Die Frauen des Nathaniel Bacon, oder: Schönheitsideale des Barock

Tronies verkörperten abstrakte Inhalte wie Vergänglichkeit, Maßlosigkeit, Jugend und Alter, konnten aber auch als positive oder negative Beispiele für menschliche Qualitäten fungieren, wie z. B. Weisheit, Stärke, Frömmigkeit, Torheit oder Impulsivität.
@Mashenka da ging mir das Vanitas-Motiv durch den Kopf, in diesem Fall reduziert aufs isolierte Portrait. Aber kann man diese (hochinteressanten!) Tronies als dezidiert realistisch deuten (ich würde sie als typisierend und ggf allegorisierend auffassen) und daraus ableiten, dass andere Sujets oder Bildbestandteile dieser Zeit realistisch seien? Meiner Meinung nach nicht, d.h. einen Bildinhalt a la Repin (Wolgatreidler) wird man im Barock vergebens suchen und wohl auch nichts adäquates finden können*) (die Kunstauffassungen und -absichten des späten 19. Jhs. wären der Barockzeit sehr fremd und unverständlich gewesen). Aus diesem Grund habe ich Zweifel daran, dass die regional im Detail differierenden "Schönheitsideale" der Barockmalerei und -skulptur Rückschlüsse auf die historische Realität erlauben: diese hochartifiziellen und gekonnten Bilder hatten selbst en passent nicht die Absicht, realistisch-naturalistisch zu sein - sie changieren zwischen Typisierung und Idealisierung, unterfüttert mit hochkomplexen motivisch-allegorischen Bildprogrammen.

@muck die kariösen Zähne waren ein augenfälliges Exempel (pars pro toto) von mehreren Erscheinungen, ich hatte eigens
Lumpen, Karies im Lächeln, ggf Blatternarben zeigen diese Genrebilder nicht
geschrieben. Mir ist kein Gemälde der Barockzeit bekannt, welches eine Szene mit Hofgesellschaft oder Geldadel zeigt, wobei die Abgebildeten zwar fein gewandet sind, aber faule Zähne, auffällige Zahnlücken, Blatternarben, Gicht etc aufweisen; dasselbe gilt auch "galante" Schäferidyllen.

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*) das sollte nicht als Wertung oder Abwertung missverstanden werden!
 
(die Kunstauffassungen und -absichten des späten 19. Jhs. wären der Barockzeit sehr fremd und unverständlich gewesen)
Das ist jedenfalls eine wichtige Bemerkung, was den Grund für die Unterschiede bei Revivals ausmacht; der Historismus wollte häufig besser wissen und Stile ›perfekter‹, quasi auf den Punkt gebracht wiedergeben, ohne zu merken, dass man wichtige Aspekte links liegen ließ (teilw. auch als Ergebnis der Agitation nach der Franz. Revolution, die Tendenzen z.B. zur Natürlichkeit und Bescheidenheit während dem Rokoko nicht wahrhaben wollte).

@Mashenka da ging mir das Vanitas-Motiv durch den Kopf, in diesem Fall reduziert aufs isolierte Portrait. Aber kann man diese (hochinteressanten!) Tronies als dezidiert realistisch deuten (ich würde sie als typisierend und ggf allegorisierend auffassen) und daraus ableiten, dass andere Sujets oder Bildbestandteile dieser Zeit realistisch seien?
Der Vanitas-Gedanke und auch sonstiges (moralisierendes) Allegorisieren stand sicherlich generell Pate bei der Genre-Malerei. V.a. bei den Tronies aber dürfte in erster Linie die Zurschaustellung der darstellerischen Fähigkeiten als Motivation gedient haben, bzw. das Erlernen der Wiedergabe vom Augenblick des Ausdrucks, der anstatt abgezeichnet gut beobachtet und nachgezeichnet werden musste. Dass solche Charakterbildnisse eher als Genre-Portraits produziert und z.B. mit schiefen Zähnen kombiniert wurden, dürfte auch mit der als nobel geltenden Zurückhaltung bei Gesichtsausdrücken zu tun haben.

Aus diesem Grund habe ich Zweifel daran, dass die regional im Detail differierenden "Schönheitsideale" der Barockmalerei und -skulptur Rückschlüsse auf die historische Realität erlauben: diese hochartifiziellen und gekonnten Bilder hatten selbst en passent nicht die Absicht, realistisch-naturalistisch zu sein - sie changieren zwischen Typisierung und Idealisierung, unterfüttert mit hochkomplexen motivisch-allegorischen Bildprogrammen.
Zur Eingangsfrage, ob die Barockfrau durchgehend füllig war, gibt übrigens auch Wikipedia eine relativierende Antwort. Sehr schön dort der Vergleich: »Insgesamt kann das Ideal des Spätbarock und Rokoko (ca. 1720–1790) mit gewissem Recht als puppenhaft bezeichnet und mit den Figuren des Meißner Porzellan verglichen werden.«
 
Ich habe Rubens und Rembrandt genannt: Der erste malte gerne nackte Frauen und manchmal auch viele auf einem Bild, die alle rund sind. Der zweite weniger...

