Das katalanische Referendum 2017, Gründe und historisierende Narrative

Stilicho schreibt zwar, er habe nie geschrieben, dass Spanien ein faschistischer Staat sei, betreibt aber mit seinen Verweisen auf den schwierigen Umgang mit Franco („Ist Franco wirklich tot?“ „Hast du die Diskussion ums Valle de los Caídos nicht mitbekommen“?) natürlich entsprechendes Dog Whistling
Entscheidend für die heutige Situation war die Neufassung des Autonomiestatutes 2005/2006. Nach langen schwierigen Verhandlungen mit der Zentralregierung, Zustimmung des Parlamentes in Madrid und einem Referrendum in Katalonien wurde dieses neue Statut angenommen. Der PP ging dieses Statut zu weit und sie legte Verfassungklage ein.
Hier kommt zum ersten Mal die spanische Justiz ins Spiel. Diese ist niemals aus der Francozeit herausgekommen, wurde nie reformiert und entscheidet noch heute entsprechend.
Ich kann nicht beurteilen, ob die spanische Justiz dergestalt orientiert ist... aber wenn ja, dann wundert mich die ab ovo unproblematische EU Mitgliedschaft des nach wie vor "faschistischen" Stierkampflandes und dass das nirgendwo als Skandal thematisiert zu sein scheint.
 
Stilicho hat ja insofern Recht, dass in Spanien einiges im Argen liegt. Diese Defizite werde von den Separatisten argumentativ genutzt. Man denke nur an Baltazar Garzón, der den Pacto de Borrón - das gesellschaftliche Übereinkommen, über die Francozeit zu schweigen (wie Shinigami richtig ausführte, ist die spanische Demokratie nun mal mit der Gnade der ehemaligen Franquisten aus der Taufe gehoben worden, und die PP, die zur Parteienfamilie der EVP gehört, ist aus der Konkursmasse der FET hervorgegangen, hat von dieser die blaue Farbe geerbt) - "gebrochen" hat, um endlich den Familien der Opfer des Bürgerkrieges und der Repression des Francoregimes juristische Genugtuung zu verschaffen. Man hat ihn daraufhin mit Klagen überzogen und aus dem Amt als gedrängt. Zunächst übernahm das die als rechtextrem geltende Beamtengewerkschaft Manos Limpias (Saubere Hände - die haben sie wohl in Unschuld gewaschen), später die PP (da sind wir dann wieder bei dem von mir bereits mehrfach angesprochenen Caso Gürtel).
 
Ich schreibe gerade einen Beitrag zur katalanischen Republik 1873, da ich aber keine Zeit habe, für's erste nur so viel:
Die katalanische Republik 1873 ist so zu verstehen, wie der Freistaats Bayern, der der Freistaats Sachsen oder die Freie Hansestadt Hamburg in der Bundesrepublik Deutschland.
Wie gesagt, später mehr dazu.
Um meinem Versprechen endlich nachzukommen:


Was war das mit der katalanischen Republik 1873?

