Wenn man meine beiden letzten Beiträge in dem thread ließt und nicht nur ein Schlagwort heraus greift, kann man vielleicht erkennen, dass ich diesen Zusammenhang nicht gemeint habe. Ich habe nicht von altpreußisch (das wäre für mich 1618-1815 und hat damit nix zu tun) sondern von preußisch-deutsch im Sinne des NDBs und Kaiserreichs gesprochen.
das wären dann aber sehr "frische" Traditionen, falls man überhaupt noch von Traditionen sprechen sollte.
Darüber hinaus habe ich ausgeführt, dass der Antisemitismus in allen Ländern vorhanden war. Aber, die entscheidende Frage, weshalb in Deutschland grade die Vernichtung in diesem Umfang verlief, hat mit den tragenden Gruppen des Nationalsozialismus in Deutschland zu tun. Eine autoritäre Herrschaft, die sich auf ländliche Eliten stürzt (Klerikalfaschismus in Österreich, Horthy in Ungarn) oder eine quasi-Militärdiktatur (Spanien, Polen) hatte völlig andere Legitimationsmuster. Der Grund für die Tatsache, dass im Nationalsozialismus der Antisemitismus staatstragen wurde, war eben das Bündnis aus traditionellen Eliten, wie städtischem und ländlichem Kleinbürgertum, dem ein Feindbild bereits vor Augen lag, dass man aber noch weitergehend radikalisierte. Dieses Bündnis entstand aus dem Erhalt der Eliten und der Beamtenschaft des Kaiserreichs mit ihrer antidemokratischen Grundstimmung, sowie der Verschlechterung der lebensbedingungen des Kleinbürgertums.
War den das Judentum das Feindbild des städtischen und ländlichen Kleinbürgertums? Nun bin ich kein Spezialist in neuer Geschichte. Ich meine mich aber erinnern zu können, daß Hitler und Goebbels die antisemitischen Anfeindung im Wahlkampf Anfang der 30er zurückfuhren, um keine Wähler zu verschrecken. Warum, wenn doch alle so antisemitisch waren? Rund ein Viertel der Deutschen wählten die SPD, dann trotz ihrer größeren Anzahl jüdischer Parteimitglieder? Und waren es nicht u.a. die konservativen Kreise, die die Nazis ablehnten, mit ihren braunen Straßenbanden?
Vielleicht sollte man auch mal über den Tellerrand hinausgucken. Deutschland war überhaupt kein Einzelfall in den 30er Jahren, weder war es die einzige Diktatur, sondern nur eine unter vielen, diktatorisch oder zumindest autoritär geführten Staaten. Zum anderen war es auch nicht das einzige Land in dem Minderheiten diskriminiert wurden. Wieso soll es deine eine "preußisch-deutsche Tradition" sein, die dazu führte, ist eine solche "Tradition" doch für die anderen Staaten gar nicht so existent?
Meine Antwort auf diese Frage ist vor allem der 1. Weltkrieg und seine politischen und wirtschaftlichen Folgen. Die waren für eine Reihe von Staaten, ob Sieger oder Verlierer ähnlich. Aber gerade in Deutschland trafen mehrere Komponenten auf ein andere. da war einmal das Heer der ehemaligen Soldaten, viele gingen in die Freikorps, andere hatten ihre Familien während der Hungerblockade verloren. Wer halbwegs durch den Krieg kam, sah sich nun bedroht von Revolution und Inflation. Die alte Ordnung, die vielleicht stabilisierend hätte wirken können, war zerbrochen und die neue Demokratie schwach und mit hohen Hypotheken belastet.
Vielleicht hätten ein paar mehr "Goldene Jahre" alles verändert, aber der jähe Einbruch am Ende der 20er mit der Wirtschaftskrise in den ersten Jahren der 30er, die Millionen in Hunger und Armut trieb, das völlige Versagen der Demokratie, waren schlichtweg zu viel. Jetzt wollten die Menschen neue, einfache Antworten. Diese gaben ihnen die Nazis. Die Nazis selber enstammten dem kleinen antisemitisch-rassistischen Sammelbecken. Viele waren Weltkriegsveteranen oder eben diese Freikorpsveteranen, die wie es mir scheinend, niemals aus dem Krieg heimkehrten. Nun führten sie ihren Krieg weiter, gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden, überzeugte Christen und alle anderen Gruppen, die sie als Feind ausmachten. Eine wehrhafte Demokratie hätte diesen Abschaum niemals nach oben kommen lassen, aber Deutschland war das leider nicht.