Hier im Forum Diskussionen zu "Historischen Untersuchungen zum Christentum?"
Antwort war: "Ellenlang"
Gegenfrage: Und wo?
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P.S.
Habe ein Interview in meinem Archiv gefunden (2004):
Der italienische Archäologe und Bestsellerautor Valerio Massimo Manfredi über zerbrechende Imperien, den historischen Artus, den Gral als Sinnbild menschlicher Träume und die Chancen, ihn einmal zu finden:
DIE WELT: Für was steht heute die Figur Artus? Für den Kämpfer gegen Unkultur? Für den Archetyp des Ritters?
Manfredi: Wir müssen Geschichte vom Mythos unterscheiden. König Artus ist eine historische Figur. Wir wissen nicht genau, wie die Legenden um ihn entstanden sind. Wir wissen, dass es den Mann gab in der Mitte einer Gruppe von Anhängern, die von einer Welt in Frieden und Geistlichkeit träumten, von Liebe und Tapferkeit. Sie saßen um einen runden Tisch, weshalb Artus nur Primus inter pares war. Das war ein römisches Prinzip.
DIE WELT: Woraus sich heute der egalitäre Runde Tisch ableitet, an dem es keinen Vor-Sitzenden geben kann.
Manfredi: Genau. Und die Suche nach den Idealen dieser Gruppe vergegenständlicht sich in der Suche nach dem Gral.
DIE WELT: Ist die Geschichte glaubhaft, wenn die erste Niederschrift erst vier Jahrhunderte später entstand, und alles vorherige nur mündlich überliefert wurde?
Manfredi: Es ist wie beim Krieg um Troja, den Homer auch erst lange Jahrhunderte danach aufzeichnete. Dennoch fand man hinterher Spuren unter der Erde. Und wir können bei Homer nachzeichnen, von wo er sein Wissen um Troja bezog, die ursprüngliche Überlieferung erkennen. Wenn Sie nur Fragmente einer Geschichte über eine Schlacht haben, können Sie anhand der Beschreibung der Waffen, der Kleidung, der Speisen feststellen, was an der Sache dran ist, wann die Schlacht stattfand. Excalibur, das Schwert, ist bei der Artuslegende so ein Fall. Es ist wohl ein Element der keltischen Kultur gemischt mit der römischen.
DIE WELT: Könnte sich die Artussage einmal archäologisch bestätigen?
Manfredi: Das wäre großartig, ist aber unwahrscheinlich. Es ist so lange her, es gibt so viele Versionen, so viele Orte.
DIE WELT: Wie eng sehen Sie denn die Artuslegende mit der Suche nach dem Gral verwoben?
Manfredi: Auch der Gral hat in der Geschichte so viele Facetten, vermittelt so viele Interpretationen. Wie bei Atlantis. Wir wissen genau, dass ein Kontinent in der Mitte des Atlantiks nie existierte. Dennoch können wir nicht einfach sagen, die Geschichte ist komplett erfunden. Es ist wohl eine Art Mosaik, eine Collage vieler unterschiedlicher Elemente. So dürfte es sich auch mit dem Gral verhalten. Das Wort kommt offenbar vom lateinischen "gradalis", das so viel heißt wie Kelch. Andere sehen dahinter das "sangrial", das heilige Blut. Was für die Abstammung von Jesus und Maria Magdalena stünde. Es gibt keltische Lesarten, römische, christliche, solche von Druiden ... Auch Hitler schickte seine Spürhunde aus, um den Gral in einer Burg in den Pyrenäen zu suchen.
DIE WELT: Und hier ist es ein Stein, da ein Jungbrunnen, ein Kelch.
Manfredi: Wenn wir das alles mit einbeziehen, ist es wohl eher das Symbol eines Ideals.
DIE WELT: Einige Zeit nach Wolfram von Eschenbachs "Parzival" wurde es erstaunlich ruhig um die Gralsgeschichte - bis Richard Wagner sie 1877 wieder ausgrub. Warum gerade zu der Zeit?
