Das Problem mit Papias ist, dass kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Da wird von Presbyter gesprochen. Sollte nicht eher mit Älteste übersetzt werden..
`Presbyter´ weist auf eine Funktion hin, die allein mit ´Ältester´ nicht hinreichend gekennzeichnet ist. In der Regel bezieht sich der Begriff auf den Vorsteher einer Christengemeinde, im Papias-Text bei Eusebius aber dürfte es um christliche Wanderlehrer mit dem Anspruch gehen, Schüler eines Apostels gewesen zu sein. Papias behauptet, von Leuten, die "Presbytern gefolgt" sind, Informationen erhalten zu haben über das, was Petrus, Philippus, Thomas, Jakobus usw. lehrten. Eusebius deutet das fälschlich als Identifizierung der Presbyter mit den Aposteln, was Papias aber nicht im Sinn hatte, sondern, siehe oben, Wanderprediger mit dem Anspruch hoher Authentizität. Nicht auszuschließen ist auch die Möglichkeit, dass es sich tatsächlich um Gemeindefunktionäre handelt, die sich als Apostelschüler ausgaben und von Papias vor allem unter diesem Aspekt wahrgenommen wurden.
Der von Papias erwähnte "Presbyter Johannes" wird von Eusebius mit dem Verfasser der Offenbarung gleichgesetzt, was diskutabel, aber nicht belegbar ist.
Bauckham identifiziert den Presbyter Johannes mit dem Verfasser des JohEv. Darauf gehe ich weiter unten ein.
Papias vertraut der mündlichen Überlieferung mehr als der schriftlichen. Ausdrücklich überprüft er damit Bücher. Über die Herkunft dieser Schriften gibt er in weiteren Schriften Auskunft. Wie soll eine Überlieferung lebendiger sein?
Papias´ Vorliebe ist insofern paradox, als er ja selbst Bücher mit dem Anspruch geschrieben hat, die authentische Wahrheit zu übermitteln. Insofern setzt er - natürlich ungewollt - sein eigenes Werk herab.
Zur Frage, welchen Wert die mündliche Überlieferung hat, auf welche Papias sich beruft, komme ich unten nach meiner Antwort an Sepiola zu sprechen.
Was das Johannesevangelium betrifft, zitiere ich das Statement eines anderen Professors für Neues Testament:
"There should be no doubt that Papias knew the Fourth Gospel."
Richard Bauckham
Bauckhams Werk über die JohOffb habe ich weitgehend gelesen und schätze ihn als profunden Kenner, aber seine schon oben erwähnte Vermutung, der Verfasser des JohEv sei mit dem papianischen Presbyter namens Johannes gleichzusetzen, ist kaum haltbar.
Wir können das in Bälde weiterdiskutieren, ich beschränke mich hier auf den Hinweis, dass die Alte Kirche das vierte Evangelium dem Apostel Johannes zuschrieb - und nicht dem bei Papias erwähnten und ansonsten unbekannten Presbyter, den Bauckham für den Verfasser des JohEv hält.
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Noch ein Wort zur Übersetzung des Papias-Kapitels bei Eusebius. Der von Sepiola verlinkte Text in #33 scheint mir ungenauer übersetzt zu sein als die mir vorliegende Version. Ich stelle beide hier gegenüber:
1) Verlinkte Version:
Auch dies lehrte der Presbyter: Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht ordnungsgemäß, aufgeschrieben. Denn nicht hatte er den Herrn gehört und begleitet (...)
2) ´Meine´ Version (Hauptunterschied fettmarkiert):
Papias-Fragmente
Auch dies sagte der Presbyter: Markus, der Dolmetscher des Petrus, hat alles, dessen er sich erinnerte, genau aufgeschrieben, freilich nicht der (richtigen) Reihe nach - das, was vom Herrn sei es gesagt, sei es getan worden war; er hatte nämlich weder den Herrn gehört noch war er ihm nachgefolgt (...)´
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Vorstehendes und Nachfolgendes ist als Anstoß für die Fortführung einer Papias-Debatte im Kontext des Threadthemas gedacht.
Ich möchte zunächst die Zuverlässigkeit des sog. ´Zeugnis des Papias´ zur Diskussion stellen, wie es sich im Geschichtswerk des Eusebius und in anderen Überlieferungen von Papias-Fragmenten zeigt.
Eine bei Eusebius beschriebene Überlieferungskette ist folgende:
Eusebius zitiert eine Passage aus einem ca. 200 Jahre vor Eusebius entstandenen und heute verschollenen Werk des Papias, aus der hervorgeht, dass Papias von einem Johannes, den er ´den Presbyter´ nennt, erfahren hat, dass ein Autor namens Markus aus seiner Erinnerung heraus eine Darstellung der ´Herrenworte´ (des Jesus) aufschrieb, die der (außerchristlich nicht belegte) Apostel Petrus in seinen öffentlichen Lehrvorträgen mitteilte, bei denen Markus als Begleiter des Petrus zugegen war.
Die an eine Russische Puppe erinnernde Kette, von der wir nur das letzte Glied unmittelbar kennen, besteht also aus: 1) Jesus - 2) Petrus - 3) Markus - 4) Johannes der Presbyter - 5) Papias - 6) Eusebius.
