Nachdem wir einen Ausflug zu den Ursprungsmythen der Diné oder Navaja gemacht haben, kann ich das Ergebnis der Diskussion dort wohl zusammenfassend wiedergeben:
Fakt ist:
Die Mythen der im Süden der USA lebenden Diné (Navajo/Navaho), die zu den Na-Dene-Völkern gehören, sprechen wohl von einer Nord-Süd-Wanderung und lassen Anklänge an eine arktische Urheimat sowie den Wanderweg von Alaska über Nordwestkanada und über Westkanade bis in den Süden der USA erkennen. Zu diesen Anklängen gehört möglicherweise die Tradition von einer "unterirdischen Welt", aus der die Vorfahren über eine Höhle in die heutige Welt gekommen seien. Eine solche Tradition könnte durch geologische Prozesse in arktischen Gebieten ("Megaslump") erklärbar sein.
Die Na-Dene-Völker sind heute noch von Alaska bis zur Südgrenze der USA (Navajo) verteilt. Deren Vorfahren gehören zur vorletzten Migrationswelle von Sibirien nach Alaska (also vor den Innuit, die heute von Sibirien bis Grönland beheimatet sind).
Das kann sowohl durch linguistische Überlegungen (Haarmann) wie durch genetische Untersuchungen geschlossen werden. Die letzten Spuren dieser Migranten, der Paläo-Eskimo, sind archäologisch etwa 700 Jahre alt. Die Nord-Süd-Wanderung der Diné ist also nicht jünger als 700 Jahre.
Das ist ein Zeitraum, in den etwa die isländischen Sagas sehr konkret die Geschichte Islands mit der Entdeckung Grönlands und Nordamerikas (Heluland, Markland, Vinland) sogar mit Personenbenennungen wiedergeben. Die Ursprungssaga der Diné ist allerdings weniger konkret, müsste also älter sein.
Spätere Ausschmückungen und Beifügungen sind durchaus möglich, ändern aber am Kern der Wandersage "von der nordamerikanischen Arktis entlang der Rocky bzw. der pazifischen Küste bis an die Südgrenze der heutigen USA" nichts.
Der Kern der Wandersage ist somit archäologisch, genetisch und linguistisch bestätigt.
kurz und schmerzlos also:
die Vorfahren der Navajo sind spätestens vor 700 Jahren in ihre heutigen Siedlungsgebiete im Süden der USA gewandert, wo sie heute in unmittelbarer Nachbarschaft von Uto-Aztekischen Stämmen leben und einige kulturellen Elemente der dort heimischen Völker (Maisanbau) übernommen haben dürften. Eine ältere, also vor 1300 erfolgte Wanderung ist durchaus möglich, später aber nicht mehr zu erwarten.
Nun komme ich zur Wanderbewegung der Uto-Azteken zurück:
Wenn man jetzt im Buch "
Ancient West Mexico in the Mesoamerican Ecumene" schaut, dann findet man auf S. 439 für die "frühe Postklassik" (
ca. 900 bis 1200 - also gerade dem Zeitraum, in dem die Wanderung der Azteken und verwandter Stämme in das zentrale Hochland stattgefunden haben soll) in dieser Region die archäologischen Fundstätten von Chametia, Amapa und Ixtlan de Rio.
Es ist also nicht ganz von der Hand zu weisen, dass beide Wanderbewegungen in einem zeitlichen Kontext stehen:
a) die Wanderung der Vorfahren der Navajo nach Süden spätestens um 1300 n. Chr.
b) die Wanderung der Vorfahren der Uto-Azteken von ca. 900 bis 1200
c) und nur am Rande:
relativ zeitgleich fand die Ost-Ausbreitung der Eskimo entlang der arktischen Küste bis Grönland statt, als
letzte Migrationswelle indigener Völker aus Sibirien.
Die Wandersagen sowohl der Navajo wie auch der Azteken (und Verwandte) korrespondieren insoweit, als beide von Nord-Süd-Wanderungen in einem vergleichbaren Zeitraum berichten.
Das kann verschiedene Deutungen haben
= Vorfahren der Navajo haben die Uto-Azteken verdrängt, die den Verdrängungsdruck dann jeweils nach Süden weiter gegeben und so eine Wanderbewegung ausgelöst haben, die mit Uto-Aztekischen Stämmen erst in Nicaragua endete,
oder
= Vorfahren der Navajo sind in das von Uto-Azteken verlassene Siedlungsgebiet im Süden der USA / Norden von Mexiko vorgedrungen
Möglicherweise lassen sich archäologische Erkenntnisse gewinnen, die entweder eine Verdrängung im nahtlosen Anschluss (vielleicht sogar mit Spuren von Zerstörungen) oder für den fraglichen Zeitraum eine vorübergehende Fundleere bestätigen.
Mein erster Schritt ist aber die Überlegung:
Was könnte eine solche Wanderbewegung entlang der gesamten Nordamerikanischen Westküste ausgelöst haben?
Nun finden wir
im Klimaarchiv Hinweise auf mehrere europäische Extremwinter, die insbesondere von dem
Winter 763/64 und dem
Winter 1076/77: "Canossa-Winter" markiert werden, Konkret sind dort solche Extremwinter für die Jahre
357/58, 358/59,
(535: Ausbruch eines tropischen Supervulkans verursacht 18 Monate Dunkelheit) 5
43/44, 553/54, 558/59, 566/67, 592/93,
641/42, 642/43,
760/61, 763/64, 774/75, 810/11,
821/22, 822/23, 823/24, 829/30, 841/42,
859/60, 873/74, 874/75, 892/93,
974/75, 993/94, 1019/20,
1109/10, 1113/14, 1123/24, 1132/33, 1149/50, 1215/16, 1233/34,
1305/06, 1323/24,
(1342/43 extrem schneereicher Winter, gefolgt von der "Magdalenen-Flut") und 1363/64 verzeichnet. Die letztgenannten Extremwinter leiten dann schon in die "
Kleine Eiszeit" über.
Und eine solche Reihung von extremen Wintern - zum Teil recht kurz hintereinander mit kalten Sommern dazwischen - ist nicht regional begrenzt sondern deutet auf ein globales Ereignis hin. Tatsächlich lassen sich zeitgleiche Fröste sogar bis Nordafrika (
Frost auf dem Nil) belegen.
Im gleichen Zeitraum mit den extremen Wintern fand
vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, die
Mittelalterliche Warmzeit bzw. das Mittelalterliches Klimaoptimum statt. Der Höhepunkt dieser Epoche mit warmen Durchschnittstemperaturen
(also heißen Sommern im Ausgleich zu den Extremwintern)
"lag in Island und Nordamerika um 1100, in England um 1200 bis 1300. In einzelnen Regionen wie etwa in England lagen die Temperaturen um 1 bis 1,5 °C höher als im Mittel des 20. Jahrhunderts.
Global kennzeichnend waren langanhaltende und starke Dürren in manchen Regionen, so in den westlichen und inneren Vereinigten Staaten und im nördlichen Mexiko" (Diaz, H. F., et al. (2011): Spatial and temporal characteristics of climate in Medieval times revisited, Bulletin of the American Meteorological Society, 92, 1487–1500).
Daraus ergibt sich also die Frage:
Könnten auch die nordamerikanischen Wanderbewegungen eine solche klimatische Ursache als Auslöser haben?