Spanien war seit Napoleon und der Verfassung von Cádiz 1812 in stetem Kampf um seine politische Ausrichtung gewesen: Restauration und Absolutismus oder Liberalismus. Wobei der Liberalismus seinerseits wiederum gespalten war in konstitutionellen Monarchismus und moderaten und radikalen (das ist eine zeitgenössische Bezeichnung) Republikanern.
Nachdem Ferdinand VII. zum zweiten Mal die Verfassung von Cádiz außer Kraft gesetzt hatte (Trienio Liberal), machte der eigentlich restaurativ-absolutistische Monarch den bis dato von ihm hart unterdrückten Liberalen einige Zugeständnisse, woraufhin unter Führung seines Bruders Carlos die Absolutisten austickten; die Aufstandsbewegung (Guerra de Agraviados/Guerra dels Malcontents, 1826) hatte besonders in Aragón und Katalonien Erfolg - die hier für das absolutistische Spanien mit dem noch konservativeren Bruder des absolutistischen Herrschers nur aus diesem Grund gegen den König kämpften, weil der den Liberalen Zugeständnisse gemacht hatte. Spalterisches Potential hatte auch die „pragmatische Sanktion“ (pragmática Sanción, kurz la Pragmática), die Fernando 1830 ...mh... sanktionierte. Diese hob das von Phillip V. 1713 eingeführte „salische Gesetz“ (es war nicht wirklich die Lex Salica) auf und machte seine Tochter Isabel (1830! - 1904; reg. 1833 - 1868) zur Thonerbin. Das brachte die Traditionalisten natürlich auf die Palme und es folgten nach Ferdinands Tod 1833 die drei Karlistenkriege, welche die Ansprüche von Ferdinands Bruder Carlos und dessen Nachfolgern gegenüber der isabellinischen Linie der Bourbonen durchsetzen sollten. (1833 - 1840, 1847 - 1849, 1872 - 1876, dazwischen weitere konfliktive Ereignisse. Funfact zum Carlismo: ursprünglich eine restaurative Bewegung, die den Absolutismus wiederherstellen wollte, gibt es seit den 1960er Jahren (seit 1970 institutionalisiert) sogar einen linksradikalen Carlismus, der einerseits statt des designierten Juan Carlos eine Nebenlinie des Hauses Bourbon auf den Thron hieven wollte, andererseits aber sozialistische Gesellschaftsmodelle vertrat, gewissermaßen Sozialismus mit König.)
Dabei waren besonders im Baskenland und Navarra die Anhänger des Prinzen Carlos de Borbón, einer Nebenlinie der Bourbonen, welche nach dem Tod von Ferdinand VII. die Krone für sich beanspruchte (entgegen Ferdinands Tochter Isabel II.) stark. Vielen Carlistas war es im Grunde egal, wer da auf de Thron saß, aber sie waren gegen den Liberalismus, weil dieser regionale Sonderrechte aufheben würde. It's the economy, stupid.
Nun könnte Geschichte ja so schön einfach sein: hier die liberalen Monarchisten, da die Absolutisten (Carlistas) und eben ein paar moderate und radikale Republikaner (und eine erstarkende Arbeiterbewegung v.a. in Katalonien und im Baskenland). Aber so einfach war das nicht. Die zunächst beliebte Isabel verlor an Rückhalt, weil die Konflikte sich zu einem Megakonflikt vereinigten: Progresistas und Anarchisten gegen moderate Republikaner und konstitutionelle Monarchisten, das Land wurde immer unregierbarer, die Regierung der Moderados verspielte ihren gesellschaftlichen Rückhalt, weil sie sich nicht anders zu helfen wusste, denn auf repressive Maßnahmen zurückzugreifen. Als Ministerpräsident Narvaez 1868 starb, kam es daher zur Revolution und Isabel musste ins Exil. (Militärischer Kopf dieser Revolution war Isabels Ex-Liebhaber F. Serrano-Domínguez). Es folgte eine Zeit des Sedisvakanz, da Spanien trotz der Revolution Monarchie blieb, nur dass man sich nicht auf einen König einigen konnte, einige wollten Isabels Sohn Alfonso (später tatsächlich als Alfonso XII. spanischer König) zum König erheben, Ferdinand von Sachsen-Coburg, portugiesischer Titularkönig und Vater des portugiesischen Königs lehnte die im angetragene spanische Krone ab, weil die Portugiesen das nicht wollten, andere schlugen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen vor (was letztlich den Anlass für den dt.-frz. Krieg 1870/71 bot) und wieder andere den Kompromisskandidaten Amadeus von Savoyen. Amadeus wurde es schließlich. Nach zweieinhalb erfolglosen Jahren als König dankte Amadeus anlässlich eines Anschlags auf seine Frau und ihn ab. Einen Tag später, am 11. Februar 1873, wurde die spanische Republik ausgerufen.
Die katalanischen Republikaner riefen nun in Barcelona, nachdem sie die Nachricht aus Madrid erhalten hatten, dass die Republik ausgerufen sei, die katalanische Republik aus. Sie hatten nämlich erwartet, dass die progressiven Republikaner ihr Projekt einer föderalen Republik würden durchsetzen können, sie riefen also eine Republik innerhalb eines föderalen Staatsverbandes aus. Erst nach der Ausrufung erfuhren sie, dass man sich in Madrid auch mit Stimmen der eigentlich föderal gesinnten Progresistas auf eine unionistische Republik geeinigt hatte, um der Republik eben eine möglichst breite gesellschaftliche Basis zu bieten, die von liberalen Monarchisten (und sogar gemäßigten Karlisten) bis hin zu den Progresistas Akzeptanz fand. Der Innenminister der neuen spanischen Regierung, Francesc Pi i Margall, der für die republikanisch-föderale Partei (Partido Republicano Federal) aus dem Wahlkreis Barcelona nach Madrid entsandt worden war, der seinen katalanischen Parteifreunden das nichtföderale Projekt dann schmackhaft machen musste.
 
Die Fronten sind deswegen verhärtet, weil Stilicho mich für einen Gegner der katalanischen Separatisten hält, wohingegen er offenbar ein glühender Befürworter ist. Ich stehe tatsächlich in der Frage der katalanischen Separation dieser indifferent bis sachte skeptisch gegenüber.
Vielleicht könnte man die Diskussion btw. nochmal von einer etwas anderen Warte her angehen. Ich habe ein Bisschen den Eindruck, dass sich die Diskussion auch deswegen so verhärtet hat, weil das Thema und die Diskussion sehr stark auf das Verhältnis zwischen Spanien und Katalonien zugespitzt sind (am Rande kam auch das Baskenland mal zus Sprache).

