dekumatland
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@Mashenka da ging mir das Vanitas-Motiv durch den Kopf, in diesem Fall reduziert aufs isolierte Portrait. Aber kann man diese (hochinteressanten!) Tronies als dezidiert realistisch deuten (ich würde sie als typisierend und ggf allegorisierend auffassen) und daraus ableiten, dass andere Sujets oder Bildbestandteile dieser Zeit realistisch seien? Meiner Meinung nach nicht, d.h. einen Bildinhalt a la Repin (Wolgatreidler) wird man im Barock vergebens suchen und wohl auch nichts adäquates finden können*) (die Kunstauffassungen und -absichten des späten 19. Jhs. wären der Barockzeit sehr fremd und unverständlich gewesen). Aus diesem Grund habe ich Zweifel daran, dass die regional im Detail differierenden "Schönheitsideale" der Barockmalerei und -skulptur Rückschlüsse auf die historische Realität erlauben: diese hochartifiziellen und gekonnten Bilder hatten selbst en passent nicht die Absicht, realistisch-naturalistisch zu sein - sie changieren zwischen Typisierung und Idealisierung, unterfüttert mit hochkomplexen motivisch-allegorischen Bildprogrammen.Tronies verkörperten abstrakte Inhalte wie Vergänglichkeit, Maßlosigkeit, Jugend und Alter, konnten aber auch als positive oder negative Beispiele für menschliche Qualitäten fungieren, wie z. B. Weisheit, Stärke, Frömmigkeit, Torheit oder Impulsivität.
@muck die kariösen Zähne waren ein augenfälliges Exempel (pars pro toto) von mehreren Erscheinungen, ich hatte eigens
geschrieben. Mir ist kein Gemälde der Barockzeit bekannt, welches eine Szene mit Hofgesellschaft oder Geldadel zeigt, wobei die Abgebildeten zwar fein gewandet sind, aber faule Zähne, auffällige Zahnlücken, Blatternarben, Gicht etc aufweisen; dasselbe gilt auch "galante" Schäferidyllen.Lumpen, Karies im Lächeln, ggf Blatternarben zeigen diese Genrebilder nicht
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*) das sollte nicht als Wertung oder Abwertung missverstanden werden!