Aussagewert von alten Büchern

Liebe Forenfreunde,

... ein guter Bekannter konnte mir an anschaulichen Beispielen aufzeigen, dass gerade ältere WErk bei manchen Geschichtsbücher aussagefähiger waren. Das betrifft allerdings idR. Publikationen der Neuzeit.

Ich denke, das diese Ausführungen recht zeitnah an den tatsächlichen Ereignissen anknüpfen spricht für diese Annahme. Allerdings können Sie ab einem bestimmten
Zeitpunkt auch den Zeitgeist wiederspiegeln. Da Geschichte unbedingt eine detail-
getreue Wiedergabe bedingt sind m. E. Werke vor dem 2. Weltkrieg ausgesprochen
wertvoll für die Beurteilung von geschichtlichen Hintergründen ...
 
Hallöchen.
Komisch, ich habe bei dir manchmal den Eindruck des Unkonkreten... ;)

Ich würde sagen, es kommt auf das einzelne Buch drauf an.

Z. b. in der Orientalistik, also der Historie des Nahen Ostens und Islams sind schon Bücher von 1986 teilweise veraltet...

Die gaaaanz überwiegende Mehrzahl der älteren Werke der Orientalistik mit Schwerpunkt Geschichte, erst recht vor dem 2. WK kann man als Anfänger und Laie nicht gebrauchen, weil man eben keine Erfahrung hat, was nun zu subjektiv, mit Intention geschrieben wurde, und was wertneutral und faktisch (ohne Unterlassungen) korrekt ist.
(Heute wird natürlich immer noch teilweise recht subjektiv geschrieben... ;))
Ein bisschen anders sieht es bei anderen Bereichen der Orientalistik aus, z.b. Linguistik, Literaturkunde, Kunstgeschichte, usw.


Deshalb sehe ich in den letzten Jahren bei Wikipedia zunehmend eine Verflachung einiger Artikel, ein starkes Altern der Artikel, weil immer mehr alte Bücher (googlebooks) digital zur Verfügung stehen, und man so schön leicht copy-pasten kann, statt in die Bibliotheken aktuelle Aufsätze durchzulesen und zu exzerpieren.


Also, wenn du uns deine "anschaulichen Beispiele" mal konkret nennen könntest, dann könnten evtl. einige dir hier bei diesen Werken widersprechen, oder beipflichten.

Ahoi, LG lynxxx
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Forenfreunde,
Ich denke, das diese Ausführungen recht zeitnah an den tatsächlichen Ereignissen anknüpfen spricht für diese Annahme. Allerdings können Sie ab einem bestimmten
Zeitpunkt auch den Zeitgeist wiederspiegeln. Da Geschichte unbedingt eine detail-
getreue Wiedergabe bedingt sind m. E. Werke vor dem 2. Weltkrieg ausgesprochen
wertvoll für die Beurteilung von geschichtlichen Hintergründen ...

Nur weil die Bücher zeitnah geschrieben wurden, heißt dass noch lange nicht, dass die Inhalte besser sind. In Nachkriegsschulbüchern beispielsweise wurde das 3. Reich alles andere als wirklichkeitsgetreu dargestellt (wenn überhaupt, ich bin mir da nicht ganz sicher), da die Menschen damals einfach noch nicht BEREIT waren, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen.

Abgesehen davon tauchen immer wieder neue Quellen und Kenntnisse auf, die Werke veralten lassen.

Der Wert alter Bücher liegt maa darin, dass man sie als Quellen für den Zeitgeist nehmen kann, in der sie verfasst wurden. Wie lynxxx sagte, sind die Orientalistik-Bücher vor 1986 sehr subjektiv geschrieben. Man kann sich z.B. eben genau DIESE Bücher nehmen um herauszufinden, wie in diesem oder jenem Land über den Orient gedacht wurde.
 
Gegendarstellung

Dieses Argument hatte ich auch einmal angeführt. Kann man denn tendenziell sagen, dass zeitnahe Autoren vom Zeitgeist bedingt "befangen" sind in der Wahrnehmung ?!.

Der Ansatz ist aber gut. Tatache ist jedenfalls das Historiker gerne zeitnahe Werke als Informationsgrundlage nutzen. Das scheint gerade in der neueren Literatur zumindest zuzutreffen ... !!! ???
 
nachgefragt

Woran kann man das denn erklären, das Orientbücher subjektiv sind? - Zu viele "Attribute" zu wenig "beschreibendes" ?! vielleicht ....
 
Dieses Argument hatte ich auch einmal angeführt. Kann man denn tendenziell sagen, dass zeitnahe Autoren vom Zeitgeist bedingt "befangen" sind in der Wahrnehmung?!

Alle Autoren sind befangen durch zeitgeistige Wahrnehmung. Deshalb gehört zur Bearbeitung eines historischen Stoffes auch unbedingt Ideologiekritik. Kritik an der Ideologie des Verfassers genauso wie Kritik an der eigenen Ideologie. Das ermöglicht die größtmögliche Objektivität.

