Eroberte Gesten

Brissotin

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Mir ist gerade kein dümmerer Titel eingefallen.:p

Wer kennt von euch noch Beispiele von Gesten, welche zur Zeit einer historischen Persönlichkeit usus waren, aber heute von vielen Menschen nur noch mit einer gewissen Person in Verbindung gebracht werden?

Als Beispiel fällt mir immer wieder die Hand in der Weste ein. Ich denke, dass diese Geste/Angewohnheit von Napoleon I. (erst General, dann Konsul, dann Kaiser, dann berühmter Verbannter auf St. Helena) jeder kennt. Bekannt sein dürfte sie durch mehr als nur das gelungene Gemälde von David: Datei:Jacques-Louis David 017.jpg ? Wikipedia
Im ganzen 18.Jh. war diese Haltung überaus üblich. Zur Zeit von Bonaparte finden wir sie auch bei einem der Bourbonensprösslinge auf dem Familienbildnis von Goya: http://www.geschichtsforum.de/559235-post37.html
Auf Fotos aus dem ganzen 19.Jh. erkennt man die Hand in der Weste auch immer wieder. M.E. hat das mit einer gewissen Selbstdarstellung zu tun. In der Regel sind die Abgebildeten entweder Adelige oder aber ansonsten in der Gesellschaft etabliert. Ich habe auch schon eine Reihe von Handwerkerdarstellungen, die Meister ihrer Zunft zeigten, gesehen, welche selbstbewusste Herren mit Hand in der Weste auf den Bildern waren.


Viele kennen wahrscheinlich dieses Bild (wohl eher in der Fassung in Öl), welches die Adlerverleihung von 1804 zeigt. http://images.imagestate.com/Watermark/1621612.jpg Also auf die ausgestreckte Hand will ich z.B. nicht hinaus, da das meines Wissens zur Zeit des Grußes im Dritten Reich schon nicht mehr eine verbreitete Geste war, wenngleich wohl in der Antike nicht unüblich.
 
Hallo Brissontin,

weisst Du, ab wann die Hand in der Weste mit Napoleon (und nur mit ihm) in Verbindung gebracht wird? Schliesslich gibt es ja wirklich massig Darstellungen von allen moeglichen Leuten, die ihre Hand in der Weste hatten (siehe noch eins im Anhang) - Napoleon war ja nur einer von ihnen (wenn auch vermutlich der beruehmteste). Irgendwann muss diese Geste ja als "Zeichen fuer selbstbewussten Adel" vollkommen in Vergessenheit geraten sein, sonst wuerde man das heute ja niemals so ausschliesslich mit Napoleon assoziieren.

War das eigentlich auf bestimmte Laender beschraenkt (andere Laender, andere Gesten), oder in ganz Europa Usus?


Viele Gruesse,
Gnlwth


P.S. Sehr viele "verschwundene Gesten" fallen mir uebrigens gar nicht ein, und wenn die dann noch mit einer einzigen Person verknuepft sein sollen, wird es wirklich schwer...
 

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Hallo Brissontin,

weisst Du, ab wann die Hand in der Weste mit Napoleon (und nur mit ihm) in Verbindung gebracht wird? Schliesslich gibt es ja wirklich massig Darstellungen von allen moeglichen Leuten, die ihre Hand in der Weste hatten (siehe noch eins im Anhang) - Napoleon war ja nur einer von ihnen (wenn auch vermutlich der beruehmteste).
Ich weiß es nicht.

Mir ist nur bei der Geste aufgefallen, dass diese in Witzen oder Karikaturen heute immer wieder mit Napoleon in Verbindung gebracht wurde und das obwohl sie
1. damals offenbar gerade auf Porträts usus war
2. noch nichtmal auf allen oder dem überwiegenden Teil der Abbildungen von ihm auftaucht.

Ich glaube mich zu entsinnen, dass angeblich General George B. McClellan angeblich sich habe auch mit der Gestik ablichten lassen, da er sich damit als Feldherr in eine Linie mit Napoleon stellen wollte (ich denke das habe ich aus einem Buch über den ACW.) Ich selber halte die Annahme für unwahrscheinlich, außer vielleicht er hätte es selber so mal zugegeben.

