Guten Morgen,
Sehr interessant übrigens das die Erzihung in Collegen weit weg von Versailles stattfand.
Das liegt in diesem speziellen Fall, auf den sich excideuil bezieht - der allerdings sicher für sehr viele Hofadelige ebenso galt - unter anderem* daran, dass die Eltern zwar am Hof beschäftigt waren, dort aber nicht die ganze Zeit lebten. Sie besaßen ein Wohnhaus im Pariser Stadtteil Saint-Germain, eine im 18. Jahrhundert bei Adeligen sehr beliebte Wohngegend. Das College d'Harcourt, auf das sie ihren Sohn schickten, liegt gewissermaßen "umme Ecke" (nämlich am Boulevard Saint-Michel). Es war zwar ein Internat (ist es übrigens auch heute noch, allerdings heißt es heute Lycée Saint-Louis), aber es war eben in direkter Nähe zum Elternhaus. Das heißt, wenn die Eltern arbeiten waren, dann waren sie zwar in Versailles, aber der Lebensmittelpunkt der Familie war doch in Paris (Saint-Germain). Die Kirche, in der sie ihre Kinder haben taufen lassen (Église Saint-Sulpice), liegt (zu Fuß) keine halbe Minute von ihrem Haus in der rue Garancière entfernt, das College vielleicht fünf Minuten, die von excideuil erwähnte Uni (Sorbonne) war/ist gegenüber der Schule, auf der anderen Straßenseite, das Priesterseminar, in das der Sohn nach der Schule und vor der Uni ging, lag direkt hinter dem Elternhaus, die erste Freundin, die er in dieser Zeit hatte, lebte in der zweiten Parallelstraße... das alles liegt im Umkreis von allerhöchstens 500 Metern vom Elternhaus entfernt - man blieb also sehr "in seinem Viertel".
Ich denke, dass das für viele Familien so war, dass sie zwar irgend einen Dienst am Hof in Versailles versahen, dort aber nicht dauerhaft wohnten, und sich daher ihr eigentliches Leben (oder man könnte sagen: Ihr Privatleben, und dazu gehört auch die Schulbildung ihrer Kinder) doch woanders (eben in Paris) abspielte.
aber warum wurde Louis XVI. in Versailles aufgezogen?
Das Leben der Königskinder spielte sich eben dort ab, für die Königsfamilie war Versailles der Lebensmittelpunkt (und überhaupt der Mittelpunkt der Welt, weil sie selbst sich ja so empfanden), und man gab ihnen deshalb Privatunterricht (wie vielen anderen Kindern natürlich auch, nicht alle waren in Internaten). Aber natürlich ist ein König ja auch etwas anderes, als ein "gewöhnlicher Adeliger", und braucht eigentlich auch eine andere Ausbildung: Eines Tages soll er ja mal den Staat lenken, und dazu sollte man eigentlich ein bisschen was vom Regieren (oder zumindest von der Intrigenwirtschaft am Hof) verstehen - und das kann man wohl am besten, wenn man dem Vater/Opa/den mächtigen Ministern/ihren Mätressen/... beim Regieren zusieht). Dieselben haben natürlich wiederum ein mitunter sehr persönliches Interesse, ein Auge auf den künftigen König zu haben und ihn in ihrem Sinne zu beeinflussen - also behält man die Kinder vor Ort und schickt sie nicht ins Internat, wo man dann beim Beeinflussen erst den Umweg über die Lehrer nehmen müsste.
Viele Grüße,
Gnlwth
*unter anderem schreibe ich deshalb, weil die Eltern diesen speziellen Sohn auch ins Internat und später ins Priesterseminar abgeschoben haben, weil er (körper)behindert war, und sie damit nicht klar kamen. Viele Kinder wurden daheim von Privatlehrern unterrichtet, aber das wollten die Eltern Talleyrand wohl nicht.