Hallo Zusammen,
in dem Zusammenhang dieser Krise kurz nach dem deutsch-französischen Krieg ist festzuhalten, welche Schlüsse Bismarck wie auch Moltke aus diesen Krieg zogen. Sie hatten die Einsicht gewonnen, daß jeder künftige Konflikt zwischen den Großmächten sich zu einer weitaus größeren Dimension als bisher auswachsen, daß dieser schwer zu beherrschen sein und daß er sowohl die innenpolitische Machtverteilung in Deutschland bedrohen als auch seinen Status als Großmacht gefährden würde.
So erkannte Moltke, daß begrenzte Kabinettkriege zwischen modernen, politisch bewußten und mobilisierten Nationen der Vergangenheit angehörten. Der Kabinettkrieg würde in einen Volkskrieg ausarten, mit allen Folgen für die innerstaatliche Machtverteilung als auch für die Außenpolitik. Der Sieg in solche einen Volkskrieg setzte voraus, daß der politische Wille der feindlichen Bevölkerung gebrochen werden muß. Außerdem mußte man, um einen dauerhaften Gewinn aus dem Sieg zu ziehen, den Feind einen karthagischen Frieden auferlegen. Als mögliche militärische Lösung gab es für Moltke nur den Präventivkrieg, um einen schnellen Sieg zu ermöglichen der einer nachteiligen Verschiebung des militärischen Kräfteverhältnis entgegnete.
Allerdings mußte klar sein, dass es für die anderen europäischen Mächte kaum akzeptabel sein würde, einen karthagischen Frieden einzugehen.
Schon 1875, während der Krieg-in-Sicht-Krise, hatten Großbritannien und Rußland Berlin unvermißverständlich gewarnt, daß sie eine zweite Demütigung Frankreichs nicht hinnehmen würden. Die Flügelmächte waren zu den De-facto Garanten der 1871 gezogenen Grenzen in Europa geworden, da sie eine weitere Expansion als Bedrohung des kontinentalen Gleichgewichts erachteten und somit als eine Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit.
Bismark erkannte, weit klarer als Moltke, daß das europäische Konzert, so anarchisch es auch war, niemals die Eliminierung einer Goßmacht aus dem kontinentalen Gleichgewicht dulden würde. Gegen Ende des deutsch-französischen Krieges befürchtete er eine Intervention der neutralen Mächte. Während der Krise von 1875 wurde ihm klar, daß ein neuer Krieg alles bisher Erreichte gefährden würde. Deshalb widersetzte er sich zu diesen Zeitpunkt, wie auch zwölf Jahre später resolut den Forderungen des Generalstabes nach einem Präventivkrieg.
Mit seiner Außenpolitik bemühte er sich in den nächsten fünfzehn Jahren, das übrige Europa davon zu überzeugen, daß Deutschland eine saturierte Macht sei, und versuche, die Energien der Rivalen Deutschlands in Richtung überseeischer Expansion zu lenken. Das komplizierte Netzwerk sich widersprechender Allianzen, welches er aufbaute, sollte den Status quo sichern und Krieg verhindern, indem eine Interessengemeinschaft entstand, deren Ziel die Sicherung des Friedens war. Allein mit Diplomatie konnte Deutschlands neue, halb-hegemoniale Stellung bewahrt werden.
Quelle:
Maritimer Imperialismus; R. Hobons; Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam