Die Hypothesen der
Marija Gimnutas gelten keineswegs als widerlegt. Tatsache ist lediglich, dass hinsichtlich der so genannten "Urheimat" und der Ausbreitung der Indoeuropäer unterschiedliche Meinungen und Theorien in der Fachwissenschaft existieren. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits
weiter vorn zu den unterschiedlichen Hypothesen der Indogermanisten und Archäologen gesagt habe:
Bei der Verbreitung indoeuropäischer Sprachen gibt es verschiedene Szenarien, die selbstverständlich alle hypothetisch bleiben.
Eine Fraktion vermutet, dass sich indoeuropäische Sprachträger von einem Zentrum zwischen den Karpaten und Südrussland Richtung Westen nach Mittel- und Südeuropa ausgebreitet haben, während ein anderer Zweig nach Osten Richtung Indien und Zentralasien expandiert ist. Das ursprüngliche Idiom dieser Proto-Indoeuropäer - nämlich die nur hypothetisch von der Indogermanistik erschlossene "Grundspraxche" - hätte sich danach in den neuen Regionen zu den historisch bekannten indoeuropäischen Einzelsprachen entwickelt, woran die Sprachen der autochthonen Bevölkerung beteiligt waren.
Dieses Modell versucht also zu erklären, warum sich indoeuropäische Sprachen in einem riesigen geografischen Raum finden lassen, der immerhin vom Atlantik bis Indien und Zentralasien reicht.
Hierzu besonders: Marija Alseikaitė Gimbutas:
Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. 1994, Institut für Sprachwissenschaft, Innsbruck 1994, ISBN 3-85124-171-1
Ein anderes Modell, das u.a. der Archäologe
Alexander Häusler in mehreren Publikationen vertritt, zählt die indoeuropäischen Sprachträger zur autochthonen Bevölkerumng Europas, die dort ohne größere Invasionen oder Migrationen von außerhalb seit dem Mesolithikum ansässig waren. Die weite Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen wird lediglich durch die Weitergabe von Kulturkontakten erklärt.
Alexander Häusler, Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos.
http://www.uni-leipzig.de/~diffint/index.php/diffint/article/viewArticle/36
Ein anderes Szenario lässt die indoeuropäischen Sprachträger aus Anatolien/Vorderasien kommen und identifiziert sie mit den frühen Ackerbauern des Neolithikums, die sich von Anatolien aus im 7. Jahrtausend v. Chr. über den Balkan verbreiteten (Sesklo-, Starcevo- und Vinca-Kultur) und schließlich um 5500 v. Chr. mit der Linearbandkeramischen Kultur Mitteleuropa erreichten. So vor allem Colin Renfrew:
Colin Renfrew:
Die Indoeuropäer – aus archäologischer Sicht. in:
Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Heidelberg 2000, 1, S. 40–48. ISSN 0947-7934
Colin Renfrew.:
Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European Origins. Jonathan Cape, London 1987, Cambridge 1990. ISBN 0-521-38675-6.