Interessant wäre vielleicht woher die Geste mit der Hand in der Weste (bzw. wie bei McClellan im Waffenrock) kommt und wann sie zuerst auftauchte.
Zu Ersterem habe ich mehrere Vermutungen:
1.
Status: Man braucht nicht arbeiten, kann beide Hände anderweitig unterbringen - z.B. eine auf dem Degenknauf gestützt, die andere in der Weste.
2.
Modisch - lässt sich also nicht logisch herleiten.
3.
In den Räumen ist es kalt. Eine Hand braucht man z.B. zum Schreiben frei, aber die andere kommt in die wärmende Weste. (Klingt wohl nicht ganz plausibel, oder?:pfeif:)

Zu Letzterem würde ich annehmen, dass sie vielleicht mit dem Aufkommen der Zweiteilung des Obergewandes der Herren in Leibrock (Justaucorps) und Weste erstmalig zu sehen war. Das wäre in der 2. Hälfte des 17. Jh..
 
Viele kennen wahrscheinlich dieses Bild (wohl eher in der Fassung in Öl), welches die Adlerverleihung von 1804 zeigt. http://images.imagestate.com/Watermark/1621612.jpg Also auf die ausgestreckte Hand will ich z.B. nicht hinaus, da das meines Wissens zur Zeit des Grußes im Dritten Reich schon nicht mehr eine verbreitete Geste war, wenngleich wohl in der Antike nicht unüblich.

Mal einige OT-Fragen:

Das Bild mit der Adlerverleihung an die Armeen Napoleons kommt mir bekannt vor. Aber wer ist der Maler? David?
Und wie ist der Titel?
 
Mal einige OT-Fragen:

Das Bild mit der Adlerverleihung an die Armeen Napoleons kommt mir bekannt vor. Aber wer ist der Maler? David?
Und wie ist der Titel?
Der Maler ist David. Der Titel ist: "La Distribution des Aigles" von 1810, wobei die Studie von 1808 sein soll (bei dem Format kann das Zuendemalen schonmal länger gedauert haben:fs:). The Distribution of the Eagle Standards - Wikipedia, the free encyclopedia

Ähnliche Gesten sieht man auch bei seinem Schwur der Horatier und bei den Schwörern im Ballhaus. Wobei es auch sein kann, dass sich bei Letzterem David selbst zitierte und damit die Revolutionäre in eine Traditionslinie mit den tapferen Horatiern stellen wollte.
 
In den Räumen ist es kalt. Eine Hand braucht man z.B. zum Schreiben frei, aber die andere kommt in die wärmende Weste. (Klingt wohl nicht ganz plausibel, oder?:pfeif:)

Dann muesste es sich aber durchweg um Linkshaender gehandelt haben, denn alle haben ihre rechte Hand in der Weste.

Vielleicht legen sie ihre Hand auch aufs Herz? (Oder auf den Magen - diesen Grund hat man ja Napoleon unterstellt, aber die anderen Herren hatten ja sicher nicht alle Magenschmerzen).
 
zur Hand in der Weste ein Beitragsauszug aus einem anderen Forum:

Im siebzehnten Jahrhundert begann man, die antiken Quellen unter dem Gesichtspunkt der Beredsamkeit des Leibes zu befragen. Im Rahmen dieses Unterfangens erschien 1644 in England John Bulwers "Chirologia and Chironomia", ein einflußreiches illustriertes Kompendium, das sich ausschließlich mit Handgesten beschäftigt. Bei Bulwer findet sich zuerst die folgenreiche Auffassung der Hand in der Weste als "modesty", als maßvoll, aber auch ehrbar, bescheiden. Die Gebärde der eingesteckten, ruhig gestellten Hand, die alle rhetorische Macht an das Wort delegiert, steht dabei der bewegten, die Rede amplifizierenden Geste entgegen.

Wenn eine Quelle gewünscht wird, bitte PN an mich (möchte keine Werbung hier machen)
 
Dann muesste es sich aber durchweg um Linkshaender gehandelt haben, denn alle haben ihre rechte Hand in der Weste.