Manfredi: Es war die Stimmung dieser Ära, die Zeit der Romantik, die Sehnsucht nach Mythen. Und die Rückbesinnung auf die Dark Ages vor dem Mittelalter, der allerfrühesten Zeit des modernen Europa. Das Comeback der Gotik, die Suche nach Tapferkeit in dunklen Zeiten, nach Helden. Die Aussicht auf eine endlose Suche faszinierte die Menschen damals. Jede Ära hat eben ihre eigenen Symbole.
DIE WELT: Sah man in der Gralssuche in Deutschland auch die Orientierung hin zu einer Nation? Mit dem Gral als Sinnstifter?
Manfredi: Vielleicht. Deutschland hatte ein Problem: Außer dem Rhein hat Deutschland ja keine natürlichen Grenzen. Die Geburt der neuen Nation brauchte also Ideale, an denen man sich festhalten konnte.
DIE WELT: Aber wie reimt sich das zusammen: Der Gral als christliche Reliquie, mit dem Christus das Abendmahl abgehalten hat und in dem auch das Blut Christi gewesen sein soll - und als Symbol des Heidentums, der Kelten, als Objekt der Sehnsucht für die Faschisten, die das Christentum ja eher zurückdrängen wollten.
Manfredi: Der Gral ist christlich. Er transportiert aber vor allem eines: Macht. Und das faszinierte die Nazis. Das sehen Sie auch beim Film "Indiana Jones". Die Nazis wollen sich mit dem heiligen Kelch unbesiegbar machen. Das grenzt natürlich an Kitsch. Schamanenartige Priester mit ihren schwarzen Kulten an schwarzen Orten, SS-Offiziere, Magier. Das ist der intellektuelle Zipfel der animalischen Natur des Menschen.
DIE WELT: Handelt es sich bei dem Kelch in der Kathedrale Valencias um den wirklichen Gral?
Manfredi: Ich denke nicht, dass der Gral wirklich stofflich existiert, dass es Sinn macht, ein Gefäß zu suchen, in dem Joseph von Arimathäa das Blut Christi sammelte. Ein Mensch hängt am Kreuz, und jemand kommt und lässt das Blut in einen Kelch tropfen? Eine unrealistische Vorstellung. Aber als das Christentum Roms führende Religion wurde, brauchte es Reliquien.
DIE WELT: Der Mythos des Grals, wohl auch seine Zauberkraft würden sicher leiden, wenn er plötzlich wahrhaftig existierte.
Manfredi: Ich kann nichts ausschließen, manchmal ist die Realität fantastischer als die Fantasie. Meiner Meinung nach ist der Gral ein Symbol. Symbole können natürlich materialisiert werden.
DIE WELT: Und die anderen Zutaten der Artussage, könnte es die geben? Und was ist mit dem Schwert Excalibur, dem Schwert, das die Macht verkörpert? Tritt heute die Atombombe an seine Stelle?
Manfredi: Nein, sicher nicht. Excalibur ist das Symbol für Mut, Tapferkeit, Loyalität, Ideale. Es ist ein Schwert für die Verteidigung, nicht für den Angriff. Man brauchte es in einer Zeit, da der Starke willkürlich, arrogant und grausam wurde, als die Schwachen benachteiligt wurden. Dafür haben wir heute die Polizei, Videokameras, elektronische Abhörmöglichkeiten.
DIE WELT: Was für ein Gefühl vermittelt uns der Gral heute, die Insel Avalon, das geheimnisvolle Camelot, die Gralsburg?
Manfredi: Wir denken in unseren Träumen, Filmen, Romanen gern an einen entfernten Ort in einem entfernten Land, in einer fernen Zeit, wo ein guter Führer alles zum Besten richtet, mit einer ausgewählten Gruppe.
DIE WELT: Aber es gibt keine entfernten Orte und entfernten Länder mehr, wir kennen jeden Winkel der ganzen Welt.
Manfredi: Eben. Wir haben das Mysteriöse zerstört. Es gibt kein Versteck mehr. Doch die Menschen können nicht aufhören, zu träumen, Sehnsüchte zu haben. Das ist lebensnotwendig. Deshalb müssen wir zu anderen Planeten aufbrechen.
Hoffe, dass das Euch etwas weiter geholfen hat.
Wenn Ihr zitiert, dann bitte nicht "Multivista schrieb..." sondern: "Manfredi schrieb.."
Gruss
Multi 2007