Hier ein Abschnitt aus Xenophons Symposion:
(Man beachte, dass sich Sokrates darin selbst mit den Silenen vergleicht bzw. vom Autor verglichen wird!)
Kallias wandte sich nunmehr gegen Kritobul. Nun, wie ist's, Kritobul? wirst du jetzt nicht hervortreten um deinen Streit über die Schönheit mit Sokrates auszumachen? - Er wird schwerlich große Lust dazu haben, sagte Sokrates; er mag wohl merken, dass der Kuppler etwas bei den Richtern gilt. - Demungeachtet weiche ich dem Kampf nicht aus, entgegnete Kritobul, sondern will mich gern belehren lassen, wenn deine Philosophie so weit reicht, die Behauptung, dass du schöner seiest als ich, gut zu machen.
So rücke nur jemand den Leuchter näher heran, sagte Sokrates.
Kritobul. Ich fordre dich vor allen Dingen auf, den Punkt, worauf es bei unserm Streit eigentlich ankommt, gehörig zu bestimmen.
Sokrates. Gut! So antworte mir.
Kritobul. Frage!
Sokrates. Denkst du das Schöne sei etwas, das dem Menschen ausschließlich zukomme, oder das sich auch an andern Dingen finde?
Kritobul. Es versteht sich, sollt' ich bei Zeus meinen, dass es auch schöne Pferde, schöne Ochsen und mancherlei andre zum Teil leblose Dinge gibt, denen dieses Beiwort zukommt.
Sokrates. Aber wie können so verschiedene und einander so wenig ähnliche Dinge alle schön sein?
Kritobul. Das können sie allerdings. Wenn jedes zu dem Zweck, wozu wir es gebrauchen - oder uns angeschafft haben, von der Natur gegliedert oder von der Kunst gearbeitet worden ist, so sind sie schön.
Sokrates. Die Augen also, z. B. wozu bedürfen wir ihrer?
Kritobul. Ohne Zweifel, zum Sehen.
Sokrates. Wenn das ist, Kritobul, so dürften wohl gleich meine Augen schöner sein als die deinige.
Kritobul. Wieso?
Sokrates. Weil die deinige nur gerade vor sich hin sehen können, meine hingegen, da sie so weit hervorstehen, auch seitwärts.
Kritobul. Diesem nach hätte unter allen Lebendigen der Krebs die schönsten Augen?
Sokrates. Allerdings, und um so mehr, da sie ihrer Härte wegen besser auf die Dauer gemacht sind als andre.
Kritobul. Das lass' ich gelten! Aber die Nasen? welche von beiden wäre wohl die schönere, die deine oder die meine?
Sokrates. Die meinige, sollt ich denken, wenn anders die Götter uns des Riechens wegen mit Nasen beschenkt haben. Deine Nüstern sehen niederwärts zur Erde, die meine hingegen stehen weit offen, so dass sie die Gerüche von allen Seiten einziehen können.
Kritobul. Aber wie sollte eine eingedrückte Nase schöner sein als eine erhabene?
Sokrates. Weil sie den Augen nicht im Wege steht, sondern sie stracks alles was sie wollen ungehindert sehen lässt; da hingegen eine erhabene Nase, den Augen gleichsam zum Trotz dasteht und eine Scheidewand zwischen ihnen aufführt.
Kritobul. Was den Mund betrifft, Sokrates, da geb' ich dir voraus gewonnen; denn wenn der Mund des Beißens wegen da ist, so ist augenscheinlich dass du ganz andre Stücke auf einmal herunter beißen kannst als ich.
Sokrates. Und weil meine Lippen dicker sind, meinst du nicht, dass auch mein Kuss weicher sein werde?
Kritobul. Das muss wohl so sein; deinem Grundsatz zu Folge hätte sogar der Esel hierin viel vor mir voraus.
Sokrates. Und musst du es nicht überdies noch für keinen schwachen Beweis, wie viel schöner ich bin als du, gelten lassen, dass die Silenen, denen ich unleugbar viel ähnlicher bin als du, von den Najaden geboren werden und also Göttersöhne sind?
Kritobul. Ich gestehe, dass ich dir nichts mehr entgegen zu setzen habe. Lasst also den Richtern die Steine zum Stimmen austeilen, damit ich je bälder je lieber erfahre, zu welcher Leibesstrafe oder Geldbuße sie mich verurteilen werden.
Sokrates. Ich habe nichts entgegen; nur sollen sie ihre Stimmen heimlich geben; denn ich habe sehr zu fürchten, gegen so reiche Gegner wie du und Antisthenes zu kurz zu kommen.