Vielleicht legen sie ihre Hand auch aufs Herz? (Oder auf den Magen - diesen Grund hat man ja Napoleon unterstellt, aber die anderen Herren hatten ja sicher nicht alle Magenschmerzen).
Draußen liegt in der freien Hand der Stock oder auch der Hut (1) oder eben beides(2).
(1) Gainsborough malte hier ein paar musizierende Kumpels. http://www.gainsborough.org/images/peter_c_and_w_sm.jpg
(2) Thomas Gainsborough: "The Morning Walk" File:WhiteSpitzInGainsboroughPainting.jpg - Wikimedia Commons
(3) derselbe mit einem Familienbildnis
http://i.thisislondon.co.uk/i/pix/2007/10/gainsborough_415x406.jpg

In den Häusern sieht man auch oft, dass die eine Hand, in der Regel die Rechte, in der Weste steckt und die andere in der Hosentasche, was auch ganz cool ausschaut.:D

Der Herr hier steckt seine Hand "falsch" rum in die Weste: Thomas Gainsborough | The Byam Family | L1072 | The National Gallery, London :D
 
zur Hand in der Weste ein Beitragsauszug aus einem anderen Forum:

Im siebzehnten Jahrhundert begann man, die antiken Quellen unter dem Gesichtspunkt der Beredsamkeit des Leibes zu befragen. Im Rahmen dieses Unterfangens erschien 1644 in England John Bulwers "Chirologia and Chironomia", ein einflußreiches illustriertes Kompendium, das sich ausschließlich mit Handgesten beschäftigt. ...
Da hätte ich auch selber drauf kommen können, dankeschön. :)

Mir ist das Werk im Allgemeinen auch bekannt.

Ich habe in einem Tanzmeisterbuch von um 1800 auch schon gelesen, dass man beim Gespräch die eine Hand am Körper halten soll und nur mit der anderen gestikulieren. Die Hand direkt in die Weste zu stecken unterstützt sozusagen diesen Rat, macht die Geste zur Angewohnheit und gewöhnt schlechte Manieren wie das wilde Geistikulieren, was wohl als unhöflich oder bedrängend empfunden wurde, ab.
 
...
1.
Status: Man braucht nicht arbeiten, kann beide Hände anderweitig unterbringen - z.B. eine auf dem Degenknauf gestützt, die andere in der Weste.
2.
Modisch - lässt sich also nicht logisch herleiten.
...

Zu Letzterem würde ich annehmen, dass sie vielleicht mit dem Aufkommen der Zweiteilung des Obergewandes der Herren in Leibrock (Justaucorps) und Weste erstmalig zu sehen war. Das wäre in der 2. Hälfte des 17. Jh..

@Brissotin

ad 1)

Status: Das würde ich verneinen wollen, wir befinden uns in einer Zeit, in der Bilder Individuen abbilden z.B. eben Napoleon, oder Generäle oder wen auch immer, da mußte in der Ikonographie nicht symbolhaft daraufhingewiesen werden, daß der Abgebildete nicht händisch arbeiten muß. Ich erkenne als Betrachter Napoleon oder F.II. da bedarf es einer solchen "Symbolsprache" nicht. Da ich weiß, wer der Abgebildete ist.

Bevor der Einwand kommt, Bilder im Krönungsornat sind natürlich etwas anderes, aber da ist m.E. nicht das Individuum sondern das "Amt" das Thema, mit allen Insignien die das "Amt" ausmacht.

ad 2)

Mode: Käme meiner Meinung schon näher, wohin hätte der arme N. denn seine Hände stecken sollen (?), Hosentaschen eher schlecht (so überhaupt vorhanden), Rocktaschen, für einen Offizier undenkbar.

Eine oder beide Hände auf dem Degen-, Säbel- oder Rapierknauf wäre auf einem Bild bereits symbolisch "aufgeladen". Bliebe der Marschallsstab (für Napoleon undenkbar, für F.II auch) oder ein Dokument (Schreiberling [?]) oder die Hand auf einen Bücherstapel (Gelehrter).

Vllt. einfach nur coolness?

M. :winke:
 
Bei Bulwer findet sich zuerst die folgenreiche Auffassung der Hand in der Weste als "modesty", als maßvoll, aber auch ehrbar, bescheiden. Die Gebärde der eingesteckten, ruhig gestellten Hand, die alle rhetorische Macht an das Wort delegiert, steht dabei der bewegten, die Rede amplifizierenden Geste entgegen.

