Teil 1:
den Segnungen der 68er, die Du sehr gerne und vielfach anbringst, ...... Die weltwirtschaftliche Verzahnung und Prosperität, die kulturelle 'Verwestlichung', Liberalisierung in den 1960er Jahren, man denke nur an die Rock- und Pop-Musik-Bewegung von UK, den USA her, sind nicht die Folge einer deutschen, besonders 'linken' 1968er Bewegung, es war ein westlich-globales Phänomen, bei dem die 1968er-Bewegung ein Teil davon war, und mehrheitlich zu einer linksliberalen, in der Masse wohl eher sogar unpolitischen Pluralisierung führte.
Wenn ich jemand belehre, dann sollte man sich vorher mit dem auseinandergesetzt haben, was der zu dem Thema bereits geschrieben hat. Und deswegen noch einmal eine Zusammenfassung.
Eine seriöse Bewertung der Ereignisse der „langen 60er“ bzw. „70er Jahre“ ist nicht durch oberflächliche politisch aufgeladene Vorurteile zu leisten. Die Prozesse, die in den langen 70er Jahren abliefen, lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Zunächst waren es transnationale Ereignisse, die die politische Kultur in West und Ost in einer „heißen“ Phase des Kalten Krieges divergierend beeinflußten. Zumal die Ereignisse in einer Phase abliefen, die durch die Diskussion der „Konvergenz“ der politischen Systeme gekennzeichnet war und eines – vermuteten - Verlustes an politischer Legitimität der kapitalistischen Demokratien.
Die globale Revolte war gleichzeitig ein im Mannheim`schen Sinne „Generationenkonflikt“, der spezifisch im Rahmen der Jugendsoziologie thematisiert wurde. Gleichzeitig betraf dieser Protest die Sozialstruktur der Gesellschaft und hinterfragte die Bedeutung von Werten im familiären Umfeld. Davon betroffen waren direkt die Rollenmuster von Jung und Alt und die Gleichstellung von Mann und Frau. Und bedeuteten einen Modernisierungsschub im Zuge des Sozialen Wandels. Dieses auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung einer post-industriellen Gesellschaft.
Der transnationale Protest organisierte sich im Rahmen eines neuartigen Beziehungsgefüges zwischen sozialer Bewegung, kritischen Intellektuellen, liberalen Massenmedien und dem eigentlichen System der Politik (vgl. z.B. Klimke). Im Ergebnis wurde ein neues Modell von „westlicher Demokratie“ definiert, das das „Repräsentationsprinzip“ durch die partizipative Teilhabe ergänzte (vgl. dazu z.B. die Diagnose von Dahrendorf)
Das pauschale und generalisierte Urteil der Literatur zu den Ereignissen in den langen siebziger Jahren ist, dass die 68 nicht die Ursache dieser Prozesse waren, sondern eher ein Symptom. Dennoch war diese transnationale Revolte ein Katalysator, der die- sozialistischen - politischen Ziele und die Geschwindigkeit des Prozesses beeinflusst hatte.
Betrachtet man zunächst primär die Bundesrepublik Deutschland (BRD) dann kann man “ 68“ als eine Zäsur begreifen, in deren Folge in den – langen - siebziger Jahren sich die Wirkungen verstetigten und die BRD als demokratischen Sozialstaat nachhaltig geprägt haben.
