Die Antwort ist schwierig. Nicht weil sie so komplex ist, sondern weil das Mittelalter ganz andere Vorstellungen hatte als wir und Widersprüche oft nicht als Problem gesehen wurden. Zudem ist da einiges vermengt. Da ich nicht schlafen kann, versuche ich mal einen Anfang zu machen.
Vor der Zeit der Staufer von geistlichen Fürsten zu reden ist nicht ganz korrekt. Natürlich gehörten Bischöfe und bestimmte Äbte zu den Großen des Reichs. Diese Großen wurden auch als Fürsten bezeichnet und bildeten eine soziale Schicht. In Staufischer Zeit wurde konkretisiert, dass die Fürsten ihr Lehen vom Kaiser (oder einem geistlichen Fürsten) empfangen haben mussten. Aus der eher sozialen wurde also eine rechtliche Stellung. So gesagt ist das viel zu sauber für das Mittelalter formuliert. Etwa mit dem Sturz Heinrich des Löwen und der Neuverteilung seiner Länder war diese Situation erreicht. Schon da waren die geistlichen Fürsten in der Mehrheit. Für die Wahl seines Sohnes schloss Friedrich II. 1220 die
Confoederatio cum principibus ecclesiasticis mit den Geistlichen Fürsten ab, indem er ihnen die von diesen im Laufe der Zeit erlangten Rechte bestätigte. Dieser Sohn, Heinrich VII. gewährte dann 1231 den Fürsten insgesamt im
Statutum in favorem principum , das Friedrich II. 1232 bestätigte, offiziell weitere wohl schon längst in Anspruch genommene Rechte. Früher schaute man danach aus, wann ein geistlicher Fürst das erste mal als Reichsfürst erwähnt wurde und berief sich bei allen bis dahin nicht benannten auf die Confoederatio von 1220. Doch kann diese Stellung für alle Bischöfe ab etwa 1180 vorausgesetzt werden, auch wenn erste Aufstellungen Jahre jünger sind. Damit werden dann auch einige andere Probleme obsolet, über die früher viel geschrieben wurde.
Natürlich hilft dir dieser begriffliche, bzw. rechtliche Hinweis bezüglich des "ottonisch-salischen Reichskirchensystem" nicht weiter. Dazu muss ich dann gleich auf die erwähnten Widersprüche zurückkommen. Das geht nämlich damit los, dass es in dieser Zeit keinen Staat gab. Ein Staatsbegriff entwickelte sich erst in jener Zeit und wird in Quellen der später Salierzeit sichtbar. Damit reden wir dann nicht von Ämtern und Aufgaben, sondern von der Ausübung von Rechten und Funktionen, die an die Person gebunden waren. Erste Anekdoten, die das neue Staatsbild vermitteln, spielen zwar noch in der Zeit der Ottonen, stammen aber aus späteren Quellen.
Da es dir um geistliche Fürsten geht, ein Beispiel zu einem solchen Großen: Eine solche Anekdote aus der Vita Meinwerci berichtet von der Verleihung des Bistums Paderborn an
Meinwerk. Natürlich war das ein lange ausgehandelter Deal, wie längst herausgearbeitet wurde. Doch in der Anekdote ruft der König den Hofkaplan Meinwerk zu sich und übergibt ihm einen Ring. Meinwerk fragt, was dieser bedeute und der König sagt, dass es die Paderborner Kirche sei. Meinwerk beschwert sich, dass er sich mit einem Vermögen ein wesentlich ansehnlicheres Bistum schaffen könne und der König antwortet, eben darum werde ihm das arme Bistum Paderborn gegeben.
Im Gegensatz zur Amtsvorstellung der Anekdote hatte Meinwerk Gegenleistungen für das Bistum erbracht und handelte teilweise, als ob es Privatbesitz wäre. Jedenfalls aus heutiger Sicht. Aus damaliger Sicht setzte er ganz selbstverständlich Machtmittel und Vermögen für sich und seine Familie ein. Dabei mehrte er aber auch das übertragene Gut und agierte ebenso in seinem Amt als Bischof. Und genau hier stoßen wir auf den nächsten Widerspruch, da die Kirche durchaus noch ein abstrakteres Amtsverständnis hatte.
Meinwerk ist nun ein typischer Vertreter des von dir gemeinten Personenkreises und wenn du es bezüglich der weltlichen Rechte genauer wissen willst, kannst du gut in Hermann Bannasch:
Das Bistum Paderborn unter den Bischöfen Rethar und Meinwerk, Altertumsverein, Paderborn 1972. nachlesen. Das ist zwar schon älter, dafür untersucht es die konkreten Quellen. Wenn du an die Übersetzung der Vita Meinwerci kommst, lohnt es sich auch diese zu lesen. Denn im Zusammenhang wirken die Kapitel über die Amtsführung des Bischofs anders und eindringlicher als an verschiedenen Stellen einer Untersuchung auseinandergenommen. Wohlgemerkt, die Vita stammt erst aus der Zeit um 1165. Dennoch ist es anschaulicher, das analysierte nochmal im Zusammenhang der Quelle zu lesen.
Meinwerk war zwar an den Domschulen Halberstadt und Hildesheim erzogen worden und kam später zur Hofschule. Dennoch darf man sich seine Bildung nicht zu groß vorstellen. Sein Latein war so schlecht, dass er nicht merkte, als ihm als Streich des Kaisers ein verfälschter Text vorgelegt wurde. Aber seine geistlichen Aufgaben musste er wahrnehmen. Seelsorge, Unterricht und was sonst noch dazugehört hingen aber vom Bischofsamt ab und nicht von seiner Eigenschaft als Großer des Reichs. Durch sein Bischofsamt (und in seinem Fall auch durch das große Vermögen und die Entscheidung seiner Familie, ihn in die erste Reihe zu stellen) gehörte er zu den Großen.
Die Herrscher übertrugen also auch den geistlichen Großen Machtmittel und Besitz und erwarteten als Gegenleistung Dienste von ihnen. Die Geistlichen nutzten diese Machtmittel und Besitztümer wie diejenigen, mit denen ihr geistliches Amt schon ausgestattet war. Ihr 'Reichsdienst' konnte in Rat, diplomatischen Missionen, dem Vermitteln von Kompromissen und auch in der Folge im Krieg bestehen. So begleitete der genannte Bischof Meinwerk den König nach Italien. Bei Meinwerk kann vielleicht erwartet werden, dass er nicht selbst focht, doch hatte er sicher seine Vasallen und Ministerialen aufgeboten. Denn die geistlichen Fürsten hatten oft mehr davon als die weltlichen, da der Kirche viel Land übertragen wurde und dies eben genutzt wurde, indem es verlehnt wurde.
Ein Problem für die geistlichen Großen war, dass sie kein Recht sprechen durften. Daher setzten geistliche Institutionen Vögte ein. Aber dazu in einem weiteren Post.