Der Ansatz ist aber gut. Tatache ist jedenfalls das Historiker gerne zeitnahe Werke als Informationsgrundlage nutzen. Das scheint gerade in der neueren Literatur zumindest zuzutreffen ... !!! ???

Natürlich. Was nützt eine Quelle, die 100 Jahre nach einem Ereignis verfasst wurde gegenüber einer Quelle, die ein Augenzeuge verfasste? Auf Kindergeburtstagen gibt es ein Spiel, das heißt "Stille Post". So ungefähr funktioniert auch mündl. Geschichtsüberlieferung. Da werden bruchstückhafte Erinnerungen zu einem ganzen verknüpft, vergessenes neu aufgefüllt etc. Das Problem,was sich manchmal ergibt, ist aber, dass man manchmal nur auf verhältnismäßig spät entstandene Quellen zurückgreifen kann. Und dann muss ausgewertet werden, was literarischer topos und was historisches Ereignis ist. Ein Bsp.: Karl der große zog 778 über die Pyrenäen,um dem Emir von Zaragoza gegen den Emir von Córdoba zu helfen. In der Zwischenzeit hat aber der Emir von Zaragoza sich wieder unter die Oberhoheit von Córdoba begeben. Also plündern die Truppen Karls das christliche Pamplona. Die Basken legen darauf hin in den Pyrenäen einen Hinterhalt und überfallen die Nachhut. Hruodland, der Markgraf der Bretagne stirbt dabei. Bei Einhard, einem Zeitgenossen nimmt die Schlachtbeschreibung 1 1/2 Zeilen ein. Um 1100 gibt es dann das Rolandslied in französischer und wenig später auch in deutscher Sprache. Das ist ein ganzes Buch voll von Heldenmut und Verrat, Roland fällt im Kampf gegen die Sarazenen, nicht bevor er nicht noch einige Heldentaten vollbracht hat. Das ganze führt dann zu weiteren Geschichten, z.B. wird der Bischof Turpin, eine Figur des Rolandsliedes in späteren Texten zu einem Berater Karls des Großen, der nach Santiago de Compostela pilgert (immer der Milchstraße nach), die Spanier ihrerseits erfinden einen Bernardo de Carpio, der zu ihrem Antiroland wird, vermutlich um sich des französischen Einflusses zu erwehren, der über Hochzeitend es Königshauses mit dem französischen Hochadel immer mehr zunimmt. Seit dem 14. Jahrhundert ist für Bernardo de Carpio eine Grablege überliefert, und das obwohl es sich hier um eine rein literarische Figur handelt. Wenn Du aber Texte des Spätmittelalters über Roland liest, wirst Du immer den Kampf gegen die Sarazenen im Vordergrund finden - und zwar als historisch, weil die Menschen nicht zwischen Fakt und Fiktion unterschieden - und die Basken kommen in der Regel gar nicht mehr vor.
 
nachgehakt

... und welche Rolle spielt das Faktum der Zensur hier ?! Ich denke zu keiner Zeit konnte ein Autor oder CHonist wirklich ohne Rücksichtnahmen schreiben ...
 
Liebe Forenfreunde,

... ein guter Bekannter konnte mir an anschaulichen Beispielen aufzeigen, dass gerade ältere WErk bei manchen Geschichtsbücher aussagefähiger waren. Das betrifft allerdings idR. Publikationen der Neuzeit.
Hm dieses 'aussagefähiger' muss man natürlich mit Vorsicht genießen. Bei vielen älteren Werken habe ich bis jetzt eine konkrete Einstellung des Autors angetroffen, also EINE Interpretation der Ereignisse. Heute werden hingegen oftmals mehrere Deutungen NEBENEINANDER dargestellt, also es wird mehr diferenziert. Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, dass heute die Werke anderer Historiker für die modernen Historiker vielleicht leichter durch Internet und überhaupt Netzwerke der Unis etc. erreichbar geworden sind und zunehmend mehr zur Objektivierung und zum Vergleich angespornt wird.
Dabei läuft man natürlich immer Gefahr zu pauschalisieren. Ich bin immer wieder erstaunt, nach heutigem Maßstab 'moderne' Geschichtsbücher aufzustöbern, welche aber schon Jahrzehnte alt sind.

Es ist aber natürlich immer die Frage, was man mit 'alte' Geschichtsbücher meint? Auch schon im 18.Jh. gab es zunehmend wissenschaftliche Historiker, welche Quellenangaben lieferten und wirklich kritisch mit Quellen umzugehen verstanden.
 
In meiner Geschichtsvorlesung gab es letzte Woche den interessanten Punkt, dass sich Historiker lange Zeit (bis zum 1. WK extrem, aber wirkliche Veränderung erst mit dem 2WK) ausschließlich mit politischer Geschichte, vornehmlich Außenpolitik, befassten. Sozioökonomische Faktoren werden kaum beachtet (hierfür müsste man dann die Ökonomen lesen).
Bei älteren Werken läuft man also Gefahr, dass die damalige Definiton von Geschichtswissenschaft bewusst bestimmte Bereiche ausblendet, obwohl sie für konkrete Beispiele entscheidend sind.
 