Rubens entstammt einer Patrizierfamilie, Rembrandt einer Müllersfamilie. Was folgt daraus?

Müllersöhne achten mehr auf schlanke Linie als Patriziersöhne.
 
Ich bin selber ein großer Fan der Epoche, aber nicht dieser Gemüsebilder. Es gibt einzelne Maler, die sich in der Kunstgeschichte haben von ihren Ehefrauen inspirieren lassen. Bei Boilly ist das besonders augenfällig, der zahllose Frauen mit riesigen Augen malte, weil offenbar seine erste Frau solche Augen hatte.
Bei dem Gemälde im Eingangspost ist mir aufgefallen, dass die Frau recht normal aussieht. Sie hat eine etwas lange Nase, ein längliches Gesicht - aber auch einen barocken Teint.
Schönes Bild aber und gutes Thema.
 
Rubens entstammt einer Patrizierfamilie, Rembrandt einer Müllersfamilie. Was folgt daraus?

Müllersöhne achten mehr auf schlanke Linie als Patriziersöhne.
Ah, willst du damit sagen, dass Abstammung eine Rolle spielt, wie jemand malt? :D

Rubens arbeitete in "katholischen" Antwerpen, Rembrandt in "calvinistischen" Amsterdam. Ich sehe in der Lebensfröhlichkeit der Rubens-Modelle – sehr oft stand ihm seine Frau Modell – einen starken Kontrast zu Ernsthaftigkeit der Rembrandt-Modelle. Zudem sind Rubens Bilder voller Licht, während die von Rembrandt eher düster sind. Düster wie oft die Kleidung seiner Modelle.
 
Rubens arbeitete in "katholischen" Antwerpen, Rembrandt in "calvinistischen" Amsterdam. Ich sehe in der Lebensfröhlichkeit der Rubens-Modelle – sehr oft stand ihm seine Frau Modell – einen starken Kontrast zu Ernsthaftigkeit der Rembrandt-Modelle. Zudem sind Rubens Bilder voller Licht, während die von Rembrandt eher düster sind. Düster wie oft die Kleidung seiner Modelle.

Du müsstest deine These, dass die Konfession bei der Farbgestaltung und den präferierten Frauenfiguren eine Rolle spielt, dann aber schon auch an anderen Malern nachweisen. Sonst würdest du womöglich persönliche Präferenzen und psychische Kondition des einzelnen Malers mit seiner Konfession verwechseln, das wäre eine Wahrnehmungsverzerrung/cognitive bias.

Ich will das mal an einem Bsp. deutlich machen.
Statistisch gesehen haben Fahrer über 70 gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil weniger Unfälle als andere Fahrergruppen. Da liegt der Fall doch klar, Fahrer über 70 fahren besonders vorsichtig und vorausschauend.

Wenn man allerdings herausrechnet, dass Fahrer über 70 - gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen - viel weniger Autofahren, da sie nicht täglich zur Arbeit müssen, dann relativiert sich dieses Bild und plötzlich sind Fahrer über 70 eine der Verunfalltengruppen, die besonders viele Unfälle zu verzeichnen hat. Warum? Weil ältere Leute weniger Überblick haben und langsamer reagieren.
Wir stellen also fest, dass die erste Schlussfolgerung auf einer Verzerrung basierte

Man kann dieses Spiel noch weiter führen und weitere Daten hinzugeben. Also etwa die Uhrzeit der Unfälle, die Schwere der Unfälle, Land oder Stadtverkehr etc.
 
Rubens arbeitete in "katholischen" Antwerpen, Rembrandt in "calvinistischen" Amsterdam. Ich sehe in der Lebensfröhlichkeit der Rubens-Modelle – sehr oft stand ihm seine Frau Modell – einen starken Kontrast zu Ernsthaftigkeit der Rembrandt-Modelle. Zudem sind Rubens Bilder voller Licht, während die von Rembrandt eher düster sind. Düster wie oft die Kleidung seiner Modelle.
Was trägt das zu dieser Fragestellung bei:
Hintergrund meiner speziellen Frage ist eine allgemeinere, die aufzuwärmen ich immer wieder mal Anlass finde – inwieweit alte Meister auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nahmen, oder ob man sie als verlässliche Zeugen dafür aufrufen darf, wie zu ihrer Zeit Land und Leute usw. aussahen?
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Was trägt das zu dieser Fragestellung bei:
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An diesem Nebengleis dürfte ich nicht ganz unschuldig sein. Ich hatte Rubens und Rembrandt angeführt und wollte sie für den Barock insgesamt stehen lassen. Was natürlich nicht richtig ist, auch wenn beide sicherlich zu den prägendsten Malern der Epoche gehören und mehr Einfluss gehabt haben mögen als eine Vielzahl weniger bekannter Künstler.
 
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