Es geht ja yellowjimbeam nicht um den Kern der Legende, sondern darum, warum das deutsche Volk bereit war dieser Legende zu glauben.
Neben der Desinformation durch die OHL und der überraschende Mitteilung, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden könnte, kam ein weiterer Aspekt hinzu, den Büttner (S. 269) betont.
Diese Erklärung setzt im wesentlichen bei den Protestanten an, die stärker als die Katholiken (vgl. Kulturkampf etc.), die dominante herrschaftsorientierte und herrschaftslegitimierende Konfession im Kaiserreich gebildet haben.
Mit der Revolution, so Büttner, kam der Sturz der Fürsten und somit der Verlust ihrer Landesherren und ebenfalls der Verlust ihrer Kirchenherren (ebd. S. 270).
"Ohne den Schutz der Obrigkeit fürchteten viele, sich gegen kirchenfeindliche Kräfte: Sozialdemokratie und Bolschewisten, Freidenker und Atheisten nicht behaupten zu können. In der Gestalt der Zentrumspartei und der linksliberalen DDP kamen zudem nach den Wahlen zur Nationalversammlung alte Gegner des Nationalprotestantismus in staatliche Schlüsselpositionen. ....Eine solche Staat und Kirche erschütternde Katastrophe wie die Revolution von 1918/19 konnte nach allem, was man über den Willen Gottes zu wissen meinte, nur das Ergebnis von Verrat sein: die Dolchstoßlegende fiel bei vielen Protestanten deshalb auf fruchtbaren Boden." (ebd. S. 270)
Interessant erscheint mir, dass Büttner die Ursachen und die Auswirkungen der "November-Revolution" nicht rein militärisch interpretiert, sondern den politischen Zusammenbruch und den Zusammenbruch der gesellschaftlichen und religiösen Strukturen mit einbezieht.
Und damit auch einen sozialen Träger benennt, der nicht rein durch sein "Klasseninteresse" als Aristokrat oder Bourgeois die These vom Dolchstoß aus eigenem Standesinteresse vertreten will, sondern ebenfalls die evangelische Kirche ein wichtiger Träger war, die These zum Dolchstoß gesellschaftliche zu propagieren. Allerdings in diesem Fall eindeutig als Vertreter ihrer ehemaligen staatstragenden Funktion im wilhelminischen Deutschland.
Dieser Aspekt ist insofern richtungsweisend, weil es nach 1928 vor allem protestantische Wähler waren, die die NSDAP primär gewählt haben. Und somit ein Aspekt der Wahl von Hitler auch an die evangelische Kirche als Träger der Idee eines "Dolchstoß" gebunden ist.
Büttner, Ursula (2008): Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Stuttgart: Klett-Cotta.