Die wissenschaftliche Problematik der Gemanicus Feldzüge

salvus

Aktives Mitglied
Nach gefühlt langer Pause melde ich mich mit neuer Thematik einmal zurück:

Ich habe heute das neue Buch von Reinhard Wolters: Die Schlacht im Teutoburger Wald - Arminius, Varus und das römische Germanien erstanden.

Sehr interessant - weil das Buch auf einem relativ neuem Stand ist.
Ich will jetzt hier garnicht auf Kalkriese und Varus eingehen, da gibt es ein anders Thema. Hier möchte ich auf die wissenschaftlichen Erkentnisse hinsichtlich der Germanicus Feldzüge eingehen.

Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß es bislang zumindest keine außerordentlichen archäologischen Funde zu diesen Feldzügen gibt.
Wolters macht in seinem Buch (2016) durchaus interessante Bemerkungen.

Er unterteilt die wissenschaftlichen Erkentnisse in zwei Richtungen:

1:
Die Germanicus Feldzüge haben eine nur eingeschränkte Bedeutung.
Dies würde lt. Wolters die Tacitus Annalen in ihrer Glaubwürdigkeit generell erschüttern.

2.
Die (archäologischen) Spuren des Germanicus sind längst aufgedeckt, aber falsch interpretiert!

Punkt 1 ist wohl eher unwahrscheinlich.

Bleibt Punkt 2:
Hier liegt natürlich die Schwierigkeit:
Gibt es einen (archäologischen) Unteschied zwischen einem angenommenen Varus und Germanicus Horizont?

Wolters zieht natürlich den Münzhorizont heran.
Aber da gibt es wohl nicht wirklich klare Aufschlüsse.

Wolters erwähnt zurecht die Tatsachen lt. Tacitus:

Germanicus war mit 8 Legionen untrerwegs in Germanien.
Die nach der Varusschlacht größten Schlachten ( pontes longi, Idistavisio,,Angrivanierwall) fanden während dieser Feldzüge statt.
Und nun: Keine eindeutigen archäologischen Spuren?

Eigentlich ist doch der interessante Punkt 2 übrig.
Die bisherigen Funde sind falsch interpretiert.

Aber ist das so?
Wolters erwähnt mit recht den Münzhorizont.
In Kalkriese gibt es keine Münzfunde, die über das Jahr 9 n. Chr. hinausweisen. Die spannende Frage ist aber, ob es einen eigenen Münzhorizont nach 9 n.Chr. gibt.
El Q. hat dies mit dem Kölner Fund schon beatwortet. Bei Wolters findet sich kein Wort dazu.

Wolters weist auch hinsichtlich des Germanicus auf die Lippe Linie hin. Auch dies meiner Meinung nach zurecht. Wichtig in archäologischer Hinsicht ist hier Holsterhausen. Aber Funde die dem Germanicus zuzuweisen sind, sind Fehlanzeige.

Wolters erwähnt auch Haltern:
In einem Töpferofen wurden Spuren von 24 Leichen endeckt.Aber die darüber liegende jüngere Schicht gehört in einen ebenso römischen Kontext.Und die römische Gräberstrasse in Haltern weist ebenso einen Zerstörungshorizont auf.

Keine Spur von Germanicus - oder doch?
 
Das Buch erschien schon 2008 und wir haben die fragliche Stelle auch schon diskutiert, wurden aber schnell abgelenkt, wenn ich mich recht erinnere.

Schon Delbrück hat vermutet, dass an den Germanicus-Feldzügen wesentlich weniger dran ist als berichtet. Er ging von Widersprüchen aus, die sich großteils aus heute veralteten Prämissen ergaben. Ganz so undenkbar ist es aber dennoch nicht. Einige Märsche können nicht so abgelaufen sein, wie Tacitus berichtet. Was umgekehrt aber auch andere Ungereimtheiten erklären kann. (Die Übertreibungen hätte aber nicht unbedingt Tacitus zu verantworten.)

Ich denke eher, dass die Feldzüge nur etwas geschönt sind. Und auch, wenn sicher schon einiges von Germanicus gefunden wurde, ist einiges recht einfach zu erklären.