Die Beschreibung der pre-68-Bundesrepublik konzentriert sich auf die fortschrittliche Industrienation mit einer zurückgebliebenen politischen Kultur (vgl. Allmond & Verba, S. 126ff, ebenso Dahrendorf, bes. S. 325ff)
In diesem Sinne betont Schelsky (1960, S. 356ff) noch, dass die Reaktion auf die Modernisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die fortschreitende Industrialisierung u.a. auch in der Betonung von „Tradition und Autorität“ liegt. Dieses auch im Kontext seiner Ergebnisse zu der skeptischen Nachkriegsgeneration, die sich stark auf die Familie und den Wohlstand konzentrierte und gleichzeitig eine gewisse unpolitische Haltung in der Adenauer-Ära aufwies (Schelsky, 1957)
Die in komparativer Sicht (vgl. Almond & Verba) geringere politische Partizipation in der Bundesrepublik findet ihre Entsprechung in einem rückwärtsgerichteten politischen Weltbild vor 1968. So sagten 1951 45 % dass es ihnen im Kaiserreich und 40 % während der NS-Periode von 1933 bis 1938 am besten gegangen sei. Die Periode nach 1945 wird nur von 2 % geschätzt (vgl. Greiffenhagen & Greiffenhagen, S. 331 ff). Ähnlich problematisch sieht es bei der Frage nach Verantwortung im NS-System aus. Und noch 1971 sind ca. 50 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass der Nationalsozialismus „im Grunde eine gute Idee“ war. (ebd. S. 333). In diesem Sinne resümiert Reichel die politische Kultur der pre 1968 Bundesrepublik: „Die politische Kultur dieser Jahre war weder charakterisiert durch scharfe ideologische Gegensätze, Radikalismus oder gewalttätige antidemokratische Bewegungen – noch durch eine wertbewußte, auf Emanzipation und Selbstbestimmung gerichtete, also inhaltlich und nicht nur formal verstandene Demokratie (S. 148).
Es war eine Phase der Entideologisierung des öffentlichen Lebens und der Politik. Den langsamen Ausklang der Adenauer-Ära kann man u.a. an der stetigen Zunahme der Stimmen für die SPD erkennen und der damit zusammenhängenden Bejahung des Modells des korporatistischen Wohlfahrtsstaats (vgl. Ballerstedt & Glatzer, S. 456).
In dieser Phase einer zunehmenden Kritik an der Bundesrepublik in den frühen sechziger Jahren durch führende Intellektuelle, wie Böll, Duve, Grass, Hochhut, Walser oder der Gruppe 47 wird von liberaler und undogmatischer neo-marxistischer Sicht eine deutliche Kritik an den verkrusteten politischen und gesellschaftlichen Strukturen formuliert (vgl. Jarausch, S. 143ff)
Der Kritik ist gemeinsam, dass sie das Prinzip der Öffentlichkeit und der aktiven, emanzipatorischen Partizipation in die politische und soziale Öffentlichkeit integriert sehen möchten und so einen Modernisierungsschub intendieren, über den ein höheres Maß an politischer und sozialer Partizipation erzielt wird. „In other words, West Germany needed to break with its remaining authoritarian structures in the pre-political realm.“ (Jarausch, S. 144)
Literatur zu Pre-1968:
Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney (1965): The civic culture. Political attitudes and democracy in five nations. Boston: Little Brown.
Ballerstedt, Eike; Glatzer, Wolfgang (1977): Soziologischer Almanach. Unter Mitarbeit von u.Miwirkung von Karl-Ulrich Mayer und Wolfgang Zapf. 1. Aufl. Frankfurt/Main: Herder & Herder (SPES-Project, 5).
Dahrendorf, Ralf (1965): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. Stuttgart, Hamburg: Deuscher Bücherbund.
Greiffenhagen, Martin; Greiffenhagen, Sylvia (1981): Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur Deutschlands. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag
Habermas, Jürgen (1973.): Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt (am Main): Suhrkamp
Klimke, Martin (2010): The other alliance. Student protest in West Germany and the United States in the global sixties. Princeton, N.J., Woodstock: Princeton University Press
Jarausch, Konrad Hugo (2010): After Hitler. Recivilizing Germans, 1945-1995. Oxford: Oxford Univ. Press.
Offe, Claus (1972): Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. Aufsätze zur Politischen Soziologie. Frankfurt/Main, New York: Suhrkamp.
Reichel, Peter (1981): Politische Kultur der Bundesrepublik. Opladen: Leske und Budrich
Schelsky, Helmut (1957): Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. 1. Aufl. Düsseldorf-Köln: Eugen Diederichs Verlag.
Schelsky, Helmut (1960): Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme. 4., unveränd. Aufl.