Zu Eusebius:
Sein Ruf als Historiker ist selbst bei einigen konservativen Theologen nicht der beste, da er bedenkenlos Fact und Fiction vermengte. Erwähnenswert ist vor allem seine Schilderung eines Briefwechsels zwischen Jesus und dem König Abgar von Edessa (Hist. eccl. 1:13,1-9). Hier ist eine Kostprobe:
Das Antwortschreiben Jesu, vermittelt durch Ananias, den Eilboten des Fürsten Abgar: „Selig bist du, weil du an mich glaubst, ohne mich gesehen zu haben. Es ist nämlich über mich geschrieben, dass die, welche mich gesehen haben, nicht an mich glauben, und dass die welche mich nicht gesehen haben, glauben und leben sollen. Bezüglich deiner schriftlichen Einladung, zu dir zu kommen, musst du wissen: Es ist notwendig, dass ich zuerst all das, wozu ich auf Erden gesandt worden bin erfülle und dann, wenn es erfüllt ist, wieder zu dem zurückkehre, der mich gesandt hat. Nach der Himmelfahrt werde ich dir einen meiner Jünger senden, damit er dich von deinem Leiden heile und dir und den Deinigen das Leben verleihe.“
Eusebius neigte auch zu Entstellungen des ihm vorliegenden Quellenmaterials, wenn es seinen theologischen Absichten förderlich war (so z.B. T.D. Barnes, "Constantine and Eusebius", und J.R. Franke, "Eusebius of Caesarea" in Bauman et al., "Historians of the Christian tradition").
Zu Papias:
Um ein Licht auf das Maß seiner Glaubwürdigkeit zu werfen, zitiere ich aus zwei Papias-Fragmenten.
(1)
(Papias über den nachösterlichen Judas, überliefert von Apollinarius von Laodicea, von mir leicht gekürzt)
(...) Dies erzählt deutlicher Papias, der Schüler des Johannes, der im vierten Buch der "Erklärung der Herrenworte" folgendes sagt:
2. "Als großes Beispiel der Gottlosigkeit aber wandelte Judas in dieser Welt, indem sein Körper so sehr anschwoll, daß nicht einmal dort, wo ein Wagen leicht hindurchgeht, er hindurchgehen konnte, ja nicht einmal allein die Masse seines Kopfes (...) Sein Schamglied erschien widerwärtiger und größer als jegliches Schamglied; er trug aber Eiterströme an sich, die aus dem ganzen Körper flossen, und Würmer, zur Qual schon allein aufgrund der (natürlichen) Bedürfnisse.
3. Als er, heißt es, nach vielen Qualen und Strafen auf seinem eigenen Grundstück zugrundegegangen war, blieb aufgrund des Gestanks das Land öde und unbewohnbar bis jetzt, und nicht einmal bis zum heutigen Tag kann jemand an diesem Ort vorübergehen, ohne daß er sich die Nase mit den Händen zuhält. Eine so starke Ausdünstung verbreitete sich von seinem Körper auch über die Erde."
Soweit Papias laut Überlieferung über das angebliche Schicksal des Judas. Es handelt sich dabei - was wohl keiner bestreiten wird - um eine Fiktion, die Papias aber als authentischen Augenzeugenbericht ausgibt. Schilderungen dieser Art waren in der Antike beliebt, um das Ende von ´bösen´ Persönlichkeiten auszumalen. Ähnlich wie Papias bez. Judas hat z.B. Josephus in Ant. 17 das Leiden von Herodes dem Großen vor seinem Tod beschrieben.
(2)
(überliefert von Philippus Sidetes in Hist. eccl. / das in puncto Echtheit nicht unumstrittene Fragment gilt als Indiz für die Entstehung des Papias-Werks in der Hadrianzeit)
Der genannte Papias berichtete, er habe von den Töchtern des Philippus übernommen, daß Barsabas, der auch Justus heißt, unversehrt bewahrt blieb, als er, von den Ungläubigen auf die Probe gestellt, im Namen Christi Schlangengift trank. Er berichtet aber auch andere Wunder, vor allem das von der Mutter des Manaimos, die von den Toten auferstanden sei; und von denen, die durch Christus von den Toten auferstanden, dass sie bis in die Zeit Hadrians lebten.
Angesichts dieser hochgradig wunderhaltigen Berichte sowie des zuvor zitierten Horrorgemäldes ist ein genereller Zweifel an Papias´ Behauptung, die von ihm gesammelten Zeugenberichte seien allesamt authentisch, durchaus angebracht. Dazu Eusebius, der Papias vor allem wegen seiner Neigung zur Apokalyptik, die von Judenchristen nach Kleinasien importiert worden war (Resultat: Johannesoffenbarung und Montanismus), für geistig minderbemittelt hielt:
11. Er hat auch anderes vorgetragen, was angeblich aus ungeschriebener Überlieferung zu ihm gelangt sei, gewisse fremdartige Gleichnisse des Erlösers und Lehren von ihm und einiges andere reichliche Fabelhafte.
Dass Eusebius in dieser Hinsicht selber kein unbeschriebenes Blatt war, habe ich weiter oben schon angedeutet.