Die Venus aus dem Eis

rena8 – du schreibst:
Was mir noch immer Probleme bereitet, ist die Zuschreibung von Artefakten nach Zeit ohne Knochenfunde der Hersteller zu haben. Die Eiszeit-Venus wird als frühestes Kunstwerk des HSS bezeichnet, weil das Alter von 35000- 40000 Jahren das gerade noch hergibt.
Die Werkzeugfunde aus der Bocksteinhöhle werden auf 60000-70000 BC datiert und damit dem Neanderthaler zugeschrieben.“

Grundsätzlich ist das schon richtig, denke ich. Allerdings: Ein Neandertaler liegt ja auch nicht mit dabei....
Es gibt tatsächlich im Fach die Diskussion, ob diese früheste Mobilkunst nun dem HSS oder dem HN zugeschrieben werden soll.
Angestoßen wurde das Ganze, weil ja das Skelett eines HSS aus der Vogelherdhöhle, einem anderen Fundplatz von Mobilkunst nach Neudatierung neolithisch wurde....und im Überschwang des Neandertalerjahres kamen dann auch die Forderung nach dem HN als Hersteller/in der ersten menschlichen Kunst.

Nun ja. Die Höhlenfunde (nicht nur BW) sagen dazu nicht viel, außer, dass dieselben Fundplätze abwechselnd von HSS und HN aufgesucht wurden. Wohl nicht gleichzeitig, da keine Mischinventare an HSS/HN-Knochen oder Werkzeuge wirklich in derselben Schicht auftauchten.
Ausser: Arcy-sur-Clane. Da liegen wohl als Anhänger genutzte Tierzähne und eine Muschel zusammen mit dem Teil eines Schädeldaches eines Neandertalerkindes zusammen in einer Schicht.
Hierzu siehe: Vom Neandertaler zum modernen Menschen, Thorbecke Verlag, 2005.
Hier wird auf die Schichtproblematik in Arcy-sur-Clane näher eingegangen.

Kurz: Es ist anhand der arch. Befunde nicht zwingend auszuschließen, dass HN zu Zeit der Herstellung der Mobilkunst in derselben Gegend unterwegs war.
Dass er aber damit auch gleich als Urheber der Mobilkunst in Frage kommt, bleibt unwahrscheinlich. Da fehlt das Werkzeug, die Schichten sind nicht wirklich sicher, dem HN fehlen die Vorderhirnlappen, es gibt nur in diesem Zeithorizont Nachweise für eine etwaige künstlerische Tätigkeit etc... So das Fach.

Was mir aber durch den Kopf geht:
Gerade der Neufund zeigt ja, dass die kanonische Ikonographie sich bis ins Gravettien/Pavlovien fortsetzt, in eine Zeit, in der der HN wohl leider nicht mehr unter uns weilte.

OK, theoretisch hätte der HSS die Ikonographie des HN aufnehmen können (Ein interessanter Gedanke hinsichtlich der Bedeutung der Darstellung...) aber da fürchte ich, wären die Figuren des Gravettien ein wenig zu arg mit Ockhams Rasiermesser geschnitzt....
Dazu wären jetzt wohl doch zu viele zusätzliche Theorien nötig...

Aber ich lass mich auch gerne anders überzeugen. Die Venus als Neandertalerin ist ein aufreizender Gedanke.
Wobei die HN sicher nicht so unhöflich gewesen wären, einfach den Kopf wegzulassen. ;)

Just my two flints...

Thomas
 
Was mir aber durch den Kopf geht:
Gerade der Neufund zeigt ja, dass die kanonische Ikonographie sich bis ins Gravettien/Pavlovien fortsetzt, in eine Zeit, in der der HN wohl leider nicht mehr unter uns weilte.

Der Neufund der Venus aus dem Hohlen Fels und zahlreiche andere Kunstgegenstände gerade aus der Zeit des Eintreffens des HSS in Europa um 40.000 zeigt m.E. dass er/sie durchaus schon über eine ausgeprägte Gedankenwelt und „feste“, sprich kanonische, Vorstellungen verfügte.
Woraus schließt Du, dass die Vorstellungen kanonisch waren?
 
Zuletzt bearbeitet:
Na ja, dieselbe Darstellungsform wie beim Neufund aus dem Hohlen Fels (Überbetonung der weiblichen Körperattribute, Dickleibigkeit, Verzicht auf eine individuelle Darstellung, da kein Gesicht etc.)findet sich ja bis ins Gravettien bei zahlreichen anderen Veneren.
Die Verwendung als Aufhänger kann einen Hinweis auf „Bedeutung“ geben, sie wird öffentlich getragen, sie wird wohl auch verstanden.

Da ist die Überlegung, dass es sich bei dieser Darstellungsform um eine abstrakte Darstellung mit einer (wie auch immer gearteten) Bedeutung handelt, naheliegend. Um eine abstrakte Darstellung und deren Bedeutung entziffern und verstehen zu können, braucht man/frau einen Kanon, eine Übereinkunft, die sich auch laufend wiederholt.
Genau eben das, was uns heute bei der Interpretation der Figur(en) eben fehlt, was wir nicht mehr verstehen und was uns solche Schwierigkeit bei der Würdigung der Figur macht.

Das gilt im übrigen m.E. auch für die anderen Funde der Mobilkunst aus dieser Zeit. Die Tierfiguren sind zwar erkennbar, trotzdem abstrahiert. Und über deren Bedeutung und Verwendung wissen wir eben nichts. Da man/frau jetzt nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass die Mobilkunst völlig sinnfrei war, liegt auch hier eine Übereinkunft in Bezug auf die Entzifferung der Kunst vor.
Wir gehen bei den Tierdarstellung normalerweise erst mal von einer Bedeutung für die Jagd aus, (ob das richtig ist, lasse ich mal dahingestellt). Jedenfalls nehmen wir eine Bedeutung an, wir gehen eigentlich nicht von „reiner Langeweile“ oder den Ergebnis eines VHS-Kurses „Wir schnitzen Elfenbein“ aus.

Es geht mir also um die Codierung, die aller Kunst innewohnt. Und dass hier ein Code vorliegt, nehme ich aufgrund der Darstellungsform, die sich immerhin 10.000 Jahre hält und der Anbringung eines Aufhängers sehr stark an.
Gerade aber in Bezug auf die Darstellung einer weiblichen Figur hat dies m.E. die Bedeutung, dass sich im Aurignacien bereits bestimmte Vorstellungen und Ideen in Bezug auf die zwei Geschlechter gebildet haben, also keine „ursprüngliche, unbelastete oder gar natürliche Gesellschaftsordnung“mehr vorliegt.

Thomas
 
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