Die Situation Anfang der 90s in Rostock war genau vom Gegenteil getrieben, wie einer gezielten Aktion. Hier kamen m.E. mehrere Punkte zusammen.
Natürlich war das grundsätzliche Vorgehen, wie es sich in Teilen der ehemaligen DDR, so auch Rostock vollzog eine geplante Aktion rechtsradikaler Gruppen.
Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen – Wikipedia
Hier findet sich unter dem Punkt "Ausländerfeindliche Überfälle in Mecklenburg-Vorpommern" dankenswerter Weise eine Auflistung vergleichbarer Ereignisse der selben Zeit, mit grobem Rekurs auf die Täter.
Wen Gruppen von 5 oder 10 oder 20 Mann, teils in vermummter Weise gezielt gegen eine Person oder eine Einrichtung vorgehen und zufälliger Weisenoch Brandmittel oder Waffen dabei haben, kann man wohl von nichts anderem, als einer geplanten Aktion sprechen.
1. Der DDR Bürger wurde durch die "Einmauerung" und dem Fernhalten allem Fremden über Jahre regelrecht zur Fremdenfeindlichkeit erzogen.
Also angesichts der Tatsache, dass man kontinuierlich reichlich Kader und militär aus der Sowjetunion im Land hatte, wie auch, dass die vietnamesischen Vertragsarbeiter etc. nicht vom Himmel gefallen sind, passen da nicht so ganz zum "Fernhalten alles Fremden".
Zudem, die Masse der DDR-Bürger wollte ja eben aus diesen Verhältnissen heraus, sonst wäre die Mauer 1989 wohl kaum gefallen. Die Forderung nach Reisefreiheit, passt so gar nicht zu einer Grundhaltung sich alles Fremde auf Diestanz halten zu wollen.
2. Diese Mischung aus Fremdenfeindlichkeit und neuer Freiheit mit allen Konsequenzen überforderte die Bürger dieser Region oder besser gesagt, diesen Stadtteils.
Ne, das sind ein wenig sehr billige Entschuldigungen. Der Normalbürger wechselt, wenn er mit seiner Wohnsituation nicht klar kommt, den Aufenthaltsort, aber er zündet deswegen keine Wohnanlagen an.
Die Westdeutschen Neonazis wiederrum, die neben diversen Kadern aus dem Osten im Verlauf der Ausschreitungen anreisten waren ebenfalls sicherlich nicht von der Lebenssituation in Rostock überfordert.
3. Die Euphorie der Wende war schon ab 91 verflogen und die Realität der sozialen Marktwirtschaft hat auch viele in den Wohn-Ballungszentren Rostocks aus der Bahn geworfen. Diese Ohnmacht, gestern noch vom System gegängelt worden sein und danach durch z.B. Arbeitslosigkeit wieder am Rand der Gesellschaft zu stehen, bot fette Nahrung für Fremdenangst oder gar Fremdenhass.
Nö. Normaltickenden Menschen bot es das durchaus nicht. Was konnten die ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter, die schon zu DDR-Zeiten da waren dazu, dass die Wende nicht in der Form verlief, wie sich das im Osten viele erträumt hatten und dass es dabei auch entsprechende Verlierer gab?
Ich würde das Argument nachvollziehen können (was ich hier keines Falls aus Beführworten verstanden haben will), wäre es in dieser Zeit zu einem größeren Einwanderungsschub in die EX-DDR gekommen, so dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt durch neue Konkurrenz zustäzlich verschärft worden wäre, aber das war hier nicht der Fall, mindestens nicht bei der konkreten Situation in Rostock.
Die Ausschreitungen richteten sich gegen Personen die längst da waren und mit denen die Bevölkerung vorher keine derartigen Probleme hatte, dass sie meinte Gewaltorgien und Mordanschläge verüben zu müssen.
Das Argument der Überforderung durch neue Freiheiten zieht ebenfalls nicht.
Die Möglichkeit der politischen Partizipation steht viel mehr den Anlass zu Gewalteruptionen diametral entgegen. Anlass gibt es, wenn die Umstände drückend sind und die Partizipation verwehrt wird und nicht wenn man Möglichkeiten hat auf friedlichem Weg Einfluss zu nehmen.
Was ich als Argument für Frustration und eine gesteigerte allgemeine Gewaltbereitschaft nachvollziehen kann, ist der Verlust an persönlicher materieller Sicherheit.
Der hätte sich aber konsequenter Weise, nicht gegen ohnehin bereits anwesende Ausländer, sondern gegen die Bonner Regierung und ggf. die Treuhandanstalt richten müssen, denn wenn der Verlust der Existenzsicherheit von irgendwem verschuldet wurde (wollen wir diese Sicht einmal annehmen), dann wohl eher von diesen Adressaten.
Genau aus diesen niederen Gründen oder einfach nur aus der Angst, abgehängter der Gesellschaft zu sein oder ganz unten zu stehen, noch tiefer als Zuwanderer, hat in Rostock auch den ganz normalen Bürger zu einem Brandstifter werden lassen.
Ne, Entschuldigung, dass ist ein wenig einfach. Wenn man das als natürliche Reaktion hinnehmen würde, müsste man z.B. fragen, warum sich die ganze Angelegenheit etwa im Zuge der Agenda 2010 nicht wiederholt hat, denn die sorgte bekanntich auch für das Gefühl sozialer Deklassierung bei den Betroffenen.
Mal ganz davon abgesehen, dass ich es für unangemessen halte im Bezug auf Straftäter, die die Tötung ihrer Opfer mindestens billigend in Kauf genommen haben, noch vom normalen Bürger zu sprechen.
Jemand der so handelt hat den Weg und die Handlungslogik des Normalbürgers offensichtlich längst verlassen.