Rodriguez schrieb:
Insgesamt kamen in Frankreich rund 29.600 Zivilisten durch Wehrmacht, SS, Gestapo und Sicherheitsdienst um.
Und nocheinmal 133.000 Franzosen kamen nach der Befreiung Frankreichs durch ihre eigenen Landsleute (also Franzosen) um - die weitaus meisten von ihnen ohne Gerichtsverfahren massakriert! Nämlich wegen wirklicher oder angeblicher Kollaboration mit den Deutschen. So zumindest Francois Mitterand, dem Minister der ehemaligen Frontkämpfer, der das am 16. Juni 1946 bekannt gab.*
Der "Figaro" vom 1.1.1946 schätzt die Zahl der damals Verhafteten auf ungefähr eine Million...
*Quelle: Paul Serant: "Die politischen Säuberungen in Westeuropa"
Vielleicht schaffe ich es noch, die Zahlen und Quellen zu überrpüfen. Aber ganz unabhängig davon, halte ich nichts von dem Versuch, die Übergriffe der Deutschen gegenüber den Franzosen mit Hilfe der Übergriffe der Franzosen gegenüber ihren eigenen Landsleuten zu verharmlosen.:runter:
Grundsätzlich steht in den Völkerrechtsartikeln nichts über Geiselerschiessungen, es gab also hier keine verbindlichen Übereinkommen oder Vereinbarungen.
Aber Dr. jur.
Gerd Hankel hat das mal in seinem Artikel
Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart wie folgt heraus gearbeitet:
(...)
Das sind, man muss es wohl so sehen, nicht immer klare Kriterien. Wann gilt eine Bevölkerung als mitverantwortlich? Was sind in einer konkreten Situation die Gesetze der Menschlichkeit? Und was ist unter einem "angemessenen Verhältnis" zwischen einem Völkerrechtsverstoss (Partisanentätigkeit) und seiner Ahndung zu verstehen?
Zunächst einmal ergibt sich aus dem von Dir genannten Artikel, dass man zwischen Geiseln und Kollektivstrafen unterscheiden muss.
Bei Geiseln handelt es sich um Personen, die gegenüber einem fremden Staat für ein bestimmtes Verhalten ihres eigenen Staates und seiner Bevölkerung mit Leib und Leben haften. Die den Geiseln von Seiten des fremden Staates drohenden Vergeltungsmassnahmen sollen den Heimatstaat und seine Bevölkerung von Pflichtverletzungen gegenüber dem fremden Staat abschrecken. Die Geiseln sind also vor den abzuschreckenden Pflichtverletzungen zu stellen bzw. zu nehmen. Die Völkerrechtslehre lehnte schon vor dem Zweiten WK die Geiselnahme als völkerrechtswidrig ab; in Deutschland wurde sie vom größeren Teil der Völkerrechtswissenschaftler abgelehnt, außerhalb Deutschlands nur von wenigen Autoren für zulässig gehalten. Aufgrund dieser überwiegenden Ablehnung der Geiselnahme in der Völkerrechtslehre bezeichnete das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8.8.45 in Art. 6b die Geiseltötung grundsätzlich als Kriegsverbrechen. "Demgegenüber führte aber das amerikanische Militärtribunal Nr. V in seinen Urteilen im Nürnberger Prozeß Nr. VII (Prozeß gegen die Süd-Ost-Generale, auch Geiselprozeß genannt) und Nr. XII (OK der Wehrmacht) aus, daß Geiseln unter gewissen sehr eng umgrenzten Bedingungen und unter bestimmten Vorkehrungen gegen Mißbrauch festgenommen werden dürfen. Das Gericht hielt die Geiselerschießung als letztes, verzweifeltes Mittel zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im besetzten Gebiet für zulässig. Es verlangte aber, daß die Erschießung der Geiseln vorher angedroht und die Anzahl der Erschossenen so bemessen wird, daß die Geiselerschiessung an Schärfe die vergehen nicht überschreitet, von denen die Erschießung abschrecken soll.
Die Tatsache, daß diese Maßnahmen durch ungesetzliche und unmenschliche Anwendung bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden seien, könne ihr Verbot durch richterlichen Spruch nicht rechtfertigen" (Achim Tobler, Geiseln, in: Karl Strupp und Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Erster Band (A-H), 1960). Wenn man bedenkt, dass die Geiselerschiessung schon vor dem Zweiten WK von der Völkerrechtslehre überwiegend abgelehnt wurde, ist das amerikanische Militärtribunal den deutschen Angeklagten in seiner Argumentation doch sehr entgegengekommen, was aus völkerrechtlich-dogmatischer Sicht durchaus bedenklich war.
Neben den Geiselerschiessungen gab es noch Kollektivstrafen, die gegenüber Zivilisten verhängt wurden. Diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass Zivilisten des besetzten Gebietes nach einer Völkerrechtsverletzung, die von Dritten gegenüber dem Fremdstaat tatsächlich begangen wurden, ergriffen werden und zur Strafe und zur Abschreckung von Wiederholungsfällen erschossen werden. Diese Strafen wurden im Zweiten WK versucht mit dem Rechtsinstitut der Repressalie zu rechtfertigen. Dieses Rechtsinstitut ist höchst problematisch, was sich schon daraus ergibt, dass es sich bei Repressalien um an sich völkerrechtswidrige Massnahmen handelt. Diese sollen ausnahmsweise rechtmässig sein, um einen anderen Staat zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen, nachdem dieser dazu übergegangen ist, das Völkerrecht zu verletzen. An die Voraussetzungen dieses Unrechtsausschlusses sind hohe Anforderungen zu stellen, schon um zu verhindern, dass das Völkerrecht mit Hilfe des Repressalienrechts ausgehebelt wird. Folgende Anforderungen waren beispielsweise zu beachten und wurden häufig verletzt: die Bevölkerung musste vor der Aufnahme der Kollektivbestrafungspraxis davor gewarnt werden, dass sie für Verletzungen des Kriegsvölkerrechtes haftet; die Bevölkerung musste über den Vollzug von Kollektivstrafen unterrichtet werden; zunächst musste ernsthaft versucht werden, die Pflichtverletzung aufzuklären und die Schuldigen zu bestrafen; die Kollektivstrafe musste verhältnismäßig sein; gegenüber Kriegsgefangenen durften von vorneherein keine Repressalien ergriffen werden; die Personen, an denen die Kollektivstrafe vollzogen wurden, mussten aus dem Gebiet stammen, in dem die Pflichtverletzung begangen wurde, etc. Ob eine Kollektivstrafe rechtmäßig war oder rechtswidrig kann letztlich nur im Einzelfall entschieden werden.
Allerdings stellt sich natürlich schon die Frage, ob ein Land, das in den von seinen Streitkräften besetzten Gebieten einen Massenmord an der Zivilbevölkerung betreibt und somit selbst das Kriegsvölkerrecht gravierend verletzt, sich überhaupt noch darauf berufen kann, mit Hilfe von Repressalien die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete zur Beachtung des Kriegsvölkerrechts anzuhalten. Das Völkerrecht ist keine Einbahnstraße noch kannes die Zivilbevölkerung verpflichten, sich zur Schlachtbank führen zu lassen. Bei der Gestaltung des Kriegsvölkerrechts vor dem Zweiten WK hat man weder an die Möglichkeit solcher Verbrechen gedacht noch an die Notwendigkeit für einen solchen exotischen Fall irgendwelche Regelungen zu treffen.