Dann wundert es mich, dass sich ausgerechnet jemand wie Napoleon so darstellen laesst - der war ja nun doch eher ein Mann der Tat (des Schwerts?!) als des Worts. Oder die Geste hatte damals ihre urspruengliche Bedeutung bereits verloren. (Mass und Bescheidenheit sind ja nun auch nicht gerade zwei Eigenschaften, durch die Napoleon sich auszeichnete...)



O.T. Die beiden sehen ja ausgesprochen gluecklich und zufrieden aus, vor allem die Dame scheint bester Laune zu sein... bei dem Wetter, das sich da im Hintergrund zusammen braucht, vielleicht auch nicht weiter verwunderlich.
 
1.
Dann wundert es mich, dass sich ausgerechnet jemand wie Napoleon so darstellen laesst - der war ja nun doch eher ein Mann der Tat (des Schwerts?!) als des Worts. Oder die Geste hatte damals ihre urspruengliche Bedeutung bereits verloren. (Mass und Bescheidenheit sind ja nun auch nicht gerade zwei Eigenschaften, durch die Napoleon sich auszeichnete...)



2.
O.T. Die beiden sehen ja ausgesprochen gluecklich und zufrieden aus, vor allem die Dame scheint bester Laune zu sein... bei dem Wetter, das sich da im Hintergrund zusammen braucht, vielleicht auch nicht weiter verwunderlich.
1.
Zumindest auf dem von mir verlinkten Gemälde von David, sieht man ihn ja in seinem Arbeitszimmer, man könnte vermuten, dass er sich mit einem Minister oder sonstwen unterhält. Der Degen als Attribut des Offiziers oder Generals liegt beiseite, fehlt aber immerhin nicht. Man beachte die fast heruntergebrannten Kerzen unter dem Lampenschirm. Man hat also vielleicht lange gearbeitet...

2.
Es wird bei dem Gemälde auch von Kunsthistorikern gemutmaßt, dass es im Zusammenhang mit der Heirat der beiden gemalt wurde. Es könnte sich also schlicht um ein glückliches Hochzeitspaar handeln. Beide sind Anfang 20, wenn ich mich recht erinnere.
 
Man beachte die fast heruntergebrannten Kerzen unter dem Lampenschirm. Man hat also vielleicht lange gearbeitet...

Schon wieder O.T., aber das ist ein sehr interessantes Detail: Auf der Uhr ist es etwa viertel nach Vier - wenn da Kerzen brennen und fast abgebrannt sind (es ist also vermutlich nicht Dezember, denn so früh wird es in Paris ja nicht dunkel, dass um 16:00 Uhr schon stundenlang Kerzen brennen müssten), dann hat man wirklich sehr lange gearbeitet. Schön, wie das so subtil dargestellt wird!

Es wird bei dem Gemälde auch von Kunsthistorikern gemutmaßt, dass es im Zusammenhang mit der Heirat der beiden gemalt wurde. Es könnte sich also schlicht um ein glückliches Hochzeitspaar handeln.

Wow. Wenn die bei der Hochzeit schon so viel Spaß hatten, dann möchte ich nicht wissen, wie sie zwanzig Jahre später aussahen...
 
Endlich wird die versteckte Hand auch im Geschichtsforum diskutiert. Bislang hatte ich mich ja nicht getraut, diesen Link zu posten:

Die Verborgene Hand der Geänderte Geschichte | Der Wachsame Bürger


Aber zurück zum Thema: "Gesten, welche zur Zeit einer historischen Persönlichkeit usus waren, aber heute von vielen Menschen nur noch mit einer gewissen Person in Verbindung gebracht werden"


Mein Kandidat:

- Der Hitlergruß

Es gab mal einen dämlichen Sketch, wo Napoleon die Hand aus der Weste samt Taschenrevolver vor dem britischen Soldaten entblößte.
 
Mein Kandidat:

- Der Hitlergruß
Den hatte ich ja oben schon.
Scheinbar ist der ein Bestseller, ist es dem ollen Hitler gelungen sogar diesem Gruß mit der ausgestreckten Hand seinen Namen aufzudrücken. :motz:

Wobei Dein Vorschlag m.E. nicht ganz passt, da die Geste damals ja eigentlich nicht mehr wirklich verbreitet war.
 
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