Die Schlachten bei Idistaviso und am Angrivarierwall waren die größten der augustäisch-tiberianischen Germanienfeldzüge. Aber von allen Schlachten in Germanien ist nur die bei Kalkriese entdeckt und wenn wir die Zeit weiter fassen nur noch die am Harzhorn. Ein bekanntes Schlachtfeld ist die Ausnahme. (Wenn wir die Funde auf dem Winfeld als unzuverlässig beiseite lassen, was nur zulässig ist, solange daran erinnert wird, dass es nur eine begründete Vermutung ist, dass jene Funde ins Spätmittelalter gehören, zumal es sich eigentlich um mehrere Orte handelt.)

Dann ergibt sich schon aus der Schilderung des Tacitus, dass die Truppen nicht zusammengehalten wurden. Abgesehen von bestimmten Punkten darf also nicht die Riesentruppe erwartet werden. Das ist ein Punkt, den Tacitus z.B. bei den Überfällen auf die Römische Reiterei unterschlägt. Und schon Delbrück kommt dadurch an einigen Stellen zu falschen Schlüssen.

Den Kölner Münzhorizont kannte Wolters 2008 noch nicht. Bei den geringen Funden bei Marschlagern muss er keine Rolle spielen. Länger belegt waren wohl nur der Brückenkopf an der Ems und das 'Lager an der Lippe', dass evt. mit Aliso gleichzusetzen ist. Beide sind noch nicht gefunden.

In der Senne und am Rand des Ordnungsamtes gab es vereinzelt Funde, die Germanicus hinterlassen haben könnte. Schanzpfähle, Ausrüstungsreste und ein paar Münzen. Aber zwingend ist es nicht. Es wäre interessant die Funde entlang der sichereren Marschweg zu überprüfen. Oder besser gesagt, die Funde abzuklopfen, ob sich diese Wege im Fundgut nachvollziehen lassen. Ist dies der Fall und gibt es Gemeinsamkeiten, die sich von denen anderer Phasen der Germanenkriege unterscheiden, könnte man einen Germanicus-Horizont unterscheiden, wenn auch sicher nur ganz bescheiden. Wenn stimmt, dass die Truppen hin- und hergezogen sind, um das Land zu verwüsten, ist es allerdings unwahrscheinlich solche Strecken identifizieren zu können.

2008/09 wurde vermutet, dass Haltern und Anreppen länger belegt waren als angenommen. Dummerweise können die Zerstörungspuren um Haltern aus dem 'immensum bellum' stammen und Anreppen schon im Jahr nach der Gründung auf Befehl des aus Rom zurückgekehrten Tiberius erweitert, bzw. verändert worden sein. (Teilweise war auch Putziges zu lesen. Aliso sei nicht aufgegeben worden, was nicht stimmt. Haltern und Anreppen hätten die Varuskatastrophe unbeschadet sammt Aufgabe der Stützpunkte heil überstehen müssen,damit diese Annahme funktioniert. Denn über den Gebäuden fehlt eine Germanicus-Phase. Es ist auch ein Widerspruch zwischen solchen Lagern und der Überwinterung in Gallien. Im Kastell an der Lippe muss die Besatzung von relativ begrenzter Zahl gewesen sein. Zumeist wurde der Gedanke aber sehr vorsichtig formuliert oder nur angedeutet. Und dass Stellen wie Haltern oder Oberaden ignoriert wurden, obwohl dort Wallreste das Schanzen erleichtern, ist auch erklärungsbedürftig.)

Egal wieviel von Germanicus schon gefunden wurde, solange es ihm nicht zugeordnet werden kann, hilft es nicht weiter.

Edit: Das Ordnungsamt sollte Osning lauten.

Edit 2: Es gibt auch nicht untersuchte Bodendenkmäler, wie die Befestigungen bei Feldrom, die irgendwann von der Bronzezeit bis zum 7jährigen Krieg entstanden sind. Auch wenn die Neuzeit als wahrscheinlich erscheint, mag sich an solchen Orten noch eine Überraschung ergeben. Eigentlich zählt dazu auch der im letzten Jahr in Kalkriese entdeckte nördliche Wall. Denn auch Germanicus Truppen müssen irgendwo im Umkreis von Kalkriese geschanzt haben.

