jschmidt
Aktives Mitglied
Damit hast Du auf unauffällige und zugleich frappierende Weise auf einen wichtigen Zusammenhang aufmerksam gemacht! Folter und Tod haben ersichtlich eine hohe Attraktivität fürs Publikum, auch hier im Forum.Mich schüttelts bei diesen Themen.:S
schüttel, schüttel /quote
1. Das gewaltsame, rituelle Zu-Tode-Bringen von Menschen [1] ist an sich offenbar ein Faszinosum, das zu Zeiten, als solches noch öffentlich geschah, regelmäßig helle Scharen von Menschen anlockte, zigtausende bisweilen. (Belege wurden bereits gegeben.)
Schuld daran, dass hierzulande dergleichen nicht mehr "life" [sic] zu sehen ist, trägt wieder mal die Aufklärung bzw. der "Fortschritt". Der hiermit angesprochene Norbert Elias meint (Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 1 S. 282, Hervorh.js), dass sich bei öffentlichen Hinrichtungen "die Lust, Lebendiges zu quälen, so nackt, unverhüllt, zweckfrei, nämlich ohne eine Entschuldigung vor dem Verstand" zeigte. [2] Dann jedoch habe habe sich der "Affekthaushalt" (bzw. die "Affektstandards") des Menschen verändert - was vordem mit Lust verbunden war, wurde nun mit Unlust besetzt. [3]
Man kann das für eine gute Entwicklung halten, wenn man einem Sensibelchen wie Thomas Mann glauben will, der nach eigenem Bekunden niemals einer Hinrichtung beigewohnt hat, aber wusste, "daß ich den Anblick und Eindruck als eine untilgbare Besudelung meines Lebens empfinden würde" (zit. b. Rossa, Todesstrafen, S. 215).
2. Eine der zu Beginn aufgeworfenen Fragen ist ja nun, inwieweit der vor-aufklärerische Henker selbst an der Lust teilhatte. Soweit er seine Tätigkeit frei gewählt hat, so meine Hypothese, wird man das für nicht unwahrscheinlich halten können, und wenn man nach den Gründen fragt, dann könnte durchaus auf sadistische Charakterkomponenten schließen.
Klar, Henker ist nicht gleich Henker. Das Berufsbild hat sich insgesamt zweifellos gewandelt, hat auch in gewisser Weise an gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen, zumal beim Typ des bürgerlich-korrekten Hinrichtungsbeamten, so wie er regelmäßig in US-Fernseh- und Filmproduktionen zu sehen ist.
3. Eine gleichgerichtete Entwicklung hat auch die Vollstreckung selbst genommen. Getragen von einem durchaus rationalistischen Ansatz ist an die Stelle der mitunter langwierigen, aus heutiger Sicht grausamen Prozeduren, wie etwa bei der Hinrichtung durch das Feuer, das "Minutengeschäft" getreten.
Nun soll ja die Todesstrafe auch belehren! Über die Frage, wie Belehrung geschieht, hat sich schon Nietzsche Gedanken gemacht (Zur Genealogie der Moral, Studienausgabe, Band 5, S. 295)
Wie macht man dem Menschen-Thiere ein Gedächtniss? [...] Dies uralte Problem ist, wie man denken kann, nicht gerade mit zarten Antworten und Mitteln gelöst worden; vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte des Menschen, als seine Mnemotechnik. "Man brennt Etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtniss"...
Das ist natürlich kein Plädoyer fürs Verbrennen! Im Übrigen stellt der alte Nestbeschmutzer den Deutschen ein zweifelhaftes Zeugnis aus (296 f.): Sie hätten sich "mit furchtbaren Mitteln ein Gedächtniss gemacht", z. B. mit dem Rädern ("die eigenste Erfindung und Spezialität des deutschen Genius im Reich der Strafen!").
[1] Zur einer jahrtausendelang parallelen Tradition (und zum hintergründigen Talionsprinzip) siehe Wolfgang Schild: Verstümmelung des menschlichen Körpers, in: van Dülmen (Hg.), Erfindung des Menschen, Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000, Wien u.a. 1998, S. 261-281.
[2] Auch der berühmte Strafjurist Hans von Hentig meinte: "Die orgiastische Atmosphäre mancher öffentlicher Hinrichtungen ist nur so zu erklären, daß Blutdurst und Wollust zusammengehören" (zit. nach Rossa, Todesstrafen, S. 228). Der Marquis lässt grüßen!
[3] Vielleicht hat sich der Ort der traditionellen Schau-Lust auch lediglich verlagert, z. B. ins Privatfernsehen oder ins computermäßig Virtuelle.