Nicole erzählt uns ja mit Ausdauer, dass es egal ist, wo sich Germanicus im Detail aufgehalten hat, da es unzweifelhaft sei, dass er sich zwischen Lippe und Ems - was bei ihr dann zu den Oberläufen der beiden Flüsse wird (was bei Tacitus nicht steht!) - aufgehalten habe.
Zudem tritt sie dafür ein, dass sich hinter dem haud procul eine vergleichsweise geringe Entfernung verbergen muss. Dies kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit durchaus so sehen.
Nur dann sollte die Frage nach dem Aufenthaltsort des Germanicus, als ihn das Verlangen packte das Varusschlachtfeld zu besuchen, noch mehr interessieren.
Denn Germanicus kann sich theoretisch durchaus an mehreren Orten aufgehalten haben, die durch die Beschreibung 'zwischen Ems und Lippe' gedeckt wäre. Um nur ein Paar zu nennen: Paderborn, Hamm, Gütersloh oder Münster. Ziehe ich um jeden dieser Orte einen Kreis von max. 30 km, dann komme ich durchaus in unterschiedliche Regionen, wo man die Varusschlacht aufgrund dieser Angaben lokalisieren müsste.
Alleine von daher wäre es gut zu wissen, wo sich Germanicus wirklich aufgehalten hat.
Bislang habe ich die Meinung vertreten, dass es aus den Quellen nicht erkennbar ist, wo Germanicus genau war. Genaues Lesen des Tacitus und ein wenig nachdenken haben zumindest eine Theorie entstehen lassen, wie man den Text des Tacitus auch interpretieren könnte, wenn man die Brukterer wie allgemein geschehen zwischen Ems und Lippe siedeln lässt.
Dabei greife ich Aspekte auf, die vor allem durch Maelonn vertreten werden. Ihm sei daher für die Anregungen gedankt.
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Bevor beschrieben wird, dass das Land zwischen Ems und Lippe (=Bruktererland) verwüstet wird, gibt es im Text drei Angaben, die sich auf die Brukterer beziehen:
1. Caecina zieht mit 40 Kohorten durch das Bruktererland zum vereinbarten Treffpunkt an der Ems.
2. L. Stertinius schlägt die Brukterer auf Weisung des Germanicus in die Flucht.
3. Die Brukterer verheeren dabei ihr eigenes Land.
Dabei ist zumindest eine Aktion sicher vor dem Treffen anzusetzten. Das ist die Durchquerung des Landes durch Caecina. Die Zerstörung ihres Landes durch die Brukterer lässt sich meiner Ansicht nach nicht eindeutig zuweisen. Es ist aber durchaus eine naheliegende Vermutung, dass dies geschah, als sich die Armee des Caecina dem Land näherte, vielleicht, um diese Massen in Versorgungsschwierigkeiten zu bringen, wenn das Land zerstört ist?
Es ist auf jeden Fall nicht einzusehen, dass Caecina durch Feindesland marschiert, ohne irgendwelche Zerstörungen anzurichten.
Passt dazu die Aktion der Brukterer von der Zerstörung ihres Landes, dann wäre die Folge, dass schon zu dem Zeitpunkt, als Caecina an der Ems eintrifft, im Land der Brukterer kaum noch ein Stein auf dem anderen stand (oder ein Holzstamm auf dem anderen), sondern das Land verwüstet war.
Damit stellt sich die Frage (wie sie auch Maelonn stellt), was Germanicus noch im Land der Brukterer mit 8 Legionen anstellen wollte. Die Brukterer waren zerstreut, ihr Land zerstört.
Es wäre also nicht zwingend notwendig gewesen, dass Germanicus noch einmal in das Land zwischen Ems und Lippe marschiert, denn verwüstet kann das Land schon durch die Anwesenheit des Caecina und die Aktion der Brukterer selbst gewesen sein.
Als Ziel bietet sich dann die entlegensten Gebiete des Bruktererlandes an, wohin ja auch marschiert wurde. Nur wo muss man diese Gebiete dann sehen. Da man sich an der Ems getroffen hat und Caecina zerstörerisch von Süden herankommt, wäre eine Möglichkeit nicht weit vom Treffpunkt entfernt, also eher an der Ems als an der Lippe. Die Textstelle des Tacitus von der Verwüstung des Landes zwischen Ems und Lippe wäre also so eine Beschreibung des Resultats der Aktion des Caecina und nicht eine Beschreibung des Ziels des Germanicus.
Der saltus t., nicht weit entfernt von den entlegensten Gebieten des Bruktererlandes würde damit durchaus ziemlich weit nach Norden gerückt werden.
Fazit: Es ist auch nicht zwingend, dass Germanicus sich an der Lippe befunden hat. Der Text lässt sich genauso gut anders interpretieren.
Da ich natürlich absolut befangen bin, was die Bewertung dieser Deutung angeht, erbitte ich dies von geneigten Lesern (wobei ich auf Ablehnung von Nicole wetten würde).