Edit 3: Die Züge gegen die Chatten sind ähnlich gelagert. So sind das Kastell im Taunus, Mattium und der 'Turm' des Segestes schlicht und einfach nicht lokalisiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Züge gegen die Chatten sind ähnlich gelagert. So sind das Kastell im Taunus, Mattium und der 'Turm' des Segestes schlicht und einfach nicht lokalisiert.
Auch Caesars Invasion Britanniens in 55/54 BC läßt sich bislang archäologisch nicht fassen. Fünf Legionen plus Reiterei, ein befestigter Brückenkopf an der Küste, Marschlager bis nördlich der Themse, eine erkleckliche Anzahl ordentlich großer Gefechte plus Belagerung von Cassivellaunus' Hill Fort - nichts davon hat Spuren hinterlassen, oder besser: bisher ließen sich keine Spuren davon entdecken. Und das obwohl sich etliche Örtlichkeiten aus Caesars Bericht mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren lassen.

Kann es sein, daß einfach die Erwartungshaltung inzwischen zu hoch ist nach Kalkriese und Harzhorn? Daß es einfach eine gehörige Portion Glück braucht, von so kurzlebigen Ereignissen wie einem Feldzug überhaupt Spuren zu entdecken?
 
Sicherlich. Die früheren Phasen der Germanenkriege sind ja vorwiegend nicht durch Feldzüge Spuren belegt, sondern durch länger belegte oder immer wieder benutzte Lager, Siedlungen, Gräber und Handelsspuren. Wird das abgezogen, bleibt wenig.

Der Zug Hannibals und die Schlacht bei Cannae sind weitere Beispiele. Bis heute ist der genaue Ort und der Ablauf der Schlacht umstritten, obwohl es sogar Funde gibt.

Das Auffinden von dem 'Lager an der Lippe', dem Brückenkopf an der Ems oder dem Taunuslager könnte die Situation ändern. Das Lippelager war über den Winter belegt und wurde belagert. Die beiden anderen Plätze waren als Ausgangsbasen zumindest für die Dauer eines Feldzuges besetzt.

Dann gibt es noch ganz andere Probleme: Wer waren die Marser. Stellten sie lediglich eine Kultgemeinschaft dar? Dann brauchten wir nicht nach zerstörten Siedlungen suchen. Ein oder zwei Heiligtümer zu finden, wäre ein unerhörte Glücksfall. Dasselbe gilt für den 'Turm' des Segestes. Hatten ihm einst die Römer einen kleinen Turm gebaut, um mal die Bezeichnung über Gebühr zu strapazieren, müssten seine Reste, so er gefunden würde, ins Mittelalter datiert werden, wenn eindeutige Spuren fehlten. Für sich wäre selbst so ein Bauwerk kaum zu datieren.

Paderborn wurde als Pfalzort lange bezweifelt, obwohl die Bartholomäuskapelle und Teile der Aula Regia erhalten waren. Das Funde falsch interpretiert werden ist also auch kein unbekanntes Problem. Nur geht es in unserem Fall teils um nicht genau genug datierbares Material. Stolpere ich morgen über 10 Münzen Caesars, kann niemand sagen, ob Drusus, Germanicus, Arminius, Plinius oder ein germanischer Händler sie verloren hat.
 
(Wenn wir die Funde auf dem Winfeld als unzuverlässig beiseite lassen, was nur zulässig ist, solange daran erinnert wird, dass es nur eine begründete Vermutung ist, dass jene Funde ins Spätmittelalter gehören, zumal es sich eigentlich um mehrere Orte handelt.)
Die angeblichen Funde vom Winfeld sind mindetens teilweise plumpe Fälschungen.

Den Kölner Münzhorizont kannte Wolters 2008 noch nicht.
Abgesehen von den Zeiträumen, die zwischen Niederschrift, Drucklegung und Veröffentlichung liegen:
Heinrichs, Johannes: Münzen einer Zivilsiedlung im Kölner Domareal in ihren Aufschlüssen für das augusteische Köln, die Datierung von Kalkriese und das Problem fehlender nachvarususzeitlicher Befunde östlich des Rheins, in: G.A. Lehmann, R. Wiegels (Hgg.), Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit, Tagung Osnabrück 2004, Göttingen 2007, S. 225 - 320.
Außerdem: Eck, Werner: Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum (Geschichte der Stadt Köln. Band 1). Greven, Köln 2004.