Nö. Der Name fiel nicht. Ich dachte eher an Rankes Primat der Außenpolitik und die Fischerkontroverse, sowie die Überlegungen von Ulrich Wehler.
 
Aber das

In meiner Geschichtsvorlesung gab es letzte Woche den interessanten Punkt, dass sich Historiker lange Zeit (bis zum 1. WK extrem, aber wirkliche Veränderung erst mit dem 2WK) ausschließlich mit politischer Geschichte, vornehmlich Außenpolitik, befassten. Sozioökonomische Faktoren werden kaum beachtet (hierfür müsste man dann die Ökonomen lesen).
Bei älteren Werken läuft man also Gefahr, dass die damalige Definiton von Geschichtswissenschaft bewusst bestimmte Bereiche ausblendet, obwohl sie für konkrete Beispiele entscheidend sind.

war genau das, worum es im Methodenstreit von Lamprecht ging und das war genau in der Zeit zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg. Lamprecht unterlag zu seinen Lebzeiten, heute sind seine Ideen für uns selbstverständlich.
 
Im Vorlesungsskript taucht der Name nicht auf, wurde als höchstens am Rande erwähnt. Der Aufsatz den ich ergänzend las, enthält zwar einen Hinweis darauf, den ich mir allerdings nicht sehr gut einprägte. Ich werd nächste Woche vielleicht mal meinen Prof drauf ansprechen und mir die Passagen in dem Aufsatz auf jeden Fall nochmal anschauen und unter Umständen in der Bibliothek kurz danach gucken.
 
Woran kann man das denn erklären, das Orientbücher subjektiv sind? - Zu viele "Attribute" zu wenig "beschreibendes" ?! vielleicht ....

In dem Fall Orient, der auch auf viele andere Bereiche anwendbar sind, läßt sich sehr schön zeigen, wie ein historisches Bild sich wandelt, und zwar einfach deswegen, weil neuere Autoren mehr orientalische Quellen neben die abendländische Quellen lesen.

Vor einigen hundert Jahren oder Dekaden, las man z.B. nur die österreichischen Quellen zur Belagerung Wiens, danach las man dann die osmanischen Quellen, und erhält dadurch ein komplexeres vielleicht realistischeres Bild.

Die ersten Biographien von Mohammed (den Propheten im Islam), wollten zeigen, was für ein Antichrist er war. Später wollten Evagelikale damit was aufzeigen, arbeiteten aber schon wissenschaftlicher im heutigen Sinne, noch später wurde dann historisch kritisch sein Leben beleuchtet, usw. Man kommt also der "Wahrheit" heute immer näher, weil eben nicht nur die Prophetenbiographien der ersten Jahre nach seinem Tode herangezogen werden können, sondern auch archäologische Funde, Schriften aus dem aramäischen und syrischen, usw.

Du siehst, neueres ist oftmals besser, differenzierter, intentionsfreier, interdisziplinärer.
Lebendige Geschichte anschaulich zu schildern, z.B. die Zeit der Römer, dabei aber weitgehend auf Fakten sich zu stützen, ist vielleicht von älteren Autoren teilweise besser gelungen, als neuere akad. Texte.

So muss nun los, Ciao, LG lynxxx
 
Erlebnisschilderungen und der Abstrakt

Liebe Forenteilnehmer,

... das ist ein interessanter Schlagabtauch, der viele Gesichtspunkte zu dieser interdisziplinären Sachthematik enthält. Aus meiner Sicht bin ich überzeugt, dass es eine Reihe von Tagebüchern gibt die auch einen sehr konzentrierten Abstrakt zur historischen Wirklichkeit erlauben. Ich verweise hierzu auch einmal auf einen 3teiliger der ARD, bei denen man versucht hat ein Psychogramm von Dr. Joseph Goebbels zu zeichnen, auch hier war es möglich historisch relevante Ergänzungen herausziehen - ungeachtet des Hauptziels einer Psychoanalyse der jeweiligen Lebensphasen ...
 
ähhh... Helmut kann es sein, dass du aus Versehen die Diskussionen verwechselt hast? Hier geht es um alte Bücher. Die Tagebücher sind "eine Diskussion weiter"
 
Einstellung von interdisziplinären Themen

Für mich ist es manchmal schwierig zu beurteilen wo genau Themen eingestellt werden können, die übergreifenden Charakter haben, so wie diese. Es wäre schön, wenn es hierzu eine separate Kategorie ist, denn hier geht es konkret um ein theoretisches Thema um der Wahrheitsfindung nahe zu kommen, da haben Tagebücher wie zeitgenössische Maniskripte sicherlich einen 1P-Status.
 
Es wäre schön, wenn es hierzu eine separate Kategorie ist, denn hier geht es konkret um ein theoretisches Thema um der Wahrheitsfindung nahe zu kommen

Darüber könnte ich ausgiebig philosophieren, was Wahrheit ist, was nicht Wahrheit ist, was Wahrheit neben anderen Wahrheiten bedeutet, usw.
Wahrheit ist ein philosophischer Begriff. Dehnbar bis in die Unendlichkeit, weil jeder Mernsch mindestens eine eigene Wahrheit besitzt.
 
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