte ehemals Wibilo gemeint gewesen sein.
Als das Lied sehr viel später verfestigt oder gar verschriftlicht wurde, suchten die Dichter der verschiedenen Einzelstränge nach passenden grossen Persönlichkeiten, die die Helden repräsentieren sollten.
Die ungefähren Geschehnisse und deren ungefähre Örtlichkeiten waren noch geläufig, mehr aber nicht. Und da konnte jeder Dichter nur aus den zu seiner Zeit und seinem Umfeld noch bekannten Persönlichkeiten auswählen. Der Dichter des Nibelungenliedes z.B. entscheid sich hier für Etzel/Attila und Dietrich/Theoderich. Denn Attila wohnte in der Gegend nördlich der mittleren Donau und würde nach seiner Meinung schon ins Bild passen (in der Gegend gingen einige der Beteiligten des Jahres 19 ins Exil, Böhmen und Mähren waren das Kernland Marbods, Ungarn schliesst direkt daran an, das passt schon hat er gedacht), und der erfolgreiche Theoderich, der hatte nämlich seinen Lebensmittelpunkt in Ravenna (wo auch sein Grabmal ist) und dort verblieb lange vor ihm auch der Marbod, den er aber nicht mehr kannte. Also wurde aus dem unpassend erfolgreichen Theoderich der Verlierer und Exilant Dietrich von Bern der Sage.
Yep. jetzt passen die Puzzleteile nämlich zusammen, es wird klar warum diese seltsamen Querverbindungen zwischen Dietrichepik und Nibelungenepik existieren.
In ganz ganz groben Zügen sei hier die Überlieferung der Sage erzählt, damit nur die
wesentliche Struktur der Geschichte erkennbar wird:
Der grosse König der Niflungen (aus dem Nebelland, in der Thidrekssage einmal Aldrian genannt) hat zwei Söhne. Mit denen gibt’s es eine Menge Stress, unter anderem wegen deren Drachen Fafner. Dem knöpft der Siegfried/Sigurd aber seinen riesigen Schatz ab, wobei dann u.a. auch noch der Gegner geköpft wird. Mit dem Schatz kommt er zu Macht und Ansehen und jedemenge Neid. Zunächst aber verhilft er ihm zu seiner geliebten Frau, die er allerdings nur mit einem schmierigen Deal bekommt, denn er muss erstmal seinem Schwager seine ehemalige Freundin besorgen. Während die Geschichte sich entwickelt, geht hier der Name der Nibelungen auf die Sippe der Schwäger des Siegfrieds über! Zunächst heissen sie Burgunder und nach dem sie sich den Schatz durch die Verheiratung der Schwester unter den Nagel gerissen haben, heissen sie Nibelungen. Neun Jahre später kommt es zum Tod des Siegfried, und zwar in einem fremden Land. Anlass ist eine Streit um den Rang der anwesenden Könige, nämlich Siegfried und der ortsansäässige König (im NL ist es das Reich seiner Schwäger bei Worms). Seine Gefolgsleute wollen zu den Waffen greifen um den heimtückischen Mord zu rächen. Allerdings können sie von der Aussichtslosigkeit des Unterfangens überzeugt werden, und geben sich mit einem dem Status angemessenen würdigen Begräbnis des Helden zufrieden, das dann drei Tage dauerte. Nochmal 13 Jahre später kommt es dann zum letzten Shootout als die Hinterbliebene Ehefrau doch noch Rache nimmt. Der Schatz bleibt zum Schluss verschollen.
Wie sah nun die diachrone Sicht des Durchschnittsgermanen zur Zeit des römisch-germanischen Krieges aus? Ein Geopolit war er jedenfalls nicht, er hatte natürlich nur eine äusserst begrenzte Weltsicht:
Rom hätte auch auf dem Mars liegen können, es hätte keinen Unterschied gemacht! Was in seinem Erfahrungsbereich lag war aber, dass die Römer aus dem Niederländischen Gebiet her nach Germanien vorstiessen. Denn die wichtigsten Stützpunkte für die Eroberung Nordgermaniens waren Xanten, Nijmwegen und nördlich davon noch der Drususkanal von wo aus man über Ems, Weser und Elbe das Land mit der Flotte eroberte. Augustus hatte zwei Söhne, Tiberius und Drusus, dies waren aus ihrer Sicht der König Nibelung und seine Söhne aus dem niederdeutsch-holländischen Nebelland. Von dem nahm man den Schatz, sein Drache Fa-fner war Va-rus. Der Nibelungenbegriff ging in der Folge auf die romtreuen Cherusker über, denn die wurden für das Volk eins mit dem König aus dem Nebelland, da sie ja gemeinsame Sache mit denen machten. Inbesondere war das natürlich der Segestesclan und seine Abkömlinge, also die verschwägerte Familie des Arminius/Segifrit. Ja und dann kam der Bruderkrieg mit Marbod, im Chaos des Jahres 19 (bis maximal 21) gingen beide Reiche unter (das waren so etwa 10 Jahre später, das NL spricht von 9). Ich brauche nicht alles zu wiederholen, klar Wibilo und Arminius streiten sich dabei um die Frage, wer in Böhmen nun wessen Vasall sei. Die Frauengschichten des Arminus lassen sich auch noch leicht aufdröseln, dass will ich aber für den Moment unterlassen da es zuviel wird.
Als einzig schwierige Frage bleibt noch die Rache der Ehefrau. Nun von Thusnelda/Thumelicus wissen wir wenig, jedenfalls sassen sie in Ravenna, wo auch Marbod anwesend war, vielleicht auch der eine oder andere aus ihrer Sippschaft. Marbod starb dort im Jahre 37, also etwa 18 Jahre nach dem Schlamassel in Böhmen, das NL redet von 13. Thumelicus war im Jahre 47 jedenfalls tot, er starb irgendwann davor. Tacitus erzählt leider nur „….Der Knabe wuchs in Ravenna auf. Von dem Spiel, das das Schicksal später mit ihm getrieben hat, werde ich zu gegebener Zeit berichten." Das Spiel das so interessant war, das Tacitus uns davon noch ausführlich erzählen wollte, muss schon ungewöhnlich gewesen sein, kaum das übliche Gladiatorenspiel, möglicherweise war es aber die missliche Folge von Thusneldas missglückter Rache.
Das ganze hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen müssen, und das es dann in der VWZ neu angereichert und verfestigt wurde ist klar, denn in dieser Zeit entstanden zum erstenmal nach den ersten beiden grandios gescheiterten Reiche neue Bündnis, die nun aber auch haltbar waren. Insbesondere das Merowingereich, kein Wunder wenn sich da jetzt reihenweise die Provinzkönige ihre Söhne Siegfried tauften. Der Rest ist Legende, man braucht jetzt nur noch die einzelnen Erzählstränge und Überlieferungsfolgen des Germanischen Grossraumes im Detail aufzudröseln, aber dafür braucht man ein paar hundert Seiten, das geht hier nicht.
So wird die Sache rund und jetzt dürft ihr mich steinigen. (Aber vielleicht lest Ihr vorher nochmal den Eingangsbeitrag zu diesem Thread).
Beste Grüsse, Trajan.