Bei der Tagung in OS 2004 war Wolters dabei, er hat dort selber einen Diskussionsbeitrag beigesteuert, der in dem Band von 2007 abgedruckt ist (Kalkriese und die Datierung okkupationszeitlicher Militäranlagen, Angabe wie oben)

So sind das Kastell im Taunus, Mattium und der 'Turm' des Segestes schlicht und einfach nicht lokalisiert.
Turm des Segestes? Mir fällt nur der Turm der Veleda ein...
Was Mattium angeht, so ist Metze zumindest ein heißer Kandidat. Regressive i-Umlautung des a > e und tt > tz sind zumindest die zu erwarteten Umlautungsvorgänge in der hochdeutschen Lautverschiebung. Metze liegt auch in der richtigen Region.
Und das Kastell bzw. die Kastelle (super vestigia paterni praesidii) im bzw. auf dem Berg "Taunus" (castello ... in monte Tauno - das lateinische in bedeutet nicht nur 'in' sondern eben auch 'auf' und in monte ist ein Ablativus locativus) scheint/scheinen doch einigermaßen dingfest gemacht zu sein: In Friedberg.

Auch Caesars Invasion Britanniens in 55/54 BC läßt sich bislang archäologisch nicht fassen. Fünf Legionen plus Reiterei, ein befestigter Brückenkopf an der Küste, Marschlager bis nördlich der Themse, eine erkleckliche Anzahl ordentlich großer Gefechte plus Belagerung von Cassivellaunus' Hill Fort - nichts davon hat Spuren hinterlassen, oder besser: bisher ließen sich keine Spuren davon entdecken. Und das obwohl sich etliche Örtlichkeiten aus Caesars Bericht mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren lassen.
Erst vor kurzem wurde die gut belegte Schlacht, die in den Quellen einigermaßen genau lokalisiert wird Rigodulum > Riol auch archäologisch nachgewiesen. Und dass eine Schlacht der Antike so einfach zu lokalisieren ist wie die von Rigodulum/Riol ist eher die Ausnahme als die Regel.

Kann es sein, daß einfach die Erwartungshaltung inzwischen zu hoch ist nach Kalkriese und Harzhorn? Daß es einfach eine gehörige Portion Glück braucht, von so kurzlebigen Ereignissen wie einem Feldzug überhaupt Spuren zu entdecken?
Was man einfach nicht vergessen darf, ist, dass die Chemie des Bodens eine ganz erheblichen Anteil an der Erhaltung von Metallen einerseits, organischem Material andererseits und davon abgesplittet, Knochenmaterial hat. Hinzu kommen Erosion, also die Abtragung archäologisch relevanter Fundschichten, was für den Erhalt des Materials nicht gerade förderlich ist und Akkumulation, sprich Überdeckung archäologischen Fundgutes.

Stolpere ich morgen über 10 Münzen Caesars, kann niemand sagen, ob Drusus, Germanicus, Arminius, Plinius oder ein germanischer Händler sie verloren hat.
Jein. Eine Einzelmünze sagt gar nichts. Wie schon erwähnt, umfasst das Spektrum der 1628 Münzen von Kalkriese (Stand nach den Grabungen 2016) einen Prägezeitraum von 200 Jahren. Aber i.d.R. tendieren Horte dazu, dass der Großteil der Münzen in einem sehr engen Prägezeitraum mit der Schlussmünze geprägt wurden. Also ein hypothetischer Hort mit Münzen, die ausschließlich Caesar zuzuordnen wären, wäre vermutlich auch aus den 50er Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts. Ich erwähne ja gerne mal mittelalterliche Horte aus Südpolen, die ein Münzsprektrum haben, welches vom 2. - 9. Jhdt. reicht. Da ist es aber meist so, dass - so vorhanden! - vereinzelte Ausreißer in das 2. oder 3. Jhdt. zurückreichen und gut 80 % der Münzen in den letzten 20 Jahren vor der Schlußmünze geprägt wurden. Die restlichen 20 % - von den vereinzelten Ausreißern abgesehen - sind auch nicht viel älter. Je größer ein Hort ist, desto besser kann man natürlich mit stochastischen Mitteln abschätzen, wann etwa er in den Boden kam.
 
El Quijote, Beweise doch mal, dass 10 gleiche Münzen zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Erde kamen. Das kannst Du nicht. Definitiv. Punkt.

Ich dachte, die Veröffentlichungen zu Köln wären aus 2009. Da hat mich wohl das Jubiläum verwirrt.