Vielleicht sollte man aber um der Diskussion eine andere Dimension zu geben, auch mal über die dritte Historische Region Galicien reden.
Da scheint es zwar auch eine separatistische Bewegung zu geben, die ist allerdings offenbar nicht annähernd so populär wie in Katalonien oder im Baskenland und mann hört und sieht, wenn man sich nicht explizit damit beschäftigt relativ wenig davon.

Jetzt könnte man natürlich die Frage stellen: Wenn der spanische Staat so repressiv ist, wie die katalanischen Independisen und baskische Akteure behaupten, warum ist es dann in Galicien ruhig?
Und warum ist der konservative Partido Popular, der sich mit der Katalanischen Regierung über das neue Autonomistatut angelegt hatte, wenn das als ein Akt hyperzentralistischer Politik quasi in den Fußstapfen Francos gedeutet werden solle, bzw. sein Ableger der "Partido Popular de Galicia" in Galicien mehrheits- und regierungsfähig?

Man sollte ja meinen dass eine Partei, die eine Politik betreibt, die insgesamt als übergriffig im Rahmen eines übertriebenen Zentralismus emfunden wird, in sämtlichen Landesteilen, die gesteigerten Wert auf ihre Autonomierechte legen komplett unten durch sein müsste.
Das ist jedenfalls in Galicien nicht der Fall.

Für mich ein starkes Indiz dafür, dass man das, was die katalanischen Separatisten wollen, selbst in einer Region, wo man ähnliche Grundbedingungen hat, was kulturelle Verschiedenheiten etc. betrifft und sicherlich eher kritisch und misstrauisch auf alles schaut, was aus Madrid kommt und auf Einschränkung der Autonomierechte hinauslaufen könnte, als Verfolgen völlig überzogener Partikularinteressen betrachtet.
 
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In Galicien war noch lange Manuel Frage Ministerpräsident. Das ist auch ein Politiker, der bereits unter dem Francoregime (u.a. in den 1960ern als Tourismusminister) politisch aktiv war und den Absprung ins demokratische Spanien geschafft hat, von 1990 bis 2005 war er galicischer MP.

Eine Anekdote zu den Ereignissen 2017: Ich bin am Tag nach dem Referendum nach Andalusien gereist. Was mir so ziemlich als erstes auffie, war, dass auffällig viele Nationalflaggen von den Balkonen hingen, republikanische Flaggen hingegen fast völlig verschwunden waren.
Dort lernte ich beruflich bedingt jemanden kennen, der sich als in Andalusien lebender Galicier herausstellte. Ich war froh mal jemanden zu treffen, der kein Andalusier oder Kastilier (oder Katalane) war und wollte von dem Galicier als jemandem, der eine vermeintliche objektivere Meinung als ein Katalane oder Kastilier hätte, wissen, was der denn zu der ganzen Chose sagen würde: das Donnerwetter, welches dann auf mich niederprasselte (obwohl ich nicht gemeint war) hatte ich nicht erwartet und ich befürchtete schon, dass ich hochkant aus dem Auto flöge.
 
Eine Anekdote zu den Ereignissen 2017: Ich bin am Tag nach dem Referendum nach Andalusien gereist. Was mir so ziemlich als erstes auffie, war, dass auffällig viele Nationalflaggen von den Balkonen hingen, republikanische Flaggen hingegen fast völlig verschwunden waren
An der Stelle muss ich nachfragen:

Meinst du damit Flaggen/Symbole, die an die 2. Republik anglehnt sind, bzw. die Nationalflagge Gesamtspaniens, oder sind hier in Andalusien gebräuchliche regionale Symbole gemeint, die mir nicht bekannt sind?

So ganz werde ich aus deinem Beitrag nicht schlau.
 
An der Stelle muss ich nachfragen:

Meinst du damit Flaggen/Symbole, die an die 2. Republik anglehnt sind, bzw. die Nationalflagge Gesamtspaniens, oder sind hier in Andalusien gebräuchliche regionale Symbole gemeint, die mir nicht bekannt sind?
Ich meinte die spanische Nationalflagge (sowohl in der offiziellen Version als auch mit Stier (ehem. Osborne, oder dynamischer) und die Flagge der 2. Republik, die man in Spanien vor 2017 oft als Bekenntnis zu einem (oft oder meist linksgerichteten) Republikanismus sah. Insbesondere nach den Korruptionsskandalen um den Altkönig 2014 sah man die republikanische Flagge häufiger, seit 2017 ist sie aus dem Straßenbild so gut wie verschwunden.
 
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