Wo hast Du die Funde vom Winfeld gesehen? Ich dachte bisher es seien nur Zeichnungen erhalten, die in jener Zeit in der Regel zeigten, was man sehen wollte, nicht was zu sehen war. Bekanntlich wurden sogar Inschriften 'korrigiert' wiedergegeben. Somit können wir nur feststellen, dass es Waffen und Münzfunde gab, die die Zeitgenossen für römisch hielten. Daher dürfen sie nicht beiseite gelassen werden, ohne sie zu erwähnen.

Metze mag wahrscheinlich sein. Aber solange die Zerstörung nicht nachgewiesen ist, bringt es für Germanicus nichts.

Ich glaube nicht, dass jemand glaubt, dass ich das Lager im Berg verorten wollte. Wichtiger wäre der Hinweis, dass von Berg und nicht Gebirge die Rede ist. Wolters, a.a.O. S. 130: "Im Taunus erneuerte man ein Kastell [...], dessen Lokalisierung bis heute offen ist." Ich kann mich nicht erinnern, dass da mittlerweile etwas bewiesen ist.
 
Beweise doch mal, dass 10 gleiche Münzen zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Erde kamen. Das kannst Du nicht. Definitiv. Punkt.

Lies doch bitte noch mal, was ich tatsächlich geschrieben habe:

i.d.R. tendieren Horte dazu, dass der Großteil der Münzen in einem sehr engen Prägezeitraum mit der Schlussmünze geprägt wurden. [...] Je größer ein Hort ist, desto besser kann man natürlich mit stochastischen Mitteln abschätzen, wann etwa er in den Boden kam.

Wo hast Du die Funde vom Winfeld gesehen? Ich dachte bisher es seien nur Zeichnungen erhalten, die in jener Zeit in der Regel zeigten, was man sehen wollte, nicht was zu sehen war. Bekanntlich wurden sogar Inschriften 'korrigiert' wiedergegeben.
Z.B. will man dort Münzen mit dem Konterfei eines Germanen entdeckt haben, welche die Aufschrift Arminius Dux trugen. Umzeichnungen davon geistern durch die Literatur des 18. und 19. Jhdts. und finden sich in der populärwissenschaftlichen Anti-Kalkriese-Literatur bis heute.

Ich glaube nicht, dass jemand glaubt, dass ich das Lager im Berg verorten wollte.
Das ist eine Diskussion um des Kaisers Bart. Denn es ging tatsächlich nur um das Begriffspaar Berg und Gebirge und dass man sich durch die im Deutschen und Englischen reduzierte Bedeutung von in nicht verwirren lassen sollte.

Ich kann mich nicht erinnern, dass da mittlerweile etwas bewiesen ist.
Das hat ja auch niemand geschrieben sondern: scheint/scheinen doch einigermaßen dingfest gemacht zu sein - In diesem Satz befinden sich gleich zwei Marker, welche die Aussage abschwächen. Da wir i.d.R. aus dieser Zeit keine inschriftlichen Belege von Holz-Erde-Lagern haben, fehlen uns schlicht und ergreifend die Möglichkeiten der exakten Zuordnung. Wir können nur aufgrund von Wahrscheinlichkeiten (zwei übereinander gebaute Lager in der richtigen Region von denen eines wohl in spätaugusteisch-frühtiberische Zeit zu datieren ist) Querverbindungen zu den Quellen ziehen. Ein abschließender Beweis ist angesichts der fehlenden inschriftlichen Belege leider unmöglich.
 
Zunächst noch einmal zum Buch von Wolters:
Die Erstauflage ist 2008 erschienen. Jetzt, also 2017 ist eine durchgesehene, aktualisierte und erweiterte Auflage erschienen. Diese berücksichtigt auch neueste Erkenntnisse. So wird auch u.a. der neue Befund (Wallanlage) in Kalkriese erwähnt.

Als Numismatiker geht Wolters natürlich auch auf Münzfunde ein.
Aber eigentlich ist die Sache ja viel umfangreicher.
Wolters weist zurecht darauf hin, daß die Vorgänge von 12 v. Chr. bis 9 n.Chr. recht gut durch Münzen oder andere archäologische Funde dokumentiert sind. Aber nichts davon scheint wirklich das Jahr 9 n. Chr. überdauert zu haben. Es gibt jedenfalls rechtsrheinisch nichts, welches sich eindeutig nach 9 n. Chr. datieren lässt.

Münztechnisch muß man wohl die Frage stellen, ob die Auszahlungen an die römischen Soldaten auch nach 9 n. Chr. mit altem Geld erfolgt ist. Wolters erwähnt, daß übereinstimmend von allen Forschern anerkannt wird, daß der Anteil von neuen Münzen für die Zeit des Germanicus nur ein Prozent betragen hat. Also waren 99% der Münzen im Varus- und Germanicushorizont gleich. Dies widerspricht allerdings den von ELQ erwähnten Münzfunden nach einem Brand in Köln. Boris Dreyer hat zurecht darauf hingewiesen, daß es zur Zeit des Germanicus einen erhöhten Bedarf an Münzen gegeben haben muß. Konnte dieser deutlich erhöhte Bedarf nur mit alten Münzen gedeckt werden? Doch wohl eher unwahrscheinlich. Und dann gibt es ja auch Annahmen, daß die römischen Legionäre vieleicht nach der Varusschlacht gar keine Münzen in das rechtsrheinische Gebiet mitführen durften (vergl. Johannes Heinrichs).
Und dann sind da noch die Gegenstempel. Wem muß man die in Kalkriese gefundenen Münzen mit Gegenstempel IMP zuordnen? Augustus? Oder könnte auch Germanicus gemeint sein?
Wolters weist auf den Lituus auf diesen Münzen hin - Germanicus besas wie auch Augustus das Amt des Auguren und konnte imperatorische Akklamationen entgegennehmen.

Und interessant ist auch der Befund an römischen Militärplätzen.
In Haltern findet sich ein Zerstörungshorizont an der Gräberstrasse. Wer hat die Gräber zerstört? Die Römer wohl kaum. Aber wann sind diese Gräber zerstört worden? Während des immensum bellums? Nach der Zerstörung wurden neue Grabmäler angelegt. Die Römer sind also zurückgekehrt. Aber wann? Ähnlches gilt auch für die Leichen im Töpferofen. Die dort überlagerte Schicht zeigt, daß die Römer zurückgekehrt sind.

Auch in Waldgirmes gibt es so einen Zerstörungshorizont.
Wolters:
"Auch für Waldgirmes wird auch ein Unruhehorizont erkennbar, auf den - offensichtlich nach einer gewissen Unterbrechung - abermals eine Phase römischer Präsenz folgte."

Aber muß man diese Zerstörung zum Varushorizont zählen?

Ich finde das alles sehr spannend. All diese Dinge zeigen, daß vieles im Unklaren liegt. Bleibt abzuwarten, was noch so kommt...
 
Salvus, ich muß bzgl. deiner Eingangsfrage noch mal auf die acht Adler zurückkommen, die zu Beginn der Idistaviso-Schlacht über dem Kampfplatz erschienen sein sollen. Dies wird ja nicht etwa als Traum geschildert, sondern als Realität. Ich hatte schon mal in einem anderen Thread geschrieben, daß dies so nicht möglich ist (muß allerdings diese Aussage gleich etwas korrigieren).

Ein Adlerpärchen duldet keine anderen Adler in seinem Revier außer seinen Jungen. Das gibt sofort schreckliche Luftkämpfe, bis nur noch zwei übrig sind. Sie dulden allerdings ihre in seltenen Fällen maximal 3 Jungen noch ca. 5 Monate nach dem Ausfliegen, bevor sie auch diese aus ihrem Revier vertreiben. Dadurch komme ich beim besten Willen auf maximal fünf Adler. Dies stimmt allerdings so nur für den Steinadler. Bei Seeadlern sieht es etwas anders aus. Hier können ausgewachsene, aber noch unreife aus dem Elternhorst vertriebene Jungvögel sich in größeren Gruppen zusammenfinden, und acht junge Seeadler wären theoretisch denkbar (Infos über die Adler aus Wikipedia).

Es ist eben gar nicht so leicht, Tacitus eine Übertreibung hieb- und stichfest nachzuweisen, das muß jeder für sich selbst entscheiden.

Und da muß ich für mich selbst sagen, ich halte die Geschichte für unglaubwürdig. Vorstellbar wäre aber, daß tatsächlich zwei Adler zu sehen waren. Daraus wurden dann acht. Man kann natürlich nicht sagen, ob Tacitus selbst dies so aufgebauscht hat, oder ob er einer Fehlinformation aufgesessen ist.

Und genauso verhält es sich mit den Schlachten der Jahre 15 und 16, wobei die Caecina-Schlacht an den Pontes Longi aber etwas aus dem Rahmen fällt. Wenn ich die Tacitus-Schilderung im Schnelldurchgang lese, so entsteht bei mir folgender Eindruck. Die Römer waren bei Idistaviso und am Angrivarierwall sehr gut aufgestellt, zumindest was die Sicherung ihrer Stellung betraf. Dies war Arminius nicht entgangen. Er hat dann jeweils den Kampf sofort abgebrochen, da er keine Chance sah. Was geschildert wird, ist jeweils der Kampf einer germanischen Nachhut gegen die Angriffsspitzen der Römer. Bei Idistaviso kämpfte römische Reiterei und Hilfstruppen gegen die Nachhut, bei der aber Arminius und Inguiomerus mitkämpften. Das ging nicht anders, denn eine wilde Flucht mußte unbedingt vermieden werden, um das abrückende germanische Gros nicht zu gefährden. Und genau wie diese beiden dürfte auch der größte Teil der Nachhut sich noch abgesetzt haben. Es mag dabei sogar zu einzelnen Baumkletter-Aktionen und Abschüssen gekommen sein. Am Angrivarierwall kämpften zwei Prätorianerkohorten gegen die germanische Nachhut, während sich das germanische Gros wiederum absetzte. Als sie den Wall erstürmt hatten, waren die Germanen weg. Meiner unwesentlichen Meinung nach gab es dabei jeweils Verluste im dreistelligen Bereich auf beiden Seiten.

Die acht Legionen waren da, aber sie waren immer nur Zuschauer. es ergab sich einfach keine Gelegenheit für Germanicus, sie offensiv einzusetzen.

Die jeweils im Anschluß geschilderten nächtlichen Blutbäder sind erfunden (komme gleich noch darauf zurück).

Also haben wir im Grunde zwei nur sehr kleine Schlachten mit geringen Verlusten. Und die Römer hatten sowohl das Idistaviso-Feld als auch den Angrivarierwall wohl tagelang besetzt. Sie konnten in aller Ruhe ihre Toten bestatten oder verbrennen, sie konnten Ausrüstung einsammeln, sie konnten eben perfekt aufräumen. Später dann konnten die Germanen zurückkehren und ihre Toten bestatten, sofern das nicht die Römer nicht schon miterledigt hatten. Darum findet man keine Spuren.

Bei Caecina verhält es sich etwas anders. Das ging haarscharf an einem Großereignis vorbei. Waren zunächst die Römer in der Gefahr einer
katastrophalen Niederlage, so später dann durch das unüberlegte Vorgehen von Inguiomerus die Germanen. Auch hier brachen die Germanen schließlich den für sie ungünstig verlaufenden Kampf ab. Aber die Römer hatten sich in einem Lager verschanzt, und hatten es im Anschluß ebenfalls eilig, da abzurücken. Hier könnten weitaus mehr Spuren zurückgeblieben sein.

Aber jetzt noch mal zu Germanicus. Er hatte einige kleinere taktische Siege errungen, aber das war es nicht, was die Führung in Rom sehen wollte. Die wollten einen strategischen Erfolg, den er nicht liefern konnte. Sein Stern begann also zu sinken, aber nicht bei seinen Soldaten. Die rechneten ihm hoch an, daß er sie heile wieder aus Germanien herausgebracht hatte, und bauschten die Siege gewaltig auf. So kam es zu den Schilderungen der gewaltigen Blutbäder, die Tacitus dann für bare Münze genommen hat.

Geradezu umgekehrt verhielt es sich bei Arminius. Die Germanen wollten Siege auf dem Schlachtfeld sehen, und die wiederum konnte Arminius nicht liefern. Daß er einen großen strategischen Abwehrerfolg gelandet hatte,
zeigte sich ja auch erst in den Folgejahren, als die Römer nicht
zurückkehrten. Aber dies fand eben nicht mehr die Anerkennung, die es eigentlich verdient hatte. So geriet also auch der Stern des Arminius ins Sinken.

Meine Schlußfolgerung bzgl. Tacitus ist so:

Das Gerüst der Tacitus-Schilderungen wird stimmen, einige
Ausschmückungen nicht. Er hat an einigen Stellen übertrieben oder ist ungeprüften Fehlinformationen aufgesessen. Es ist eben kein
wissenschaftliches Werk nach heutigem Maßstab.
 
Zurück
Oben